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Analyse: Die Polen in Zeiten der Corona-Krise. Zähneknirschend nach vorne blicken | bpb.de

Analyse: Die Polen in Zeiten der Corona-Krise. Zähneknirschend nach vorne blicken

Agnieszka Łada

/ 11 Minuten zu lesen

Beschränkungen im Land, wie zum Beispiel geschlossene Schulen, Kirchen und die kommende Präsidentenwahl, welche durch die Corona-Epidemie verursacht wurden, bewirken viele Veränderungen. Der Blick in die Zukunft ist mit zunehmender Sorge behaftet.

Ob die geplante Briefwahl in Polen zur Präsidentenwahl verfassungskonform ist bleibt umstritten. (© picture alliance / NurPhoto)

Zusammenfassung

Ohne Segen für die Osterspeise und Frühstück mit der Verwandtschaft, dafür mit dem Verbot, die Wälder zu betreten, Schulaufgaben für Zuhause und der Perspektive, die Präsidentenwahlen per Briefwahl durchzuführen: Zu Ostern wurden die Auswirkungen der Corona-Epidemie für die Polen besonders spürbar. Die gesellschaftlichen Folgen der verhängten Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 sowie der nicht verfassungskonformen Briefwahl sind jedoch weitaus größer.

Zunehmend schärfere Einschränkungen

In Polen wurden viele Einschränkungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Corona-Epidemie eingeführt, noch bevor sie in Deutschland in Kraft traten, obwohl Infektionsfälle damals noch selten waren – der erste trat in Polen am 4. März 2020 auf. Bereits am 11. März wurde die Schließung der Hochschulen, Schulen, Kitas und dergleichen bekanntgegeben, am 13. März die Schließung der Landesgrenzen für den Flug- und Bahnverkehr, die Rückkehr zu Passkontrollen und ein Einreiseverbot für Ausländer, einen Tag später die Schließung von Einkaufszentren, Restaurants, Sport- und Freizeitstätten sowie das Verbot von Versammlungen über 50 Personen, darunter auch Gottesdienste. In den folgenden Tagen wurde der epidemische Notstand verhängt sowie das Verbot, das Haus zu verlassen, ausgenommen der Gang zur Arbeit und andere lebensnotwendige Erledigungen. Untersagt wurde auch, Wälder und Parks zu betreten, und Minderjährigen, ohne Begleitung Erwachsener das Haus zu verlassen. Angeordnet wurde der Mindestabstand von zwei Metern, auch wenn zwei Personen desselben Haushalts nach draußen gehen, und die Benutzung von Handschuhen in den Geschäften. Beschränkt wurde außerdem die maximale Anzahl der Personen in Geschäften, öffentlichen Verkehrsmitteln und Gottesdiensten. Seit dem 16. April gilt die Maskenpflicht im öffentlichen Raum und an den Arbeitsplätzen. Die Strafen bei Zuwiderhandlung betragen zwischen 500 Zloty (1 Euro = 4,5 Zloty) für unerlaubte Spaziergänge und 30.000 Zloty für die Nichtbefolgung einer Quarantäne.

Die Beschränkungen wurden schnell eingeführt und umfassten einen großen Bereich des beruflichen und privaten Lebens eines jeden Bürgers. Viele, insbesondere das Verbot, die Wälder zu betreten – das mit der Notwendigkeit begründet wurde, Kontaktmöglichkeiten, insbesondere in Gruppen, zu vermeiden –, rief zahlreiche negative Kommentare hervor; auch der Bürgerrechtsbeauftragte äußerte Zweifel an der Rechtmäßigkeit (es wurde am 20. April wieder aufgehoben). Andere Verbote stießen auf Verständnis, weil sie nach Meinung vieler notwendig waren, um das schwache Gesundheitssystem in Polen nicht zu überlasten. Dies hatte bereits vor der Corona-Epidemie mit ernsten Problemen zu kämpfen. Polen hat pro 1.000 Einwohner die geringste Anzahl von Ärzten in der Europäischen Union, und zwar 2,4 gegenüber dem EU-Durchschnitt von 3,6 (Deutschland – 4,2). Mitte März war die Hälfte der Polen nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS der Meinung, dass das öffentliche Gesundheitswesen in Polen auf eine mögliche Corona-Epidemie nicht ausreichend vorbereitet ist. Daten des Meinungsforschungsinstituts KANTAR zeigten, dass zwei Drittel der Polen befürchteten, trotz eigener Vorbeugemaßnahmen krank zu werden. Dies war eines der schlechtesten Ergebnisse unter den 25 untersuchten Ländern. Ähnlich äußerten sich auch die Einwohner der Slowakei, Irlands, Spaniens und Südkoreas (Deutschland – 39 Prozent).

