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Die Klimapolitik Russlands | Russland | bpb.de

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Die Klimapolitik Russlands

Angelina Davydova

/ 7 Minuten zu lesen

Die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls durch Russland war entscheidend dafür, dass das Protokoll in Kraft treten konnte. In Russland war das Thema "Klimawandel" bis vor kurzem im gesellschaftlichen Bewusstsein und politischen Diskurs dennoch praktisch nicht existent.

Russland hat seit 1990 seine Klimagasemissionen um 38 Prozent senken können. Jedoch bleibt nach wie vor viel zu tun. (© AP)

Kopenhagen als Wendepunkt

Die UN-Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen ist für die russische Klimapolitik zu einem Meilenstein geworden. Bis zum Dezember 2009 konnte fast nicht von einer russischen Klimapolitik geredet werden - das Thema spielte weder in den politischen noch in den gesellschaftlichen Debatten eine Rolle. Unmittelbar vor und während der Konferenz in Kopenhagen änderte sich das erheblich.

Schon in den Monaten vor Kopenhagen begannen russische Politiker davon zu sprechen, dass vom Klimawandel eine reale Gefahr für die russische Wirtschaft ausgehe und entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden müssten. Im November 2009 wurde ein Gesetz verabschiedet, mit dem das Thema Energieeffizienz bearbeitet wurde. Zudem unterschrieb Präsident Dmitrij Medwedew genau in den Tagen der Kopenhagen-Konferenz eine Klimadoktrin der Russischen Föderation, die zahlreiche politische und ökonomische Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen und zur Anpassung des Landes an die Klimaveränderungen vorsieht. Seit Anfang 2010 werden auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen Schritte zur Umsetzung der Doktrin erarbeitet und diskutiert. Ende April 2011 verabschiedete die Regierung zudem einen Maßnahmenplan zur Realisierung der Klimadoktrin in Russland.

Ungeachtet dessen bleiben gewisse skeptische Haltungen gegenüber einer aktiven Klimaschutzpolitik relevant. Unverändert bleibt auch die Position eines Teils der russischen Wissenschaftler, die entweder die Existenz eines Klimaproblems grundsätzlich bestreiten oder aber den Einfluss des Menschen auf die Klimaveränderungen und die Möglichkeit zu Korrekturen der Klimaentwicklung auf der Erde in Abrede stellen.

Dagegen hat sich die Einstellung der Medien deutlich gewandelt. Seit der Kopenhagen-Konferenz zeigen die russischen Massenmedien spürbar mehr Interesse an dem Thema Klimaschutz. Naturgemäß erreichte dies während der Konferenz selbst einen Höhepunkt. Doch auch danach tauchte das Thema immer wieder in den russischen Zeitungen und Zeitschriften auf - viele Redaktionen veröffentlichten Sonderseiten oder Beilagen zum Umwelt- oder Klimaschutz und verfolgen seither die Nachrichten auf diesem Gebiet weiter.

Kyoto-Nachfolgeverhandlungen

Hinsichtlich des Kyoto-Protokolls bezieht Russland eine recht unnachgiebige Position. Insbesondere wendet sich die russische Regierung kategorisch gegen eine automatische Verlängerung des Kyoto-Protokolls. Diese Haltung bekräftigte Ministerpräsident Wladimir Putin unter anderem auf dem Ostsee-Gipfel im Februar 2010 in Helsinki. Bei den Klimaschutzverhandlungen in Cancun im Dezember 2010 trat Russland, ebenso wie Japan und Kanada, erneut unmissverständlich gegen eine direkte Verlängerung des Kyoto-Protokolls auf. Stattdessen beharrt Russland auf einem neuen Abkommen, das auch für die USA und China mit Zahlen definierte Auflagen zur Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes enthält. Daneben besteht Russland auf einer Zusammenführung der beiden Verhandlungsstränge LCA (Long-term Cooperative Action zum Uno-Rahmenvertrag) und KP (zum Kyoto-Protokoll) und fordert, dass die Schwellenländer in die Kyoto-Nachfolgevereinbarung mit Verpflichtungen eingebunden werden müssten.

Ziemlich offensiv agiert Russland auch bei den internationalen Verhandlungen zu Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) und verlangt dort, die Waldressourcen des Landes bei der Emissionsberechnung zu berücksichtigen. Eine weitere Forderung besteht darin, ungenutzte Emissionsquoten aus der Kyoto-Vertragslaufzeit auf die Zeit nach dem Auslaufen des Protokolls übertragen zu können. Im Grunde versucht Russland damit, ungenutzte Verschmutzungsrechte für sich "aufzubewahren" und für seine künftige Entwicklung einzusetzen. Diese Position hat heftige Proteste russischer Umweltschützer ausgelöst. Sie fordern die russische Regierung dazu auf, auf die verbleibenden Kyoto-Quoten zu verzichten und eine Entwicklung hin zu einer Wirtschaft mit niedrigem Verbrauch an fossilen Brennstoffen (low-carbon economy) einzuleiten.

