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Bildung, Wissenschaft und Hochschulen | Polen | bpb.de

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Bildung, Wissenschaft und Hochschulen

Sonja Steier

/ 17 Minuten zu lesen

Schulkinder aus Turek, Polen, beten im Februar 2005 für die Gesundheit des kranken Papstes Johannes Paul II. Das in Polen geborene Kirchenoberhaupt starb kurze Zeit später. (© picture-alliance/AP)

Einleitung

Der politische Umbruch des Jahres 1989 löste im polnischen Bildungs- und Hochschulbereich einen tiefgreifenden Wandel aus, welcher mit den neuen politischen, sozialen und insbesondere marktwirtschaftlichen Erfordernissen einherging. Dieser Wandel zeichnete sich durch institutionelle und konzeptionelle, anfangs teilweise unkoordinierte oder auch widersprüchliche Reformelemente aus. Sie brachten nicht nur die Loslösung vom sozialistischen Erbe mit sich, sondern schrieben vor allem neue bildungspolitische Ziele und Prinzipien sowie neue ideelle Vorgaben für das sich modernisierende Bildungswesen fest. Als zentrale Aufgabe des Bildungswesens gilt seitdem die Vorbereitung künftiger Generationen auf Demokratie und Pluralismus in einer freien Gesellschaft. Zehn Jahre später, im Januar 1999, mündeten die vielfältigen Maßnahmen in einer grundlegenden systemischen Reform, die hauptsächlich mit der bevorstehenden EU-Integration (1. Mai 2004) und mit der territorialen Reform der zentralstaatlichen Verwaltung begründet wurde.

Alle nachfolgenden bildungspolitischen Neuerungen setzten konsequent an der 1999 begonnenen strukturellen Bildungsreform an. Diese löste z. B. im Pflichtschulbereich die noch aus der sozialistischen Ära stammende, für alle obligatorische achtjährige Grundschule ab. Seitdem hat sich die Dynamik dieser Prozesse jedoch weiter beschleunigt, und viele der Reformansätze im Bildungs-, Hochschul- und Wissenschaftssektor folgen inzwischen nicht nur den Linien europäischer Bildungspolitik, sondern sind auch – ähnlich den deutschen Entwicklungen – als Lösungsversuche für den verschärften internationalen Wettbewerb zu werten. Dieser inzwischen über zwei Jahrzehnte währende Veränderungsprozess kann deshalb treffend auch mit dem Begriff der "rollenden Bildungsreform" beschrieben werden.

Gliederung des Schulwesens

Das polnische Bildungssystem

Das polnische Bildungswesen weist im Unterschied zu Deutschland einen horizontalen Aufbau auf. Die Basis bildet auf der sogenannten Primarstufe die sechsjährige Grundschule. Darauf baut die untere Sekundarstufe mit dem dreijährigen Gymnasium auf, und schließlich setzen unterschiedliche weiterführende Schulen der oberen Sekundarstufe die horizontale Gliederung fort. Die staatlichen Schulen in Polen sind unentgeltlich. Allerdings müssen Eltern für die Lehrbücher ihrer Kinder in der Regel selbst aufkommen. Das Schuljahr beginnt landesweit am 1. September und endet in der zweiten Junihälfte. Die Schulnoten in Polen umfassen eine sechsstufige Skala, die von sechs – die Bestnote (ausgezeichnet) – bis zu eins – ungenügend – reicht und sich genau umgekehrt zur deutschen Notenskala verhält. Traditionsgemäß werden in polnischen Schulen, ähnlich den "Kopfnoten" einiger deutscher Bundesländer, Noten für das Betragen des Schülers vergeben. Die Finanzierung und Organisation des gesamten Bildungssystems obliegt der zentralen Kompetenz des polnischen Bildungsministeriums (Ministerstwo Edukacji Narodowej, MEN). Im Jahr 2008 betrugen die öffentlichen Bildungsausgaben 3,9 Prozent des BIP, das ist im internationalen Vergleich immer noch relativ wenig (Deutschland: 6,2 Prozent).

