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Analyse: Lebensmittelsicherheit und -qualität in Russland: Anforderungen versus Herausforderungen für die Industrie | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Lebensmittelsicherheit und -qualität in Russland: Anforderungen versus Herausforderungen für die Industrie

Vera Belaya

/ 10 Minuten zu lesen

Die russiche Lebensmittelindustrie muss einen Balanceakt zwischen Gewinnmaximierung und wachsenden Qualitätsanforderungen schaffen, steht sie doch seit Jahren unter kritischer Beobachtung. Immer wieder finden Skandalmeldungen über beispielsweise Lebensmittelfälschungen ihren Weg in die Öffentlichkeit

Milchprodukte sind die am häufigsten von Fälschungen betroffene Lebensmittelsparte. Insbesondere sind Butter und Trinkmilch betroffen. (© picture-alliance/dpa)

Die aktuellen marktwirtschaftlichen Veränderungen haben die Unternehmen der Lebensmittelbranche vor neue Herausforderungen gestellt. Die Produktions- und Handelsunternehmen der Lebensmittelwirtschaft begegnen jeden Tag aufs Neue den wachsenden Wettbewerbs- und Kostenanforderungen und versuchen unter schwierigen und sich wandelnden Bedingungen ihre Gewinnmargen zu optimieren sowie nach neuen Strategien zur Sicherung des Marktanteils zu suchen. In Russland häufen sich zurzeit Fälle von Lebensmittelfälschung. Die Palette reicht von unbedenklicher Reduzierung des Fettgehalts bis hin zum Hinzufügen von gesundheitsgefährdenden Stoffen, die nichts mit Lebensmitteln zu tun haben. Die Regierung versucht zwar auf der gesetzlichen Ebene etwas zu bewirken (etwa durch das Gesetz über die Kennzeichnung palmölhaltiger Produkte) und entnimmt regelmäßig Proben. Es gibt sogar eine von Rosselchosnadsor initiierte Liste von "sauberen" Betrieben, die keine Ersatzstoffe benutzen. Aber aus einer Reihe von Gründen oder Faktoren werden die Produkte weiterhin gefälscht. Der Beitrag versucht, die Situation mit der Lebensmittelfälschung am Beispiel von Milch aufzuzeigen. Andere Sektoren sind ebenfalls betroffen. Dahinter stecken niedrige Rentabilität, Rohstoffmangel und teilweise kriminelle Absichten.

Einführung

Die gesundheitliche Unbedenklichkeit und die Qualität der Lebensmittel in Russland stehen in den letzten Jahren immer öfter im Fokus der gesellschaftlichen Diskussion. Ausgelöst durch zahlreiche Lebensmittelskandale ist das Image von Lebensmitteln nicht sehr gut. Massenhafte Produktrückrufe und medial intensiv begleitete gesellschaftliche Diskussionen über Missstände in der Lebensmittelherstellung führen zu einem erheblichen Vertrauensverlust in der Bevölkerung gegenüber Lebensmitteln und die damit verbundenen Änderungen im Verbraucherverhalten können bei einzelnen Produktarten zu einem völligen Erliegen der Produktion führen. Trotz des Misstrauens der Verbraucher kann auf industriell gefertigte Lebensmittel nicht verzichtet werden, da die Menschen heute auf die industrielle Produktion von Lebensmitteln angewiesen sind. Die Lebensmittel waren jedoch noch nie so sicher wie heute. Die Gründe für die Zunahme der Skandalmeldungen in den Medien sind vielfältig. Einerseits sind die Verbraucheranforderungen an die Lebensmittelqualität wegen der geänderten Konsummuster in den letzten Jahren gestiegen, so dass auch die Anforderungen, die Unternehmen und Verbraucher an die Sicherheit von Produkten stellen, höher geworden sind. Eine andere Erklärung ist die steigende Komplexität der Produktion in einer zunehmend globalisierten Welt. Durch die neuen Konsummuster, die Zunahme des Außerhausverzehrs und der Anzahl der Einpersonenhaushalte haben es die Unternehmen mit neuen Fertigproduktrezepturen und einer steigenden Anzahl an Zutaten zu tun. Nicht zu vergessen sind auch die Produktverunreinigungen durch Hersteller aus kriminellen Absichten, die in Russland immer öfter zu Tage treten, bzw. Schlagzeilen machen.