Hinsichtlich einer konkreten Senkung von Treibhausgasemissionen bot Russland auf der Konferenz in Kopenhagen an, den Ausstoß - in Abhängigkeit von den weiteren Vertragsbedingungen - bis zum Jahre 2020 um 15 bis 25 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu verringern. Aus Sicht der Umweltschützer läuft dieses Ziel jedoch auf eine Ausweitung der Emissionen gemessen an deren heutigem Umfang hinaus - denn derzeit hat Russland seine Verpflichtungen nach dem Kyoto-Protokoll "übererfüllt". Der Emissionseintrag des Landes bei Treibhausgasen liegt aktuell um 38 Prozent niedriger als 1990. Ein Großteil dieser Senkungen geht jedoch darauf zurück, dass Russland in den 1990er-Jahren - wie viele Staaten Osteuropas - einen starken Einbruch seiner Industrieproduktion erlitt und seither verstärkt Dienstleistungsstrukturen entstanden sind. Präsident Dmitrij Medwedew und weitere russische Vertreter nannten als Zielvorgabe bei der Emissionsreduktion bis zum Jahr 2050 Beträge um minus 50 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990. Bereits zuvor war verkündet worden, die Energieeffizienz in der russischen Wirtschaft solle bis zum Jahre 2020 um 40 Prozent steigen. Wachsen solle auch der Anteil erneuerbarer Energien am Verbrauch des Landes - allerdings gerade mal auf 4 Prozent des Gesamtverbrauchs bis zum Jahr 2020.

Intensivierte Beteiligung an den Mechanismen des Kyoto-Protokolls

Seit der Kopenhagen-Konferenz hat Russland überdies seine Beteiligung an den Mechanismen des Kyoto-Protokolls intensiviert. Dies betrifft vor allem die Veräußerung ungenutzter Emissionsquoten aus der Laufzeit des Protokolls, aber auch den Start von Joint-Implementation-Projekten. Das sind Projekte eines Industrielandes, die zwar in einem anderen Industrieland durchgeführt, aber dem Investorland gutgeschrieben werden. Viele Jahre lang hatte sich Russland nach der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls praktisch nicht an dessen Wirtschaftsmechanismen beteiligt. Die ersten Joint-Implementation-Projekte wurden erst im Jahre 2010 genehmigt. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern wird in Russland zunächst ein Binnenwettbewerb zur Auswahl solcher Unternehmensprojekte veranstaltet, deren Gewinner dann bei der UNO vorgelegt werden. Er wird von der Sberbank organisiert - einem Geldinstitut, dessen Hauptaktionär der Staat ist.

Die Einschaltung eines zusätzlichen Agenten in das Vertragsverfahren löst starke Kritik vieler russischer und westlicher Unternehmen aus. So gab die Dänische Energieagentur, die für die Durchführung solcher Projekte zuständig ist, im Frühjahr 2011 die Idee auf, Joint-Implementation-Projekte mit Russland zu realisieren. Auch ergaben die als ersten Wettbewerbe, dass die meisten der von der russischen Regierung bewilligten Projekte großen Öl- und Gaskonzernen gehörten (ein erheblicher Anteil bezog sich auf die Nutzung von Begleitgas). Dies führte ebenfalls zu deutlicher Kritik russischer Umweltschützer, die eher auf der Entwicklung kleiner und mittlerer Projekte beharren, darunter im Bereich der erneuerbaren Energien.

Schon 2007 hatte die russische Regierung ein Gesetz verabschiedet, dem gemäß erneuerbare Energien gefördert werden sollten. So schrieb das Gesetz vor, dass kleine Anlagen für regenerative Energien Zugang zu den Stromnetzen erhalten sollte. Doch reicht ein Gesetz allein (zumal in Russland) nicht aus: Es mangelte an Festlegungen zu konkreten Zielen und Maßnahmen. So verfügen kleine Produzenten nach wie vor nicht über einen Zugang zum Netz, auch weil es bis heute noch nicht einmal konkrete Pläne für einen Einspeisetarif gibt. Nach Angaben der Marktforschungsagentur Cleandex beträgt der Anteil erneuerbarer Energien an der russischen Stromversorgung zurzeit weniger als ein Prozent. Die Gesamtleistung aller Windenergieanlagen in Russland beträgt derzeit 16,5 MWt - rund 1.500 Mal weniger als in Deutschland. Die Regierung sieht laut Russischer Energiestrategie vor, den Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung von derzeit knapp 1 Prozent bis 2020 auf 4,5 Prozent zu erhöhen. Dafür sind der Internationalen Finanz-Corporation (IFC) zufolge Investitionen von 50 Milliarden US-Dollar notwendig. Die Weltbank-Tochter IFC unterstützt in Russland die Entwicklung von Windkraft und Energie aus Biomasse.