Vorschulerziehung

Die vorschulische Erziehung und ihre Einrichtungen wie Kindergärten oder Vorschulabteilungen in den Grundschulen sind, anders als in Deutschland, fester Bestandteil des polnischen Bildungswesens. Es gibt sowohl staatliche als auch nicht-staatliche (konfessionelle, private u.a.) vorschulische Einrichtungen, wobei – ebenfalls im Unterschied zu Deutschland – die Mehrzahl in staatlicher Trägerschaft liegt. Die Vorschulerziehung sichert neben der Betreuung auch die Vorbereitung auf das schulische Lernen und soll damit Bildungsbenachteiligungen, die durch soziale bzw. familiale Defizite bedingt sind, ausgleichen und zugleich auch helfen, spezifische Begabungen möglichst früh zu erkennen. Der Besuch einer Vorschuleinrichtung ist im Umfang von fünf Stunden täglich kostenlos. Ein darüber hinausreichendes Angebot ebenso wie die Mahlzeiten sind dagegen kostenpflichtig. Die Elementarbildung umfasst Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. Der Kindergartenbesuch ist, abgesehen vom Vorschuljahr, freiwillig. Die Schulpflicht beginnt seit dem Schuljahr 2009 für polnische Kinder, die Zustimmung der Eltern vorausgesetzt, mit sechs Jahren. Ab dem Schuljahr 2012 müssen alle Kinder mit sechs Jahren zur Schule gehen. Gleichzeitig hat jeder Fünfjährige das Recht auf einen Kindergartenplatz. Auf eine Erzieherin oder einen Erzieher im Kindergarten kommen in der Regel 23 Kinder, in den Vorschulabteilungen der Grundschulen hingegen 16 Kinder.

Pflichtschulbildung

in Polen die Pflichtschulbildung auf der Primarstufe mit einer sechsjährigen Grundschule (szka podstawowa). In den Klassen eins bis drei wird integrierter Fachunterricht (Klassenlehrerprinzip) und in den Klassen vier bis sechs Blockunterricht (Naturwissenschaft, Sprache, Sozialkunde, Technik – Fachlehrerprinzip) angeboten. In der fünften Klasse setzt der Unterricht in der ersten Fremdsprache in der Regel mit Englisch ein. Die sechsjährige Grundschule schließt mit einer verpflichtenden, jedoch nicht-selektiven Prüfung ab, einem sogenannten 60-minütigen Grundschultest nach der Klasse sechs. Der Test soll Auskunft über die individuelle Entwicklung eines jeden Schülers geben (Diagnoseinstrument für Lehrer, Eltern und Schüler). Unabhängig von dem erzielten Prüfungsergebnis – die polnische Primarstufe kennt das Sitzenbleiben nicht – besuchen die Schülerinnen und Schüler auf der unteren Sekundarstufe für drei Jahre ein allgemein bildendes Gymnasium (gimnazjum).

Im Gegensatz zum deutschen ist das polnische Gymnasium keine zum Abitur führende Schule mit unterer und oberer Sekundarstufe, sondern nur eine Schule der Sekundarstufe I, die einen Teil der Schulpflicht abdeckt. Das relativ dichte Netz der Gymnasien soll einen leichten Zugang zur Bildung für alle Schichten sicherstellen und eine hochwertige Grundbildung vermitteln. Die polnische Gymnasialbildung wird mit einer standardisierten zweitägigen Prüfung (egzamin gimnazjalny) nach der Klasse neun abgeschlossen. Die Prüfungsaufgaben werden von einer externen Regionalen Prüfungskommission und nicht von den Lehrern der Schule gestellt. Diese verpflichtende Prüfung setzt sich aus einem humanistischen (erster Prüfungstag) und einem mathematisch-naturwissenschaftlichen (zweiter Prüfungstag), jeweils 120 Minuten umfassenden Testteil zusammen. Im Wesentlichen werden Fähigkeitsüberprüfungen (Lesen, Interpretation, Produktion und Reproduktion, in punktueller Anlehnung an PISA) und innerfachlich orientierte Wissensaufgaben (Physik, Chemie, Mathe) vorgenommen. Damit reagierte die polnische Bildungspolitik auf die teilweise schlechte Platzierung in den internationalen Leistungsvergleichsstudien. Die zuletzt erzielten Ergebnisse polnischer 15-jähriger Schüler (PISA 2009) bestätigen die Reformmaßnahmen: Gegenüber PISA 2000 haben sich die polnischen Schüler im Lesen um 21 Punkte, in Mathematik und Naturwissenschaften um jeweils 25 Punkte verbessert. Mit dem teilweisen Wegfall der Eingangsprüfung beim Übergang zu den weiterführenden Schulen stieg die Bedeutung dieser externen Gymnasialprüfung in Richtung einer Selektionsfunktion.

