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Dokumentation: Beschluss des Senats der Republik Polen vom 29. Oktober 2013 zum Gedenken an Tadeusz Mazowiecki, den ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten in Ostmitteleuropa | Polen-Analysen | bpb.de

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Dokumentation: Beschluss des Senats der Republik Polen vom 29. Oktober 2013 zum Gedenken an Tadeusz Mazowiecki, den ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten in Ostmitteleuropa

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Der Senat der Republik Polen erweist dem am 28. Oktober 2013 verstorbenen Tadeusz Mazowiecki seine Ehrerbietung, dem ersten Ministerpräsidenten der Dritten Republik und zugleich ersten nichtkommunistischen Regierungschef in den Ländern des nach dem Krieg entstandenen Ostblocks, dem Mitgestalter politischer und wirtschaftlicher Reformen von historischer Bedeutung für Polen, dem herausragenden, moralischen Grundsätzen treuen Politiker, dem mit Visionen, Klugheit und Mut beschenkten Staatsmann und Träger des Ordens des Weißen Adlers. Wir geben unserer Dankbarkeit für Tadeusz Mazowieckis langjährige publizistische, parlamentarische und oppositionelle Tätigkeit Ausdruck, für seine unerschütterliche Haltung als Vertreter der katholischen Gemeinschaft in der Zeit der Volksrepublik, für intellektuelle Inspirationen, für den Mut, zur Verteidigung der Benachteiligten und Streikenden aufzutreten – trotz gegen ihn selbst gerichteter Repressionen –, für seinen Anteil an der Entstehung der Unabhängigen Selbstverwalteten Gewerkschaft Solidarność. Der klugen Führung von Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki verdanken wir, gut durch die schwierigen Zeiten der großen Systemveränderungen gekommen zu sein. Wir neigen das Haupt vor Tadeusz Mazowiecki und seiner Treue zu den von ihm bekannten Werten, seiner Ehrlichkeit im öffentlichen Leben. Er bewies sie vor der Weltöffentlichkeit, als er als Zeichen seines Protestes gegen die Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft gegenüber den Verbrechen des Bürgerkrieges in Bosnien-Herzegowina sein Mandat als Sonderbotschafter der Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen für das ehemalige Jugoslawien niederlegte. Damals sagte er: "Ich gebe damit ein Zeugnis, dass Ehrlichkeit über abstruser Diplomatie stehen muss, für die die Worte über die Verteidigung der Menschenrechte aufhören, etwas zu bedeuten. Dieser Auffassung bin ich als Mensch, aber auch als Christ, der auf diese Weise Zeugnis ablegt. Ich habe nichts Großes vollbracht. Ich habe so gehandelt, wie es mir mein Gewissen gebot." Diese Stimme des Gewissens hat die Welt schließlich gehört. Der Senat der Republik Polen ehrt das Andenken Tadeusz Mazowieckis – eines großen Patrioten, Politikers, Staatsmannes. Der Beschluss unterliegt der Bekanntmachung im Amtsblatt der Republik Polen, Monitor Polski

Der Senatsmarschall Bogdan Borusewicz

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate Quelle: Externer Link: http://www.senat.gov.pl/download/gfx/senat/pl/senatuchwaly/1660/plik/479-3.pdf (abgerufen am 12.11.2013)

