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Beziehungen in der Bewährung | Deutsch-Israelische Beziehungen | bpb.de

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Beziehungen in der Bewährung

Martin Kloke

/ 14 Minuten zu lesen

In den vergangenen 50 Jahren haben sich die Kontakte in vielfältiger Weise und auf allen Gesellschaftsebenen entwickelt. Die politischen Beziehungen verliefen nicht immer reibungslos, ein strittiges Thema war der Nahostkonflikt.

Breite Unterstützung: In München demonstrieren während des Sechstagekrieges 1967 Tausende für den Staat Israel. (© Werek / Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 50 Jahren gab den Anstoß zur Gründung der "Deutsch-Israelischen Gesellschaft". Im März 1966 wurde auf parlamentarischer Ebene die Einrichtung der überparteilichen Freundschaftsgesellschaft besiegelt; fünf Jahre später (1971) entstand die "Israelisch-Deutsche Gesellschaft". Zugleich nahm der schon länger bestehende deutsch-israelische Jugendaustausch einen bemerkenswerten Aufschwung. Das Interesse am "fortschrittlichen Pionierstaat" Israel erfasste nun breite bürgerliche Kreise.

Die proisraelische Aufbruchsstimmung erreichte im Sechstagekrieg von 1967 einen Höhepunkt, als sich Israel der Drohungen der arabischen Anrainerstaaten mit einem Präventivschlag erwehrte. Weil Israels Existenz akut gefährdet war, sympathisierten weite Teile der bundesdeutschen Gesellschaft mit dem jüdischen Staat. Es kam zu spontanen pro- israelischen Demonstrationen und Spendensammlungen. Demonstrativ stellten sich insbesondere die Zeitungen des Axel-Springer-Verlags an die Seite Israels. Auch Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein meldete sich zu Wort: "Die arabischen Gegner wollten ihm [Israel] nicht ein Stück Land oder eine Konzession fortnehmen. Sie hatten es auf seine Existenz abgesehen. […] Soll Israel weiter in der Angst vor einem Überfall leben müssen, weiter unter dem Zwang, ständig zum Präventivkrieg gerüstet zu sein? […] Israel, der David unter den Völkern, soll leben!" Diese Solidaritätsbekundungen wurden auch von den israelischen Medien positiv kommentiert.

Krisen und Konflikte


Die deutsch-israelische Annäherung sollte nicht lange währen: Während große Teile der radikalen Linken schon kurz nach den israelischen Kriegserfolgen die Seiten wechselten und den jüdischen Staat nur noch als "Brückenkopf des US-Imperialismus" wahrnehmen wollten, zogen dunkle Wolken bald auch über die offiziellen Beziehungen herauf.

Der PLO (Dachorganisation verschiedener palästinensischer Gruppen – Anm. d. Red.) gelang es Ende der 1960er-Jahre, das Interesse der Weltöffentlichkeit mithilfe gezielter Terroranschläge und Flugzeugentführungen auf die Lage der Palästinenser zu lenken. 1972 wurde auch die Bundesrepublik vom Terror heimgesucht: Palästinensische Kämpfer des "Schwarzen September", einer Untergruppe der PLO, ermordeten während der Olympischen Sommerspiele in München elf israelische Sportler. Als kurz darauf eine Lufthansa-Maschine in die Hände palästinensischer Entführer geriet, ließ die Bundesregierung im Gegenzug zur Freilassung der Passagiere die drei überlebenden Terroristen von München frei. Die israelische Politik und Öffentlichkeit waren schockiert über das "leichtfertige" Nachgeben der deutschen Regierung.

Willy Brandt, der im Juni 1973 als erster amtierender Bundeskanzler nach Israel gereist war, brachte das deutsch-israelische Verhältnis auf die diplomatisch offene Formel: "normale Beziehungen mit besonderem Charakter". Doch die Stimmung verschlechterte sich, als im Zuge des Jom Kippur-Krieges im Oktober 1973 die arabischen Staaten ihr Erdöl als politisches Mittel gegen die energieabhängige westliche Welt einsetzten. Unter der Wucht der "Öl-Waffe" untersagte die Bundesregierung den USA, Waffen aus US-Depots in Westdeutschland an das bedrängte Israel zu liefern. Dies geschah zwar erst gut zwei Wochen nach Kriegsbeginn, als der Krieg bereits entschieden war; dennoch erfolgten heftige israelische und US-amerikanische Proteste.

