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Eine Design-Reise | bpb.de

Eine Design-Reise Porträt: Wahideh Abdolvahab

Sonja Ernst

/ 4 Minuten zu lesen

Die Grafikdesignerin Wahideh Abdolvahab reiste im Herbst 2007 für fünf Monate in ihr Heimatland Iran. Dort traf sie ihre Familie, lernte Teheran noch einmal kennen und begab sich zugleich auf die Suche nach der Geschichte des Grafikdesigns.

"Als ich mich auf die Reise machte, wollte ich einfach nur schauen, was ich in Iran alles finden kann: an Stilen, Techniken und neuen Ideen." Zurück kehrte Wahideh Abdolvahab mit 40 Kilogramm Übergepäck, vielen Stunden an Interviewmaterial und einer Fülle an Fotos. Daraus entstand "Signing Tehran": ein 730 Seiten starkes Buch, das die Geschichte und Entwicklung des iranischen Grafikdesigns nachzeichnet.

Wahideh Abdolvahab (© Wahideh Abdolvahab)

Ihre Reise nach Teheran im Herbst 2007 war für Wahideh Abdolvahab die erste Reise in ihr Heimatland nach über 20 Jahren. Sie wurde 1979 in Teheran geboren, im Jahr der Revolution, als der Schah nach anhaltenden Massenprotesten ins Exil floh und unter Ajatollah Chomeini die Islamischen Republik gegründet wurde. "Ich bin ein Revolutionskind", sagt Wahideh Abdolvahab und lacht. Von großen politischen Gesten will sie nichts mehr wissen, vielmehr sei sie "politikgeschädigt". "Meine Eltern haben ihr ganzes Leben dem politischen Kampf geopfert", sagt die 30-Jährige. Für Wahideh und ihre acht Jahre jüngere Schwester bedeutete das, allein erwachsen werden zu müssen.

Wahideh hat lange braune Haare, die sie am Hinterkopf locker zusammengesteckt hat. Sie lacht gerne und erzählt angeregt. Sie wirkt ausgelassen und natürlich. Man würde sagen, sie hat es geschafft: Die Grafikdesignerin arbeitet in einer Agentur und bastelt an ihrer Karriere. Doch bis hierhin war es für Wahideh kein leichter Weg.

Wahidehs Eltern schlossen sich in den 1970er Jahren den Volksmudschahedin an, einer bewaffneten Oppositionsgruppe, die gegen das Regime des Schahs kämpfte. Die linksradikale Organisation hat zum Sturz des Schahs beigetragen, doch nach der Revolution wurde sie nicht nur von der Macht ausgeschlossen, sondern von der neuen Regierung verfolgt. Viele gingen in den Untergrund und kämpften erneut – diesmal gegen die Revolutionsgarden Chomeinis. Wahidehs Familie flüchtete 1988 in den Irak, wo eine Exil-Armee der Volksmudschahedin entstanden war. Doch auch im Irak blieb die Situation schwierig, so dass die Eltern 1991 entschieden, beide Töchter nach Deutschland zu schicken: Da war Wahideh 12 und ihre Schwester 4 Jahre alt.

Ankommen in Deutschland

Die beiden Schwestern lebten bei ihrem Onkel in Düsseldorf. So oft wie möglich kam die Großmutter aus Teheran zu Besuch, übernahm für einige Wochen den Haushalt und war Ersatz-Mama. Wahideh musste nicht nur früh für sich selbst Verantwortung übernehmen, sondern auch für ihre Schwester. "Ich bin nicht wütend auf meine Eltern", erzählt sie. "Sie wollten für uns eine andere, eine freiere Zukunft. Doch wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich mich eher für die Familie als für die Politik entscheiden."

Wahideh lernte rasch Deutsch und besuchte später das Gymnasium. Sie war ehrgeizig. Nach dem Abitur studierte sie Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Düsseldorf und begann, sich für iranisches Grafikdesign zu interessieren. Ein Thema, zu dem es nur wenig Literatur gab. Als Wahideh im Jahr 2007 ihr Diplomthema festlegen musste, entschied sie sich für Grafikdesign aus ihrem Heimatland und kehrte zurück nach Teheran.

"Am Flughafen wartete eine ganze Menge Familie auf mich", so Wahideh. Nicht nur die Großmutter war gekommen, auch der Onkel, die Tante, Cousinen und Cousins – die weitläufige Verwandtschaft. Wahideh blieb fünf Monate in Teheran. Nach und nach eroberte sie sich den Alltag zurück in der ihr mittlerweile fremden Stadt, traf die Familie und ließ sich verwöhnen. Gleichzeitig tauchte sie ein in die iranische Design-Szene und traf deren wichtigsten Repräsentanten. Sie besuchte ihre Studios sowie deren Unterricht an den Universitäten und lernte damit auch den Arbeitsalltag sowie die Ausbildungssituation kennen.

"Iranisches Grafikdesign entstand ab den 1950er Jahren als eigenständiger Bereich", erzählt Wahideh. Die Anfänge seien sehr illustrativ und malerisch gewesen. In den Revolutionsjahren und während des Iran-Irak-Krieges von 1980 bis 1988 waren vor allem religiöse und politische Plakate gefragt. "In dieser Zeit war Grafikdesign immer auch stark politisch aufgeladen", so Wahideh. "Das hat sich später verändert." Ab Ende der 1990er Jahre unter dem neuen Präsidenten Chatami, der für eine Liberalisierung der Gesellschaft sowie der Kunst und Kultur eintrat, erlebte Grafikdesign in Iran einen neuen Boom. Zugleich schwappten globale Trends auch in die iranische Designsprache über. "Aktuell spricht man von der fünften Generation von Grafikdesign in Iran", so Wahideh. Entstanden sei eine originelle zeitgenössische Designsprache, die bewusst visuelle Traditionen nutze.

Die Schrift als Designobjekt

"Schrift hat einen sehr hohen Stellenwert in der persischen Kultur", so Wahideh. In der persischen wie in der arabischen Kultur steht die Kalligraphie in der Tradition der Reproduktion des Korans, damit ist ihr eine religiöse Bedeutung eigen. In den aktuellen Designarbeiten wird jedoch mit der Schrift gespielt, sie wird Form gebend, sie wird verbunden mit Collagen und handgezeichneten Charakteren dargestellt oder als Teil digitaler Illustrationen. Im Zentrum steht nicht mehr allein Sinn und Lesbarkeit: Die Schrift wird zum Bild.

Für das Entstehen einer modernen Designsprache bietet Wahidehs Buch "Signing Tehran" zahlreiche Beispiele: Plakate, Logos, Programme, Buchcover etc. Es ist ein visueller Streifzug durch Irans Grafikdesign. Ebenso finden sich Interviews mit den zentralen Figuren des iranischen Grafikdesigns und Bildreportagen, die das Leben in Iran zeigen. "Ich wollte auch den Alltag abbilden. Immerhin ist es das normale Leben, das inspiriert - aber auch einschränkt", sagt Wahideh. Viele Grafikdesigner kämpfen mit wirtschaftlichen Sorgen. Zugleich ist Irans Zensurbehörde allgegenwärtig; Kreativität wird in einen engen politisch-konservativen Rahmen gepresst. Dennoch, so Wahideh, die jungen Grafiker seien engagiert, wissbegierig und äußerst originell.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland musste Wahideh oft an ihr neuentdecktes altes Heimatland und an ihre Familie denken. Die Herzlichkeit, die sie in Iran erfahren hatte, vermisste sie hier oft. In Iran kümmere man sich mehr umeinander, die Familienbande und die Freundschaften seien enger. "Doch in einem Land, in dem die Gesetze nicht gelten, könnte ich nicht leben", sagt sie. Und ohnehin: Deutschland ist heute ihre Heimat.

Fussnoten