Wir haben nicht aufgehört zu kämpfen

Ich möchte meine tiefe Dankbarkeit für die Auszeichnung zum Ausdruck bringen, die heute der "Solidarność" verliehen wird. Den unserer Gewerkschaft zuerkannten Freiheitspreis der Kurt-Schumacher-Stiftung verstehen und empfinden wir als einen Akt der Solidarität mit allem, was uns teuer ist und worum zu kämpfen wir nicht aufgehört haben. In unserer Zeit wurde zur großen Frage, besonders im zweigeteilten Europa, wie in der Welt, in der wir leben und deren Teilung kein tödlicher Kampf überwinden wird, auf unserer Seite dieser Welt eine Bewegung in Richtung Freiheit möglich ist. Für uns und für andere in unserem Teil Europas lebende Völker ist dies eine fundamentale Frage, die darüber entscheidet, wie wir heute sind und wie wir morgen sein werden. Ich glaube, daß aber auch in dem Teil Europas, zu dem Sie gehören, diese für uns so wichtige Frage nicht etwas ist – oder jedenfalls nicht sein sollte –, das bloß als ein von weitem herüberdringender Ruf vernommen werden sollte. Auch über Probleme des Friedens, mit dem größere menschliche Zuversicht einhergehen könnte, oder über die Angelegenheiten Europas, in dem das Gefühl der Gemeinsamkeit nicht vom Zerfall bedroht wäre, kann man nur dann ernsthaft denken und glaubwürdig sprechen, wenn man sich des Gewichts dieser Frage wirklich bewußt ist. Zusammen mit dieser Frage stellt sich jedoch eine weitere, nicht minder wesentliche Frage, die jene erste ergänzt. Es ist die Frage danach, was in diesem Prozeß, der unsere Freiheit erweitern könnte, am bedeutungsvollsten ist, worin vor allem Hoffnung zu suchen ist. Eine Antwort auf diese Frage ohne Illusionen und ohne Vorurteile zu suchen ist wichtig. Deshalb sollte nicht die Bedeutung dessen über­sehen werden, was unter unseren Bedingungen eine größere Öffnung der Machtstrukturen für die Erwartungen und das Streben der Menschen bewirken könnte. Trotz schlimmer Erfahrungen wäre es töricht zu glauben, daß in dieser Bezie­hung die Geschichte schon das letzte Wort gesprochen hat. Die Geschichte hat uns aber auch gelehrt, daß unsere Stärke nur in etwas anderem ihre Quelle haben kann. Alle unsere Erfahrungen beweisen, daß es am wichtigsten ist, wie der Mensch ist und wie es um seine innere Freiheit steht; wie die Gesellschaft ist und wie weit ihr Bewußtsein entwickelt ist, daß sie nicht nur Objekt fremden Handelns, sondern Subjekt ihres eigenen Schicksals ist. Unsere ganze Erfahrung zeigt nämlich, daß der Freiheitsraum nur unter dem Druck authentischer Initiativen in der Gesellschaft er­weitert werden kann, wie er auch nur unter diesem Druck auf Dauer erhalten bleibt. Der Weg der "Solidarność" war ein neuer, noch unge­bahnter Weg. Diese Bewegung der arbeitenden Menschen, gleichsam von Natur antitotalitär ausgerichtet, wenn man die Entstehungsgeschichte und die Umstände, unter denen sie arbeitete, betrachtet, diese Bewegung kämpfte nicht nur gegen etwas, sondern vor allem für etwas. Es ging um Mit­wirkungsrechte, weil die Menschen fühlten, daß ihnen diese Mitwirkung verwehrt wurde. Mitwirkung, Mitent­scheidung waren und sind für diese Bewegung Ausdruck der Freiheit. Dieser Weg besteht fort. Denn die "Solidarność" gehört nicht nur der Vergangenheit an. Große Kapitel der Ge­schichte werden nicht abgeschlossen, ohne zugleich neue zu eröffnen. Einmal errungene Rechte schlagen Wurzeln in den Seelen der Menschen, und dieses Gefühl drängt nach Verwirklichung. Einmal errungene Rechte schaffen eine neue Qualität der Gesellschaft, setzen Maßstäbe für das Streben der Menschen wie für unumgängliche Veränderun­gen. Das, worum wir kämpfen, gehört zu den grundlegenden Menschenrechten. Es ist eine wichtige Tatsache, daß im Laufe der letzten etwa fünfzehn Jahre die Idee der Men­schenrechte ihre Bedeutung wiedergewonnen hat. Man ver­steht unter diesem Begriff jedoch immer noch eher den Widerstand gegen extreme Akte der Gewalt gegenüber Indi­viduen. Wir sind die letzten, die dies nicht gebührend zu schätzen wissen. Zu den Menschenrechten gehört aber auch all das, was z. B. die Meinungs- oder die Vereinigungs­freiheit ausmacht. Wir hoffen, daß unser Kampf von der öffentlichen Mei­nung in Europa und der Welt durch ein ebensolches Ver­ständnis der Menschenrechte unterstützt wird; der Rechte des arbeitenden Menschen, der Rechte der Gesellschaften, der Rechte der Völker. Europa wird nicht Europa bleiben, wenn es nicht für die so verstandenen Menschenrechte kämpfen und diese nicht zum Programm erheben wird, das von Weitsicht getragen ist und die Werte unserer gemeinsa­men Kultur zum Ausdruck bringt.

