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Analyse: Unmittelbare und mittelbare Folgen der Wirtschaftssanktionen zwischen der EU und Russland auf Produktion und Beschäftigung in Deutschland | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Unmittelbare und mittelbare Folgen der Wirtschaftssanktionen zwischen der EU und Russland auf Produktion und Beschäftigung in Deutschland

Jutta Günther Maria Kristalova Udo Ludwig

/ 8 Minuten zu lesen

Als Reaktion auf den Ukrainekonflikt verhängte die EU vor über zwei Jahren wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Die Russische Föderation konterte ebenfalls mit Einfuhrbeschränkungen. Welche Auswirkungen hatten diese Maßnahmen auf die deutsche Wirtschaft?

Die Flaggen von Russland, Deutschland und der EU am Flughafen Berlin-Tegel. Wie wirken sich die Sanktionen der EU gegen Russland auf die deutsche Wirtschaft aus? (© picture-alliance/dpa)

Zusammenfassung

In der Mitte des Jahres 2014 verhängten die EU und Russland infolge des Ukrainekonfliktes gegenseitige Sanktionen. Die bereits seit 2013 abnehmenden Warenexporte Deutschlands nach Russland brachen danach noch tiefer ein. Dieser Beitrag schätzt unter Verwendung der kürzlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Input-Output Tabellen für das Jahr 2012 die ökonomischen Folgen der Sanktionen für die Produktion und Beschäftigung in Deutschland. Dabei gehen sowohl die direkten als auch die indirekten Effekte entlang der gesamten Wertschöpfungskette in die Analyse ein. Die Produktionsverluste infolge der Sanktionen liegen kumuliert über die Jahre 2014 bis 2016 bei mehreren Milliarden. Bezogen auf die Bruttowertschöpfung entsprechen die Verluste aber "nur" 0,15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Starke Verluste erleiden jedoch die Hersteller unmittelbar sanktionierter Warengruppen und deren Zulieferer, insbesondere der Fahrzeugbau, der Maschinenbau und die Erzeuger von Eisen und Stahl.

Wirtschaftssanktionen gegen Russland

Als Reaktion auf die Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine verhängten die EU und andere westliche Länder in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 Wirtschaftssanktionen gegen Russland, auf die Russland wiederum mit Gegensanktionen reagierte. Neben der Beschränkung von Finanztransaktionen setzte die EU vor allem Ausfuhrverbote für Waffen und sogenannte "Dual-Use-Güter", die für militärische Zwecke verwendet werden können, sowie für Maschinen und Zubehör zur Öl- und Gasförderung in Kraft. Die russischen Gegensanktionen betreffen insbesondere Einfuhrverbote für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel. Das Handelsembargo verstärkte die bereits abwärts gerichtete Tendenz bei Lieferungen aus Deutschland nach Russland, die der krisenhaften Gesamtsituation in Russland geschuldet ist. Im vorliegenden Beitrag werden die Effekte der Sanktionspolitik im Bereich der Realwirtschaft auf die Produktion und Beschäftigung in der deutschen Wirtschaft abgeschätzt.

Deutsche Exporte nach Russland seit 2013 auf Talfahrt

Im Vergleich zu anderen Ländern der EU pflegt Deutschland intensive Handelsbeziehungen zu Russland. Im Jahre 2013 entfielen beispielsweise rund 30 Prozent aller Exporte der EU nach Russland auf Deutschland. Die relativ schnelle wirtschaftliche Erholung nach der Finanzkrise brachte die deutschen Exporte nach Russland im Jahr 2012 auf ein Rekordniveau von fast 37 Milliarden Euro. Der Rückgang im Jahr 2013 resultierte u. a. aus die schleppenden Entwicklung der russischen Wirtschaft im Gefolge der Abwertung des Rubel und der sinkenden Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft. Nach der Einführung bilateraler Sanktionen in der Mitte des Jahres 2014 brachen die deutschen Ausfuhren nach Russland zusätzlich ein (Grafik 20). So gingen die Exporte im Jahr 2014 insgesamt um 6,5 Milliarden Euro und im Jahr 2015 um 7,5 Milliarden Euro zurück.



Betrachtet man die deutschen Exporte weltweit, rangierte Russland den Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge im Jahr 2015 als Absatzmarkt für Deutschland erst an 16. Stelle. Im Jahr 2014 stiegen die deutschen Exporte insgesamt um fast 40 Milliarden Euro (+ 3,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr) und im Jahr 2015 nochmals um fast 74 Milliarden Euro (+ 6,6 Prozent). Im gleichen Zeitraum sanken die deutschen Exporte nach Russland, so dass sich der Anteil seit 2013 kontinuierlich verringerte und 2015 bei weniger als 2 Prozent lag.