An Beliebtheit gewann in der Corona-Krise Gesundheitsminister Łukasz Szumowski. In einem Ranking von Anfang April überholte er Präsident Andrzej Duda. Dabei hatte im Februar die Hälfte der von CBOS Befragten Szumowski noch nicht einmal gekannt; das Vertrauen hatten ihm damals 19 Prozent ausgesprochen. Die Angst um die eigene Sicherheit und das fehlende Vertrauen in das Gesundheitssystem und allgemein in die öffentlichen Institutionen blieben allerdings bestehen und waren sicherlich einer der Hauptgründe, weshalb die Polen die eingeführten Restriktionen unterstützten. Nach einer Umfrage von IBRIS im April sprachen sich nur zwölf Prozent gegen sie aus. Die meisten Gegner wohnten in Städten, das heißt dort, wo die Einschränkungen am stärksten zu spüren waren. Geringere Unterstützung fanden sie auch unter den Ältesten, also denen, die von vornherein gefährdeter sind. Diese Ergebnisse scheinen glaubwürdig, da andere Umfragen ähnliche Antworten zeigen. Nach Untersuchungen der SWPS Universität (Warschau) gaben 82 Prozent der Polen an, dass sie sich an die Empfehlungen und Verbote der Regierung halten, und zwei Drittel betrachteten die eingeführten Maßnahmen als nicht zu restriktiv. Gleichzeitig waren ebenso viele der Meinung, dass die Regierung der Bevölkerung keine vollständigen Informationen über das Ausmaß der Gefahren durch das Coronavirus gibt. Die leeren Straßen bestätigten, dass sich viele tatsächlich an die Einschränkungen hielten. Daten von Yanosik (ein Verkehrswarnsystem, das von Autofahrern entwickelt wurde), die die Anzahl der Fahrten in Warschau zwischen dem 6. März 2020, als die ersten Corona-Verdachtsfälle in Polen auftraten, und dem 3. April verglichen, zeigten, dass die Gesamtzahl der Fahrten praktisch um die Hälfte zurückging: von zirka 48.000 auf 24.000. Natürlich kam es auch zu Übertretungen. Am Ostersonntag (12. März) überprüfte die Polizei 125.000 unter Quarantäne stehende Personen und verhängte in knapp 300 Fällen Bußgelder. Wegen Überschreitungen der verbindlichen Maßnahmen stellte sie zirka 1.000 Strafmandate aus und leitete mehr als 500 Fälle an die Gerichte weiter.