26. September 1987, aus Anlass der Verleihung des Freiheitspreises der Kurt-Schumacher-Stiftung an die Gewerkschaft "Solidarność" Quelle: Tadeusz Mazowiecki, Partei nehmen für die Hoffnung. Über die Moral in der Politik. © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 1990

Mazowiecki. Ein polnischer Christ schaut auf die Deutschen

Ab Ende der 1950er Jahre, also ab dem Zeitpunkt, an dem man davon ausgehen muss, dass Tadeusz Mazowiecki die Grundlage seiner politischen Haltung entwickelte, wird er zum Fürsprecher der polnisch-deutschen Versöhnung, und zwar nicht nur der Verbesserung der polnisch-deutschen Beziehungen, sondern der Umsetzung einer grundlegenden Wende in ihnen. Offenbar gab es hierfür zwei Voraussetzungen. Die eine war vor allem politischer Natur. Die polnisch-deutsche Versöhnung war für den zukünftigen Ministerpräsidenten eine unerlässliche Bedingung dafür, dass Polen seine Selbständigkeit wiedererlangen und sich die unglückselige geopolitische Situation verändern wird. Das nach Westen verschobene Polen, ein Drittel des Territoriums auf ehemaligem deutschem Gebiet, schien eine Geisel Moskaus zu sein. Die real existierenden, aber auch unablässig von den Machthabern der Volksrepublik propagandistisch hervorgehobenen revisionistischen Tendenzen der Bundesrepublik Deutschland sollten dazu bewegen, unter den Fittichen des Großen Bruders zu bleiben. Dies war vielleicht das wichtigste Argument der Legitimierung der kommunistischen Machthaber in Polen. Jeder Schritt in Richtung Annäherung an die Deutschen hat also diese Legitimierung geschwächt und war insofern eine Annäherung an den Westen. Klar war, dass der Weg hin zu besseren Beziehungen mit den Deutschen schwierig werden würde. Der damalige Redakteur des Magazins Więź suchte in Deutschland Dialogpartner für eine lange Stecke. Er fand sie im westdeutschen PAX Christi und dem Bensberger Kreis sowie in Günter Särchen und der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Ostdeutschland. In den 1960er und 70er Jahren schienen dies marginale und politisch bedeutungslose Kreise zu sein. Erst nach Abschluss des Warschauer Vertrages vom Dezember 1970 konnte man von den Mitgliedern des PAX Christi als Pionieren der Versöhnung sprechen. Im Falle von Günter Särchen war es eindeutig, dass er als Oppositioneller in Ostdeutschland am Rande der großen Politik bleiben würde. Mazowiecki wollte jedoch immer Politik mit Menschen guten Willens betreiben und Politik, die auf Hoffnung gründet und nicht nur auf den Bedingungen der Realpolitik. Die Zeit, unmittelbar an der großen internationalen Politik teilzunehmen, kam für den nunmehr ehemaligen Redakteur von Więź und des Tygodnik Solidarność im Jahr 1989. Der Moment war auch deshalb von historischer Bedeutung, weil sich damals das Schicksal Deutschlands entschied. Er war Befürworter der deutschen Vereinigung, stellte aber gleichzeitig eindeutige Bedingungen, wozu die bedingungslose Anerkennung der territorialen Integrität der Republik Polen gehörte. Es scheint nicht so, als hätte Bundeskanzler Kohl bezüglich der Grenze Zweifel gehabt, allerdings wollte er die Angelegenheit bedingt durch die innenpolitische Situation auf für sich bequeme Art und Weise regeln. Mazowiecki erwies sich als harter Verhandler, der keine zweideutigen Situationen