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Meinung: Es kommt nicht allein auf die OSZE an Russland, die OSZE und die europäische Friedensordnung

Andrei Zagorski

/ 7 Minuten zu lesen

Bislang ist die OSZE auf Schadensbegrenzung in der Ukraine-Krise begrenzt. Sollte das westliche Junktim zwischen der Regelung der Krise und der Neudefinition des Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen aufgehoben werden, könnte die OSZE auch wieder eine größere Rolle bei der Gestaltung dieses Verhältnisses spielen.

Wenn noch vor wenigen Jahren in Russland über die OSZE gesprochen wurde, dann ziemlich abfällig: Als von westlichen Staaten privatisierte Organisation sei sie wenig wert. Viele überlegten ernsthaft, Moskau solle der OSZE den Rücken kehren und die Organisation endlich ganz verlassen. Manche glauben heute noch, dass die Organisation samt ihrem Gründungsdokument, der Helsinki Schlussakte, in die Geschichtslehrbücher gehört.

Prof. Dr. Andrei Zagorski (© Prof. Dr. Andrei Zagorski)

Mit der Krise in und um die Ukraine schlug auch in Moskau die Stimmung um. Nun entdeckte man die OSZE wieder, die eine wichtige Rolle bei der Regelung der Krise übernommen hat. Mit der Entsendung ihrer Beobachtermission in die Ukraine kam sie nicht nur wieder in die Schlagzeilen, sondern wurde auch für Russland wieder wichtig. In der russischen Politik erlebte die OSZE eine Renaissance: Alle lobten sie auf einmal – endlich sei sie in ihrem Job zurück. Es bleiben aber auch skeptische Stimmen, und zwar keine unwichtigen, wie die von Präsident Putin, der jüngst die OSZE wieder kritisch als eine "vom Westen übernommene Organisation" bewertete.

Ob die Renaissance der OSZE in der Politik Russlands länger anhält und wohin sie führen wird, ist noch offen. Nicht zuletzt, weil die OSZE in Moskau als Teil der Regelung der gegenwärtigen Krise der europäischen Friedensordnung gesehen wird, nicht aber als die Lösung für dieses Problem. Es geht also nicht nur um die Zukunft der OSZE, sondern um Antworten auf viel komplexere Fragen, die nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft des europäischen Friedens und der europäischen Friedensordnung betreffen. Solange die letzteren nicht wirklich ernsthaft und zielführend diskutiert werden, kann und wird auch die OSZE kaum wirklich wiederbelebt werden können.

Schadensbegrenzung

In der Krise um die Ukraine hat die OSZE eine wichtige schadensbegrenzende Rolle übernommen. Sie bietet die Plattform für eine kooperative Konfliktregelung. Als eine inklusive Organisation sichert sie ein Minimum an Kooperation und hilft, die Konsequenzen der Krise für die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zu kontrollieren und so ihre politischen und anderen Risiken und Kosten in Grenzen zu halten.

Die schadensbegrenzende Rolle der OSZE ist nicht nur für Moskau, sondern auch für den Westen von Bedeutung. Die Delegierung der Konfliktbearbeitung an die OSZE ermöglicht es den USA und der NATO, sich auf Rückversicherungsmaßnahmen gegenüber den östlichen Mitgliedsstaaten der Allianz zu beschränken. Damit weicht die NATO einer schwierigen und alles andere als attraktiven Wahl aus: entweder ein Eingreifen in der Ukraine und somit eine militärische Auseinandersetzung mit Russland zu erwägen oder de facto die Zugehörigkeit der Ukraine zum russischen Machtbereich beziehungsweise ihre "Finnlandisierung" hinzunehmen. Für die EU hat die Delegierung des Managements des Ukraine-Konflikts an die OSZE den Vorteil, sich auf Sanktionen gegenüber Russland zu beschränken und sich ansonsten auf aus ihrer Sicht vorrangigere interne und externe Herausforderungen konzentrieren zu können.

