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Analyse: Kann sich Russland den Klimawandel leisten? | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Kann sich Russland den Klimawandel leisten?

Vladimir Otrachshenko und Olga Popova

/ 10 Minuten zu lesen

Laut Umfragen stimmt eine Mehrheit der Russen zu, dass der Klimawandel negative Folgen für Russland hat. Welche Auswirkungen haben Extremtemperaturen auf die Gesundheit der Bevölkerung? Welche sozialen und ökonomischen Kosten entstehen durch die Erderwärmung für Russland?

Russland hat bei der Klimakonferenz 2015 in Paris einer Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 2°C zugestimmt. (© picture alliance / NurPhoto)

Zusammenfassung

Aufgrund des Ressourcenreichtums, des großen Territoriums und der zahlreichen Bevölkerung ist Russland ein sehr wichtiger Partner bei den globalen Anstrengungen, die negativen Folgen des Klimawandels abzumildern. Die Mehrheit der Russen stimmen der Ansicht zu, dass das Erdklima unvorhersehbar geworden ist und die globale Klimaerwärmung negative Auswirkungen auf Russland haben wird. Situationen mit Extremtemperaturen haben soziale, ökonomische und gesundheitliche Folgen. Diese könnten zum Teil dadurch abgemildert werden, dass eine CO2-arme Entwicklung und eine energieeffiziente Produktion angeregt werden, die regionalen Wirtschaftsbedingungen verbessert und Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden. Es bleibt jedoch unklar, ob die Bevölkerung Russlands und die Wirtschaft des Landes sich werden an den stetig zunehmenden Einfluss der globalen Erwärmung anpassen können.

Russland und das Pariser Klimaabkommen

Am 21. September 2019 hat Russland das Pariser Klimaabkommen von 2015 "angenommen" (Externer Link: http://static.government.ru/media/files/l0US0FqDc05omQ1VgnC8rfL6PbY69AvA.pdf). Dieses Abkommen setzt sich das langfristige Ziel, den Temperaturanstieg bis 2030 auf 2 Grad Celsius zu begrenzen, und fördert eine CO2-arme technologische Entwicklung. Jedes Land, das dem Abkommen formal beigetreten ist, verpflichtet sich, individuell Ziele zum Ausstoß von Treibhausgasen zu definieren und umzusetzen sowie regelmäßig darüber zu berichten, damit die Emissionen bis 2030 unter ein vorindustrielles Niveau gedrückt werden. Im Fall von Russland liegt das selbstdefinierte Ziel bei rund 25–30 Prozent unterhalb des Emissionsniveaus von 1990. Die Annahme des Pariser Klimaabkommens durch Russland bedeutet einen wichtigen Beitrag für die globalen Anstrengungen zu Abmilderung der negativen Folgen der Erderwärmung, da Russland gegenwärtig der weltweit viertgrößte Emittent von Treibhausgasen ist – und der größte aller Emittenten, die das Abkommen bis jetzt noch nicht formal ratifiziert haben (siehe Grafik 1 auf S. 5 über den Anteil der einzelnen Länder an den fossilen CO2-Emissionen im Jahr 2017).

Das Pariser Klimaabkommen ist darüber hinaus ein wichtiger Schritt für die nachhaltige Entwicklung des Landes, da die Erderwärmung für Russland zu einem akuten Problem wird. Dem Bericht des russischen Föderalen Dienstes für Hydrometeorologie und Umweltmonitoring von 2018 zufolge betrug der jährliche Temperaturanstieg im Zeitraum von 1976 bis 2018 in Russland das Zweieinhalbfache des durchschnittlichen globalen Temperaturanstiegs (0,47 Grad Celsius in 10 Jahren in Russland gegenüber 0,17–0,18 Grad Celsius in zehn Jahren in der übrigen Welt) (die jährlichen Berichte des Föderalen Dienstes für Hydrometeorologie und Umweltmonitoring sind verfügbar unter: Externer Link: http://climatechange.igce.ru/index.php?option=com_docman&task=doc_download&gid=241&Itemid=73&lang=ru). Darüber hinaus stimmte bei einer Umfrage des "Allrussischen Zentrums zur Erforschung der öffentlichen Meinung" (WZIOM, Externer Link: https://wciom.com/index.php?id=61&uid=1433) eine Mehrheit der Russen der Ansicht zu, dass der Klimawandel unberechenbar geworden ist, dass die Erderwärmung negative Folgen für Russland hat, und dass diese Veränderungen auf menschliches Handeln zurückzuführen sind (siehe die Grafiken 3 und 4 auf S. 7 und 6 auf S. 8 unten).