Zunehmende Ängste

Die Corona-Epidemie und die daraus folgenden Beschränkungen bewirkten, dass die Polen mit zunehmender Sorge in die Zukunft blickten. Im Februar 2020 stellten 62 Prozent der von CBOS Befragten fest, dass ihre Familie ein gutes Leben hat, und 58 Prozent meinten, dass das auch in einem Jahr unverändert der Fall sein werde. Keinen Arbeitsplatzverlust erwarteten 80 Prozent der Befragten. Zwei Drittel der Polen bewerteten die Situation am polnischen Arbeitsmarkt als gut – das war der höchste Stand seit Jahren (beispielsweise gaben das im Jahr 2015 acht Prozent an). Die Hälfte meinte, dass im kommenden Jahr hier keine Veränderungen eintreten würden. Folglich erwarteten drei Viertel keinen Arbeitsplatzverlust. Einige Wochen Epidemie-Erfahrung veränderten die positiven Einstellungen. Die von KANTAR in der Zeit der Coronakrise täglich durchgeführten Befragungen zeigen einen konstanten Rückgang der positiven Verfassung der Polen. Einen Tag nach Ostern gaben 30 Prozent der Befragten an, dass sich die finanzielle Situation ihres Haushaltes im Laufe des letzten Monats verschlechtert habe (am 23. März sagten dies 26 Prozent), bei 61 Prozent waren keine Veränderungen eingetreten und neun Prozent gaben eine Verbesserung an. Ein Drittel sieht voraus, dass sich die Situation im nächsten Monat verschlechtern werde. Während am Anfang der Befragung, am 23. März 2020, zwei Drittel der Befragten angaben, in den vergangenen Tagen nicht auf irgendwelche Einkäufe verzichtet zu haben, bejahten dies am 14. April 61 Prozent. Die Hälfte der Befragten (53 Prozent) plante, in den kommenden Wochen weniger als gegenwärtig auszugeben. Generell zeichnete sich also ab, dass sich die Stimmung schrittweise und langsam verschlechterte. Sie veränderte sich, als die Regierung die schrittweise Lockerung des "Lockdown" verkündete. Die neuesten Daten gleichen wieder dem Niveau vom Anfang der Epidemie.

Eltern im Zweitberuf des Lehrers

Außer den Angestellten im Gesundheitswesen und anderen Diensten, die von den Folgen der Corona-Epidemie am stärksten betroffen sind, sind auch die Eltern, insbesondere mit jüngeren Kindern, relativ stark durch die Auswirkungen belastet. Die Schulschließung bedeutet, dass die Kinder zu Hause bleiben und dort lernen müssen. Die Schulen sind verpflichtet, ein Basis-Lehrprogramm im Fernunterricht zu absolvieren. Auf diese Herausforderung sind sie allerding weder technisch noch methodisch vorbereitet. Ein Teil der Lehrer schickt die Aufgaben per E-Mail, andere halten den Kontakt mit den Schülern über Messengerdienste. Das Ministerium hat auch Bildungsplattformen empfohlen. Jedoch brauchen die jüngeren Kinder die ständige Unterstützung der Eltern. Diese arbeiten häufig im Home Office und müssen daher ihre Zeit zwischen den beruflichen Pflichten und der Schulbildung ihrer Kinder aufteilen. Bei Kindern bis zum Alter von acht Jahren besteht auch die Möglichkeit, einen Betreuungszuschlag in Höhe von 80 Prozent des Gehalts zu beantragen, um in dieser Situation nicht arbeiten zu müssen. Für einen Teil der Schüler ist allerdings der Zugang zu den technischen Geräten das Problem. Schätzungen zufolge fehlen in Polen zwischen 200.000 und 500.000 Computer für Schüler, damit sie ohne Hindernisse digital lernen können. Sie sollen erst noch von den Gemeinden mit EU-Mitteln angeschafft werden.

Gleich nach der Schließung der Bildungseinrichtungen bewertete die deutliche Mehrheit der Polen (84 Prozent) die Entscheidung der Regierung positiv. Die überlasteten Eltern waren jedoch im Laufe der Zeit immer irritierter. Trotz wiederholter Verschiebung der Schulöffnung beharrte das Bildungsministerium darauf, dass das Schuljahr am vorgesehenen Termin Ende Juni enden werde. In einer besonderen Situation sind die Abiturienten, deren Prüfungsphase am 4. Mai beginnen sollte, und die Schüler der Abschlussklasse der achtjährigen Grundschule, deren Prüfungen für Ende April geplant waren. Am 9. April erfuhren sie, dass die Prüfungen auf einen nicht näher bestimmten Termin, frühestens in der zweiten Junihälfte, verschoben wurden. Das konkrete Datum erfahren sie drei Wochen vor dem neuen Termin.

Autobeichte und Fernmesse

Für die polnische Gesellschaft, die traditionell familiäre und religiöse Werte pflegt, waren die eingeführten Beschränkungen in der Osterzeit besonders schmerzlich. Normalerweise treffen sich die Polen mit ihren Verwandten am Ostersonntag zum Osterfrühstück. Laut einer Umfrage von CBOS ist für 67 Prozent der Polen Ostern vor allem ein Familienfest, für 51 Prozent ein religiöses Fest. In diesem Jahr musste Ostern entsprechend den Empfehlungen der Regierung auf den Kreis der im Haushalt lebenden Personen beschränkt werden, wenngleich es kein Verbot gab, die Feiertage mit der näheren Verwandtschaft zu verbringen.