Die wachsende Weltbevölkerung und der steigende Lebensmittelbedarf, verbunden mit der Ausweitung der landwirtschaftlich genutzten Flächen und immer intensiveren Produktionssystemen, erschweren die Rückverfolgbarkeit der Warenkette zusätzlich. Dazu kommen die global ausgerichtete Beschaffungspolitik, die Dynamik der Märkte, die Internationalisierung des Handels sowie der Wettbewerbs- und Kostendruck der liberalisierten Märkte. In den Beziehungen zwischen Lieferanten und Händlern können mitunter auch Probleme bzw. Konflikte entstehen, die aus den unterschiedlichen persönlichen Zielen oder Interessen der Vertragspartner resultieren. Weitere mögliche Gründe für Probleme können die unterschiedlichen Ansichten über Qualität und Hygienestandards oder mangelnde Umsetzung der vertraglich festgelegten Vorgaben in den verschiedenen Ländern sein. Und nicht zuletzt steigt die Aufdeckungsrate bei Lebensmittelverunreinigungen aus dem einfachen Grund, dass die Unternehmen heutzutage über solide und umfangreiche Qualitätssicherungs- und Kontrollsysteme verfügen, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Fehler erkannt werden.

Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit in Russland

Die Sicherheit und Qualität der Lebensmittel umfasst alle Stufen der Warenkette – von der Futtermittelindustrie über die Lebensmittelindustrie und Transporte zum Handel und letztendlich zum Endverbraucher. Die Lebensmittelsicherheit, definiert als die Garantie, dass Lebensmittel die Gesundheit und das Leben von Verbrauchern nicht gefährden, ist eine äußerst selbstverständliche Erwartung der Konsumenten, die in der letzten Zeit nicht immer erfüllt worden ist. Die Gewährleistung dieser Garantie ist für die Unternehmen eine permanente Herausforderung. Im "Dschungel" der umfangreichen Qualitäts- und Sicherheitskontrollen und –standards wird zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit unterschieden.

Die Herstellung von Lebensmitteln bewegt sich in einem bestimmten gesetzlichen Rahmen. Im Grunde genommen reguliert der Gesetzgeber die Lebensmittelsicherheit, indem er entweder ex ante (vorbeugend) oder ex post (nachträglich) Regulierungen im Hinblick auf Lebensmittelsicherheit verabschiedet. Eine dritte Möglichkeit bieten finanzielle Anreize z. B. in Form von Subventionen für die Implementierung der Lebensmittelsicherheitsmaßnahmen. Auf diese Weise überträgt der Staat die Primärverantwortung für Lebensmittelsicherheit auf die Unternehmen. Zu den wichtigsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei Lebensmitteln gehören folgende: das Siegel GOST R "Rostest" (es bestätigt die Einhaltung der Anforderungen des Dokuments GOST R 50460-9) und das Siegel des Staatlichen Qualitätsprogramms "Sdelano w Rossii" ("Made in Russia"; für Produkte, die aus in Russland erzeugten Rohstoffen hergestellt sind).

Mit der wachsenden Anzahl neuer Verordnungen entstehen auch immer mehr privatwirtschaftliche Qualitätssicherungssysteme und Initiativen der Hersteller- und Handelsunternehmen. Diese Normen werden von den Verbänden und Fachkreisen der Lebensmittelwirtschaft erarbeitet und geprüft. Neben den Vorgaben seitens staatlicher Regulierungen und Gesetze wurden privatwirtschaftliche Qualitätssicherungssysteme auch durch eine Vielzahl an Faktoren angetrieben: durch Lebensmittelskandale, negative Medienberichterstattung, Verbraucherverunsicherung, zunehmende Globalisierung der Warenströme, Trends im Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Die entwickelten Lebensmittelsicherheitskonzepte und -normen dienen als Richtlinien für die Entwicklung von Qualitätssystemen und sichern die festgesetzten Qualitätsanforderungen. Mehrere Standards helfen dabei, die Lebensmittelsicherheit international und national bestmöglich zu gewährleisten. Zu den bekanntesten Lebensmittelsicherheitskonzepten gehören unter anderem Good Practices (z. B. Good Manufacturing Practice (GMP), Good Hygienic Practice (GHP), Good Agricultural Practice (GAP) etc.), HACCP (Hazard Analysis Critical Control Points), ISO (International Standard Organisation), das englische BRC-Konzept ("British Retail Consortium") und sein deutsches Pendant IFC ("International Food Standard") sowie FSSC ("Food Safety System Certification") und RASFF ("Rapid Alert System for Food and Feed"). Die verschiedenen Lebensmittelsicherheitskonzepte unterscheiden sich in ihren Vorgehensweisen. So konzentrieren sich GMP und HACCP auf die Sicherung der technologischen Anforderungen, wobei ISO sich mehr auf das Management konzentriert. Zu den Zielen privater Lebensmittelsicherheitskonzepte zählen: Lebensmittelsicherheit und deren Verbesserung, Aufbau und Aufrechterhaltung von Konsumentenvertrauen, Marktstabilisierung; Reduzierung der Transaktionskosten entlang der Lebenswarenkette, Vermeidung von Produkthaftungsfällen und Schadensersatzansprüchen, Imageverbesserung, Absatzförderung und Gewinnmaximierung.