Auch wenn Russland als Absatzmarkt für die deutsche Wirtschaft an Bedeutung verloren hat, zieht der Exportrückgang spürbare Folgen für Produktion und Beschäftigung nach sich. Diese betreffen nicht nur die von den Exporteinbrüchen unmittelbar betroffenen Sektoren wie z. B. die im Russlandgeschäft aktiven Hersteller von Kraftfahrzeugen und Kfz-Teilen, deren Anteil am Export sich um 4 Prozentpunkte 2015 gegenüber 2013 verringerte, sondern auch deren Zulieferer, also die gesamte Wertschöpfungskette. Um die realwirtschaftlichen Verluste umfassender abzuschätzen, müssen diese Lieferverflechtungen mit in die Analyse eingehen.

Die Liste der sanktionierten Produkte ist zwar überschaubar, den Akteuren wird aber ein großer Ermessungsspielraum gelassen. Die Modellberechnungen beschränken sich deshalb nicht allein auf die ausgewählten, von der EU und von Russland namentlich sanktionierten einzelnen Gütergruppen. Da außerdem der Absatz der mit den sanktionierten Gütergruppen eng verbundenen nicht-sanktionierten Güter infolge der Sanktionspolitik Einbußen erleidet, werden in den Berechnungen alle Produktionsbereiche mit ihren jeweiligen Verlusten in den Blick genommen. Eine ausschließliche Betrachtung der sanktionierten Sektoren griffe nicht nur aufgrund der Kettenreaktionen zu kurz. Deshalb wird bei der Berechnung der Sanktionseffekte von einem breiteren als dem direkt sanktionierten Güterspektrum ausgegangen.

Analyseansatz: Offenes, statisches Leontief-Modell

Um die Verluste aus den realwirtschaftlichen Sanktionen des EU-Russland-Konfliktes für die deutsche Volkswirtschaft zu quantifizieren, werden zunächst (i) die Auswirkungen aus dem Exportrückgang nach Russland (2014–15) insgesamt betrachtet. Der Exportrückgang umfasst sanktionsbedingte und nicht-sanktionsbedingte Einbußen. Anschließend werden (ii) die auf die Sanktionen zurückzuführenden Exportverluste (2014–15) analysiert. Dabei gilt es, gestützt auf Erfahrungswerte aus "Nicht-Sanktionszeiten", die gesamten Exportverluste um die sanktionsbedingten Verluste statistisch zu bereinigen. Danach gehen (iii) die für das Jahr 2016 zu erwartenden Exporteinbußen in die Berechnungen ein. Für (ii) und (iii) sind Schätzungen (Simulationen) erforderlich.



Als Grundlage für die Schätzung dienen Trendfortschreibungen auf Basis der quartalweisen Entwicklung der Exporte nach Warengruppen im Jahr 2013 und in der 1. Hälfte des Jahres 2014, d. h. während des Zeitraums vor den Sanktionen. Damit kann der Export für die 2. Hälfte des Jahres 2014 und das Jahr 2015, d. h. den Zeitraum mit Sanktionen, aber unter Ausschluss der Sanktionen abgeleitet werden. Da auch für das Jahr 2016 die Sanktionen nicht aufgehoben worden sind, wird für die Abschätzung der Sanktionseffekte von zwei alternativen Annahmen ausgegangen: (a) die Talsohle der Effekte ist erreicht und es kommt nicht zu zusätzlichen negativen Effekten der Sanktionen; (b) der Exportrückgang setzt sich in gleicher Höhe wie im Vorjahr fort (Exportrückgang 2016 = Exportrückgang 2015 = –7,5 Mrd. Euro). Für die Berechnungen der für das Jahr 2016 zu erwartenden Effekte wird hier von einem mittleren Weg ausgegangen (–4,9 Mrd. Euro).

Der auf die Sanktionen zurückzuführende Exportrückgang (ii) betrug 353 Millionen Euro im Jahr 2014 und 4 Milliarden im Jahr 2015. Nach unserer Modellrechnung werden die Verluste im Jahr 2016 (iii) 2,6 Milliarden Euro betragen. Um die Effekte dieses "negativen Impulses" auf die Produktion in Deutschland zu ermitteln, wird ein offenes, statisches Leontief-Modell verwendet (s. Kasten 1). Diese Herangehensweise erlaubt sowohl die direkten als auch die indirekten Effekte entlang der Wertschöpfungsketten zu analysieren. Bereits vorliegende, ähnliche Analysen weisen darauf hin, dass die indirekten Effekte stärker sein können als die direkten.





Realwirtschaftlicher Einfluss der Sanktions­politik auf die deutsche Wirtschaft

Die Berechnungen für Deutschland unter Verwendung der neuesten Input-Output-Tabelle für das Jahr 2012 weisen auf einen Verlust an inländischer Produktion in Folge des gesamten Exportrückgangs nach Russland in den Jahren 2014 und 2015 in Höhe von fast 26 bzw. 8,7 Milliarden Euro (sanktionsbedingter Produktionsrückgang) hin. Die abgeleiteten Beschäftigungseffekte entsprechen einem Verlust an Arbeitsplätzen für fast 40.000 Personen. Bei 43,32 Millionen Beschäftigten (Dezember 2015, Inlandskonzept) entspricht dieser Rückgang ca. 0,09 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland (s. Tabelle 2).