In den Folgejahren geriet die Position Westdeutschlands angesichts der zunehmend proarabisch eingestellten europäischen Staatengemeinschaft ins Schlingern: Während die Bundesrepublik in den Gremien der Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft um eine Israel zugewandte "Neutralität" bemüht war, signalisierte der Handschlag des SPD-Vorsitzenden Brandt und des österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky mit dem Palästinenserführer Jassir Arafat in Wien 1979 eine Neuorientierung. Immer drängender forderten jetzt politische Kreise, dass die deutsche Solidarität mit Israel auch eine moralische Mitverantwortung für die Palästinenser als den sekundären "Opfer(n) der deutschen Judenpolitik" einschließen müsse.

Auf einen Tiefpunkt steuerte das deutsch-israelische Verhältnis im Frühjahr 1981 zu, als Bundeskanzler Helmut Schmidt und Ministerpräsident Menahem Begin aneinandergerieten: Nach einer Saudi-Arabien-Reise hatte Schmidt auf eine Reihe europäischer Völker verwiesen, deren Leiden im Zweiten Weltkrieg bis heute eine moralische Last für die deutsche Außenpolitik darstellten, ohne auch die Leiden der Juden zu erwähnen. Zudem bescheinigte der Kanzler dem palästinensischen Volk einen "moralischen Anspruch auf Selbstbestimmung", während er in Israel eine "Tragödie griechischen Ausmaßes" heraufziehen sah. Die israelische Öffentlichkeit war entsetzt; Begin verwahrte sich gegen Schmidts "Arroganz" und spielte auf dessen Rolle als Wehrmachtsoffizier im Zweiten Weltkrieg an, von dem man nicht wisse, "was er mit den Juden an der Ostfront getan" habe.

Die Schmidt/Begin-Kontroverse führte dazu, dass sich viele Deutsche mit dem Kanzler solidarisierten. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik stellte sich eine Mehrheit der Deutschen im Nahostkonflikt auf die arabisch-palästinensische Seite. Politische Beobachter führten den politischen Kern der persönlichen Fehde auf die umstrittenen Absichten Schmidts zurück, Panzer des Typs "Leopard II" nach Saudi-Arabien zu liefern. Vor dem Hintergrund internationaler und innenpolitischer Proteste lehnte die Bundesregierung im Frühjahr 1982 allerdings die saudischen Lieferwünsche ab.

Im Sommer 1982 überschritt die israelische Armee die libanesische Grenze, um die PLO zu zerschlagen, die nach der Vertreibung aus Jordanien ihre militärischen und politischen Aktivitäten in den Libanon verlegt hatte und von dort aus Israel angriff. Der Krieg, der nach der wochenlangen Belagerung West-Beiruts mit dem Abzug der PLO-Führung nach Tunis endete, stieß weltweit, selbst in Israel, auf Unverständnis und Kritik. Insbesondere das von christlich-libanesischen Milizen verübte Massaker in zwei palästinensischen Flüchtlingslagern wurde vielfach der israelischen Seite angelastet. Auch in der bundesdeutschen Öffentlichkeit verlor der jüdische Staat viele Sympathien.

Die 1980er-Jahre setzten die deutsch-israelischen Beziehungen neuen Belastungsproben aus, als sowohl "rechte" wie "linke" Akteure eine Neigung zur Schlussstrich-Mentalität zeigten. Der Auftritt von Bundeskanzler Helmut Kohl 1984 in Israel, der für sich die "Gnade der späten Geburt" reklamiert hatte, erweckte den Eindruck, als ob sich die deutsche Politik von der Verantwortung für die Lasten der Vergangenheit verabschieden wolle. Für Befremden sorgten auch die Besuche von grünen Politikerinnen und Politikern, weil sie Israel in belehrender Weise zu einer anderen Haltung im Nahostkonflikt aufforderten, ohne die besondere Geschichte und Sicherheitslage des Staates in Betracht zu ziehen. In heftigen Debatten stritten die Parteien darüber, wie ein historisch und moralisch angemessenes Auftreten in der schwierigen deutsch-jüdischen Gemengelage auszusehen hätte. Seit der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre bemühen sich deutsche Politikerinnen und Politiker, aus vergangenen Fehlern zu lernen und als "Lernende" in einen kritischen Dialog mit israelischen (und palästinensischen) Gesprächspartnern zu treten.