Ostern ist aber vor allem für Millionen polnischer Katholiken das höchste religiöse Fest mit vielen Ritualen und Traditionen. Dazu gehören am Karsamstag der Gang zum "Grab des Herrn", das in den Kirchen aufgebaut wird, und das Segnen der Osterspeisen, was auch für manchen derjenigen wesentlich ist, die sich nicht zu den praktizierenden Katholiken zählen. Die eingeführten Beschränkungen begrenzten die Möglichkeiten des religiösen Lebens stark. Während der Gottesdienste dürfen außer dem Zelebranten und seinem Assistenten nur fünf Personen anwesend sein. In der Folge wurden viele Messen und Andachten abgesagt, die für viele Gläubige ein wichtiger Bestandteil der Karwoche sind. Abgesagt wurden auch die besonderen Feierlichkeiten von Gründonnerstag bis Ostersonntag (Triduum Sacrum), an denen laut CBOS 58 Prozent der Polen teilnehmen. Die Feiern fanden in der Regel ohne die Gemeinde statt; einige wurden im Internet, Fernsehen oder Radio übertragen und wurden teilweise von Zehntausenden vor den Bildschirmen verfolgt.

Eine Herausforderung war für die Gläubigen auch die Erteilung des Sakraments der Beichte (69 Prozent der Befragten gaben an, Ostern zur Beichte zu gehen), denn die Kirchen waren nur zu bestimmten Zeiten geöffnet. Manche Priester kamen den Gläubigen entgegen, indem sie eine "Autobeichte" organisierten, das heißt zu den Gläubigen kamen, die im Auto vorgefahren waren. Auch tragbare Beichtstühle wurden an der frischen Luft aufgestellt.

Schmerzhaft war für viele die Schließung eines Teils der Friedhöfe für Besucher (abgesehen von Beerdigungen), denn die Ostertage sind traditionell eine Zeit, in der viele Polen die Gräber ihrer Angehörigen besuchen. Hier lag die Entscheidung bei der jeweiligen Verwaltung.

Wahlen ja – aber wie?

Für viele Beobachter des öffentlichen Lebens in Polen war die so rasche und restriktive Einführung der Beschränkungen unmittelbar mit dem geplanten Termin der Präsidentenwahlen am 10. Mai 2020 verknüpft. In diesen kämpft der amtierende Präsident Andrzej Duda, der von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) unterstützt wird, für seine Wiederwahl. Die regierende PiS ist sich dessen bewusst, dass die Krisensituation zwar den Zustimmungswerten für das Regierungslager zugutekommt, die Unterstützung aber deutlich fallen könnte, wenn die Gesellschaft beginnt, die Folgen des epidemischen Notstandes zu spüren. Die Aufrechterhaltung des Wahltermins bedeutet also eine große Chance für Duda. Meinungsumfragen im Februar sagten einen zweiten Wahlgang vorher, in dem der Sieg gegen Małgorzata Kidawa-Błońska, Kandidatin der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO), unsicher war. Umfragen aus der Zeit der Epidemie gaben dem Präsidenten mehr als 50 Prozent, das hieße ein Wahlsieg im ersten Wahlgang. Daher klammert sich die PiS an das ursprüngliche Datum und achtet weder auf mögliche epidemiebedingte Folgen noch darauf, dass die Gegenkandidaten keine Möglichkeiten haben, ihren Wahlkampf zu führen.