Zudem wirken die Exportverluste der sanktionierten Gütergruppen wegen der intensiveren Produktionsverflechtungen stärker über die Wertschöpfungsketten auf die Gesamtwirtschaft durch als die Exporte nach Russland im Schnitt. Der Produktions- bzw. Beschäftigungsmultiplikator ist deutlich größer.

Nach dem Mittelweg-Szenario für das Jahr 2016 kann der Produktionsverlust knapp über 5 Milliarden Euro erreichen und die Einbußen an Bruttowertschöpfung betragen 1,8 Milliarden Euro, was einem BIP-Verlust von ca. 0,06 Prozent entspricht. Der kumulierte BIP-Verlust über den gesamten Betrachtungszeitraum (2014–2016) beläuft sich auf bis 0,15 Prozent.

Sektorale Effekte

Die Berechnungen zeigen, dass die exportorientierten Sektoren mit starken sektoralen Verflechtungen wie bspw. die Automobilindustrie, der Maschinenbau sowie die Elektrotechnik- und Elektronikindustrie besonders betroffen sind. So verloren die Hersteller von Kraftwagen und Kraftwagenteilen (Sektor 29 lt. CPA) im ersten Sanktionsjahr 2014 Produktion in Höhe von ca. 816 Millionen Euro, die sonstigen Fahrzeugbauer (Sektor 30), deren Güterpalette unmittelbar von den Sanktionen betroffene "schwimmende, tauchende Bohr-/Förderplattformen und Feuerlöschschiffe, Schwimmkrane u. a." enthält, sogar ca. 865 Millionen Euro. Im zweiten Sanktionsjahr erleiden der sonstige Fahrzeugbau mit 1.529 Millionen Euro, der Maschinenbau (Sektor 28) mit 1.437 Millionen Euro, und die Hersteller von Eisen und Stahl (Sektor 24.1–24.3) mit 646 Millionen Euro die stärksten Verluste. Im dritten Sanktionsjahr verlieren Hersteller von sonstigen Fahrzeugen 926 Millionen Euro am Output, die Maschinenbauer etwas über 728 Millionen Euro und die Hersteller von Eisen und Stahl 435 Millionen Euro. Der Nahrungsmittelsektor weist zwar einen erheblichen Exportrückgang in Höhe von über 30 Prozent im Jahr 2014 auf, der Produktionsverlust (28 Mio. Euro) kann aber im Vergleich zu den oben genannten Sektoren als moderat eingestuft werden.

Fazit: Nachhaltiges Schadenspotential durch Sanktionen

Der wirtschaftliche Schaden der realwirtschaftlichen Sanktionen ist für Deutschland weitaus größer als das allein die Exportrückgänge nach Russland ausdrücken. Die indirekten Effekte auf die Beschäftigung sind durchweg höher als die direkten Effekte. Dabei sind die Multiplikatoren der auf die Sanktionen zurückzuführenden Effekte deutlich größer als im Durchschnitt. Das hängt damit zusammen, dass stärker verflochtene Sektoren (z. B. Automobilindustrie, Maschinenbau, Metallbranche) von der Sanktionspolitik in höherem Maße betroffen sind.

Mit der Dauer der Sanktionen steigen die Belastungen. So konnten 2014 7,7 Prozent des Output-Verlusts infolge des Exportrückgangs nach Russland auf die Sanktionen zurückgeführt werden, währenddessen der Anteil im Jahr 2015 bereits 55 Prozent erreichte. 2016 kann dieser Anteil 50 Prozent überschreiten. Auch wenn einige Annahmen getroffen werden mussten, um solche Berechnungen zu ermöglichen, und die Ergebnisse in der Realität in der einen oder anderen Richtung abweichen können, unterstreichen sie doch den Schaden für die deutsche Wirtschaft. Außerdem bergen anhaltende Sanktionen das Risiko, Märkte an die Konkurrenz auf lange Zeit zu verlieren und auch die nicht-sanktionierten Bereiche sowie die Energieversorgungs- und die Direktinvestitionsbeziehungen mit Russland zu belasten.

Eine frühere Version dieses Beitrags erschien in: "Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik", Heft 7/Juli 2016, S. 524–526. Für die Neuveröffentlichung wurden die Berechnungen auf Basis der im August 2016 veröffentlichten Input-Output-Tabellen für Deutschland aktualisiert.

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Weitere Quellen:

Fussnoten

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Seit 2014 hat Jutta Günther die Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Innovations- und Strukturökonomik, an der Universität Bremen inne. Zuvor war sie mehrere Jahre in leitenden Positionen am Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) tätig. Ihre Forschungsinteressen gelten der Systemtransformation, dem Strukturwandel und Innovationsprozessen.

Seit 2015 ist Maria Kristalova wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Universität Bremen. Ihre Forschung beschäftigt sich mit empirischen Analysen des Strukturwandels und seiner internationalen Dimension.

Seit 2005 ist Udo Ludwig Professor für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Leipzig. Er war von 1992 bis Mitte 2009 Abteilungsleiter für »Konjunktur und Wachstum« am IWH (Halle Institute for Economic Research). Seine Forschungsinteressen liegen auf dem Gebiet der Konjunktur- und Strukturanalyse.