Der Fall der deutschen Mauer und der gesamtdeutsche Vereinigungsprozess 1989/90 lösten in Israel anfänglich nicht nur Freude, sondern auch Ängste aus: Die Welle fremdenfeindlicher Gewaltausbrüche, die insbesondere den Osten Deutschlands erschütterten, schien die Skepsis zu bestätigen. Während sich die israelische Bevölkerung eher gelassen zeigte, waren die politischen Eliten alarmiert und wähnten, so Ministerpräsident Jizhak Schamir, eine "tödliche Gefahr für die Juden". Doch nach einigen vertrauensbildenden Maßnahmen – darunter die Anerkennung der polnischen Westgrenze und eine gemeinsame Israelreise der Parlamentspräsidentinnen Rita Süssmuth und Sabine Bergmann-Pohl – waren im Sommer 1990 die meisten Israelis bereit, inmitten eines freien Europas auch die Chancen eines vereinten Deutschlands wahrzunehmen.

Gleichwohl förderte der Golfkrieg im Januar 1991 zutage, wie labil das deutsch-israelische Verhältnis noch immer war: Als bekannt wurde, dass gegen Israel gerichtete, möglicherweise mit Giftgas ausgestattete, irakische Scud-Raketen mit deutscher Expertenhilfe "verbessert" worden waren, stellte sich bei nicht wenigen Israelis die Gedankenverbindung "Deutsche – Gas – Juden" ein. Aufmerksam wurde vermerkt, dass die deutsche Justiz erst aufgrund journalistischer Recherchen gegen die Verantwortlichen der illegalen Rüstungsexporte vorzugehen begann. Auch die Friedensdemonstrationen in Deutschland gegen das Eingreifen der USA und ihrer Verbündeten in den Irak weckten Misstrauen. Aus israelischer Sicht übersah die deutsche Protestbewegung die Situation der Menschen in Israel, die von irakischen Raketen angegriffen wurden. Die israelische Verstimmung konnte auch nicht durch Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher aus der Welt geschafft werden, der das Land noch während des Krieges besuchte, um deutsche Wiederaufbauhilfe für die durch die irakischen Raketen entstandenen Schäden anzubieten.

Rolle des Nahostkonflikts


Mit der Neugründung Israels 1948 hatte die zionistische Bewegung nach 2000 Jahren den nationalstaatlichen Traum des jüdischen Volkes verwirklicht – dies freilich in einer Region, die mit ähnlichem historischem Recht von der arabisch-palästinensischen Nation beansprucht wird. In der Wahrnehmung aller Beobachter, ja selbst der unmittelbar Beteiligten, drückte sich im Nahostkonflikt über viele Jahre ein erbitterter Gegensatz zwischen Israel und "den Arabern" aus. In der Tat waren die Akteure der Nahostkriege von 1948/49, 1956, 1967 und 1973 stets Israel und arabische Staaten gewesen – die Palästina-Araber tauchten am Rande als "arabische Flüchtlinge" auf; ihr Elend wurde als ein ausschließlich humanitäres begriffen.

Erst unter dem Eindruck palästinensischer Flugzeugentführungen und anderer Terroranschläge sowie im Zeichen des Einsatzes von Rohöl als politischer Waffe öffnete sich in den 1970er-Jahren die deutsche und internationale Öffentlichkeit für palästinensische Interessen.

Im Nachgang zu einem spektakulären Auftritt Arafats vor der UNO-Vollversammlung erklärte sich 1974 der deutsche UN-Botschafter Rüdiger von Wechmar mit dem "Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes" solidarisch – unter Hinweis auf das ebenfalls nicht eingelöste Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in Ost und West. Damit brach die bundesdeutsche Diplomatie ein bis dahin in der westlichen Welt geltendes Tabu: Konnten die Israelis bis zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass die westdeutsche Politik aufgrund ihres geschichtlich bedingten Sonderverhältnisses zum jüdischen Staat im Zweifelsfall der israelischen Seite zugeneigt blieb, so war diese Geschäftsgrundlage nun zugunsten einer formal ausgewogenen deutschen Nahostpolitik aufgegeben. Die nahostpolitische Neuorientierung verbitterte die Israelis umso mehr, als die PLO in jenen Jahren noch nicht zu einer Tolerierung der Existenz Israels bereit war.