Der gesamte Pflichtschulbereich, d. h. die Grundschulen und die Gymnasien, befindet sich in der Trägerschaft der Gemeinde. Eine Ausnahme bildet dabei das nicht-staatliche Schulwesen, das sich in unterschiedlicher Trägerschaft befinden kann (privat, gesellschaftlich, konfessionell u. a.), das jedoch quantitativ eine eher marginale Erscheinung ist. Beide Schulformen, die Grundschule und das Gymnasium, machen die neunjährige Schulpflicht aus. Auf einen Lehrer kommen hier in der Regel 13 bis 17 Schüler. Das polnische Pflichtschulwesen ist seit einigen Jahren von einem allmählichen Geburtenrückgang betroffen, der sowohl in der Grundschule als auch im Gymnasium sinkende Schüler- und Absolventenzahlen zur Folge hat. Dies führte vor allem zur Schließung von Grundschulen in dünn besiedelten ländlichen und in manchen städtischen Gebieten (ähnlich den neuen deutschen Bundesländern), hatte bisher jedoch noch keine Auswirkungen auf das Schulnetz der Gymnasien.

Schulvielfalt

Bis 1990 bestand im polnischen Bildungssystem ein Monopol des Staates. Seit dem politischen Umbruch ist das Schulwesen mit Blick auf die Pluralität der Trägerschaften und die Vielfalt der pädagogischen Konzepte viel bunter geworden. Zugleich entspricht es mit seinem differenzierten Schulangebot den unterschiedlichen Bedürfnissen heterogener gesellschaftlicher Gruppen. Vereine, Stiftungen, Gesellschaften, Verbände und Privatpersonen, aber auch konfessionelle Organisationen können Schulträgerinnen sein. Der Anteil letzterer macht fast die Hälfte aller nicht-staatlichen Schulen aus, das gilt insbesondere für die allgemein bildenden Gymnasien und Lyzeen (der Schultyp Lyzeum ist mit der deutschen gymnasialen Oberstufe zu vergleichen).

Die Zahl nicht-staatlicher Schulen, vornehmlich der Grundschulen und der Gymnasien, sowie die ihrer Schüler wächst seit 1990 zwar langsam, aber stetig. Inzwischen machen 6,3 Prozent aller Grundschulen mit 2,6 Prozent aller Schüler und 9,7 Prozent aller Gymnasien mit 3,6 Prozent aller Schüler den privaten Bildungssektor aus. Dies ließe sich, gemessen an kontinentaleuropäischen Maßstäben (im Durchschnitt 10 bis 20 Prozent aller Schulen und etwa fünf bis acht Prozent aller Schüler), als ein Normalisierungsprozess (mit Ausnahme von den Niederlanden und Skandinavien) bezeichnen.

So konnten alternative, freie Schulen oder Schulen mit reformpädagogischem Profil wie Montessori oder Freinet entstehen, die von basisdemokratischen Bildungsinitiativen getragen wurden und vor allem die Kind- und Schülerorientierung zum Credo ihrer Arbeit machen. Diese Schulen sind in der Regel kleiner, besser ausgestattet und verfügen über gut ausgebildetes, junges Personal. Die nicht-staatlichen Schulen dürfen keinen Gewinn erwirtschaften. Die laufenden Kosten werden bis zu 100 Prozent aus dem Staatshaushalt bestritten. Dies entspricht weitgehend der europäischen Norm der Gleichbehandlung, ähnlich wie in Frankreich oder in den Niederlanden. Eltern entrichten zwar Beiträge für unterschiedliche, auch zusätzliche Leistungen, aber kein Schulgeld im Sinne von Schulgebühren. Den Schulen geht es weniger um wirtschaftliche Interessen als um die Vermittlung von Werten und Einstellungen, die im Falle der Konfessionsschulen dem christlichen Menschenbild verpflichtet sind. Die nicht-staatlichen Schulen verstehen sich vor allem als eine zivilgesellschaftliche Bewegung "von unten". Die Klientel nicht-staatlicher Schulen stammt zumeist aus wohlhabenden Mittelschichten großstädtischer Regionen wie Warschau oder anderen urbanen Zentren.

Eine neue Anerkennungspolitik gegenüber den Minoritäten im Lande und eine weitgehend freizügige Gründungspraxis erleichterten nach 1992 die Einrichtung von Minderheitenschulen. Seitdem nahmen sie einen schnellen Aufschwung. Ihr Ausbau wurde zuletzt durch das Gesetz über die nationalen und ethnischen Minderheiten aus dem Jahr 2005 begünstigt, das das Recht auf muttersprachlichen Unterricht in nationalen, ethnischen und regionalen Minderheitensprachen auf allen Stufen des Bildungssystems, vom Kindergarten bis zum Abitur, garantiert. Die auffälligste Entwicklung nahmen von Anfang an die Schulen der größten Minderheit in Polen, nämlich die der Deutschen. Sie machen mehr als 40 Prozent aller Minderheitenschulen im Pflichtschulbereich (sechsjährige Grundschulen und Gymnasien) aus; etwa 70 Prozent aller Minderheitenschüler gehören zur deutschen Minderheit. Es gibt aber auch Schulen für die ukrainische, weißrussische, tschechische, litauische und jüdische Minderheit sowie andere. Während der Pflichtschulbereich über ein ausgebautes Netz von Minderheitenschulen verfügt und sich einer regen Nachfrage erfreut, ist das Interesse an muttersprachlichen Angeboten im weiterführenden Bildungsbereich eher gering. Dennoch haben die autochthonen Minderheiten in Polen an kultureller Bedeutung gewonnen, und das Schulwesen leistet einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung ihrer Identität und zum neuen Selbstbewusstsein dieser Gruppen.

