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Shoah und Einwanderung | Israel | bpb.de

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Shoah und Einwanderung Nehmen Sie sie doch als "schwimmende Fracht" mit: Das Rettungsprogramm der Jewish Agency während des Holocaust

Tuvia Friling

/ 11 Minuten zu lesen

Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beschränkte die britische Mandatsmacht die jüdische Einwanderung nach Palästina. Mit den Konferenzen von Evian (1938) und Bermuda (1943) schloss die internationale Gemeinschaft ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland. Der Jischuv setzte deshalb auf "illegale" Einwanderung.

Das Flüchtlingsschiff "Jewish State" der Untergrundarmee Hagana am Hafen von Haifa im Oktober 1947. (© AP)

Ende 1942 stattete Stanislaw Kott, ein langjähriges Mitglied der polnischen Exilregierung, dem Jischuv (den jüdischen Siedlern in Palästina vor der Staatsgründung Israels) einen Besuch ab, um sich mit ranghohen Vertretern der Jewish Agency Executive (JAE) und führenden Köpfen der polnisch-jüdischen Landsmannschaften (Einwanderer- organisationen) zu treffen. Das Treffen fand gerade zu dem Zeitpunkt statt, als jüdische Politiker in Palästina begriffen hatten, dass Hitlers Plan, das europäische Judentum auszurotten, wirklich real war; nur wenige Tage zuvor hatte die Jewish Agency ihre erste Erklärung zu den Absichten Nazideutschlands herausgegeben. Anfang der 1980er-Jahre entdeckte ein bekannter israelischer Historiker das Protokoll eines Banketts, zu dem die Jewish Agency 1942 aus Anlass von Kotts Besuch geladen hatte. Das Protokoll, das in einem Jerusalemer Archiv aufbewahrt war, enthüllte, dass die Anwesenden das Thema der Bürgerrechte in Polen nach der Beendigung des Krieges diskutierten. "Ich frage Sie", meinte der israelische Historiker herausfordernd, "war es das, was ihnen damals Sorge bereitete – der Status der Juden in Polen nach dem Krieg? War ihnen nicht bewusst, was gerade passierte? Nicht einmal Ben-Gurion?"

Diese beunruhigende Frage hallte lange nach, bis Clio, die Muse der Geschichte, eben jenen Historiker in die Archive der polnischen Exilregierung in London führte, wo er den Bericht fand, den Kott seinen Kabinettskollegen vorgetragen hatte. Aus diesem Dokument geht hervor, dass Kott berichtete, Ben-Gurion habe ihn nach dem Bankett zu einem Spaziergang durch Jerusalem eingeladen, bei dem Ben-Gurion alles, was bei dem Abendessen gesagt worden war, als unbedeutend abtat. "Was da gesagt wurde, ist unerheblich", sagte Ben-Gurion. "Die entscheidende und wichtigste Frage ist die, was getan werden muss, um die Juden zu retten, die in Europa in der Falle stecken und dahingeschlachtet werden. Wir alle müssen tun, was in unserer Macht steht, um sie zu retten."

Die Geschichte der widersprüchlichen Schlüsse, die aus isolierten Beweisen zu einem einzelnen Ereignis gezogen werden, zeigt, wie notwendig es ist, sowohl das offenkundige als auch das verborgene – das öffentliche als auch das hinter den Kulissen ablaufende – Wirken der Führung des Jischuv in dieser kritischen Periode zu untersuchen.

Jischuv und die Einwanderungspolitik der britischen Mandatsmacht

Warum hat die jüdische Führung diesen doppelten Kurs verfolgt? Der Jischuv stand seit dem Ende des Ersten Weltkrieges unter britischem Mandat und war von der Politik Großbritanniens abhängig. Der Britische High Commissioner für Palästina während der Kriegsjahre, Sir Harold Alfred MacMichael, war für seine negative Einstellung gegenüber der jüdischen Gemeinde bekannt. Seine Position wurde mit dem Ausbruch des Krieges und der Verabschiedung der Notstandsgesetze zunehmend feindseliger. Der Konflikt zwischen der jüdischen Gemeinde und den Mandatsherren konzentrierte sich auf drei Themen: Einschränkungen bei Landkäufen, Deportationen illegaler jüdischer Einwanderer und die Suche nach illegalen Waffenlagern jüdischer Untergrundbewegungen. Mit der Verkündung des nationalsozialistischen Vernichtungsprogramms kam allem, was die jüdische Einwanderung in Palästina behinderte, eine neue Bedeutung zu: es war das Todesurteil für jene, die in Europa blieben.