Darüber hinaus gibt es in der Lebensmittelindustrie zahlreiche grafische Produktkennzeichnungen von Herstellerverbänden oder einzelnen Handelsketten wie "Russkoje Moloko", "Fruktowyj Sad", "Jubilejnoje" etc. Solche Zeichen (Logos, Siegel, Labels) werden eingesetzt, um sowohl die Informationsasymmetrien zu reduzieren als auch, um eine starke Marke aufzubauen und somit mehr Kunden zu gewinnen. Dabei wird zwischen Markenzeichen und Gemeinschaftszeichen unterschieden. Markenzeichen werden von einzelnen Unternehmen geschaffen. Güte- und Prüfsiegel garantieren die Mindestqualität eines Erzeugnisses in Bezug auf bestimmte Attribute der Produktqualität und beinhalten Qualitätsprüfungen unter anderem im Hinblick auf sensorische, mikrobiologische, chemische und physikalische Produkteigenschaften. Solche Programme zielen nicht nur auf die Verbesserung der Lebensmittelsicherheit, sondern natürlich auch auf die Absatzförderung sowie die Verbesserung der Kooperationen zwischen den Unternehmen und stellen unternehmerische und innovative Vertriebslösungen für die Erzeuger dar. Es gibt jedoch Kritiker solcher Produktkennzeichnungen, denn sie bemängeln den bürokratischen Aufwand durch steigende Dokumentationsanforderungen, unzureichende Vertriebs- und Marketingkompetenz sowie Inkompatibilität mit den Logistikanforderungen des LEH. Generell gelten die Herkunftszeichen als sehr wichtig für den Absatz von Frischeprodukten (insbesondere Frischfleisch).

Probleme der Lebensmittelsicherheit in Russland

Man kann zwischen drei verschiedenen Arten von Kontaminationen unterscheiden: physikalische Kontamination (z. B. Glassplitter, Metall), mikrobiologische Kontamination (z. B. Bakterien, Pilze) und chemische Kontamination (z. B. Pestizide, Giftstoffe). Zu den Faktoren, die das Auftreten einer Produktverunreinigung begünstigen, zählen immer öfter jedoch solche Ursachen wie kriminelle Absichten oder "Gewinnmaximierung" durch Akteure in der Wertschöpfungskette, die die Lebensmittel absichtlich veruneinigen oder durch Hinzufügen oder Entnahme von Stoffen fälschen. Am Häufigsten werden in Russland Milchprodukte gefälscht. Insbesondere sind Butter und Trinkmilch davon betroffen. Bei der Fälschung von Butter wird nicht nur der Fettgehalt verringert und auf der Packung nicht deklariert, sondern oft wird Milchfett durch andere Pflanzen- oder Tierfette ausgetauscht. Am Häufigsten wird dabei Palmöl eingesetzt. Im Grunde genommen ist das Palmöl für die Gesundheit nicht schädlich, jedoch wurden bereits sehr viele Milchprodukte-Hersteller in Russland entlarvt, die Palmöl nicht als Zusatzstoff im Milchprodukt deklarieren. Denn eigentlich darf so ein Produkt nach den technologischen Anforderungen nicht mehr als "Milchprodukt" bezeichnet werden. Laut den technischen Produktionsstandards dürfen fetthaltige Milchprodukte wie Butter nach dem Einsatz von Pflanzenöl nicht mehr "Butter", sondern müssen "Spred" [abgeleitet vom englischen "spread", dt. in etwa: "Streichfett"; d. Red.] genannt werden, was einige Hersteller jedoch missachten. Die Regierung versucht derzeit explizit gegen diese Vorgehensweise zu kämpfen, um so etwas nicht zuzulassen. Zum Beispiel kündigte das Landwirtschaftsministerium die Einführung einer obligatorischen Kennzeichnung der Milchprodukte, die Palmöl enthalten, ab dem 1. Januar 2017 an. Darüber berichtete am 2. September 2016 der erste stellvertretende Landwirtschaftsminister Dshambulat Chatuow. Er wies darauf hin, dass einige Hersteller von Milchprodukten in Russland die aktuelle Situation ausnutzen und den Verbrauchern aus Profitgier Produkte anbieten, die kostengünstigeres Palmöl statt tierischer Fette enthalten, ohne den Verbraucher darüber aufzuklären. Zum Schutz der Verbraucher und um die Kaufentscheidungen zu unterstützen, soll diese verpflichtende Produktkennzeichnung eingeführt werden. Der Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschow schlägt vor, die betroffenen Produkte mit der Aufschrift "Produkt enthält Milchfettersatz" auf der Vorderseite der Verpackung in Großbuchstaben, die mindesten 30 % der Verpackungsfläche einnehmen, zu kennzeichnen. Darüber hinaus werden der Föderale Dienst für die Veterinär- und Phytosanitäre Aufsicht ("Rosselchosnadsor") und der Föderale Aufsichtsdienst im Bereich des Verbraucherschutzes ("Rospotrebnadsor") gemeinsam mit den regionalen Behörden Ihre Arbeit an der Aufdeckung nicht ordnungsgemäß gekennzeichneter Produkte fortsetzen. Anstoß für die Einführung dieses verbraucherpolitischen Instruments soll der Auftrag von Präsident Wladimir Putin gewesen sein, "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Verbraucher über die in Lebensmitteln enthaltenen Pflanzenöle tropischer Herkunft zu informieren", den er bereits im April 2016 dem Landwirtschaftsministerium erteilt hatte. Laut der offiziellen Einschätzung von Rosselchosnadsor werden 10 % der in Russland produzierten Milchprodukte gefälscht bzw. falsch gekennzeichnet. Der Einsatz von Palmöl in Milchprodukten ist per se nicht verboten.

Bei Vollmilch gibt es noch ein anderes Problem bzw. mehrere Probleme mit der Sicherheit und der gesundheitlichen Unbedenklichkeit. Zum einen hat Rosselchosnadsor festgestellt, dass viele russische Hersteller die Trinkmilch gar nicht aus frischer Milch, sondern aus Milchpulver herstellen. Der Zusatz von Milchpulver in Trinkmilch verstößt jedoch gegen die Produktionsanforderungen der Eurasischen Wirtschaftsunion wie auch der Russischen Föderation und führt zur Verletzung der technologischen Konformitätsnormen. Die Betrüger nehmen solche Manipulationen aus Kostengründen vor, denn Frischmilch ist oft rar und schwer zu bekommen und Milchpulver ist zudem günstiger. Aber das ist eigentlich nur als "Problemchen" zu bezeichnen, da es sich trotzdem um einen essbaren Zusatzstoff handelt. Schließlich gibt es in Russland noch eine Reihe von anderen Zusatzstoffen, die bereits von Rosselchosnadsor in Milch gefunden wurden. Unter anderem: Stärke, Kreide, Seife, Soda, Kalk, Borsäure und Salizylsäure oder auch Gips. Rosselchosnadsor hat darüber bereits am 20. Juni 2016 berichtet. Laut der Mitteilung besteht die Motivation für die Hersteller darin, dass diese Zusatzstoffe eine längere Haltbarkeit (Schutz gegen schnelle Versäuerung von Milch) bieten. Jedoch liegt es auf der Hand, dass so etwas nicht in die Milch gehört und sogar lebensgefährlich für Konsumenten sein kann. Oft wird auch der Fettgehalt in Milch reduziert, um dadurch mehr Gewinn zu erzielen (etwa statt 4,5 % nur 2,5 % usw.). Zu den weiteren Zusatzstoffen, die in Milchprodukten ohne eine entsprechende Kennzeichnung auf der Verpackung verarbeitet werden, gehören laut Rosselchosnadsor u. a. Kokosnussöl, Sojaproteine, Stabilisatoren, Aromen.

Nach Angaben von Rospotrebnadsor haben Plagiate/Fälschungen von Milchprodukten einen Anteil von zwischen 5 und 10 % an der gesamten Produktion von Milcherzeugnissen. Allerdings betragen die Anteile bei einigen Produktkategorien sogar bis zu 50 %. Die größte Anzahl der Fälschung wird bei den Produktkategorien mit dem höchsten Fettgehalt vorgenommen, bei Käse, Butter und Sauerrahm. Laut den technologischen Vorschriften in Russland dürfen als "Milchprodukte" nur solche genannt werden, die Milchfett enthalten. "Milchhaltige Produkte" können dagegen zu bis zu 50 % aus pflanzlichen Komponenten bestehen. Brotaufstriche, Käse- und Quarkähnliche Produkte enthalten beispielsweise sowohl natürliches Milchfett als auch Milchfettersatzstoffe. Es gibt auch Produkte, die gar kein Milchfett enthalten. Sie imitieren nur die Milchprodukte, wobei dessen Fett vollständig durch pflanzliche Fette ersetzt wird. Solche Produkte entsprechen nicht den technologischen Vorschriften; es gibt aber viele unehrliche Hersteller, die solche Produkte als Milcherzeugnisse verpacken und verkaufen, ohne den Verbraucher darüber aufzuklären.

Nach Angaben des Vorsitzenden der Nationalen Union der Milchproduzenten ("Sojusmoloko"), Andrej Danilenko, besteht etwa ein Drittel der in Russland erzeugten Milch nur auf "Papier". Es werde in den Statistiken "geschummelt" indem dort irgendwelche Betriebe geführt werden, die gar nicht mehr existieren. Nach den Angaben der amtlichen Statistik produziert Russland rund 30 Millionen Tonnen Milch pro Jahr. Nach Einschätzung von Sojusmoloko beträgt das tatsächliche Volumen der Milchproduktion in Russland etwa 20 Millionen Tonnen. 10 Millionen Tonnen sind existieren also entweder virtuell oder stellen eben den Anteil gefälschter Produkte dar.

Das Hauptziel der Fälschung von Lebensmitteln sind laut Rosselchosnadsor kriminelle Machenschaften bzw. das Erzielen von illegalen Gewinnen durch Verbrauchertäuschung. Andere Gründe, die die Hersteller dazu "treiben", sind hohe Produktionskosten und niedrige Rentabilität. Die liegt dem Agrarminister Alexander Tkatschow zufolge bei nur 5 % in der Milchviehhaltung, was für viele Hersteller bestimmt nicht zufriedenstellend ist. Ein anderer Grund ist, dass es nicht genug Rohmilch gibt. Selbst der Agrarminister bestätigte diese Tatsache. Er berichtete im Oktober, dass deshalb jährlich 7 Millionen Tonnen Milch hauptsächlich aus Weißrussland und der Schweiz nach Russland importiert werden müssen, da die eigene Produktion den Bedarf des Landes nicht deckt. Da lässt sich vermuten, dass wegen des Defizits an Rohmilch viele Hersteller deshalb erfinderisch werden, um nicht Bankrott zu gehen.

Fazit

Der Trend geht hin zu strengeren Bestimmungen für mehr Lebensmittelsicherheit und -qualität sowie zu einem stärkeren Reagieren auf die veränderten Wünsche und Bedürfnisse der Kunden. Die Unternehmen müssen den Spagat zwischen Gewinnmaximierung auf der einen sowie der Einhaltung der wachsenden Qualitätsanforderungen auf der anderen Seite schaffen. Um die Lebensmittelfälschungen in Zukunft besser bewältigen zu können, bedarf es kontinuierlicher und nachhaltiger Umstrukturierungen in den betroffenen aber vor allem in den potenziell risikoreichen Produktionsbranchen. Zu den Maßnahmen für die Verbesserung der Lebensmittelsicherheit und -qualität gehören unter anderem die Verbesserung der Herkunftskennzeichnung, der Lebensmittelüberwachung, der Eigenkontrollen durch die Unternehmen, der Rückverfolgbarkeit und der Verbraucherinformationen, sowie die Verschärfung der Sanktionen im Bereich der Täuschung bei Lebensmitteln, der Einsatz von Frühwarnsystemen und die Absatzförderung von regionalen Lebensmitteln. Nachhaltige Verbesserung und Verschärfung der Kontrollen führen zur Schadensvermeidung, erhöhen die Sicherheit der Lebensmittelproduktion und mindern die Wahrscheinlichkeit einer Produktverunreinigung in der Zukunft. Durch wichtige politische Entscheidungen und gesellschaftliche Initiativen soll eine feste Basis zur Lebensmittelsicherheit geschaffen werden.



Fussnoten

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Dr. Vera Belaya studierte Betriebswirtschaft an der Kasachischen Agraruniversität in Astana sowie Agrarmanagement an der Hochschule Weihenstephan in Triesdorf. Nach dem erfolgreichen Abschluss als "Master of Business Administration in Agriculture" in Triesdorf wurde sie am Leibnitz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) zur Doktorin der Agrarwissenschaften promoviert.