Zu den weiteren auffälligen Neuerungen gehört auch der Einzug des Computers in die polnischen Schulen. Die Ausstattung mit Computern hat sich seit der Reform 1999 auf allen Stufen des Bildungswesens enorm verbessert. Das gilt auch für den Zugang zum Internet. Auf der Ebene der Grundschule erreichte der Grad der Computerisierung 95,7 Prozent (2009/10). Auch die Gymnasien sowie die postgymnasialen (weiterführenden) Schultypen haben aufgeholt und ihr Angebot an neueren Informationstechnologien erweitert. Beinahe unverändert abgeschlagen bleiben lediglich profilierte Lyzeen und Berufsgrundschulen. An den allgemein bildenden Lyzeen sieht die Situation entspannter aus. Im Schuljahr 2009/10 besaßen 78,1 Prozent aller Lyzeen dieses Typs eine Computerausstattung. Über 90 Prozent aller Computer an allgemein bildenden Lyzeen haben einen Internetanschluss. Im internationalen Vergleich steht Polen dabei aber immer noch im unteren Feld. Im OECD-Ranking zu neuen Informations- und Kommunikationstechnologien belegte Polen im Untersuchungsjahr 2006 von 28 Ländern Platz 22 vor Portugal und nach Estland, Deutschland rangierte auf Platz 18.

Weiterführende Schulen

Auf der oberen Sekundarstufe des polnischen Schulwesens finden sich allgemein bildende, berufliche und doppelt qualifizierende Schulen mit unterschiedlicher Dauer. Davon führen nur drei Schultypen zum Abitur, so dass polnische Schüler im Regelfall das Abitur nach zwölf Schuljahren abgelegt haben. Der Zugang erfolgt nur noch bei der berufsbildenden Schule über eine Aufnahmeprüfung. Alle weiterführenden Schulen werden von den 1999 neu eingeführten Landkreisen getragen. Diese an das dreijährige Gymnasium anschließende obere Sekundarstufe (auch Sekundarstufe II genannt) differenziert sich seit dem Schuljahr 2002/03 in vier Schultypen:

  • Das allgemein bildende Lyzeum (liceum ogólnoksztalcalce) führt nach drei Jahren zum Abitur und bildet den klassischen Zugang zum Hochschulwesen (95 Prozent der Abiturienten im Schuljahr 2007/08).

  • Das profilierte Lyzeum (liceum profilowane), das als ein völlig neuer Schultyp in 15 Profilen (z. B. Mechatronik, Informatik, Umwelttechnik, Verwaltung und Ökonomie) ebenfalls nach drei Jahren zum Abitur führt, stieß seit seiner Einführung auf eher verhaltenes Interesse. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass dieser Schultyp lediglich eine breite Berufsfeldorientierung und keine konkrete Berufsausbildung vermittelt. Nur knapp fünf Prozent aller Gymnasiasten wechseln zu diesem Schultyp. Nur 76,9 Prozent aller Absolventen erhielten im Schuljahr 2008/09 das Abiturzeugnis, alle übrigen verließen das Lyzeum mit einem Abgangszeugnis.

  • Das Technikum (technikum) ist ein doppelt qualifizierender Bildungstyp, der parallel zur Technikerqualifikation (z. B. im Landschaftsbau oder Gesundheitswesen) nach vier Schuljahren auch das Abitur verleiht. Das Technikum erfreut sich in Polen seit Jahrzehnten, d. h. schon in der sozialistischen Ära, einer breiten gesellschaftlichen Anerkennung, vor allem seitens der Eltern und der Wirtschaft. Diese schlägt sich in einer relativ stabilen Beschulungsquote von 30 Prozent nieder.