Die Politik der Briten in Hinblick auf die jüdische Gemeinde in Palästina während des Krieges stützte sich in erster Linie auf das Weißbuch von 1939, in dem festgestellt wurde, dass Großbritannien seine Verpflichtung erfüllt hatte, bei der Schaffung einer "nationalen Heimstätte" für die Juden mitzuhelfen. Das Weißbuch legte strikte Einwanderungsquoten für die Zeit zwischen 1939-1944 fest und vergab insgesamt 75.000 Scheine, 15.000 pro Jahr.

Die im Weißbuch enthaltenen Bestimmungen beruhten auf der Annahme, dass der arabischen Welt eine Schlüsselrolle in Bezug auf die Stabilität in der Region zukomme und Großbritannien deshalb die Araber beschwichtigen sollte, indem es die jüdische Einwanderung einschränkte und, zumindest vorübergehend, sein 1917 gegebenes Versprechen rückgängig machte, eine "nationale Heimstätte für Juden in Palästina" zu errichten. Die Besorgnis der Briten erstreckte sich über den Nahen Osten und die arabische Welt hinaus: Die Briten beobachteten die Muslime weltweit, vom indischen Subkontinent bis nach Nordafrika, mit gewissem Argwohn. Die arabische Revolte in Palästina (1936-1939) und die Loyalität des Großmuftis von Jerusalem, Haj Amin Al-Husseini, und anderer arabischer Nationalistenführer wie Rashid Ali Al-Kailani im an Erdöl reichen Irak gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland machten die Gefahren einer unparteiischen Politik nur allzu deutlich. Die Briten dachten nicht daran, ihre strategische Position in diesen Regionen aufs Spiel zu setzen, indem sie sich den Juden in Palästina gegenüber großzügig verhielten.

Das Weißbuch blieb während des Zweiten Weltkriegs in Kraft, auch wenn es zu weithin publizierten Vorfällen kam wie jenem, als das St. Louis Flüchtlingsschiff (1939) in See stach, die Struma und Mafkure Flüchtlingsschiffe (1942 bzw. 1944) sanken und internationale Konferenzen, in Evian und Bermuda 1938 bzw. 1943, einberufen wurden, um die Flüchtlingssituation zu lösen. Die Folgen des Weißbuches waren, zusammen mit der weiterhin restriktiven US-amerikanischen Einwanderungspolitik, praktisch eine Blockade aller potentiellen Ankunftshäfen für jüdische Flüchtlinge, die der Mordmaschine der Nazis zu entkommen suchten.

Jischuv und "illegale Einwanderung"

In Anbetracht dieser Situation organisierte der Jischuv in den späten 1930er und frühen 1940er-Jahren die "illegale Einwanderung" zehntausender Juden aus Europa, was er so weit als möglich vor den Briten und Amerikanern verborgen zu halten versuchte.

Die Rettungsstrategie des Jischuv stand unter dem unmittelbaren Einfluss der allgemeinen Politik der Alliierten, inklusive deren ausschließlichem Schwerpunkt auf dem Sieg über Hitler und der daraus folgenden Weigerung, Ressourcen für Rettungsmaßnahmen abzuzweigen; deren Bestehen auf Deutschlands bedingungsloser Kapitulation als Bedingung für die Beendigung des Krieges, was jede Verhandlung mit dem Feind oder dessen Abgesandten ausschloss; deren Weigerung, zuzugestehen, dass die Juden von Hitler ausgesucht wurden, um ermordet zu werden und die gleichzeitige Verneinung der Notwendigkeit, besondere Maßnahmen zu ihrer Rettung zu setzen; und schließlich deren Verbot finanzieller Transaktionen in das besetzte Europa, womit für Rettungsoperationen benötigte Gelder blockiert wurden.