In den 1980er-Jahren wurde deutlich, dass es aus dem Dilemma des deutsch-israelisch-palästinensischen Dreiecks kein Entrinnen gab: Jede politisch-strategische Positionierung musste aus jeweils guten Gründen entweder die Israelis oder die Palästinenser verärgern. Hin- und hergerissen zwischen moralischen Verpflichtungen für die eine oder andere Seite sowie angetrieben von wirtschaftlichen und strategischen Interessen in der Nah- und Mittelost-Region vermied die christlich-liberale Regierung Helmut Kohls im Nahostkonflikt jede politische Festlegung. Dennoch konnte sie das Misstrauen der Israelis gegenüber den sozialliberalen Vorgängerregierungen einhegen. Unter dem Schutzschirm einer wichtiger werdenden europäischen Außenpolitik verlegte sich die deutsche Nahostpolitik fortan auf eine Gangart der leisen Töne.
Aus dem Dilemma ihrer Nahostpolitik konnte sich die Bundesrepublik erst nach der Wiedervereinigung und dem Ende des palästinensischen "Krieges der Steine" (Erste Intifada 1987–93) befreien – durch den Osloer Friedensprozess, der 1993 erstmals zu Direktverhandlungen zwischen Israel und der PLO als der anerkannten Vertretung der Palästinenser führte. Diese Gespräche gerieten Ende der 1990er-Jahre immer mehr ins Stocken und wurden von blutigen Terroranschlägen und quasi-kriegerischen Auseinandersetzungen begleitet (Zweite Intifada 2000–2005). Auch verschiedene Friedensinitiativen wie etwa die jüngste von US-Außenminister John Kerry 2013/14 haben Hoffnungen auf eine Zweistaatenregelung nicht erfüllen können. Mit dem Aufstieg nahostpolitischer Akteure wie der islamistischen Hamas im Gazastreifen, der schiitischen Hisbollah im Libanon und dem nach Atomwaffen strebenden Iran ist eine Entschärfung des Nahostkonflikts noch komplizierter geworden, weil die genannten Akteure sich unter keinen Umständen mit Israels Existenz abfinden wollen. Seither versuchen alle Bundesregierungen, US-amerikanische oder ägyptische Vermittlungsmissionen zu flankieren.

Sicherheit in einer globalen Welt – Gemeinsamkeiten und Bruchlinien


Die Anschläge islamistischer Terroristen vom 11. September 2001 haben das Vertrauen in die Sicherheitsstrukturen der westlichen Welt erschüttert. Gleichwohl ist das Gefühl einer Bedrohungssituation, das Europäer, US-Amerikaner und Israelis anfänglich verbunden hatte, im Zuge der Kriege gegen das Taliban-Regime in Afghanistan und gegen den Irak unter Saddam Hussein geschwunden.

Während die Deutschen auch in Zeiten internationaler Sanktionen gegenüber dem Iran unter der Hand eine Politik des "kritischen Dialogs" pflegen, sehen die meisten Israelis in den antiisraelischen Vernichtungsdrohungen des iranischen Regimes und in dessen Nuklearprogramm eine strategische Gefahr für ihre Existenz. Trotz der Charme-Offensive des iranischen Präsidenten Hassan Rohani drängt Israel zu politischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Teheraner Regime, notfalls auch zu militärischen Schlägen gegen dessen Atomprogramm.

Europäer und darunter auch Deutsche sehen in islamistischen Terroranschlägen bisweilen eine Antwort auf politische Missstände und soziale Ungerechtigkeiten – die Folge von Verzweiflung, Armut und Unterdrückung. Sie glauben, wenn den Terroristen und ihren Milieus Hoffnung gegeben und ihre Lebenssituation verbessert werde, könne künftiger Terrorismus verhindert werden.