  • Die Berufsgrundschule (zasadnicza szka zawodowa) vermittelt in zwei bis drei Jahren eine Facharbeiterausbildung in Ausbildungsberufen wie Landwirt, Bergmann, Bauarbeiter, Maschinenbauer oder Metallarbeiter. Sie berechtigt mit ihrem Abschluss zum Übergang auf die 2004/05 neu eingeführten, zwei- bzw. dreijährigen ergänzenden Ausbildungsformen (der o. g. Schultypen). Die polnische Berufsgrundschule unterscheidet sich deutlich vom deutschen beruflichen zweigliedrigen (dualen) Ausbildungssystem. Die Ausbildung ist vollzeitschulisch organisiert und ein Bestandteil des Sekundarschulsystems, also nicht betriebsgestützt. Es gibt nur wenige berufspraktische Elemente.

Neu ist, dass alle weiterführenden Schulen mit zentralen Abschlussprüfungen, dem Zentralabitur, enden. Damit einher ging auch die Abschaffung der Aufnahmeprüfungen an den Hochschulen. Am Ende der Sekundarstufe II stehen also einerseits das Zen-tralabitur (egzamin maturalny) und andererseits die externe Berufsprüfung (egzamin zawodowy). Im Vergleich zu früher erfüllt das Abitur nun zusätzlich eine Allokations- bzw. Selektionsfunktion: Mit dem neuen Zentralabitur erfolgt die Zuweisung der Studienplätze hauptsächlich nach der im Abitur erreichten Punktzahl.

Hochschulen und Wissenschaften

Staatliches Hochschulwesen

Nach dem Abitur können die Absolventen der weiterführenden Schulen ein Studium an einer der zahlreichen polnischen Hochschulen oder Fachhochschulen beginnen. Dabei haben sie die Wahl zwischen einer staatlichen oder privaten Einrichtung. Das akademische Jahr besteht aus zwei Semestern und beginnt in der Regel zum Wintersemester, jeweils am 1. Oktober, und endet Anfang bis Mitte Februar. Das Sommersemester beginnt schon im Februar und endet im Juni.

Die Universitäten und Hochschulen bieten drei- und/oder vierjährige Studiengänge an. Sie schließen neuerdings mit dem Bachelor ab und können gegebenenfalls mit einem zweijährigen Masterstudiengang fortgesetzt werden. Parallel dazu gibt es aber weiterhin noch das einheitliche fünfjährige Magisterstudium. Daran kann sich auf der dritten Stufe des Hochschulstudiums eine Promotion anschließen. Die polnischen Fachhochschulen vergeben dagegen in der Regel nach drei Studienjahren den Abschluss Lizentiat (licencjat) oder auch den Titel Ingenieur. Das Studium ist in der Regel gebührenfrei. Die formale (strukturell-organisatorische) Hauptform des Studiums bildet das Tages- oder Präsenzstudium. Allerdings erfreut sich vor allem das Fern- und Abendstudium, das für viele Studienrichtungen angeboten wird, in Polen einer besonderen Beliebtheit. Mehr als die Hälfte aller Studenten absolviert ein gebührenpflichtiges Fernstudium. Fast 20 Prozent aller Hochschuleinnahmen speisen sich aus den Gebühren für didaktische Tätigkeit, vor allem aus den Fernstudien. Die Frage der Studiengebühren bleibt im polnischen Hochschulwesen weiterhin umstritten und sorgt immer wieder für lebhafte Auseinandersetzungen. So gibt es (Kompromiss-)Pläne, das bisher gebührenfreie Studium (Tages- und Präsenzstudium) für Langzeitstudenten (nach dem 12. Fachsemester) und Multi-Studenten (mehrere Fachrichtungen parallel) zu begrenzen.

Die tertiäre Ebene des polnischen Bildungssystems unterscheidet drei Hochschultypen:

1. akademische Hochschulen mit dem Recht zur Verleihung des Doktortitels und mit Habilitationsrecht (= Universitäten),

2. nicht-akademische Hochschulen ohne solche Berechtigung, in der Regel viele nicht-staatliche Hochschulen, und 3. Fachhochschulen (wy?sze szkoly zawodowe). Neben der renommierten Jagiellonen-Universität in Krakau (gegr. 1364) hat sich vor allem die Katholische Universität Lublin in besonders prestigeträchtiger Weise der polnischen Öffentlichkeit ins Gedächtnis eingeschrieben. Sie wurde 1918 im Gründungsjahr der Republik Polen errichtet. Die Universität war in der Zeit der Volksrepublik die einzige nicht-staatliche Hochschule im gesamten "Ostblock", die – vom sozialistischen Staat unter Beobachtung stehend und, je nach politischer Großwetterlage, mal mehr, mal weniger schikaniert – geduldet wurde. Einige weitere klassische Universitäten und spezialisierte Hochschulen in Krakau, Warschau, Posen, Thorn oder Breslau genießen einen besonders guten Ruf. Seit 1997 gibt es, ähnlich wie in Deutschland, eine Reihe von Fachhochschulen. Sie bilden die zweite Säule des polnischen Hochschulsystems. Ihre Gründung erfolgte zumeist in kleineren Städten und in wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen. Davon versprach man sich mehr wirtschaftliche Prosperität und hoffte zugleich, bildungsfernen Schichten einen besseren und leichteren Zugang zur höheren Bildung zu eröffnen. Diese Erwartungen haben sich nur teilweise erfüllt.