Die Situation wurde dadurch erschwert, dass jene Mächte, die die Fluchtrouten der Juden blockierten – die Briten und die Amerikaner – auch diejenigen waren, die, gemeinsam mit den Russen, den militärischen Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland führten. Diese Ambivalenz machte es sehr schwierig für die Entscheidungsträger und Rettungsaktivisten im Jischuv und der weltweiten zionistischen Bewegung, eine klare Haltung gegenüber den Alliierten einzunehmen. Es zwang sie auch, sich die meiste Zeit in einer unbekannten Grauzone, zwischen offenen und verdeckten Aktionen, zu bewegen.

In den Augen der Zionisten war durch den Holocaust bewiesen, dass die Integration der Juden in ihre nicht-jüdische Umgebung eine Illusion war, die niemals Wirklichkeit werden würde und dass die einzige Lösung in ihrer ungewöhnlichen Lage die Schaffung eines jüdischen Nationalstaates in Palästina sei. In der Folge sah sich die zionistische Bewegung der großen Herausforderung gegenüber, zwei wichtige Projekte zur gleichen Zeit umzusetzen: den Aufbau der für den zukünftigen jüdischen Staat notwendigen Infrastruktur und die Rettung der Menschen, der sie dienen sollte. Das Bekanntwerden des Ausmaßes des Mordens an den Juden in Europa brachte die tragische Erkenntnis mit sich, dass zwar die Errichtung eines eigenen Staates für das jüdische Volk endlich zu einer realen Möglichkeit werden würde, es jedoch gleichzeitig immer unwahrscheinlicher wurde, dass es dann noch Menschen geben würde, um ihn zu bevölkern.

Organisation des Jischuv – die Jewish Agency Executive

Die politische, soziale und demographische Struktur des Jischuv ist wesentlich für das Verständnis seiner Politik und seines Verhaltens. Ende 1942 zählte der Jischuv rund 485.000 Menschen, das entsprach 31% der Gesamtbevölkerung des Landes. Es war eine sehr heterogene jüdische Gemeinde, sie bestand aus religiösen und säkularen Juden; städtischen und ländlichen Gemeinden; Veteranen und neuen Einwanderern; der Sephardim (hauptsächlich Juden aus islamischen Ländern) und der Aschkenasim (zum Großteil Juden aus europäischen Ländern, die ihre Heimat vor wenigen Jahren verlassen hatten und deren Eltern, Geschwister und Verwandte nun ermordet wurden).

Der organisatorische Aufbau dieser sehr mannigfaltigen Gemeinschaft war komplex und beruhte auf freiwilliger Mitgliedschaft. Eine Reihe autonomer Institutionen waren im Jischuv aktiv, die ihre Legitimität aus dem Glauben der Menschen an ihre Vorsitzenden bezogen. Die JAE wurde von der World Zionist Organization (WZO) mit der Aufgabe betraut, den Grundstein zu einer "nationalen Heimstätte" zu legen. Sie befasste sich mit Themen wie Einwanderung, Integration von Einwanderern, zionistischen Aktionen in der Diaspora, Landerwerb, Siedlungsentwicklung, Aufbau militärischer und paramilitärischer Organisationen und Fundraising für die nationalen Fonds. Die JAE (Jewish Agency Executive) sah sich auch als Repräsentantin der Zionisten in Palästina und der Diaspora gegenüber den Mandatsherren, der britischen Regierung in London, und anderen ausländischen Mächten.

Die JAE war ein repräsentatives, regierungs-ähnliches Gremium, die Macht war auf verschiedene Parteien aufgeteilt. Die Schlüsselpositionen hatte die dominante Mapai- (Arbeiter)Partei inne. Ihr Anführer, David Ben-Gurion, war der Vorsitzende der JAE. Ihre vielen Dienststellen hatten nicht die Mittel, den Bestimmungen auch Geltung zu verschaffen und mussten sich gegenüber so unterschiedlichen Gruppierungen wie den rechtsgerichteten Untergrundorganisationen IZL und Lehi und den Ultra-Orthodoxen sowie anderen Gruppen durchsetzen, die das demokratisch gewählte Regierungsgremium des Jischuv nicht anerkannten.