Die Konfliktbearbeitung durch die OSZE ist alles andere als perfekt. Wegen der zwischen den 57 Mitgliedsstaaten geltenden Konsensregel bleiben ihr die Hände weitgehend gebunden. Aber es ist gerade diese Regel, die es ermöglicht, dass alle relevanten Akteure, inklusive Russland, die Ukraine, die USA und die EU-Mitgliedsstaaten diese Rolle mittragen. Ob die Vereinten Nationen unter den gegebenen Umständen den Job besser gemeistert hätten, wird offenbleiben. Die Vermutung ist, dass angesichts der Konsensregel im Weltsicherheitsrat dort der kleinste gemeinsame Nenner wohl kaum anders aussehen würde als innerhalb der OSZE.

Solange die Krise nicht bewältigt ist und solange grundlegende Probleme der europäischen Friedensordnung aus dem politischen Dialog ausgegrenzt bleiben, scheint diese schadensbegrenzende Rolle der OSZE für die relevanten Akteure, und nicht zuletzt für Russland, auszureichen. Um mehr geht es zurzeit nicht.

Politischen Dialog wiederaufnehmen

Die Krise um die Ukraine hat mehrere grundlegende Fragen der europäischen Friedensordnung aufgeworfen. Ob der normative Konsens der Helsinki Schlussakte noch trägt? Soll er durch eine Konkretisierung der relevanten Prinzipien ergänzt und bekräftigt werden? So, zum Beispiel, durch eine eingehendere Klärung der Bestimmungen bezüglich der Unverletzlichkeit der Grenzen und der Nichteinmischung oder durch die deutlichere Festlegung des Verhältnisses zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und der territorialen Integrität der Staaten, sowie zwischen der Bündnisfreiheit und gleicher Sicherheit? Wie kehrt man zur kooperativen Rüstungskontrolle zurück? Wie kann Vertrauen wiederhergestellt werden?

Neben vielen offenen Fragen sollte in erster Linie über drei grundlegende Probleme der europäischen Friedensordnung gesprochen werden:

  1. Kann man einen gemeinsamen Nenner zwischen den russischen und westlichen Vorstellungen von der europäischen Friedensordnung finden? Inwiefern kann sie noch auf der Illusion einer Wertegemeinschaft und inwiefern muss sie auf gemeinsamen Interessen gründen? Wie kann und soll ein neuer modus vivendi zwischen Russland und dem Westen aussehen?

  2. Welche, nicht zuletzt rüstungskontrollpolitischen, Maßnahmen können die Baltischen Staaten überzeugen, dass Russland ihren Beitritt zur EU und NATO akzeptiert hat und respektieren wird, damit die sich anbahnende Aufrüstungsdynamik in der Ostseeregion aufgehalten wird? Darüber soll in erster Linie zwischen Russland und der NATO geredet werden.

  3. Wie kann und soll eine inklusive europäische Friedensordnung aussehen, damit Staaten, wie die Ukraine oder Georgien, sich in dieser Ordnung sicher fühlen, ohne sich einem Zwang ausgesetzt zu fühlen, einem Bündnis beizutreten?

Diese und andere Fragen, die in der Expertengemeinschaft grenzüberschreitend diskutiert werden, sind heute kaum Gegenstand des politischen Dialogs auf Regierungsebene. Die Notwendigkeit eines neuen Anlaufs für einen echten Dialog zwischen Russland und dem Westen wird heute viel beschworen, nicht zuletzt vom Panel of Eminent Persons in seinem Bericht, der vor einem Jahr dem OSZE-Ministerrat vorgelegt worden ist. Seitdem ist aber nicht viel passiert, denn die Bereitschaft des Westens zum Dialog mit Russland ist an echte Fortschritte bei der Regelung der Ukraine-Krise gebunden, konkret bei der Umsetzung der Minsker Abkommen.

Solange diese Koppelung bleibt, wird die OSZE auf Schadensbegrenzung reduziert bleiben und ihre wichtige Rolle als Plattform für einen inklusiven politischen Dialog nicht erfüllen können.