Demgegenüber führt die Mehrheit der Israelis den Terrorismus des 21. Jahrhunderts auf religiöse und nationalistische Ressentiments sowie auf kollektive Befindlichkeiten wie Fanatismus, Zerstörungswut und Verfolgungswahn zurück. Kompromissbereitschaft provoziere islamistische Kräfte nur zu noch mehr "Widerstand". Insbesondere das iranische Regime und seine Statthalter in der nahöstlichen Region hintertrieben jede Aussicht auf eine friedliche Koexistenz der arabischen Welt mit Israel.

Hinter den unterschiedlichen Wahrnehmungen und Deutungsmustern stehen gegensätzliche Geschichtserfahrungen – sie haben ihre Wurzeln in der NS-Zeit: Viele Deutsche ziehen aus den Verbrechen ihrer Eltern oder Großeltern die universalistische Lehre: "Nie wieder Täter sein!” Viele Juden (gerade auch in Israel) ziehen aus der Schoah den umgekehrten partikularistischen Schluss: "Le‘olam lo od!" ("Nie wieder!", was bedeutet: Nie wieder hilfloses Opfer sein und zulassen, dass uns so etwas passiert.) Diese unterschiedlichen Haltungen wirken nach und erklären, warum sich Deutsche und Israelis in außen- und sicherheitspolitischen Fragen auseinanderentwickeln.

Rolle der Medien


Wirtschaftliche Aufbauleistungen, multikulturelle Herausforderungen sowie künstlerische und andere zivile Potenziale Israels spielen in der täglichen Berichterstattung deutscher Medien nur eine untergeordnete Rolle. So bleiben sportliche Ereignisse oder die enormen Integrationsleistungen zur Aufnahme zyklischer Einwanderungswellen weitgehend unbeachtet; selbst die weltweit registrierten Start-ups israelischer Hightechtüftler sowie nobelpreisverdächtige Erfindungen spielen im Bewusstsein vieler Deutscher nur eine Randrolle.

Israel weist im globalen Maßstab die höchste Korrespondentendichte auf; doch die Journalistinnen und Journalisten informieren die Menschen selten über die Vielfalt der israelischen Gesellschaft. Seit dem Sechstagekrieg von 1967 richtet sich ihr Interesse vornehmlich auf den Nahostkonflikt. Im Fokus der Berichterstattung stehen Siedlungsaktivitäten im Westjordanland und militärische Einsätze Israels im Gaza-Streifen. Sie sind als Nachrichten "zugkräftiger", garantieren Schlagzeilen und hohe Einschaltquoten. Problematisch wird es, wenn Nahostkorrespondenten ihre Berichte weniger an Fakten als vielmehr an fragwürdigen Projektionen oder weltanschaulichen Überzeugungen ausrichten.

Als die israelische Armee 1982 in den Libanon einmarschierte, um die dortigen PLO-Einheiten zu entwaffnen und aufzulösen, bezichtigten einige Journalisten Israel des "Völkermords" an den Palästinensern und verglichen die israelischen Invasoren mit den Nazis. Das Ansehen Israels sank auf einen Tiefpunkt. Angesichts dieser Berichterstattung entbrannte in Teilen der Öffentlichkeit eine heftige Diskussion, inwieweit einseitige und überzogene Formen der Israelkritik antisemitische Tendenzen widerspiegeln, verstärken oder gar auslösen.

Dieses Szenario wiederholt sich seither regelmäßig – mit Folgen, die die deutsch-israelischen Beziehungen nicht unberührt lassen: Sobald der Nahostkonflikt gewaltsame Bilder produziert, vermischen manche Journalisten den politischen Konflikt im Nahen Osten mit antijüdischen Klischees. Sie tragen dazu bei, dass jahrzehntelange Bemühungen um Aufarbeitung von und Aufklärung über judenfeindliche Stereotype gefährdet werden.

Die Selbstmordanschläge palästinensischer Terroristen auf israelische Busse und Restaurants zwischen 2000 und 2004 sowie die nach dem Rückzug Israels 2005 aus dem Gazastreifen und der Machtübernahme durch die Hamas gestarteten Raketenangriffe werden hierzulande häufig mit palästinensischer Verzweiflung in Verbindung gebracht. Vor diesem Hintergrund werden als "Täter" vor allem "die Israelis" bezichtigt, deren Versuche, den Terror militärisch zu bekämpfen, auch Unschuldige treffen. Wann immer die israelische Armee gegen die Infrastruktur palästinensischer Raketenangriffe vorgeht, vermitteln Nachrichten und Kommentare Bilder eines angeblich "biblischen Krieges": "Auge um Auge", "Vergeltungsschläge" und "alttestamentarische Racheaktionen" – reflexhaft tauchen die alten Klischees des christlichen Antijudaismus wieder auf.

