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Zwischen Theorien und Mythen: eine kurze begriffliche Einordnung

Pia Lamberty

/ 6 Minuten zu lesen

Verschwörungserzählungen sind keine wissenschaftlichen Theorien, denn sie werden nicht an der Wirklichkeit überprüft, sondern speisen sich aus jahrhundertealten Mythen. Personen mit spezifischer Mentalität greifen diese auf, passen sie auf die aktuelle Situation an und nutzen sie für eigene Zwecke.

Das pseudowissenschaftliche Bedford Level Experiment soll beweisen, dass die Erde keine Kugel sondern flach ist. Trotz seines Scheiterns findet die Annahme immer wieder – auch prominente – Unterstützung. (© KonzeptQuartier nach der Originalzeichnung von Samuel B. Rowbotham)

Lange Zeit wurde das Phänomen überwiegend unter der Bezeichnung Verschwörungstheorie behandelt. Doch in den vergangenen Jahren diskutierten Wissenschaft und Gesellschaft zunehmend darüber, ob der Begriff so zutreffend sei. Laut Duden ist eine Theorie ein "System wissenschaftlich begründeter Aussagen zur Erklärung bestimmter Tatsachen oder Erscheinungen und der ihnen zugrunde liegenden Gesetzlichkeiten". Eine Theorie wird von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (meistens nach jahrelanger Forschung) aufgestellt und dann an der Wirklichkeit getestet. Wenn jemand beispielsweise die Theorie aufstellt, dass Pizza immer rund sei, und dann aber feststellt, dass es auch quadratische Pizzen gibt, muss die Theorie umgeändert oder gar verworfen werden.

Bei "Verschwörungstheorien" passiert aber genau das nicht. Ihre Anhängerschaft hält oft weiter an ihren Vorstellungen fest, selbst wenn sie eigentlich genug Gegenbeweise zum Umdenken bringen könnten. Nehmen wir einmal das Beispiel der flachen Erde. Menschen, die glauben wollen, dass die Erde flach ist, wollen immer wieder belegen, dass sie kein Globus sein kann.

Sie benutzen für ihr Experiment zum Nachweis der angeblich flachen Erde zwei Bretter, beide mit einem Loch in fünf Meter Höhe über dem Wasserspiegel, einen Laser und eine Kamera. Nun stellen sich zwei Personen in einem Abstand von 6,5 Kilometern voneinander entfernt auf. Die eine hält den Laser, die andere die Kamera. Die Person mit dem Laser lässt den Laserstrahl durch die beiden Löcher leuchten. Die Kamera auf der anderen Seite zeichnet dann auf, ob der Laserstrahl ankommt. Die Idee dahinter: Bei einer runden Erde muss es eine Krümmung geben, die schon auf eine gewisse Distanz hin nachweisbar sein müsste. Wäre die Erde flach, würde das Licht – egal wie weit entfernt die Person mit dem Laser von der Kamera steht – durch beide Löcher strahlen. Bei einer kugelförmigen Erde gilt es dagegen die Krümmung zu berücksichtigen, das Licht des Lasers ist nicht mehr sichtbar.

Entwickelt wurde das sogenannte Bedford Level Experiment bereits 1838 von dem Briten Samuel Birley Rowbotham, der beweisen wollte, dass die Erde flach sei. Seitdem ist der Nachweis, dass die Erde flach ist, nicht nur bei ihm, sondern immer wieder gescheitert. Anstatt nun aber die eigene Meinung zu revidieren und anzunehmen, dass die Erde doch nicht flach ist, halten die Anhängerinnen und Anhänger weiter an ihrer Vorstellung fest. Und genau das ist der Unterschied zur wissenschaftlichen Theoriebildung, die belegt oder durch entsprechende Erkenntnisse revidiert werden muss.

Von Mythen, Mentalitäten und anderen Begrifflichkeiten

Als Alternative zur "Verschwörungstheorie" werden von Fachleuten aktuell unterschiedliche Begriffe diskutiert. Der Soziologe Armin Pfahl-Traughber unterscheidet zum Beispiel zwischen Verschwörungsideologien, Verschwörungsmythen und Verschwörungstheorien, während der Religionswissenschaftler Michael Blume nur von Verschwörungsmythen spricht. Die Begriffe werden dabei auch jeweils unterschiedlich definiert und meinen nicht immer das Gleiche.

Begrifflichkeiten zum Thema Verschwörung. Eigene Darstellung

Eine andere Option ist es, zwischen Verschwörungsmythen, -erzählungen und der Verschwörungsmentalität zu unterscheiden. Ein Mythos ist eine Geschichte, die Menschen für wahr halten und die häufig tief und langdauernd in der jeweiligen Gesellschaft verankert ist. Ein Mythos beschreibt somit, wie Menschen die Welt um sie herum deuten und verstehen. Ein Verschwörungsmythos ist weniger die konkrete Annahme, dass beispielsweise Hitler auf der dunklen Seite des Mondes leben würde. Vielmehr geht es um ein grundlegendes Narrativ, das viele einzelne Verschwörungserzählungen vereint.

Eine Verschwörungserzählung dagegen bezeichnet eine konkrete Darstellung über Dinge, die in der Welt geschehen. Häufig entstehen solche Verschwörungserzählungen aber nicht aus dem Nichts, sondern sind historisch und kulturell eingebunden. Viele Verschwörungserzählungen speisen sich daher aus eher abstrakten Mythen, wie beispielsweise dem (falschen) Mythos einer jüdischen Weltverschwörung. Anklänge daran finden sich dann zum Beispiel in Verschwörungserzählungen über den US-amerikanischen Philanthropen George Soros (siehe auch Interner Link: hier).