Es kommt nicht allein auf die OSZE an

Wenn der Dialog zwischen Russland und dem Westen über grundlegende Fragen der europäischen Friedensordnung wieder aufgenommen wird, wird dabei auch die OSZE eine bedeutende Rolle spielen müssen. Nicht zuletzt, weil die Klarstellung der normativen Grundlagen dieser Ordnung, die Konkretisierung der Helsinki-Prinzipien eindeutig in ihre Verantwortung fallen. Dieser Dialog wird aber nicht auf die OSZE beschränkt bleiben können. Viele grundlegende Fragen der europäischen Friedensordnung können kaum allein innerhalb der Organisation beantwortet werden.

Die Überwindung der gegenwärtigen Krise ist nicht denkbar ohne die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Russland und der EU, die in der Tat eine tragende Säule jeglicher europäischen Friedensordnung sein sollten. Ähnliches gilt für das Verhältnis zwischen Russland und der NATO, ohne die es kaum eine effektive Rückkehr zur kooperativen Rüstungskontrolle geben kann.

Doch solange diese Grundfragen der europäischen Sicherheitsordnung nicht geklärt sind, wird es nicht möglich sein, zum business as usual in diesen Beziehungen und in Bezug auf einen konstruktiven Umgang mit den vielfältigen Herausforderungen und Problemen auf dem europäischen Kontinent zurückzukehren. Aber es gibt bislang keine wirklich überzeugenden Ideen und Vorschläge, wie die neue Geschäftsgrundlage dieses Verhältnisses aussehen könnte oder sollte. Diese Grundlagen müssen neu definiert werden. Dazu gehört z.B. auch die Definition des institutionellen Verhältnisses zwischen der EU und der Eurasischen Wirtschaftsunion.

All diese Fragen sind kontrovers, und es gibt keine einfachen Antworten darauf. Aber eins ist klar: In einer EU- und NATO-zentrierten europäischen Friedensordnung käme eine Reduzierung Russlands auf seine Rolle als OSZE-Mitglied in dieser Ordnung einer Verbannung an die europäische Peripherie gleich. Damit würde eine der grundlegenden Fragen der europäischen Friedensordnung unbeantwortet bleiben, nämlich die einer zufriedenstellenden Einbindung Russlands.

Fazit und eine Empfehlung

Die Wiederentdeckung der OSZE in Russland und das Interesse Moskaus an einer Konkretisierung ihrer normativen Grundlagen eröffnet eine Chance für die Wiederbelebung der Organisation und für einen substanziellen Dialog über die offenen Fragen der europäischen Friedensordnung. Bleibt die Wiederaufnahme des politischen Dialogs zwischen Russland und dem Westen strikt an die Umsetzung der Minsker Abkommen und die Regelung der Ukraine-Krise gebunden, könnte diese Chance, die ein solcher Dialog bietet, vertan werden. Denn entgegen der ursprünglichen Vorstellung, dass die Minsker Abkommen bis Ende 2015 umgesetzt wird, wird der Prozess auf absehbare Zeit kaum abgeschlossen werden können.

Sollte man den Dialog wieder aufnehmen wollen, sollte man diese Bindung zumindest lockern und eine Parallelität zwischen der Umsetzung der Minsker Abkommen und der Diskussion über grundlegende Fragen der europäischen Friedensordnung zulassen.

Das Gegenargument ist bekannt: Eine Aufhebung der Bindung würde die Umsetzung von Minsk beeinträchtigen und die Konfliktregelung schwieriger machen. Aber auch genau das Gegenteil könnte durchaus zutreffen: Wenn sich im "parallelen" Dialog Konturen einer Einigung abzeichnen, könnte dies durchaus zusätzliche Anreize für die Regelung der Ukraine-Krise schaffen. Solange aber das westliche Junktim bestehen bleibt, sieht die Hoffnung auf eine Einigung "danach" wie ein leeres Versprechen aus.

Literatur

Links

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Prof. Dr. Andrei Zagorski, Leiter der Abteilung für Rüstungskontrolle und Konfliktregelung am Nationalen Ewgenij Primakov Forschungs-Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen (IMEMO) der Russischen Akademie der Wissenschaften; Professor am Moskauer Staatsinstitut (Universität) für Internationale Beziehungen; Mitglied des Russian International Affairs Council; Mitglied, International Advisory Board, Geneva Center for Democratic Control of Armed Forces (DGAF).