Nach einer Studie der Bielefelder Universität über "Antisemitische Mentalitäten" ist mehr als die Hälfte aller Deutschen der Auffassung, "dass sich das Verhalten Israels gegenüber den Palästinensern grundsätzlich nicht von dem der Nazis im Dritten Reich gegenüber den Juden unterscheidet". Mehr als ein Drittel der Befragten stimmt der Äußerung zu: "Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat." Offenkundig hat sich die traditionelle Judenfeindschaft mit antiisraelischen Ressentiments verbunden.

Quellentext"Neigung zur Dramatisierung"

[…] Wie Medienanalysen zeigen, erschienen im Zuge der Eskalation des Nahostkonflikts antiisraelische und zuweilen auch antisemitische Textpassagen selbst in großen deutschen Tageszeitungen. In abgeschwächter Form finden sich zahlreiche Belege für verschwörungstheoretische Argumentationen in Bezug auf Israels Pläne im Nahen Osten sowie Tendenzen, Israels Politik durch die Wortwahl, wie "Ghettoisierung", "Deportation", "Massenvertreibung", "totaler Krieg" oder "Vernichtungswut der Besatzungsmacht" analog zur Judenpolitik des Nationalsozialismus zu setzen. In der öffentlichen Berichterstattung ist eine Neigung zur Dramatisierung unverkennbar, etwa in dem Vorwurf, die Juden würden nicht nur den Nahen Osten, sondern "die ganze Welt ins Unheil stürzen", eine Variation des alten antisemitischen Satzes "Die Juden sind unser Unglück". […]

Werner Bergmann (Antisemitismus-Forscher), "Alter Hass in neuen Kleidern", in: Der Tagesspiegel vom 23. Januar 2005, Seite 8

Jugendaustausch


Die Anfänge des deutsch-israelischen Jugendaustauschs gehen auf die Jahre 1954/55 zurück. Mit ersten Besuchen junger Deutscher in Israel haben hieraus entstandene Austauschprogramme die Annäherung zwischen Deutschland und Israel gefördert. 1963 hielten sich bereits mehr als 200 Gruppen junger Deutscher in Israel auf. Doch erst 1969 wurde der Jugendaustausch institutionalisiert – Regierungsvertreter beider Seiten einigten sich auf jährlich stattfindende Austauschförderprogramme. Inzwischen unterhalten Hunderte deutscher Städte und Landkreise, Schulen und öffentliche Institutionen Begegnungsprojekte mit israelischen Partnern. Auf Initiative von Bundespräsident Johannes Rau wurde 2001 in der Lutherstadt Wittenberg das "Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch" (ConAct) eingerichtet, das in enger Abstimmung mit der "Israel Youth Exchange Authority" des israelischen Erziehungsministeriums den Jugendaustausch fördert und koordiniert. Bis heute haben mehr als 600.000 junge Menschen beider Länder im Rahmen von Jugend- und Schüleraustauschprogrammen oder Freiwilligendiensten das jeweils andere Land besucht. Ungeachtet zeitweise schwankender Teilnehmerzahlen aufgrund des Auf und Ab im Nahostkonflikt werden gegenwärtig jährlich etwa 280 Programme in beiden Ländern mit circa 7500 Teilnehmenden gefördert. Dabei sind im außerschulischen Jugend- und Fachkräfteaustausch etwa 500 deutsche Trägerorganisationen involviert, ein Drittel davon aus den östlichen Bundesländern. Auf israelischer Seite haben sich rund 300 Partner beteiligt, darunter auch Träger aus dem arabischen Bevölkerungssektor. Angesichts krisenhafter Begleiterscheinungen in den deutsch-israelischen Beziehungen ist ein stabiler Jugendaustausch ein enormer Aktivposten. Deutsch-israelische Jugendbegegnungen sind Laboratorien der Zukunft – unerlässlich auch deshalb, um den gelegentlich beklagten Elitemodus in den beiderseitigen Beziehungen zu überwinden: zugunsten eines Partizipationsprojekts von Bürgerinnen und Bürgern aus allen Teilen der Gesellschaft.