Obwohl sich Ben-Gurions Position während dieser Zeit festigte, wäre es irreführend, sein späteres Image als Israels charismatischer Gründervater auf seine Person in den frühen 1940er-Jahren zurückzuprojizieren. Während des Zweiten Weltkrieges war Ben-Gurion ein demokratischer Politiker in einer Zeit der schweren Krise; er musste in der komplexen Realität eines heterogenen Jischuv unter fremder Herrschaft, in einem Kontext dynamischer internationaler Rahmenbedingungen, geschickt lavieren, und das alles angesichts von Krieg und Holocaust, der sein Volk vernichtete. Aus jüngsten Studien geht hervor, dass Ben-Gurion und seine Kollegen an der Spitze der Zionisten-Bewegung ihr Möglichstes getan haben, um das europäische Judentum in der Zeit des Holocaust zu retten. Sie unternahmen zahlreiche Aktivitäten, die in zwei Kategorien unterteilt werden können: Erstens waren dies begrenzte Rettungsaktionen mit dem Ziel, das Überleben der Juden in den besetzten Gebieten zu ermöglichen: durch die Bereitstellung von Geld, Lebensmittelpaketen, Bekleidung, Medizin und gefälschten Papieren; durch das Schmuggeln von Juden über die Grenze in weniger gefährliche Gegenden; durch das Schmuggeln von Waffen zur Selbstverteidigung; und durch die Bereitstellung von organisatorischer Hilfe und finanzieller Unterstützung für Juden, die sich versteckt hielten. Zweitens setzten sie größere Rettungsaktionen, mit dem Ziel, Gruppen von Juden aus Feindesland zu befreien. Diese beinhalteten den "Kinderrettungsplan", Versuche, Menschen freizukaufen und die heimliche Kooperation mit Mitgliedern britischer und amerikanischer Geheimdienste.

Rettungspläne

Drei Pläne, in denen es darum ging, Juden mit Lösegeld freizukaufen, wurden auf allen Ebenen der zionistischen Führung als nützliche Hinhaltemanöver, wenn nicht als große Rettungschancen, angesehen. Es waren dies der "Transnistria Plan" (Oktober 1942 - Februar 1943), der Versuch, rumänische Juden zu retten, die nach Transnistrien verbannt worden waren; der "Slovakia Plan", ein Versuch, slowakische Juden vor der Deportation zu bewahren, aus dem sich später der "Europa Plan" (Sommer 1942 – Oktober 1943) entwickelte; und insbesondere die Joel Brand Mission (März-Juli 1944), allgemein bekannt unter dem unglückseligen Namen "Blood for Trucks Plan" (Blut für Lastwägen). Widersprüchliche Interessen standen den drei Plänen, die die Rettung zehntausender jüdischer Flüchtlinge vorsahen, entgegen. Die USA und Großbritannien lehnten Verhandlungen jeglicher Art mit ihren Feinden ab, und die Fluchtrouten blieben versperrt. Als alles andere gescheitert war, appellierte die Jewish Agency im Juli 1944 an die Alliierten, Auschwitz und die zu den Lagern führenden Bahnverbindungen zu bombardieren.

Der Jischuv mobilisierte einen großen Prozentsatz seiner Bevölkerung für den Kriegseinsatz. Ungefähr 30.000 junge Männer und Frauen, vom rechten wie vom linken Flügel des politischen Spektrums des Jischuv, meldeten sich freiwillig zur britischen Armee. Ab Sommer 1944 wurde dem Jischuv, nach langem verzweifeltem Ringen, gestattet, eine jüdische Brigade zu bilden, womit er als Kriegspartner anerkannt wurde.