Die Wahlen müssten verschoben werden, wenn die Regierung den Notstand infolge einer Naturkatastrophe ausriefe, was in der Realität fast identisch ist mit dem verhängten epidemischen Notstand. Die Verfassung sagt, dass in der Zeit des Katastrophennotstands und in den 90 Tagen nach seiner Aufhebung keine Präsidentenwahlen stattfinden dürfen und die Amtszeit entsprechend verlängert werden muss. Die PiS, die den Wahltermin am 10. Mai unbedingt beibehalten will, tat alles, um die Entwicklung der Epidemie einzudämmen und nicht den Notstand der Naturkatastrophe verhängen zu müssen. Darüber hinaus hat die PiS in der Parlamentssitzung, in der das Gesetz zur Rettung der Wirtschaft in der Zeit der Corona-Epidemie beraten wurde, einen weiteren Gesetzesentwurf eingebracht: Er schreibt die Einführung der Briefwahl als einzige Wahlform für die Präsidentenwahlen 2020 fest und ermöglicht gleichzeitig die Verschiebung des Wahltermins. Mit den Stimmen der PiS-Mehrheit wurde der Gesetzesentwurf noch in derselben Sitzung angenommen. Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wann die Amtszeit des Präsidenten endet, wäre der einzig mögliche verschobene Wahltermin der 17. Mai. Theoretisch wäre zu diesem Datum die Durchführung der Briefwahl möglich. Der Senat, dem das Gesetz nun vorliegt, wird es wahrscheinlich zurückweisen, so dass das Gesetz am 7. Mai wieder an den Sejm zurückgeht und noch am selben Tag mit den Stimmen der PiS-Mehrheit angenommen werden könnte. Die Post, die die Wahlunterlagen zustellen müsste, hätte also im Falle der Terminverschiebung nur wenige Tage dazu Zeit.

Wenn die PiS das Gesetz über die Briefwahl wenige Wochen vor den Wahlen annimmt, ohne Parlamentsdebatte, hätte sie nicht nur den Grundsatz verletzt, dass das Wahlrecht ein halbes Jahr vor der Wahl nicht mehr verändert werden kann, sondern noch weitere Standards der Rechtsstaatlichkeit und des Parlamentarismus: Sie schlägt den Bürgern eine Lösung vor, die ihnen nicht vertraut ist (bisher dürfen nur Menschen mit Behinderungen vom Recht der Briefwahl Gebrauch machen), es wird nicht ausreichend Zeit eingeräumt, um dieses Unternehmen vorzubereiten (Ausarbeitung eines Konzeptes zur Durchführung der Abstimmung, Druck der Wahlunterlagen für 30 Millionen Bürger und ihre Verteilung in Zeiten einer Epidemie), und die Wahl wird während der bestehenden Epidemie durchgeführt. Hinzu kommt, dass die Polen, die sich am Tag der Wahl im Ausland aufhalten, von der Abstimmung ausgeschlossen werden. Auch wenn es sich hier um eine geringe Anzahl handelt, ist es eine Verletzung demokratischer Prinzipien.

Die gesellschaftspolitischen Folgen werden enorm sein. Angefangen von der möglichen Wahl des Staatsoberhauptes auf eine Art und Weise, die fern von demokratischen Prinzipien ist, über den noch größer werdenden Vertrauensverlust gegenüber öffentlichen Institutionen bis hin zur Gefährdung der Gesundheit der Wähler, des Postpersonals und der Mitglieder der Wahlkommissionen. Die Fraktion der Bürgerkoalition ruft bereits zum Wahlboykott auf, die übrigen Präsidentschaftskandidaten fordern die Verschiebung der Wahlen. Eine hohe Wahlbeteiligung ist nicht zu erwarten. Eine Befragung von SW Research für die Tageszeitung Rzeczpospolita ergab, dass 28 Prozent der Wahlberechtigten bereit wären, ihre Stimme auf diese Weise abzugeben. Allerdings unterscheidet sich die Häufigkeit der Aussage, dass man vorhabe, an der Wahl teilzunehmen, von der tatsächlichen Wahlbeteiligung, und zwar immer deutlich zu Ungunsten der Letzteren.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Fussnoten

Dr. Agnieszka Łada ist stellvertretende Direktorin des Deutschen Polen-Instituts (DPI) in Darmstadt und war bis Dezember 2019 Leiterin des Europa-Programms sowie Senior Analyst des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten (Instytut Spraw Publicznych – ISP)­ in Warschau. Ihre Schwerpunkte sind die deutsch-polnischen Beziehungen, die polnische Außen- und Europapolitik, die Wahrnehmung Polens im Ausland bzw. der Ausländer in Polen und EU-Institutionen.