Die polnischen Hochschulen und die studentischen Milieus waren zwar Trägerinnen der Transformation und der damit einhergehenden progressiven Veränderungen, inzwischen ist die studentische Jugend jedoch nicht mehr so politisch aktiv wie vor 20 oder 30 Jahren. Auch hier greifen, wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen, starke Individualisierungs- und Pluralisierungstendenzen.

Entwicklungen und Kritik

Jung-Akademiker

Die Entwicklungen im Hochschulwesen zeichnen sich durch eine bemerkenswerte Expansionsdynamik aus. Zu Beginn der Transformation, im Jahr 1990/91, gab es insgesamt 112 Hochschulen. Inzwischen hat sich ihre Zahl vervierfacht. Im Studienjahr 2009/10 gab es insgesamt 454 Hochschulen (davon 18 Universitäten), von denen 131 staatlich sind, mit insgesamt 1,9 Millionen Studierenden, davon 58,2 Prozent Studentinnen. Insgesamt 40 Prozent aller Studierenden belegen vor allem Gesellschaftswissenschaften, Handel und Recht (der OECD-Durchschnitt liegt bei 30 Prozent). Diese Entwicklungen werden inzwischen immer mehr zum Anlass genommen, über einen allgemeinen Konsolidierungskurs nachzudenken, um die Anzahl der Hochschulen zu reduzieren und die Qualität der Hochschulbildung zu verbessern.

Auch die ungebremste Steigerung der Studentenzahlen und das Studienwahlverhalten zugunsten der Geisteswissenschaften bieten häufig Anlass zur Kritik. Schon der OECD-Bericht aus dem Jahre 2007 mahnte an, die Studentenströme stärker in wenig ausgelastete Studienrichtungen wie Medizin oder Ingenieurwissenschaften zu lenken. Denn nur knapp ein Fünftel der Studenten sind in den mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Fächern vertreten. Ihnen kommt jedoch nach Meinung der führenden polnischen Hochschulakteure eine Schlüsselfunktion beim Aufbau einer "wissensbasierten Wirtschaft" zu. Durch eine engere Einbindung der Wirtschaft in die Ausbildung soll das Hochschulwesen deshalb gezielter auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes hin orientiert werden. Vor allem Technische Hochschulen werden ermuntert, spezielle Auftragsstudiengänge einzurichten, um für den Bedarf der Unternehmen auszubilden. Zudem wird bemängelt, dass das allgemeine Niveau der Hochschulabsolventen sinkt. Dies wird teilweise vielen Hochschulneugründungen angelastet und auch der Tatsache, dass inzwischen 51 Prozent eines Abiturientenjahrgangs studieren (Deutschland 2009: 43,3 Prozent). Die sogenannte Vermassung der Hochschulbildung, so der Tenor der Kritik, habe bisher keine weitreichenden Effekte auf Polens Wirtschaft und Arbeitsmarkt (Erfindungen, Patente, Gebrauchsmuster, Hightech-Produkte für den Export, Zitationsindex oder Nobelpreise) gezeigt. Im Gegenteil, die Kritiker befürchten, dass sich die Situation mit den geburtenschwachen Jahrgängen weiter zuspitzen könnte. Ihren pessimistischen Pro-gnosen zur Folge könnten die Hochschulen im Wettkampf um die abnehmenden Studentenzahlen die Standards weiter senken.

Aktuelle Hochschulpolitik

Ein breit angelegtes Grundstudium war bis zur Bologna-Reform das besondere Merkmal des polnischen Studiums, das nun durch die angestrebte konsekutive Studienstruktur (Bachelor- und darauf aufbauende Masterabschlüsse) und kürzere Studiendauer zu verschwinden droht. Ansonsten scheint die organisatorische Umstellung der Studiengänge infolge von Bologna viel reibungsloser verlaufen zu sein als in Deutschland, was möglicherweise mit der ohnehin stärker verschulten Studienform und dem insgesamt straffer organisierten Studentenleben zu tun hat. Generell zielen, ähnlich wie in den anderen europäischen Staaten, auch in Polen die hochschulischen Veränderungen auf Internationalisierung und Ökonomisierung des Hochschul- und Wissenschaftssystems ab. Darunter werden zuvorderst Effizienzsteigerung, Abschöpfung des intellektuellen Kapitals und Wettbewerb zwischen den Hochschulen verstanden. Diese Entwicklungen, die dem Vorbild angelsächsischer Hochschul- und Wissenschaftskultur folgen, werden allerdings in den Hochschulkreisen mit viel Skepsis betrachtet und sind keinesfalls unumstritten. Regierungsinitiativen im Wissenschaftsbereich, unter anderem das Hochschulgesetz und das Akademiegesetz, deuten jedoch an, dass auch in Zukunft weitere Reformen im Hochschul- und Wissenschaftsbereich zu erwarten sein werden.

Internationaler Vergleich

Die polnischen Hochschulen werden im internationalen Vergleich kaum wahrgenommen. Im sogenannten Shanghai Ranking der 500 bekanntesten Universitäten weltweit (Academic Ranking of World Universities 2010) finden sich lediglich die Universitäten Krakau und Warschau (auf den Rängen 301–400), wobei die erstere auch in der deutschen Öffentlichkeit ein positives Ansehen genießt.

Auch die polnische Hochschulpolitik widmet neuerdings der Internationalisierung zunehmend ihre Aufmerksamkeit, vor allem der Anwerbung ausländischer Studenten. Die Zahl ausländischer Studenten an polnischen Hochschulen wächst zwar allmählich, insgesamt betrachtet ist sie jedoch marginal. Im Studienjahr 2009/10 betrug sie lediglich 17 000 Studierende. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Studierenden im Studienjahr 2008/09 lag bei 0,5 Prozent und ist im internationalen Vergleich sehr niedrig (OECD-Durchschnitt: 7,1 Prozent, deutscher Durchschnitt: 8,4 Prozent). Die meisten von ihnen kommen aus der Ukraine (2831) und Weißrussland (1902), gefolgt von Norwegen (1169), Tschechien (900), Schweden (830) und Litauen (528). Mit 500 deutschen Studierenden, darunter 135 polnischer Herkunft, kommt Deutschland unter den europäischen Ländern auf Rang sieben.

Polnische Studenten nehmen ebenfalls zunehmend ein Auslandsstudium wahr. Die meisten von ihnen werden durch staatliche Mittel oder aus EU-Programmen gefördert; das Erasmus-Programm etwa nehmen 13000 polnische Studenten in Anspruch, um ins europäische Ausland zu gehen. Bevorzugte Zielländer junger Polen waren Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Vor allem Kinder von Akademikern studieren gerne an britischen Elite-Schmieden, bevorzugt an der London School of Economics. Ein beliebter Studienort polnischer Studenten in Deutschland ist neben der Humboldt-Universität zu Berlin vor allem die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), auch wenn die Studentenzahlen dort gegenüber den Anfangsjahren sinken. Im Sommersemester 2010 machten polnische Studenten lediglich 13,5 Prozent (= 813) aller Studierenden der Viadrina aus. Die rückläufige Tendenz hängt möglicherweise mit der Öffnung des Landes nach dem EU-Beitritt sowie dem damit einhergehenden Abbau von Mobilitätsschranken zusammen, der vielen jungen Polen andere attraktive ausländische Hochschulstandorte eröffnet. Dennoch ist die Viadrina seit ihrer Gründung 1992 das Vorzeigeobjekt der deutsch-polnischen Zusammenarbeit in einer Grenzregion. Gemeinsam mit der Adam-Mickiewicz-Universität Posen wird auf der polnischen Seite zudem eine wissenschaftliche Einrichtung, nämlich das Collegium Polonicum, unterhalten. Es setzt sich für die grenzüberschreitende Kooperation in Forschung und Lehre sowie für die Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen ein.

Eine zentrale und zugleich international angesehene, außer-universitäre Forschungseinrichtung ist die Polnische Akademie der Wissenschaften (Polska Akademia Nauk, PAN) mit 350 ordentlichen und korrespondierenden sowie ausländischen Mitgliedern. Sie hat, wie viele andere Forschungseinrichtungen, etwa die polnische Nationalbibliothek, ihren Sitz in Warschau. Die Akademie unterhält zahlreiche Außenstellen und Institute an vielen Orten des Landes sowie Filialen im Ausland. Im Jahr 2006 nahm in Deutschland beispielsweise das Zentrum für Historische Forschung Berlin der PAN seine Tätigkeit auf.

Nicht-staatliche Hochschulen

In den 1990er Jahren wurden überwiegend private Hochschulen gegründet, was als Antwort auf das jahrzehntelange Monopol des Staates zu interpretieren ist. Der Ausbau des nicht-staatlichen Hochschulsektors geht auf das Recht zur Gründung nicht-staatlicher Hochschulen (1991) zurück. Die Zahl der nicht-staatlichen Hochschulen stieg von anfangs zwölf auf 325. Viele von ihnen sind in kleineren Städten gegründet worden, weil dort die Unterhaltungskosten relativ niedrig sind. 34 Prozent der 1,9 Millionen Studierenden in Polen studieren an privaten Hochschulen. Damit ist Polen OECD-Spitzenreiter, gefolgt von den USA mit 26 und Portugal mit 25 Prozent (2008). In Deutschland studiert hingegen weniger als ein Prozent der Studierenden an privaten Einrichtungen (2008). Diese relativ hohen Studentenquoten gehen auch auf die bisher gängige Praxis staatlicher Hochschulen zurück, Aufnahmeprüfungen durchzuführen. Auch wenn nun mit dem Zentralabitur die Aufnahmeprüfungen der staatlichen Hochschulen weitgehend entfallen, gibt es eine hohe Anzahl von Fächern mit Numerus clausus, die einen ähnlichen Effekt erzeugen. Die nicht-staatlichen Hochschulen hingegen haben von Anfang an auf Aufnahmeprüfungen verzichtet. Die Dynamik hängt auch mit der gesellschaftlichen Vorstellung zusammen, dass Hochschulbildung besser vor Arbeitslosigkeit schütze. Die steigende gesellschaftliche Nachfrage nach entsprechenden Abschlüssen konnte von den staatlichen Hochschulen allein nicht befriedigt werden.

Die nicht-staatlichen Hochschulen bieten ihre Studienangebote häufig in Modulen an, und zwar in vielen für polnische Studenten immer noch attraktiven Bereichen wie Marketing, Management oder Finanzen oder auch in besonders "exotischen" Studienrichtungen wie Militärwissenschaft oder öffentliche Gesundheit. In der Regel dominieren Wirtschaftshochschulen, die meisten von ihnen befinden sich in der Hauptstadt. An den nicht-staatlichen Hochschulen werden einige Studiengänge in Englisch angeboten, so an der 1994 gegründeten und recht angesehenen Polnisch-Japanischen Hochschule für Informatik mit Sitz in Warschau. Das Studium an den nicht-staatlichen Hochschulen ist kostenpflichtig und kann von 4000 bis 13 000 Zloty (1000–3250 Euro) pro Studienjahr betragen. In den neuesten Reformplänen des Hochschulministeriums wird erwogen, Studierenden dieser Hochschulen in Präsenzstudiengängen finanzielle Unterstützung zu den Studiengebühren zu gewähren. In dem Zusammenhang wird generell über neue Hochschulfinanzierungsmodelle für staatliche und nicht-staatliche Hochschulen beraten, die nach messbaren Kriterien um Haushaltsmittel konkurrieren sollen. Viele der privaten Einrichtungen sind relativ klein, verfügen über kein Stammpersonal, manche kämpfen gar mit Personalproblemen, und sie haben auch kein Promotionsrecht. Sie sind reine, zumeist fachlich eng spezialisierte Lehranstalten, und ihre Ausbildungsprogramme basieren nicht auf Forschung. So sind auch die Qualität dieser Hochschulen und ihr öffentliches Ansehen recht differenziert. Weiterhin führen abwechselnd die beiden staatlichen Universitäten Krakau und Warschau das polnische Hochschulranking an.

Ausblick

Das polnische Bildungssystem wird seit zwei Jahrzehnten von einer "rollenden Reform" begleitet, die vor allem seit dem Beitritt Polens in die EU 2004 im Zeichen des Wettbewerbs, der Qualitätssteigerung, der Leistungsorientierung und der Internationalisierung steht. Im Vergleich zu Deutschland zeigt sich vor allem im Schulbereich eine hohe Reformbereitschaft. Der Hochschul- und Wissenschaftsbereich soll hingegen noch enger an die zukünftige nationale Modernisierungsstrategie des Landes gekoppelt werden.

PD Dr., ist im Arbeitsbereich Vergleichende Erziehungswissenschaft am Institut für Erziehungswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum und als Leiterin der Fachgruppe Pädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte: bildungspolitische und pädagogische Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa im 20.Jh. bis zur Gegenwart mit den Schwerpunkten Polen und Russland, polnische Wissenschafts- und Bildungsgeschichte, Ost-West-Vergleich und Internationalisierungsprozesse in Bildungssystemen.

Kontakt: »sonja.steier@rub.de«