Während die Ziele, die sich Russland im Rahmen des Pariser Klimaabkommens gesetzt hat, umsetzbar sind und den Temperaturanstieg in Russland bis 2030 in der Tat auf 1,5–2 Grad Celsius begrenzen könnten, sind Experten der Ansicht, dass diese Ziele zu gering seien, um einen solchen Temperaturanstieg bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu gewährleisten. Das "Hauptobservatorium für Geophysik A.I. Wojejkow", das älteste Institut für Meteorologie in Russland, hat Prognosen für den jährlichen Temperaturanstieg in verschiedenen Teilen Russlands erstellt. Diesen Prognosen zufolge beträgt der Anstieg der bodennahen Lufttemperatur bis zum Ende des 21. Jahrhunderts 2,7 Grad Celsius im Süden Russlands und bis zu 4,1 Grad Celsius in den nördlichen Gebieten Russlands (Externer Link: http://voeikovmgo.ru/?option=com_content&view=article&id=613&Itemid=236&lang=ru). Die Prognosen des Wojejkow-Observatoriums besagen auch, dass die Niederschlagsmengen auf dem gesamten Gebiet der Russischen Föderation ebenfalls erheblich zunehmen werden, insbesondere während der Wintermonate (Externer Link: http://voeikovmgo.ru/download/publikacii/2011/Mokryk.pdf). Das wird die Häufigkeit schwerer Überschwemmungen, Stürme und Gewitter erhöhen, was Verluste an Eigentum und bei der Ernte sowie unfreiwillige Migration zur Folge hat.

Schmelzende Permafrostböden und die erhöhte Häufigkeit von Wetterereignissen mit Extremtemperaturen (heißen wie kalten) stellen besonders problematische physische Folgen des Klimawandels in Russland dar, bedenkt man, dass weder die Bevölkerung noch die Infrastruktur auf solche Veränderungen vorbereitet sind. Der schmelzende Permafrostboden in den arktischen Regionen wird nicht nur den Meeresspiegel ansteigen lassen, sondern auch die Freisetzung von Methan verstärken, was zu einem Anstieg der globalen Treibhausgasemissionen beiträgt. Darüber hinaus sind in den nördlichen Regionen Russlands die Häuser unter Berücksichtigung des Permafrostbodens gebaut worden, und das Abschmelzen könnte zusätzliche Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der Infrastruktur nach sich ziehen. Zudem werden Wetterereignisse mit heißen und kalten Extremtemperaturen soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Folgen haben, wie im Weiteren eingehender erläutert wird.

Folgen der Erderwärmung für die Gesundheit der Bevölkerung

Neben den physischen Veränderungen in der Umwelt sind auch die sozioökonomischen Folgen der Erderwärmung und von Extremtemperaturen zu beachten. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur werden als extrem heiß Durchschnittstemperaturen von über 25 Grad Celsius bezeichnet (in diesem Fall kann die Außentemperatur im Laufe von 24 Stunden erheblich schwanken, etwa von 15 Grad nachts bis 35 Grad tagsüber). Der Hintergrund ist, dass dies eine physische Anpassung des menschlichen Körpers erfordert und die alltägliche Aktivität, die Arbeitsproduktivität und den Gesundheitszustand des Einzelnen beeinträchtigt. Extrem kalte Temperaturen haben ebenfalls Auswirkungen auf die Gesundheit. Allerdings schwanken die Definitionen von extremer Kälte von Ort zu Ort. In Russland können tägliche Durchschnittstemperaturen von unter 23 Grad Celsius minus als extrem kalt bezeichnet werden; das gilt laut den Daten des russischen Föderalen Dienstes für Hydrometeorologie und Umweltmonitoring für 5 Prozent aller Temperaturmessungen. Allerdings sind solche Temperaturen in allen Regionen Russlands anzutreffen.

Russland ist ein interessantes Beispiel, an dem sich die sozialen und ökonomischen Folgen von Extremtemperaturen untersuchen lassen, da in dem Land ein weites Spektrum an Temperaturen erfahren werden kann. Das Spektrum reicht von minus 60 Grad Celsius bis 35 Grad (siehe Grafik 2 auf S. 6). 2017 hat das "Allrussische Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung" (WZIOM) eine landesweite Umfrage zum Einfluss von Wetteranomalien auf das Leben der Menschen in Russland durchgeführt (Externer Link: https://wciom.ru/index.php?id=236&uid=116322). Die Ergebnisse zeigen, dass eine Mehrheit der Befragten (58 %) den Einfluss von Wetteranomalien und gesundheitliche Probleme aufgrund von Extremtemperaturen verspüren (siehe Grafik 5 auf S. 8). Hierzu zählen u. a. Kopfschmerzen und Schwindelgefühl, Probleme bei Herzerkrankungen und Bluthochdruck sowie Apathiezustände. Diese Reaktionen stehen in Übereinstimmung mit der epidemiologischen Fachliteratur, die besagt, dass Temperaturumgebungen jenseits des Bereichs von 20–22 Grad Celsius für den menschlichen Körper anstrengend sind und eine Temperaturregulierung über den Blutdruck, die Herzfrequenz und eine Verengung der Bronchien auslöst. Jüngste Studien, die sich auf Daten aus den russischen Regionen aus der Zeit von 1989 bis 2015 stützen, kommen zu dem Ergebnis, dass sowohl extrem heiße als auch extrem kalte Temperaturen zu einer erhöhten Sterblichkeit führen, einschließlich einer Erhöhung der Gesamtsterberaten und der Sterbefälle durch Herzgefäßerkrankungen. Vor allem die wirtschaftlich aktive Bevölkerung mittleren Alters ist betroffen. So erhöht ein Tag mit einer Durchschnittstemperatur von über 25 Grad Celsius die Gesamtsterberate in der Altersgruppe zwischen 30 und 39 Jahren um 0,12 Prozent, was 126 Todesfällen entspricht, oder einem Verlust von 3,79 Millionen US-Dollar, was wiederum rund 15,1 Prozent der täglichen Gesundheitsausgaben in Russland entspricht (Preise von 2014). Die Auswirkungen mögen gering erscheinen, doch sollte man sich bewusst sein, dass es hier um die Folgen nur eines einzigen Tages geht, wobei die Anzahl solcher Tage mit der Erderwärmung zunehmen dürfte.

Die Berichte des Weltklimarates (IPCC) besagen regelmäßig, dass in Zukunft sowohl die Häufigkeit wie auch die Intensität von Extremtemperaturen zunehmen werden. Bei einer Analyse der Folgen von Extremtemperaturen auf sozioökonomische Aspekte wie öffentliche Gesundheit, Produktivität und Wirtschaftswachstum ist zwischen den Auswirkungen einzelner Tage mit Extremtemperaturen und denen ganzer Hitzewellen und Kälteperioden (also mehrerer aufeinanderfolgender Tage mit extrem hohen oder niedrigen Temperaturen) zu unterscheiden. Eine kürzlich erstellte Studie betont, dass in Russland sowohl Hitze- als auch Kältewellen die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigen und zu einem beträchtlichen Anstieg der Sterblichkeit führen.

Neben erhöhter Sterblichkeit aus natürlichen Gründen können extrem heiße Tage zudem gewalttätiges Verhalten verstärken und die Sterblichkeit durch Gewalttaten erhöhen. Epidemiologische Forschungen haben ergeben, dass der Grund hierfür darin zu suchen ist, dass bei extremer Hitze das Niveau der Hormonausschüttung steigt, insbesondere von Testosteron, Adrenalin und Noradrenalin. Diese Hormone können aggressives und gewalttätiges Verhalten auslösen. Forschungsergebnisse zeigen, dass es in Russland an extrem heißen Tagen und dann insbesondere an Wochenenden mehr Gewalt gegen Frauen gibt. Das liefert einen indirekten Beleg für die Auswirkungen von Wetterextremen auf die Lage mit häuslicher Gewalt. Da offizielle Statistiken zu häuslicher Gewalt fehlen und angesichts des Umstandes, dass jüngst viele häusliche Gewalthandlungen entkriminalisiert wurden, wirft dies ein zusätzliches Licht auf die Faktoren, die zu häuslicher Gewalt führen. Ein weiterer Befund besagt, dass die Folgen heißer Tage durch eine Verbesserung der regionalen wirtschaftlichen Bedingungen, durch eine Regulierung des Alkoholkonsums und durch bessere Jobmöglichkeiten gemildert werden können.

Bei der Analyse der Auswirkungen von Extremtemperaturen besteht eine zentrale Frage darin, ob sich die Bevölkerung an die Folgen von heißem oder kaltem Wetter anpassen oder diese abmildern kann. Aufgrund fehlender Daten über einen hinreichend langen Zeitraum in Russland ist dies nur schwer direkt zu analysieren. Es gibt allerdings Indizien, dass in kälteren Regionen, in denen die Bevölkerung im Durchschnitt seltener heißen Temperaturen ausgesetzt ist, diese Temperaturen in höherem Maße negative Auswirkungen auf die Sterblichkeit haben. Demgegenüber können sich die Menschen in heißeren Regionen an solche Temperaturen gewöhnen und leiden deshalb weniger. Andererseits sind die Auswirkungen extrem kalter Tage in heißen Regionen stärker und in kalten Gegenden schwächer ausgeprägt. Dies legt in einem gewissen Maße nahe, dass die Bevölkerung Russlands in der Lage ist, mit der gegenwärtigen Anzahl und Häufigkeit von Tagen mit Extremtemperaturen zurechtzukommen. Es bleibt allerdings unklar, ob die Bevölkerung und die Wirtschaft Russlands sich an den stetig zunehmenden Einfluss der Erderwärmung wird anpassen können.

Soziale und ökonomische Kosten

Ein Weg zur Ermittlung der ökonomischen Kosten durch extrem heiße oder kalte Tage ist die Berechnung der durch vorzeitigen Tod entgangenen individuellen Einkommen, gestützt auf die Statistiken zu den durchschnittlichen Löhnen und Gehältern in der Region und den Jahren, die bei Personen einer bestimmten Altersgruppe durchschnittlich bis zum Renteneintritt verbleiben (siehe Tabelle 1 auf S. 6). Berechnungen dieser Art für Russland ergeben, dass ein einziger Tag mit einer Durchschnittstemperatur von über 25 Grad zu Verlusten von mehr als 10 Millionen US-Dollar führt (Preise von 2014). Das sind beträchtliche Kosten, die rund 0,28 Prozent des täglichen BIP in Russland betragen, und die entstehen, weil durch einen verfrühten Tod Personen, die zu einem durchschnittlichen Lohn oder Gehalt bis zum Renteneintritt gearbeitet hätten, die Einnahmen entgehen. Das sind Durchschnittsberechnungen der ökonomischen Kosten, die übrigens steigen können, je nach den durchschnittlichen Auswirkungen eines heißen Tages auf die Sterblichkeit in den unterschiedlichen Altersgruppen, der Anzahl solcher Tage, den durchschnittlichen regionalen Löhnen und Gehältern und dem spezifischen Rentenalter.

Die ökonomischen Kosten, die sich durch negative Folgen heißer Tage für die Sterblichkeit ergeben, stellen nur die untere Schwelle der ökonomischen Gesamtkosten dar, die der russischen Wirtschaft durch den Klimawandel entstehen. Neben den Auswirkungen auf die Sterblichkeit werden extreme Wetterereignisse auch zu einem Rückgang der Arbeitsproduktivität führen, wie kürzlich erschienene Wirtschaftsstudien zeigen. Aus dieser Perspektive wird eine geringere Arbeitsproduktivität aufgrund der zunehmenden Anzahl und Häufigkeit von extrem heißen Tagen unausweichlich zu einem verringerten Wirtschaftswachstum führen. Einem Bericht über die makroökonomischen Folgen des Klimawandels in Russland zufolge, den der Föderale Dienst für Hydrometeorologie und Umweltmonitoring erstellt hat, könnte der Klimawandel die Entwicklung verschiedener Wirtschaftssektoren in Russland überdurchschnittlich stark beeinflussen. Dies würde eine Umstrukturierung der täglichen Operationen zur Anpassung an veränderte Umweltbedingungen nötig machen. Allerdings können die Veränderungen auch positiv sein. So wird beispielsweise die Erderwärmung in einigen Regionen Russlands zu einer kürzeren Heizperiode führen, was einen geringeren Energieverbrauch bedeutet und geringere Treibhausgasemissionen sowie eine Ausweitung der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen mit sich bringt. Ebenso ergeben sich mehr Möglichkeiten für Transporte per Schiff, da sich die Zeiträume verändern, in denen Wasserstraßen schiffbar sind. Darüber hinaus verfügt Russland angesichts seiner großen Waldflächen über ein gutes Potential, um globale Treibhausgasemissionen zu absorbieren. Allerdings dürften die negativen Folgen des Klimawandels den Nutzen immer noch überwiegen.

Russland ist insgesamt gesehen durch sein großes Territorium, den Ressourcenreichtum und die Bevölkerungszahlen ein wichtiger Partner bei der Suche nach Lösungen für den Klimawandel. Ob sich Russland den Klimawandel leisten kann, bleibt eine offene Frage – auf die eine Antwort längst hätte erfolgen sollen. CO2-armes Wirtschaftswachstum und erhöhte Energieeffizienz müssen angeregt werden und in der nationalen Planung der strategischen Entwicklung Priorität haben.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

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Fussnoten

Vladimir Otrachshenko und Olga Popova sind promovierte wissenschaftliche Mitarbeiter des Arbeitsbereichs Ökonomie des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg. Sie sind auch mit der Graduiertenschule für Wirtschaft und Management an der Föderalen Ural-Universität in Jekaterinburg verbunden. Olga Popova ist zudem mit dem "Center for Economic Research and Graduate Education – Economics Institute" (CERGE-EI) in Prag verbunden.