Durch ihre Beziehungen zu amerikanischen und britischen Geheimdiensten versuchte die zionistische Führung, jede Gelegenheit zu nützen, um Juden zu retten, die im besetzten Europa gefangen waren, doch sie mussten im Geheimen agieren. Aus dieser Geheimhaltung resultiert unter anderem, dass dies kaum dokumentiert ist und Historiker daher mit der großen methodologischen Herausforderung konfrontiert sind, diese Operationen und ihren modus operandi zu rekonstruieren. In vielen Fällen sind Deals mit fragwürdigen Persönlichkeiten, Doppel- oder Dreifachagenten, Kriminellen, Mitgliedern der Gestapo und der Abwehr (deutscher militärischer Geheimdienst) nicht schwarz auf weiß nachzulesen. Erst in letzter Zeit sind Dokumente (einige davon nur in kodierter Form) an die Öffentlichkeit gelangt, die sich auf die "Special Tasks Section" beziehen: auf die politische Abteilung der Jewish Agency sowie britische und amerikanische Geheimdienste.

Bilanz der Rettungsversuche

Es bleibt die tragische Tatsache bestehen, dass ein Großteil aller Rettungsversuche schließlich scheiterte. Hauptgrund für dieses Scheitern war die enorme Komplexität der großen Rettungsversuche, auf der Ebene der Politik, der Ausführung und der Logistik. Da die meisten Operationen scheiterten und die Hauptakteure anonym blieben, lag es nahe, den Schluss zu ziehen, der Jischuv hätte sich die Rettung nicht zum obersten Ziel gesetzt oder nicht sein Allermöglichstes dafür getan.

In Wirklichkeit war das Gegenteil der Fall. Die kühnsten und intelligentesten Köpfe des Jischuv, wie Reuven Zaslani (Shilohah), Shaul Meirov (Avigur), Teddy Kollek und Ehud Avriel, waren direkt für die Rettungsoperationen verantwortlich. Diese Männer waren die talentiertesten Geheimdienstleute des Jischuv, die sowohl vor als auch nach dem Krieg mit den sensibelsten sicherheitsbezogenen Aufgaben betraut wurden. Die traurige Wahrheit ist, dass sie trotz ihres Talents, ihrer Anstrengungen und ihrer Hingabe an die Rettungsmission scheiterten.

Die folgende Anekdote verdeutlicht die politische und praktische Ohnmacht des Jischuv zur damaligen Zeit. Von grundlegender Notwendigkeit für die Rettungsoperationen waren Transportmittel, insbesondere Schiffe. Kinder, die wie durch ein Wunder aus Mitteleuropa geschmuggelt worden waren, saßen in zahlreichen Häfen am Schwarzen Meer fest, wo sie auf Schiffe warteten, die sie in Sicherheit bringen würden. Zur gleichen Zeit segelten alliierte Schiffe, die Truppen und Ausrüstung an die Front in Südeuropa gebracht hatten, leer nach Hause zurück, beladen mit nichts als Sand und Steinen – genannt die "schwimmende Fracht" –, die für die Stabilität auf See sorgten. Als der Mitarbeiter einer Rettungsoperation sah, wie diese Schiffe ganz in der Nähe der Aufenthaltsorte der Kinder aus den Häfen abfuhren und vorschlug, dass diese leeren Schiffe die Kinder mitnehmen könnten, wurde er abgewiesen, mit der Ausrede, der Umweg würde die Kriegsschiffe aufhalten und die Operationen behindern. Der Mann antwortete: "Wenn Sie sie nicht als Kinder mitnehmen, so wenigstens als 'schwimmende Fracht'..."

In der Zeit nach dem Holocaust arbeitete der Jischuv mit doppelter Kraft daran, in Umgehung der britischen Einwanderungsbeschränkungen die wenigen Überlebenden nach Palästina zu bringen, das weiterhin um die Anerkennung als Staat kämpfte. Nur drei Jahre nach Kriegsende, am 14. Mai 1948, erklärte Ben-Gurion die Unabhängigkeit des Staates Israel. Für viele seiner Bürger, bei denen die Erfahrungen während des Holocaust tiefe Narben hinterlassen hatten, bedeutete der neue Staat, dass jüdische Kinder nie wieder als "schwimmende Fracht" betrachtet werden würden.

Weitere Inhalte

Dr. Tuvia Friling ist Direktor des Ben-Gurion Research Centers an der Ben-Gurion University of the Negev in Israel. Er ist Autor zahlreicher Artikel und Bücher über David Ben-Gurion, den Holocaust und die israelische Gesellschaft.