Quellentext"[…] zu gefährlich, nach Israel zu gehen?"

"Was? Du fährst nach Israel? Was willst du denn da?! Obwohl, na ja …" […]. Jeder meinte, er oder sie wüsste genau, was sich in Israel abspielen würde. Die Nachrichtensender hätten sie zur Genüge informiert […].

Was hatte diese Vorstellung mit der Realität gemeinsam? […] Nun, es stimmt. Zum einen sieht man in Israel viele Soldaten auf der Straße. Doch sind diese Soldaten ganz normale Jugendliche, die sich nur durch einen Punkt von deutschen Jugendlichen unterscheiden: Sie geben zwei bis drei Jahre ihres Lebens zum Schutz ihres Vaterlandes. Doch setzt sich das Straßenbild Israels nicht nur aus Soldaten zusammen, sondern auch aus Menschen aller Art, jeglicher Überzeugung und unterschiedlicher Herkunft.

Obwohl ich, bevor ich nach Israel kam, noch nie ein echtes Gewehr gesehen hatte, hat mich deren Anblick nie schockiert. Auch hat es mich nie gestört, meinen Rucksack einem Wachmann vom Supermarkt oder vom Einkaufszentrum zeigen zu müssen, damit dieser sicherstellen konnte, dass ich nichts Gefährliches bei mir trug. […] Es diente doch nur meiner eigenen Sicherheit. Zum anderen herrscht in Israel nicht permanent Krieg. Mal ist die Situation angespannter, mal weniger. Dennoch war mir der Nahostkonflikt in Deutschland durch die Medien stets viel präsenter als vor Ort, sodass ich mich immer sicher gefühlt habe. […] Israel ist zwar sehr stark vom Konflikt geprägt, wird aber nicht vom Krieg beherrscht.

Henrietta, Teilnehmerin einer deutsch-israelischen Jugendbegegnung, in: Itay Lotem / Judith Seitz, Israel – Nah im Osten. Hg. von ConAct-Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch, Lutherstadt Wittenberg 2011, Seite 142

Kulturelle, sportliche und touristische Begegnungen


Während in Israel schon Ende der 1960er-Jahre zahlreiche Werke deutscher Gegenwartsschriftsteller übersetzt worden sind, war in der deutschen Öffentlichkeit bis Mitte der 1980er-Jahre nur der Satiriker Ephraim Kishon bekannt. Seitdem Amos Oz 1992 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hat, boomt die israelische Literatur in Deutschland und setzt einseitigen Israelbildern differenziertes Wissen entgegen. Heute gibt es mehr ins Deutsche übersetzte hebräische Titel als in alle anderen Sprachen einschließlich des Englischen. Auch israelische (bzw. deutsche) Filmtage, Kunstausstellungen, Konzerte und Tanzevents sind aus dem Kulturleben beider Länder nicht mehr wegzudenken. Deutsche und israelische Initiativen sowie politische Stiftungen erfüllen die bilateralen Beziehungen auf vielfältige Weise mit Leben. Selbst in sensiblen Feldern wie der schulischen Bildung gibt es Kooperationen auf unterschiedlichen Ebenen. Zum zweiten Mal in der Beziehungsgeschichte untersucht seit 2010 eine paritätisch besetzte deutsch-israelische Schulbuchkommission das Bild des jeweils anderen in Schulbüchern.

Die sportlichen Annäherungen zwischen der Bundesrepublik und Israel gehen auf die späten 1960er-Jahre zurück, als in der israelischen Öffentlichkeit der Eindruck eines neuen und geläuterten Deutschlands aufkeimte. Israel unterhielt schon in den 1970er-Jahren mit keinem anderen Land einen derart intensiven Jugendsportaustausch wie mit Deutschland. Selbst der palästinensische Anschlag auf die israelische Nationalmannschaft während der Olympischen Spiele 1972 in München konnte den Sport als Brücke zwischen beiden Ländern nicht nachhaltig beschädigen. Freundschaftsspiele, gemeinsame Trainingslager auch auf kommunaler Ebene bis hin zu beruflichen Karriereschritten im Partnerland gehören inzwischen zur Alltagsroutine. Seit 2008 überträgt ein israelischer TV-Sportkanal wöchentlich mehrere Bundesligaspiele. Schon bei der Fußball-WM 2010 in Südafrika errang die deutsche Mannschaft auf der israelischen Sympathie-Skala den zweiten Platz, nur zwei Prozent hinter der holländischen Elf.