Noch wichtiger ist, dass in Russland die erneuerbaren Energien im Gegensatz zu Atom- und Kohlestrom keine staatlichen Finanzhilfen, etwa in Form von Subventionen, erhalten. Das Interesse am Markt für erneuerbare Energien geht daher in Russland von den Unternehmen selbst aus. Dazu gehören einerseits Großunternehmen wie Inter RAO UES - früher Teil des staatlichen Energiemonopols -, das kürzlich seine Pläne zum Ausbau der regenerativen Energien veröffentlichte, oder der High-Tech-Konzern Rosnano, der in die Produktion von Solartechnologien einsteigen will. Andererseits zählen aber auch kleine und mittlere Firmen zu den engagierten Akteuren.

Ausblick

Die bevorstehenden Verhandlungsrunden im Rahmen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) können in der russischen Position durchaus gewisse Korrekturen bewirken, allerdings wohl nur unwesentliche. Für Russland ist es heute von zentraler Bedeutung, mit der realen Umsetzung der Pläne zur Steigerung der Energieeffizienz auf allen Ebenen des Landes - von der föderalen bis zur lokalen - zu beginnen und zugleich unter Beweis zu stellen, dass das Land bei der Gestaltung der Klimapolitik und den Maßnahmen zu ihrer Realisierung einen nachhaltigen Weg eingeschlagen hat.

Bisher reagiert Russland bei den Klimaschutzverhandlungen insgesamt eher auf Anstöße von außen, als selbst eine führende Rolle einzunehmen. Vermutlich könnte das Land sein Gewicht in den weltweiten Klimaschutzverhandlungen deutlich vergrößern, wenn es aktiver zu einer Einbindung der übrigen postsowjetischen, vor allem der zentralasiatischen, Staaten, beitragen würde.

In der aktuellen Wirtschaftskrise, in der viele klimapolitisch bisher führende Staaten Zurückhaltung zeigen, hat Russland gute Chancen, sich einen vorderen Platz im "Verhandlungsranking" zu erarbeiten. Dies wird jedoch nur gelingen, wenn die russische Regierung im eigenen Land eine konsistente, transparente und nachhaltige Klimaschutzpolitik verfolgt, die frei von Schwankungen im Interesse einzelner Lobbygruppen ist und die von einer klar formulierten, offenen und verständlichen Politik im internationalen Rahmen flankiert wird.

Wenig geändert hat sich bisher bei der Aufklärungsarbeit für die Bevölkerung. Im Grunde unternimmt der Staat keinerlei Werbekampagnen, um die Entwicklung eines Umwelt- und Klimabewusstseins in der Bevölkerung zu fördern. So wird zum Beispiel kaum darauf hingewiesen, dass in Russland - wie auch in der EU - Haushaltsglühbirnen schrittweise verboten werden: Der Verkauf von 100-Watt-Lampen ist bereits seit Anfang 2011 untersagt. Die meisten Impulse zu Fortschritten bei der Energie- und Ressourcennachhaltigkeit gehen von NGOs und Bürgerinitiativen aus und haben daher nur eine begrenzte Breitenwirkung.

Dennoch ist offensichtlich, dass der Kampf gegen den Klimawandel in Russland allmählich eine größere Bedeutung erlangen wird. Dazu wird die zunehmende Häufigkeit von Naturkatastrophen (wie etwa die Waldbrände im Sommer 2010) beitragen - auch bei diesen Fragen schenkt die Regierung nun den Warnungen von Wissenschaftlern und Umweltschützern mehr Aufmerksamkeit. Zugleich ist Russland daran interessiert, weiter an Joint-Implementation-Projekten und Energieeffizienz-Programmen teilzunehmen - denn deren Erfolg hat nicht nur Einfluss auf die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll, sondern auch generell auf die Modernisierung der Ökonomie in Russland und die Konkurrenzfähigkeit der Waren und Dienstleistungen des Landes.

Angelina Davydova ist freie Journalistin in St.Petersburg und Moskau. Außerdem ist sie als Projektexpertin des Russisch-Deutschen Büros für Umweltinformation (www.rnei.de) und als Dozentin für internationalen Journalismus an der Staatlichen Universität St. Petersburg tätig.