zuließ. Auf diese Weise schuf er auch die Voraussetzung für die weiteren gutnachbarlichen Beziehungen. Die Versöhnungsgeste in Kreisau (Krzyżowa) erwies sich infolge dessen als bedeutungsvoll, obgleich sich beide Politiker, Kohl und Mazowiecki, nie sympathisch fanden und ihr gegenseitiges Misstrauen bewahrten. Bestimmender Faktor für Tadeusz Mazowieckis Haltung Deutschland gegenüber war nicht nur die Politik. Als Christ wollte er nicht Hass als gemeinsame Beziehung zwischen Menschen und Gesellschaften akzeptieren. Allerdings waren Antipathie und häufig Hass nach dem Krieg verbreitete Gefühle in der Einstellung der Polen und der Deutschen. Eine Voraussetzung dafür war, auf der jeweils anderen Seite nur ein Kollektiv im Lichte von Stereotypen zu sehen und nicht individuelle Menschen und ihre Gesichter. Will man das Denken von Tadeusz Mazowiecki über das deutsche Problem erfassen, muss unbedingt an die von Więź herausgegebene Sammlung von Texten des von den Nazis hingerichteten Theologen Dietrich Bonhoeffer erinnert werden sowie an ein Buch, das Mazowiecki intellektuell ungeheuer nahe war, und zwar "Der Christ im Dritten Reich" von der heute etwas in Vergessenheit geratenen Publizistin Anna Morawska. Beide Bücher, die er selbst herausgegeben hat, gaben auch von den tiefsten Schichten seiner ideellen Einstellung Zeugnis. Es ging nicht nur um die Gestalt des guten Deutschen als Gegenbeispiel zum negativen Stereotyp. Die Person Bonhoeffer erscheinen zu lassen, war das Überschreiten einer künstlichen Grenze bei der Einteilung in Polen und Deutsche. Der deutsche Theologe wurde ein Partner in ein und derselben universalen Frage nach dem Widerstand des Einzelnen gegen eine Diktatur. Polen und Deutsche sollte der moralische Imperativ verbinden – der Christ im Dritten Reich hatte seine Entsprechung im Christen im Kommunismus – und nicht die schlechte und düstere Vergangenheit trennen. Dietrich Bonhoeffer war für Mazowiecki eine ungeheuer wesentliche Persönlichkeit, und er unternahm große Anstrengungen für die Herausgabe beider Bücher, wobei er die Zensur überwand. Unbedingt erinnernswert ist auch, dass Mazowiecki die deutsche Frage in einem größeren europäischen Kontext betrachtete. Der Gedanke, der später mit der Gründung des "Weimarer Dreiecks" Früchte tragen wird, ist in den Diskussionen um Więź herum bereits in den 1970er Jahren präsent. Gesprochen wird über den Bedarf, ein Zentrum des europäischen Kontinents zu schaffen, zu dem Frankreich, Deutschland und Polen gehören sollen. Für die Anhänger der Realpolitik konnte das damals wie ein Plan, der auf Entwicklung konzipiert ist, wirken, ähnlich wie die Versöhnung mit Deutschland in die fernere Zukunft verlegt werden sollte. Auch Tadeusz Mazowiecki konnte nicht die Zeit vorhersehen, in der sich dieses Gedanken realisieren würden, jedoch war er ein Politiker der Hoffnung. Er dachte in der Kategorie der Hoffnung und war bestrebt, Politik mit Menschen guten Willens zu gestalten. Dies erwies sich überraschend als außerordentlich wirksam.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate Quelle: Externer Link: http://kazwoy.wordpress.com/2013/11/10/mazowiecki-polski-chrzescijanin-patrzy-na-niemcy-wspomnienia-6/ (abgerufen am 18.11.2013) sowie in: Tygodnik Powszechny, Nr. 45 (10.11.2013). S. 18.

Fussnoten