Deutsche sind nach US-Amerikanern, Russen und Franzosen die viertgrößte Besuchernation in Israel. Nach zeitweisen Rückgängen während der Zweiten Intifada reisten 2013 erstmals mehr als 250.000 Deutsche ins Land; trotz des mehrwöchigen Raketen- und Gazakrieges im Sommer 2014 ist die Zahl der Touristen im Ganzen kaum zurückgegangen. Vielleicht noch erstaunlicher: Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren zum touristischen Magneten der Israelis entwickelt – allein 2012 reisten 238.000 Touristinnen und Touristen aus dem kleinen Land an, um sich das trendige Berlin und andere Sehenswürdigkeiten in Deutschland anzusehen. Zudem haben etwa 20.000 vorwiegend junge Israelis ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin verlagert; mit experimentellen Start-ups sowie allerlei künstlerischen und kulinarischen Initiativen bereichern sie das Kultur- und Wirtschaftsleben in der deutschen Hauptstadt. Die Liberalisierung des Luftverkehrs zwischen der EU und Israel dürfte geografische und kulturelle Distanzen weiter überbrücken helfen.

QuellentextAls Israelin in Deutschland

In Berlin fühle ich mich abwechselnd als Ausländerin, Jüdin, Israelin. Nicht immer traue ich mich, in der U-Bahn ein Buch auf Hebräisch zu lesen. "Woher kommen Sie?" ist die meistgestellte Frage an mich. Von meinem Akzent schließen die meisten darauf, dass ich Französin sei; von meinem Aussehen tippen sie auf Spanierin, Südamerikanerin, Italienerin oder Iranerin. Normalerweise gehe ich spielerisch mit der Frage um und versuche Zeit zu gewinnen, um einzuschätzen, mit wem ich es bei dem Fragesteller zu tun habe. Meist antworte ich mit einer Gegenfrage: "Raten Sie doch!" In 99 Prozent der Fälle gibt es kein "Bingo". Sobald ich sage, dass ich aus Israel komme, schaue ich in die Augen meines Gegenübers und beobachte seinen Gesichtsausdruck. Manchmal bewegen sich die Mundwinkel nach unten, und es ist schlagartig Unbehagen zu spüren: "Warum muss ich gerade jetzt jemandem aus Israel begegnen?" Diesen Gedanken kann ich förmlich "riechen" – oder bin ich etwa paranoid?! Manchmal sehe ich aber auch glänzende Augen: "Oh, wie schön, ich wollte schon immer mal nach Israel reisen!" Manche Leute fangen sofort zu politisieren an: "Sag mal, was machen denn die Israelis für einen Quatsch?! Schrecklich!" Sie meinen "die Siedlungen". Andere Leute waren schon mal vor Ort und sagen: "Wir haben uns in Israel sehr wohl gefühlt." Skeptikern versuche ich zu erklären, dass in den deutschen Medien ein einseitiges Bild gezeichnet wird. "Israel ist genauso wenig perfekt wie andere Länder, aber wunderschön und kontrastreich, lebendig und bunt – ein ganz besonderes Reiserlebnis", sage ich dann. Unversehens werde ich zu einer informellen Botschafterin und merke: Hier in Deutschland nehme ich Israel und die Israelis in Schutz; dort in Israel verteidige ich Deutschland und die Deutschen.

Anat Manor, Bildende Künstlerin (Originalbeitrag 2014)

Dr. Martin Kloke ist verantwortlicher Redakteur für die Fächer Ethik, Philosophie und Religion bei den Cornelsen Schulverlagen in Berlin. Daneben befasst er sich seit vielen Jahren mit der deutsch-israelischen sowie christlich-jüdischen Beziehungsgeschichte und hat dazu zahlreiche Beiträge verfasst.