Weitere Verschwörungserzählungen in diesem Zusammenhang kreisen um die jährlichen Bilderberg-Konferenzen einflussreicher Personen aus Industrie, Politik, Finanzwesen, Militär und Medien, die in relativer Abgeschiedenheit stattfinden, angeblich mit der Absicht, eine Weltdiktatur zu errichten. Oder um die oft als Vorläufer der Bilderberger angesehenen Illuminaten, einen Geheimbund des 18. Jahrhunderts, dem bis heute nachgesagt wird, er wäre für entscheidende Ereignisse der Weltgeschichte, wie etwa die Französische Revolution, verantwortlich gewesen und dessen Fortexistenz in der Szene umstritten ist.

Für Psychologinnen und Psychologen ist eine Verschwörungserzählung eine Annahme darüber, dass als mächtig wahrgenommene Einzelpersonen oder Gruppen wichtige Ereignisse in der Welt beeinflussen und damit den Menschen gezielt schaden, während sie die Bevölkerung über ihre Ziele im Dunkeln lassen.

In der psychologischen Forschung steht weniger die konkrete Verschwörungserzählung im Fokus als die Persönlichkeitseigenschaft dahinter, die Verschwörungsmentalität oder Verschwörungsideologie. Sie gibt Auskunft darüber, wie sehr Menschen generell an Verschwörungen glauben. Menschen mit ausgeprägter Verschwörungsmentalität haben Vorurteile gegenüber all denjenigen, die sie als mächtig wahrnehmen. In der Psychologie wird dieses Weltbild als eine stabile Persönlichkeitseigenschaft verstanden, als eine Art, die Welt zu interpretieren. Es handelt sich also um ein grundlegendes Merkmal einer Person, das sich zwar im Laufe der Zeit (beispielsweise durch einschneidende Ereignisse) ändern kann, aber grundsätzlich relativ veränderungsresistent ist.

Zwischen wahren Verschwörungen und politischer Instrumentalisierung

Häufig wird im Rahmen dieser Diskussion eingewandt, der Begriff Verschwörung sei negativ belegt und würde daher kritische Diskussionen unmöglich machen. Schließlich habe es auch wahre Verschwörungen gegeben.

Als Beispiel wird dann oft die sogenannte Watergate-Affäre genannt. Bei dieser Affäre versuchte der damalige republikanische US-Präsident Richard Nixon vom Frühjahr 1973 bis zu seinem erzwungenen Rücktritt im August 1974, einen Einbruch in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Komplex, Washington, D. C., während des Wahlkampfs 1972 zu vertuschen, an dem offenbar einige seiner Mitarbeiter beteiligt gewesen waren. Sie verschworen sich damit gegen das herrschende Rechtssystem der USA mit dem Ziel des Machterhalts.

Die Arbeit von Geheimdiensten ist oft Gegenstand von Verschwörungserzählungen. Teilweise heißt es sogar – und das fälschlicherweise –, dass der amerikanische Geheimdienst CIA den Begriff "Verschwörungstheorie" erfunden hätte, um Kritiker zu diffamieren. Als weiteres Beispiel für eine "wahre Verschwörung" wird oft der NSA-Skandal genannt, der auf die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden folgte. Im Juni 2013 kam heraus, dass die Auslandsgeheimdienste der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs seit spätestens 2007 in großem Umfang die Telekommunikation und insbesondere das Internet global und verdachtsunabhängig überwachten.

Im Rückgriff auf dieses Beispiel hat sich der Philosoph Jan Skudlarek mit dem Unterschied zwischen wahren und falschen Verschwörungen und der diesbezüglichen Argumentation der Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungsglauben etwas genauer auseinandergesetzt: "Verschwörungserzählungen sind spekulative Geschichten, denen die faktische Basis fehlt. Ein Ratespiel. Und Raten ist nun mal das Gegenteil von Wissen. […] Wer vor der Snowden-Affäre vermutet hat, dass der Geheimdienst NSA Telefon- und Internetverkehr mitschneidet, hat erstens nicht sonderlich riskant gewettet und zweitens keine Belege gehabt. Umfassende Belege kamen erst durch Edward Snowden. Ähnlich ist es mit anderen Lügen, Komplotten und Täuschungen. Sie werden nicht durch Verschwörungstheoretiker aufgedeckt, sondern durch faktische Recherche, durch wissenschaftliches Arbeiten oder durch Whistleblowing."

Neben dem Umstand, dass Verschwörungen auch wahr sein können, werden Verschwörungserzählungen immer wieder (auch von Staaten) politisch genutzt – zum Beispiel, um Feindbilder zu zementieren. In den 1980er-Jahren streute beispielsweise der russische Auslandsgeheimdienst KGB im Rahmen der Desinformationskampagne "Operation Infektion", dass das HI-Virus angeblich vom US-Militär entwickelt worden und damit eine Biowaffenoperation sei. Ziel der Kampagne war es damals, die politischen Gegner, also insbesondere die USA und Israel, zu delegitimieren. Die Konsequenzen dieser Desinformationskampagne sind bis heute zu spüren.

Pia Lamberty ist Doktorandin am Lehrstuhl Sozial- und Rechtspsychologie der Universität Mainz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Verschwörungsmentalität und Verschwörungsglauben, Kognitive Verzerrungen, Psychologische Reaktionen auf Terrorismus und Repräsentationen von Geschichte und Intergruppenbeziehungen. Zum Thema Verschwörungsmythen, auch in Hinblick auf deren Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, hat sie schon verschiedene Veröffentlichungen vorgelegt. Darunter zuletzt 2020 gemeinsam mit Katharina Nocun: Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen.