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Ursachen und Folgen des Klimawandels | Klima | bpb.de

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Ursachen und Folgen des Klimawandels

Diana Rechid

/ 25 Minuten zu lesen

Die verstärkte Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre verursacht eine zunehmende globale Erwärmung mit Folgen für das Leben auf der Erde. Die Wissenschaft erarbeitet Klimamodelle möglicher künftiger Entwicklungen und entwirft Strategien, wie diesen wirksam begegnet werden kann.

Im ehemaligen Kohlekraftwerk Drax im englischen Nord-Yorkshire wird seit 2021 ausschließlich Biomasse verbrannt. Nach Angaben des Unternehmens wurde im Rahmen eines Pilotprojekts 2019 ein BECCS-Verfahren erprobt, um die anfallenden Kohlendioxidemissionen einzufangen. (© picture alliance / empics | Anna Gowthorpe)

Beobachtete Klimaänderungen

Der Begriff Klima beschreibt den mittleren Zustand der Atmosphäre an einem Ort oder in einem Gebiet über einen hinreichend langen Zeitraum. Dieser sollte laut der Weltorganisation für Meteorologie (World Meteorological Organization, WMO) mindestens 30 Jahre betragen, aber auch wesentlich längere Zeiträume sind gebräuchlich.

Das Klima wird von allen Teilsystemen des Erdsystems und deren Wechselbeziehungen beeinflusst. Neben der Atmosphäre sind diese Teilsysteme im Wesentlichen die Ozeane, das Meereis und das Landeis (Eisschilde und Gletscher), die Lebensräume im Ozean und an Land, das Wasser der Landflächen wie zum Beispiel Seen, Flüsse und Grundwasser, die Böden sowie der Mensch.

Beobachtungen des Klimasystems beruhen auf direkten Messungen, die global seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts durchgeführt werden. In jüngerer Zeit kommen auch Satelliten und andere Fernerkundungsmethoden zum Einsatz. Gemessen werden unter anderem Luftdruck, Temperatur, Niederschlag, Bewölkung, Strahlung und Windgeschwindigkeit.

Aus den langjährigen Beobachtungen ergibt sich zum einen, dass das Klima natürlichen zeitlichen Schwankungen unterliegt. Diese entstehen zum Beispiel beim Austausch von Wärme zwischen Atmosphäre und Ozean und können sich durch langsame und zeitlich unterschiedliche Wärmetransporte in den Meeren auch über mehrere Jahrzehnte bemerkbar machen. Faktoren außerhalb des Klimasystems wie unterschiedliche Sonneneinstrahlung, vulkanische Aktivität oder auf ganz langen Zeitskalen Veränderungen der Erdbahn und die Bewegung der Kontinente (Kontinentaldrift) tragen ebenfalls zu natürlichen Klimaschwankungen bei.

Die langjährigen Beobachtungsreihen für das vergangene Jahrhundert bis heute zeigen zum anderen aber auch Klimaänderungen, die nur zu einem sehr geringen Anteil mit natürlichen Klimaschwankungen zu erklären sind. Die Erdoberfläche hat sich im Durchschnitt der vergangenen hundert Jahre um mehr als 1°C erwärmt. Der "Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen" (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) belegt mit dem in seinen Sachstandsberichten (Assessment Reports, AR) erarbeiteten Wissen, dass für diese globale Erwärmung in erster Linie der Einfluss des Menschen verantwortlich ist.

Das Klima und der Mensch (© Esther Gonstalla, Das Klimabuch, oekom verlag München 2019, S. 8/9; Quellen: DWD (2018), IPCC (2014), Rahmstorf (2013), Riedel & Janiak (2015))

Der anthropogene Treibhauseffekt

Eine maßgebliche Rolle spielen dabei vom Menschen verursachte Emissionen von Treibhausgasen in die Atmosphäre (anthropogener Treibhauseffekt); sie entstehen beispielsweise durch die Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas sowie durch die Abholzung von Wäldern. Dadurch ist in den vergangenen Jahrzehnten die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre kontinuierlich angestiegen und nur mit diesem Anstieg lässt sich Ausmaß und Geschwindigkeit der globalen Erwärmung erklären. Denn in Klimasimulationen, die versuchsweise ohne den Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen gemacht wurden, fand keine Erwärmung der Erdoberfläche statt.

Anteil der Treibhausgase an der Erwärmung (© Eigene Darstellung auf Basis von Karl-Martin Henschel/Steffen Kenzer, Handbuch Klimaschutz, oekom verlag München 2020, S. 2; www.oekom.de/buch/handbuch-klimaschutz-9783962382377)

Treibhausgase sind Spurengase in der Atmosphäre, die einen Teil der Wärmestrahlung der Erdoberfläche aufnehmen, sich erwärmen und entsprechend ihrer Temperatur wiederum Wärmestrahlung abgeben. Der zur Erdoberfläche gerichtete Anteil dieser Wärmestrahlung erwärmt als "atmosphärische Gegenstrahlung" die Erdoberfläche, was zu einem Treibhauseffekt führt.

Wäre die Erde ein Planet ohne Atmosphäre, hätte ihre Erdoberfläche eine lebensfeindliche Temperatur von durchschnittlich -18°C. Erst die Atmosphäre schafft durch ihren natürlichen Treibhauseffekt lebensfreundliche Bedingungen: Während sie für die kurzwellige Sonneneinstrahlung weitgehend durchlässig ist, nimmt die Atmosphäre die von der Erdoberfläche abgestrahlte langwellige Strahlung (Wärmestrahlung) von Gasen wie Wasserdampf, Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Lachgas (N2O) und Ozon (O3) in sich auf. Diese Gase strahlen ihrerseits im langwelligen Spektralbereich zurück in Richtung Erdoberfläche und erhöhen dort die Energiezufuhr. Dieser natürliche Treibhauseffekt führt zu einer mittleren Erdoberflächentemperatur von +15°C.

Menschengemachte Treibhausgase (© David Nelles / Christian Serrer "Kleine Gase – Große Wirkung", KlimaWandel GbR, Friedrichshafen 2019, S. 36)

Seit Beginn der Industrialisierung nimmt die Konzentration langlebiger Treibhausgase in der Atmosphäre durch menschliche Einflüsse beständig zu. Zu diesen wachsenden Konzentrationen von Kohlendioxid, Methan, Lachgas und Ozon in der Atmosphäre kommen noch hoch klimawirksame Treibhausgase wie Halogenkohlenwasserstoffe und andere chlor- und bromhaltige Substanzen hinzu, die ausschließlich vom Menschen produziert werden. Durch die zunehmende Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre erhöht sich die Energiezufuhr an der Erdoberfläche. Die zusätzliche Energie erwärmt die Erdoberfläche, die Ozeane und die bodennahe Atmosphäre.

Die Rolle des Kohlendioxids

Die verschiedenen Gase verbleiben unterschiedlich lang in der Atmosphäre, und sie verfügen über unterschiedliche Potenziale für den Treibhauseffekt. Von herausragender Bedeutung ist das Kohlendioxid (CO2), da es den größten Anteil der durch den Menschen verursachten Emissionen ausmacht, besonders lange in der Atmosphäre verbleibt und insgesamt die stärkste Wirkung auf das Klima ausübt. Deshalb wird Kohlendioxid bei Klimauntersuchungen oft als Bezugsgröße gewählt. Um die Klimawirkung der einzelnen Gase zu verdeutlichen, werden die verschiedenen Treibhausgase in sogenannte Kohlendioxid-Äquivalente umgerechnet. Diese geben an, welcher Menge Kohlendioxid die Klimawirkung der jeweiligen Gasmenge entspricht.

Verlauf der monatlichen Mittelwerte des Kohlendioxids, gemessen vom Mauna Loa Observatorium, Hawaii (© Externer Link: www.esrl.noaa.gov/gmd/ccgg/trends/data.html)

Die längsten Aufzeichnungen direkter Messungen von Kohlendioxid in der Atmosphäre sind die Datenreihen des Mauna Loa Observatoriums auf Hawaii, begonnen durch den US-amerikanischen Klimaforscher C. David Keeling im März 1958. Die als "Keeling-Kurve" bekannt gewordene Datenreihe veranschaulicht neben den natürlichen Schwankungen im Jahresverlauf den kontinuierlichen Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Diese Konzentrationen werden in "ppm – parts per million", also Anzahl Teilchen pro Millionen Teilchen, gemessen. Im Jahr 1958 lag die CO2-Konzentration im Mai bei einem Monatsmittelwert von 317,5 ppm. Am 13. Mai 2013 wurde erstmals die Tageskonzentration von 400 ppm überschritten, im Mai 2021 betrug der Monatsmittelwert schon 418 ppm.

Dass der mittlere CO2-Gehalt der Atmosphäre weiter ansteigt, selbst wenn die Emissionen zeitweise einmal sinken (wie zum Beispiel während des weltweiten Lockdowns 2020/2021 in vielen Nationen aufgrund der Coronavirus-Pandemie), liegt an der langen Verweildauer des Kohlendioxids in der Atmosphäre. Auch wenn die Ozeane und die Vegetation laut Global Carbon Project (GCP) derzeit mehr als die Hälfte der CO2-Emissionen aufnehmen, bleibt der Rest für etwa ein Jahrhundert in der Atmosphäre. Nur wenn die Emissionen dauerhaft auf null gingen, würde sich der atmosphärische CO2-Gehalt stabilisieren und dann langfristig verringern. Im globalen Durchschnitt werden pro Kopf und Jahr etwa 4,8 Tonnen CO2 ausgestoßen. In Deutschland liegt der CO2-Ausstoß laut GCP und Umweltbundesamt bei mehr als 9 Tonnen pro Kopf und Jahr und damit deutlich über dem weltweiten Durchschnitt.

Aerosole

Neben Treibhausgasen verändern auch Aerosole den Strahlungshaushalt der Atmosphäre. Als Aerosol bezeichnet man ein Gemisch aus festen oder flüssigen Schwebeteilchen und Gas. Die Schwebeteilchen heißen Aerosolpartikel und haben eine typische Größe zwischen 0,01 und 10 μm (Mikrometer = 1 tausendstel Millimeter/1 millionstel Meter). Aerosole entstehen zum einen durch natürliche Vorgänge wie beispielsweise Vulkanausbrüche oder Wüstenstürme, zum anderen infolge menschlicher Aktivitäten wie zum Beispiel Ruß und Schwefeldioxid aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe oder Mineralstaub durch Winderosion landwirtschaftlich genutzter Flächen.

Im Gegensatz zu den Treibhausgasen haben Aerosole so gut wie keinen Einfluss auf die langwellige Wärmestrahlung. Aerosolpartikel streuen oder absorbieren die kurzwellige Sonneneinstrahlung und verändern dadurch die Strahlungs- und Energiebilanz an der Erdoberfläche: Die Streuung sehr kleiner Aerosolpartikel bewirkt eine Abkühlung, die Aufnahme (Absorption) größerer Aerosolpartikel eine Erwärmung. Aerosole wirken sich zudem indirekt auf das Klima aus, indem sie die Wolkenbildung und den Niederschlag beeinflussen. Der indirekte Effekt kann je nach Zustand der Atmosphäre und Eigenschaften der Aerosole zu einer Abkühlung oder Erwärmung der oberflächennahen Luftschicht führen. In der Summe lässt sich davon ausgehen, dass Aerosole eine deutlich abkühlende Wirkung besitzen, welche den globalen Temperaturanstieg der letzten Jahrzehnte um wenige Zehntel Grad geringer ausfallen ließen.

Landnutzung

Temperaturanomalie – gemittelt über Deutschland (© www.dwd.de/DE/leistungen/zeitreihen/zeitreihen.html?nn=480164 (Zugriff am 17. Juni 2021))

Eine weitere Ursache von Klimaänderungen sind Einwirkungen des Menschen auf die Landoberfläche. Maßnahmen wie Entwaldung, Bodenversiegelung oder Bewässerung verändern die Reflexion von Sonnenstrahlung an der Erdoberfläche. Damit einhergehend verändern sich die Vegetationsdichte, die Rauhigkeit der Erdoberfläche oder das Wasserspeichervermögen der Böden, was zu Rückwirkungen auf den Austausch von Stoffen, Impuls und Energie führt. Die Strahlungs- und Energiebilanz, die Verdunstung von Wasser, der Transport von Energie und die Wolkenbildung werden beeinflusst. Dadurch kann es zur Abkühlung oder Erwärmung der bodennahen Luftschichten kommen, was die treibhausgasbedingte globale Erwärmung regional und lokal abschwächen oder verstärken kann.

Seit Beginn der Frühindustrialisierung um 1750 ist die weltweite bodennahe Lufttemperatur im Mittel um etwa 1°C gestiegen und liegt gemittelt über alle Landflächen bei etwa 1,5°C. Weltweit gesehen lagen die 20 wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen nach Angaben der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde der USA (NOAA, 2020) bis auf eine Ausnahme (1998) alle im 21. Jahrhundert. In Deutschland ist die jährliche bodennahe Lufttemperatur seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881 nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) bereits um 1,6°C im Mittel angestiegen.

QuellentextWetter ist nicht gleich Klima

[…] Der Begriff Klima beschreibt die "Gesamtheit der Wettererscheinungen an irgendeinem Ort der Erde während einer festgelegten Zeitspanne". […] Die World Meteorological Organization (WMO) hat dabei festgelegt, dass der Mittelungszeitraum mindestens 30 Jahre umfasst […].
[…] Das Wort [Klima] selbst stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet in etwa "Neigung". Gemeint ist damit, ob die Sonne in steilem oder flachem Winkel auf die Erdoberfläche trifft und diese entsprechend mehr oder weniger stark erwärmt. Denn bei einem flacheren Winkel verteilt sich die gleiche Energiemenge über eine größere Fläche.

Hieraus ergeben sich übrigens auch unmittelbar die verschiedenen Klimazonen der Erde. Weil die Erdachse geneigt ist – derzeit um 23,5 Grad – ändern sich diese Auftreffwinkel zudem im Verlauf eines Jahres. So entstehen die Jahreszeiten und eine scheinbare Bahn der Sonne zwischen dem nördlichen (23,5 Grad nördlicher Breite) und dem südlichen (23,5 Grad südlicher Breite) Wendekreis. Dadurch steht die Sonne bei uns im Winter 47 Grad (2 mal 23,5 Grad) tiefer als im Sommer: Wir bekommen viel weniger Sonnenenergie pro Fläche ab – es wird kälter.

[…] [Es] kommt aber in Erweiterung des ursprünglichen Klimabegriffs auch noch die räumliche Dimension hinzu. Wenn man Wettererscheinungen über größere Naturräume mittelt, spricht man vom Regional- oder Mesoklima, bei Kontinenten oder gar dem ganzen Globus vom Makro- oder Erdklima beziehungsweise vom globalen Klima. […]
Klima ist schlicht die Statistik des Wetters. Dennoch werden die Begriffe in der öffentlichen Debatte gerne durcheinandergebracht. Der Stolperstein ist wohl folgender: Wetter können wir mit unseren Sinnesorganen fühlen und es zu erleben löst unmittelbar Empfindungen in uns aus. Wetter ist uns emotional also sehr nah. Klima – die Statistik – können wir hingegen nicht fühlen. Deshalb ist uns das Klima emotional fern.

[…] Wetter ist definiert als der "aktuelle Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt". Damit spüren wir einen Vorgang, der in höchstem Maße variabel ist, denn genau das zeichnet unser Wetter aus. Mal ist es heiß, mal kalt, mal fällt Regen, mal schneit es, mal herrscht ruhiges Hochdruckwetter mit Sonnenschein, dann kommt es wieder zu Gewittern oder Stürmen. […]

Sven Plöger, Zieht euch warm an, es wird heiß!, Westend Verlag GmbH Frankfurt/M. 2020, S. 78 ff.

Zukünftige Klimaänderungen

Eine wesentliche Rolle bei der Erforschung des Klimawandels und insbesondere der menschlichen Einflüsse auf das Klima spielen physikalisch-mathematische Klimamodelle. Dies sind dreidimensionale Zirkulationsmodelle der Atmosphäre, meist gekoppelt mit dreidimensionalen Zirkulationsmodellen des Ozeans. Klimamodelle wurden über viele Jahrzehnte entwickelt. Sie beinhalten heutzutage neben Modellen der Landoberflächen mit Böden, terrestrischer Hydrosphäre (das den Landflächen zugeordnete Wasser) und Vegetation auch Modelle der marinen Biosphäre sowie des Meereises und terrestrischer Eisschilde, zudem bilden sie Aerosole und chemische Prozesse in der Atmosphäre ab. Darüber hinaus werden auch biogeochemische Kreisläufe wie der Kohlenstoff-, der Stickstoff- und der Schwefelkreislauf abgebildet und mit physikalischen Prozessen im Klimasystem interaktiv gekoppelt. Diese komplexen Modelle werden oft auch als "Erdsystemmodelle" bezeichnet.

In diesen komplexen Modellen werden die anthropogenen Treibhausgasemissionen direkt vorgegeben und deren Auswirkungen auf das Klima berechnet. Die Verteilung des zusätzlichen Kohlendioxids in Atmosphäre, Ozean und Biosphäre kann damit simuliert und Rückkopplungsprozesse im Klimasystem können erfasst werden. Klimamodelle werden weltweit an vielen Forschungszentren erstellt und im internationalen Austausch stetig weiterentwickelt. Die Modelle werden dahingehend analysiert, wie gut sie das historische Klima (dessen Verlauf durch Beobachtungen belegt ist) und beobachtete Vorgänge im Klimasystem wiedergeben.

Klimaprojektionen

Mit Klimamodellen lassen sich auf Basis von Annahmen über die Entwicklung zukünftiger Treibhausgasemissionen deren Auswirkungen auf das Klima abbilden. Auf diese Weise ist die Klimawissenschaft in der Lage, quantitative Aussagen über die potenziell zukünftigen Änderungen des Klimas zu machen. Diese werden in der Fachsprache "Klimaprojektionen" genannt und beantworten Fragen wie: Was wäre, wenn …? Wie entwickelt sich das Klima unter bestimmten Bedingungen, beispielsweise wenn durch menschliche Aktivitäten auch weiterhin große Mengen zusätzlicher Treibhausgase in die Atmosphäre emittiert werden oder wenn stattdessen deutliche Anstrengungen zum Klimaschutz unternommen werden? Zu diesem Zweck werden unterschiedliche Emissionsszenarien für das 21. Jahrhundert entwickelt, die auf verschiedenen Annahmen beruhen. In die Berechnung einbezogen werden dabei unter anderem die Bevölkerungsentwicklung sowie Entwicklungen auf den Gebieten der Energienutzung, der Technologie oder der Wirtschaft.

Die Klimaprojektionen des 5. Sachstandsberichts des IPCC (AR5) von 2013/14 basieren auf den sogenannten Repräsentativen Konzentrationspfaden (Representative Concentration Pathways, RCPs). Diese beschreiben bestimmte Entwicklungspfade atmosphärischer Treibhausgaskonzentrationen und zugehöriger Emissionen. Eine charakteristische Kennzahl für die RCPs ist der Strahlungsantrieb, ein Maß für die Änderung der Energiebilanz der Erde innerhalb eines Zeitraums vom vorindustriellen Niveau um 1750 bis zum Ende des 21. Jahrhunderts.

Gemessen wird der Strahlungsantrieb in Watt pro Quadratmeter (W/m2), wonach die Entwicklungspfade auch bezeichnet werden: RCP8.5 steht für einen Strahlungsantrieb von 8.5 W/m2 und beschreibt einen kontinuierlichen Konzentrationsanstieg mit sehr hohen Treibhausgasemissionen. RCP6.0 und RCP4.5 sind zwei Stabilisierungsszenarien und RCP2.6 ist ein Minderungsszenario. Letzteres beinhaltet ehrgeizige Maßnahmen, die nicht nur die Treibhausgasemissionen reduzieren, sondern zum Ende des 21. Jahrhunderts in "negative Emissionen" übergehen, das heißt Kohlendioxid aus der Atmosphäre entziehen. Mit RCP2.6 soll der Strahlungsantrieb um 2040 etwa 3 W/m2 betragen und dann zum Ende des 21. Jahrhunderts auf einen Wert von 2.6 W/m2 zurückgehen. Die unterschiedlichen Werte des Strahlungsantriebs spiegeln klimapolitische Maßnahmen wider.

Minderungsziele

In den letzten Jahren hat ein internationales Team von Fachleuten aus den Bereichen Klimawissenschaft, Ökonomie und Energie eine Reihe von Shared Socioeconomic Pathways (SSPs) entwickelt, die in verschiedenen Entwicklungspfaden mögliche zukünftige Veränderungen der globalen Gesellschaft beschreiben. In Kombination mit verschiedenen Emissionsminderungszielen bilden sie ab, wie sich gesellschaftliche Entscheidungen auf die Treibhausgasemissionen auswirken und wie die Klimaziele des Pariser Abkommens erreicht werden können.

Die untersuchten Minderungsziele werden mittels RCPs durch den Strahlungsantrieb für das Jahr 2100 definiert. RCP1.9 nimmt dabei eine besondere Rolle ein, denn es beschreibt einen modellierten Pfad zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau, dem Ziel des Pariser Klimaabkommens. Hierbei nehmen die anthropogenen CO2-Emissionen bis 2030 um etwa 45 Prozent gegenüber dem Niveau von 2010 ab und erreichen einen Netto-Null-Zustand um das Jahr 2050.

Beschleunigte Maßnahmen zur Emissionsvermeidung erforderlich

Zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5°C ist eine schnelle und weitreichende Vermeidung und Reduktion aller Treibhausgasemissionen, vor allem von Kohlendioxid, erforderlich. Darüberhinaus ist ein Ausgleich des nicht zu vermeidenden Treibhausgasausstoßes durch "negative Emissionen" notwendig. Der Atmosphäre muss also Kohlendioxid entzogen werden, beispielsweise durch das Anpflanzen von mehr Wäldern oder durch mehr Bindung von CO2 in Böden durch veränderte landwirtschaftliche Bearbeitungsmethoden. Für das RCP1.9 sind nach 2050 bis zum Ende des 21. Jahrhunderts negative Emissionen erforderlich. Da die Möglichkeiten zum Entzug von Kohlendioxid jedoch in ihrem Umfang begrenzt sind und großen Unsicherheiten unterliegen, sollten Emissionen so schnell wie möglich vermieden werden, um die Notwendigkeit für den nachträglichen Entzug soweit wie möglich zu minimieren. Die Treibhausgasemissionen entsprechend der SSPs und daraus folgende atmosphärische Konzentrationen werden der neuesten Generation von Klimamodellen vorgegeben, deren Simulationen die Grundlage für den sechsten Sachstandsbericht des IPCC bilden, der im Spätsommer 2021 veröffentlicht werden soll.

Alle zukünftigen Entwicklungspfade, welche die globale Erwärmung ohne oder allenfalls mit geringer zeitweiser Überschreitung der politisch vereinbarten Temperaturziele (Overshoot) schließlich auf 1,5°C begrenzen, nehmen den Einsatz von Maßnahmen zur Kohlendioxidentnahme aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR) in einer Größenordnung zwischen 100 bis 1000 Gigatonnen CO2 im Verlauf des 21. Jahrhunderts an. Die Entnahme von mehreren hundert Gigatonnen CO2 unterliegt allerdings vielfältigen Einschränkungen in Hinblick auf Machbarkeit und Nachhaltigkeit. Deshalb sind beschleunigte Emissionsminderungen in der nahen Zukunft dringend erforderlich, wenn das Pariser Klimaabkommen erfüllt werden soll.

CDR-Maßnahmen müssten genutzt werden, um die noch verbleibenden Emissionen auszugleichen, netto negative Emissionen zu erzielen und somit die globale Erwärmung nach einem zukünftig erreichten Höchststand wieder auf 1,5 °C zurück zu bringen. Dabei kommt vor allem die Abscheidung und Speicherung von CO2 bei der Verbrennung von Biomasse (Bioenergy with Carbon Capture and Storage, BECCS) infrage sowie die Aufforstung, Wiederbewaldung und teilweise vermehrte Speicherung von Kohlenstoff im Boden durch geeignetes Landmanagement (Agriculture, Forestry and Other Land Use, AFOLU). Vereinzelt könnte auch die Methode Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS) zum Einsatz kommen, also der direkte Entzug von CO2 aus der Atmosphäre und seine Abscheidung und Speicherung. Allerdings steht die Erforschung dieser Methoden bislang noch am Anfang und zudem ist noch unklar, wie und wo CO2 dauerhaft gespeichert werden kann. Auch das Wissen über den Kohlenstoffkreislauf im Klimasystem insgesamt und über die Wirksamkeit der negativen Netto-Emissionen zur Senkung der Temperaturen ist noch sehr begrenzt.

Werden bestimmte globale Erwärmungsraten überschritten, können irreversible Prozesse ausgelöst und nicht umkehrbare Änderungen im Klimasystem eintreten (Kipppunkte). Die derzeit von den Nationen festgelegten individuellen Beiträge zum Klimaschutz bis 2030 (National Determined Contributions, NDCs) werden jedoch die globale Erwärmung nicht auf 1,5°C begrenzen. Abhängig von Maßnahmen zur Vermeidung von Emissionen nach 2030 führen sie bis 2100 zu einer globalen Erwärmung von 3°– 4°C über vorindustriellem Niveau.

Unsicherheiten und Methoden zu ihrer Begrenzung

Die Abbildungen des zukünftigen Klimas unterliegen verschiedenen Unsicherheiten. Zum einen wissen wir nicht, welches der oben aufgeführten Emissionsszenarien eintreten wird. Deshalb werden Klimasimulationen basierend auf den verschiedenen möglichen Szenarien durchgeführt. Zum anderen bestehen Unsicherheiten in der Modellierung. Deshalb werden Projektionen für das zukünftige Klima mit verschiedenen Klimamodellen in sogenannten Multi-Modell-Ensembles erstellt. Dazu werden weltweit koordinierte Experimente in internationalen Modellvergleichsprojekten (Coupled Model Intercomparison Projects, CMIP) im Rahmen des Weltklimaforschungsprogramms (World Climate Research Program, WCRP) durchgeführt, um die Vergleichbarkeit und einen geeigneten Austausch von Daten zu gewährleisten. Die jeweils aktuellen CMIP-Ergebnisse bilden die Grundlage für die Sachstandsberichte des IPCC. Die neueste Generation koordinierter Experimente wird im Rahmen des CMIP6 durchgeführt und soll im 6. IPCC-Sachstandsbericht voraussichtlich im Spätsommer 2021 veröffentlicht werden.

Die Ergebnisse der Ensemblesimulationen aus den CMIP-Experimenten werden als Bandbreiten angegeben, um die Unsicherheiten der Modellierung zu berücksichtigen. Basierend auf den Multi-Modell-Ensemblesimulationen des CMIP5 kommen alle RCPs zum Ergebnis, dass im Zeitraum 2081–2100 gegenüber dem Zeitabschnitt 1986–2005 ein mehr oder weniger starker Anstieg der mittleren globalen Erdoberflächentemperatur stattfinden wird: Für RCP2.6 mit sehr ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen liegt die Bandbreite des Temperaturanstiegs bei 0.3–1.7°C, für die beiden Stabilisierungspfade erhöht sie sich auf 1.1–2.6°C (RCP4.5) bzw. 1.4–3.1°C (RCP6.0). Für RCP8.5 mit sehr hohen Treibhausgasemissionen ergibt sich eine Spanne von 2.6–4.8°C. Dabei erwärmt sich die Arktis jeweils wesentlich schneller als das globale Mittel, und die mittlere Erwärmung über Land ist deutlich größer als über dem Ozean.

Um die regional unterschiedlichen Ausprägungen der Klimaänderungen untersuchen zu können, werden die globalen Simulationen mit deutlich höher auflösenden regionalen Klimamodellen räumlich verfeinert. Damit können beispielsweise extreme Niederschläge und räumlich detaillierte Temperaturkontraste abgebildet werden. Die so gewonnenen räumlich detaillierten Informationen zu möglichen Änderungen verschiedener Klimaparameter werden für die Forschung zu Klimafolgen, besonderen Gefährdungen (Vulnerabilität) und Anpassungsoptionen benötigt.

Für Europa wurden und werden im Rahmen der EURO-CORDEX-Initiative Ensemble-Simulationen mit Kombinationen verschiedener globaler und regionaler Klimamodelle mit einer horizontalen Auflösung von etwa 12,5 Kilometern erstellt. Basierend auf dem neuesten Stand des EURO-CORDEX-Ensemble von 2020 wurden für Deutschland 85 regionale Klimamodellsimulationen für drei verschiedene RCPs ausgewertet. Daraus ergeben sich für das Gebietsmittel von Deutschland bis zum Ende des 21. Jahrhunderts im Vergleich zu 1971-2000 folgende Bandbreiten für den projizierten Anstieg der bodennahen Lufttemperatur: 0,4–1,8°C für RCP2.6, 1,3–3,1°C für RCP4.5 und 2,7–5,3°C für RCP8.5. Die projizierten Änderungen der jährlichen Niederschläge reichen von einer Abnahme von 9,9 Prozent bis zu einer Zunahme von 28,1 Prozent. Hier sind die projizierten Zunahmen jedoch nur für RCP8.5 robust. Robust bedeutet, dass mindestens zwei Drittel der Simulationen eine Zunahme und mindestens 50 Prozent der Simulationen gleichzeitig eine deutliche Zunahme zeigen.

Globale Folgen des Klimawandels

Die Erwärmung der Erdoberfläche und der Atmosphäre verändern die Druck- und Windsysteme und damit den Transport von Luftmassen und die Struktur der atmosphärischen Zirkulation. Zudem erhöht sich die Verdunstung von Wasser in die Atmosphäre. Die erwärmte Atmosphäre kann mehr Wasserdampf aufnehmen und transportieren, was regional zu Veränderungen der Niederschläge führt. So haben in den mittleren Breiten der Nordhemisphäre die Niederschläge gemittelt über den Landflächen in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen, in anderen Regionen jedoch abgenommen.

Trockenheit und Wetterextreme

Die zunehmende Verdunstung über Landflächen kann regional und jahreszeitlich zu Bodentrockenheit führen. Dauert die Trockenheit im Boden länger an, spricht man von einer "Bodenfeuchte-Dürre" oder auch landwirtschaftlichen Dürre, welche das Wachstum der Pflanzen und die landwirtschaftlichen Erträge beeinträchtigt.

Die Klimaänderungen, einschließlich der Zunahme von Extremereignissen in Häufigkeit und Intensität, haben bereits jetzt negative Folgen für die Ernährungssicherheit und die terrestrischen Ökosysteme und tragen in vielen Regionen zu einer Verschlechterung der Bodeneigenschaften bis hin zur Wüstenbildung bei. So hat der Klimawandel die Erträge von Weizen und Mais in vielen Regionen und auch global betrachtet vermindert.

In der Zusammenfassung des 5. IPCC-Sachstandsberichts für politische Entscheidungsträger werden weitere Beobachtungen beschrieben: Seit 1950 zeigen sich zahlreiche Veränderungen von Wetter- und Klimaextremen. So nahm die Anzahl kalter Tage und Nächte ab, die Anzahl warmer Tage und Nächte dagegen zu. Hitzewellen traten in weiten Teilen Europas, Asiens und Australiens häufiger auf. Starke Niederschläge nahmen in Europa und Nordamerika an Häufigkeit und Intensität zu. Die oberen Ozeanschichten (0–700 m) erwärmten sich, in den oberen 75 Metern von 1971–2010 im Mittel um 0,11°C pro Dekade.

Erwärmung der Ozeane und Anstieg des Meeresspiegels

Die Erwärmung des Ozeans macht mehr als 90 Prozent der zwischen 1971 und 2010 durch die anthropogene Erwärmung angehäuften Energie aus. Dabei hat sich die Ozeanerwärmung in den letzten Jahrzehnten beschleunigt. Häufigkeit und Intensität sogenannter mariner Hitzewellen sind deutlich gestiegen. Durch die vermehrte Aufnahme von Kohlendioxid verringert sich der ph-Wert des Meerwassers und der Säuregehalt der Ozeanoberfläche steigt an. Von der Oberfläche bis in 1000 Metern Tiefe ging der Sauerstoffgehalt zurück. Dadurch verschlechtern sich die Lebensbedingungen vieler Arten in den Meeren. Ganze Nahrungsketten sind betroffen und auch das Nahrungsangebot für den Menschen verringert sich.

Während der letzten Jahrzehnte verloren die Eisschilde in Grönland und in der Antarktis an Masse, die Gletscher sind fast überall auf der Erde weiter abgeschmolzen, und die Schneebedeckung in der Nordhemisphäre hat im Frühjahr durchschnittlich weiter abgenommen. Im Zeitraum 1979–2012 hat sich die mittlere jährliche Ausdehnung des arktischen Meereises um 3,5–4,1 Prozent pro Dekade verringert.

Auch die Dicke des Meereises hat abgenommen. Die Permafrost-Temperaturen sind in den meisten Regionen seit den frühen 1980er-Jahren deutlich angestiegen, es wurden vielerorts Rückgänge bei der Dicke und der flächenhaften Ausdehnung des Permafrostes festgestellt.

Da Wasser sich bei Erwärmung ausdehnt und abschmelzendes Eis vom Festland dem Meer vermehrt Wasser zuführt, ist im Zeitraum von 1901–2010 der globale mittlere Meeresspiegel um etwa 19 Zentimeter angestiegen, wobei sich die Anstiegsrate in den vergangenen 20 Jahren auf etwa 3,2 Millimeter pro Jahr verdoppelt hat. Erhöhte Windgeschwindigkeiten und Niederschläge von tropischen Wirbelstürmen sowie die Zunahme von extremen Wellen verschärfen in Kombination mit dem relativen Meeresspiegelanstieg Extremwasserstände, und Gefahren an Küsten führen zu Überflutungen und Erosion von Landflächen.

Zukunftsszenarien bei Erwärmung um 1,5°C

Fortgesetzte Emissionen von Treibhausgasen werden eine weitere Erwärmung und Veränderungen in allen Komponenten des Klimasystems bewirken. Nach dem "IPCC-Sonderbericht über 1,5°C Globale Erwärmung" von 2018 erreicht die globale Erwärmung wahrscheinlich zwischen 2030 und 2052 1,5°C. Wie sich die Erwärmung dann weiter fortsetzt und ob sie entsprechend dem Pariser Abkommen auf weniger als 2°C und besser auf 1,5°C begrenzt werden kann, hängt von den weiteren Anstrengungen zum Klimaschutz ab.

Nach den Erkenntnissen des IPCC-Sonderberichtes zu Ozeanen werden sich der globale Massenverlust von Gletschern, das Tauen von Permafrost und der Rückgang der Schneebedeckung und des arktischen Meereises in der nahen Zukunft fortsetzen. Die grönländischen und antarktischen Eisschilde werden während des gesamten 21. Jahrhunderts und auch über dieses Jahrhundert hinaus mit zunehmender Geschwindigkeit an Masse verlieren. Die Geschwindigkeiten und Ausmaße dieser Veränderungen werden bei einem Pfad mit hohen Treibhausgasemissionen in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts weiter zunehmen. Gelingt es jedoch, in den kommenden Jahrzehnten die Treibhausgasemissionen stark zu verringern, so würden die Klimaänderungen nach 2050 weniger stark ausfallen.

Die Auswirkungen einer globalen Erwärmung um 1,5°C auf die Natur und den Menschen werden höher sein, als sie es heute schon sind, aber deutlich geringer ausfallen als bei 2°C. Der "IPCC-Sonderbericht über 1,5°C Globale Erwärmung" sagt für die meisten bewohnten Regionen in Zukunft vermehrte Hitzeextreme voraus, in mehreren Regionen häufigere Starkniederschläge und in einigen Regionen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Niederschlagsdefiziten und Dürren. Verbunden damit sind Folgen für Biodiversität und Ökosysteme einschließlich des Verlusts und Aussterbens von Arten, die unter 1,5°C globaler Erwärmung lediglich etwas geringer ausfallen als beim Temperaturanstieg auf 2°C.

Der Bericht legt dabei den Schwerpunkt auf Klimaschutzszenarien, die während des gesamten 21. Jahrhunderts die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen oder lediglich einen leichten Overshoot von maximal 0,1°C zulassen. Ein starkes Überschreiten der 1,5-Grad-Erwärmung hingegen würde zu irreversiblen Schäden für Menschen und Ökosysteme führen, selbst wenn es gelingen sollte, die globale Erwärmung zum Ende des Jahrhunderts durch verstärkten Entzug von Kohlendioxid aus der Atmosphäre wieder auf 1,5 Grad zurückzuführen.

QuellentextAuf töneren Füßen

[…] In Jakutien – offiziell Republik Sacha – ist es im Schnitt vier Grad wärmer als vor 50 Jahren. Dieser und letzter Sommer [2019/2020] waren besonders heiß, sogar in der jakutischen Arktis. 38 Grad, neuer Rekord, gemessen in Werchojansk. Dort wird es im Winter kälter als an jedem anderen bewohnten Ort der Erde. […]. Der Klimawandel verformt ganze Landstriche. […]

Permafrost ist überall anders. In der Stadt Jakutsk ist er zum Beispiel recht trocken und somit relativ stabil. Gefährlicher ist das Wasser im Boden. In der gefrorenen Erde schlummern riesige Linsen und Zapfen aus Eis. Wenn sie schmelzen, lassen sie große Hohlräume zurück. Manchmal fallen hier sogar Kühe in Löcher hinein, ganze Dörfer rutschen weg, Schienen verbiegen sich, Mienen werden geflutet, Felder verderben. [Alexander] Fjodorow [Vizedirektor des Permafrost-Instituts in der jakutischen Hauptstadt] zeigt Fotos von Hängen, die aussehen wie zerflossene Schokolade. Wälder stürzen regelrecht in Abgründe. Im Norden ist ein riesiger Krater entstanden, einen Kilometer lang. [...] Etwa ein Viertel der jakutischen Permafrostfläche ist besonders stark mit Eis durchsetzt. […] Wenn es die Erwärmung nicht gäbe, sagt Fjodorow, wäre dieses Land "sehr stabil, sehr gut". […]

Hinter Fjodorows Schreibtisch hängt eine bunte Landkarte: Jakutien, fast neunmal so groß wie Deutschland. Die verschiedenen Farben auf der Karte unterscheiden 75 Arten von Permafrost. Unten im Süden ist das Klima wärmer, dort ist der Boden nicht immer und überall gefroren. Weiter nördlich, in Zentraljakutien, liegt ständig, stabil Permafrost. Doch die Grenzen verschieben sich, das wärmere Wetter wandert immer weiter nach Norden. [...] "Wir geben uns Mühe, das nicht zu bemerken", sagt er. "Niemand will an einem schlechten Ort leben. Wir betrügen uns selbst." […]

In Jakutsk ist der Permafrostboden heute ein halbes Grad wärmer als noch in den Neunzigerjahren, damals hatte er minus drei Grad. In der jakutischen Tundra waren es minus elf, jetzt minus acht, sagt Fjodorow. Dazu kommt, dass das Tauwetter immer tiefer in den Boden reicht. Je nach Landschaft sackt der Boden bis zu 18 Zentimeter im Jahr ab. Bis zu drei Meter in 20 Jahren, wenn es so weitergeht.

Draußen ist es drückend heiß, gerade haben sie hier fast 30 Grad. Das kommt vor im Juli, aber im Winter gilt Jakutsk als kälteste Großstadt der Welt. Sonst ist vieles wie in jeder russischen Stadt: die Leninstatue im Zentrum, die fünfstöckigen Wohnblöcke. Aber hier steht fast alles auf Betonpfeilern, auch Hochhäuser mit 16 Etagen. Die höchsten überhaupt auf Permafrostboden.

Sich den Frost bei 30 Grad vorzustellen, fällt schwer. Dabei hinterlässt er überall seine Spuren. Unter vielen Häuserkanten klemmen zusätzliche Stützen, wie unter kippelnden Möbeln. Die Platten der Plattenbauten driften auseinander, die Bürgersteige haben Löcher. Ältere Holzhäuser hängen in der Mitte durch wie Bananen. Etwa die Hälfte der Gebäude in der Stadt müsste renoviert werden, heißt es im Rathaus. "Havariezustand" nennt man hier die schlimmen Fälle, wie bei Schiffen in Seenot. Oft rutschen Stützpfeiler ab, weil der Boden nachgibt. Und Baufehler auf Permafrost rächen sich. […]

Die russische Regierung will dem Klimawandel jetzt etwas entgegensetzen. Im Januar hat sie einen Plan veröffentlicht, eine Art To-do-Liste. Für jede Branche soll geprüft werden, wie sie sich auf den Klimawandel einstellen kann. Ob sie etwa Dämme bauen oder dürreresistente Samen einkaufen sollten. Aber auch das steht in dem Papier, dass das Tauwetter die Schifffahrt in der Arktis erleichtere, und dass die längeren Sommer der Landwirtschaft helfen.

[…] Der Klimawandel ist auch in Russland zum Thema geworden. Dabei glauben viele Russen weiter nicht, dass der Mensch Einfluss auf die Erwärmung hat. […]

Wladimir Prokopiew kennt die Ursachen. Er sitzt für die Regierungspartei Einiges Russland im jakutischen Parlament […] und stellt klar: Der Permafrost taue wegen des Klimawandels, und verursacht habe den das Treibhausgas. Aber daran seien die großen Industriestaaten schuld. Ist Russland kein großer Industriestaat? "Nicht der größte", sagt er. Tatsächlich ist Russland der viertgrößte Emittent nach China, den USA und Indien. […]

An der Leninstraße steht das Institut für "biologische Probleme der Permafrostzone". […] Wer hier nach dem Klimawandel fragt, hört apokalyptische Geschichten. Weil die Sommer trockener und länger werden, nehmen Waldbrände zu. […] [2019] brannte die größte Fläche seit Jahrzehnten, auch […] [2020] waren es schon mehr als eine Million Hektar allein in Jakutien. In diese Statistik sind viele Brände in abgelegeneren Gegenden noch gar nicht eingerechnet. Feuer kann dem Wald helfen, sich zu erholen. Aber der Wald schützt den Frostboden vor der Sonne. Verkohlte Flächen dagegen ziehen die Sonne an, dann weicht der Boden auf. Und wenn er dabei zu feucht wird, wachsen keine Bäume nach. Es ist ein Teufelskreis.

Auch Überschwemmungen sind in Jakutien verheerender als anderswo. Über dem gefrorenen Boden taut nur eine dünne Schicht. Diese "aktive" Schicht trocknet bei Hitze besonders schnell aus. Und bei Regen nimmt sie nur wenig Wasser auf, das fließt stattdessen in Flüsse und Seen. So wechseln sich Dürre und Überflutung ab.

Es sind die kleinen Völker, die am stärksten unter der Klimaveränderung leiden. Wenn das Eis auf den Seen und Flüssen nicht trägt, kann man ihre Dörfer nicht mehr erreichen und nichts dorthin liefern, weder Brennstoff noch Lebensmittel. Ohne festes Eis können die Jäger auf ihren Schneemobilen nicht nach Zobeln jagen und die Fischer zur Laichzeit nicht fischen. Fische schwimmen tiefer, Vögel ziehen nördlicher, das Wasser wird unreiner, der Wind stärker, das Wetter unvorhersehbarer. Und die Menschen werden arbeitslos. […]

Silke Bigalke, "Bodenlos", in: Süddeutsche Zeitung vom 13. August 2020

Zukunftsszenarien bei Erwärmung um 4°C

Der Domino-Effekt im Klimasystem (© picture-alliance / dpa-infografik / dpa-infografik; Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences)

Würde die Menschheit einen Emissionspfad entsprechend dem RCP8.5 beschreiten, wäre eine globale Erwärmung hin zu einer 4°C wärmeren Welt die Folge, was die Auswirkungen des Klimawandels deutlich verstärken würde. In einigen Komponenten des Klimasystems werden sogenannte Kipppunkte, also kritische Schwellenwerte erreicht, deren Überschreiten unkontrollierbare und sich selbstverstärkende Prozesse auslöst, die zum Teil unaufhaltsam und unumkehrbar sind.

So würde ein anhaltender Massenverlust von Eisschilden einen stärkeren Meeresspiegelanstieg verursachen, und ein Teil dieses Massenverlustes könnte unumkehrbar sein. Eine anhaltende Erwärmung, die höher ist als ein bestimmter Schwellenwert, würde zu einem nahezu vollständigen Verlust des Grönländischen Eisschildes über ein Jahrtausend oder mehr führen und damit einen mittleren globalen Meeresspiegelanstieg von bis zu 7 Meter bewirken. Schätzungen basierend auf dem 5. Sachstandsbericht des IPCC zeigen, dass dieser Schwellenwert größer als ca. 1°C globale Erwärmung ist, aber kleiner als 4°C.

Eine mögliche Folge des Klimawandels ist auch ein abrupter und unumkehrbarer Eisverlust durch eine potenzielle Instabilität von auf dem Meeresgrund aufliegenden Teilen des Antarktischen Eisschildes. Die fortschreitende Erwärmung der Permafrostregionen führt zum Auftauen des Permafrosts und setzt die mikrobielle Zersetzung des darin gespeicherten Bodenkohlenstoffs in Gang. Hierbei kann eine unkontrollierbare Quelle von Treibhausgasemissionen geschaffen werden, die möglicherweise ihrerseits die Erderwärmung verstärkt, auch nachdem die anthropogenen Treibhausgasemissionen auf null reduziert worden sind.

Einflüsse durch gesellschaftliche Entwicklungen

Die mit dem Klimawandel verbunden Risiken für die Natur und den Menschen hängen vom Ausmaß und der Geschwindigkeit der Erwärmung ab und wie diese sich regional und lokal ausprägt. Zum anderen spielt auch eine Rolle, wie sich die Bevölkerung, der Konsum, die Produktion-, die Technologie und das Landmanagement entwickeln. Entwicklungspfade mit höherem Bedarf an Nahrung, Futtermitteln und Wasser, mit ressourcenintensiverem Konsum und ressourcenintensiverer Produktion sowie mit geringeren technologischen Verbesserungen der landwirtschaftlichen Erträge führen zu höheren Risiken durch Wasserknappheit in Trockengebieten, Landdegradierung und Ernährungsunsicherheit. Werden hingegen die Treibhausgasemissionen reduziert und Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel durchgeführt, können auch Desertifikation und Landdegradierung bekämpft und die Ernährungssicherheit verbessert werden.

Viele Maßnahmen zur Bekämpfung von Desertifikation können die Anpassung an den Klimawandel unterstützen und sein weiteres Fortschreiten hemmen. Außerdem können sie den Verlust an biologischer Vielfalt eindämmen und nachhaltige Entwicklung fördern. Nachhaltiges Landmanagement kann Landdegradierung verhindern oder verringern, die Produktivität von Landsystemen aufrechterhalten und so die negativen Folgen des Klimawandels für die Landsysteme auffangen, vermeiden oder sogar umkehren. Handlungsmöglichkeiten im gesamten Ernährungssystem, von der Produktion bis zum Verbrauch, einschließlich der Vermeidung von Nahrungsmittelverlusten und -verschwendung, können eingesetzt und ausgebaut werden, um eine Anpassung an bzw. Vermeidung von Klimawandel voranzubringen.

Folgen für Europa und Deutschland

In Europa kommt es mit fortschreitendem Klimawandel immer häufiger zu Hitzewellen, Waldbränden und Dürren. Seit 2003 hat Europa mehrere extreme Hitzewellen erlebt (2003, 2006, 2007, 2010, 2014, 2015, 2018, 2019). Sie werden unter dem Emissionsszenario RCP8.5 in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts voraussichtlich alle zwei Jahre auftreten und sich besonders stark in Südeuropa ausprägen. In Nordeuropa wird das Klima im Durchschnitt deutlich feuchter und es kommt häufiger zu Überschwemmungen. Alpine, skandinavische und isländische Gletscher ziehen sich zurück, in den Alpen nehmen Felsstürze zu. In den Flüssen treten zeitweise besonders niedrige und phasenweise besonders hohe Abflussmengen auf.

QuellentextGletscherschwund in den Alpen

[…] Fünf Gletscher gibt es heute in Deutschland. Im Gebiet rund um die Zugspitze den Südlichen Schneeferner, den Nördlichen Schneeferner und den Höllentalferner, in den Berchtesgadener Alpen den Watzmanngletscher und das Blaueis. Zusammengenommen bedecken sie gerade noch eine Fläche, so groß wie die Münchner Theresienwiese, auf der das Oktoberfest stattfindet.
[…] Welcher verschwindet zuerst?

Der Mann, der die bayerischen Gletscher so gründlich erforscht hat wie niemand sonst, heißt Wilfried Hagg. Sein Büro ist ein kleines Kabuff in der Hochschule für angewandte Wissenschaften München. Hagg, 48, ist Professor an der Fakultät für Geoinformation, Studiengang "Kartographie und Geomedientechnik". […] Er untersucht den Blaueisgletscher wie ein Arzt seinen Patienten. Zuerst sammelte er alte Messdaten, vereinheitlichte und verglich sie. Dann begann er, selbst den Felsenkessel hinaufzusteigen. Alle paar Jahre stellt er nun sein Laser-Vermessungsgerät auf. Die Ergebnisse komplettieren die historische Zahlenreihe. 1889: 16,4 Hektar. 1949: 15,2. 1970: 12,6. 1989: 12,3. 2009: 4,7. 2018: 3,5. […]

Am besten vergleiche man einen Gletscher mit einem Girokonto, sagt Wilfried Hagg. Der Schnee, der im Winter falle und liegen bleibe, sei die Einzahlung. Das Eis, das im Sommer schmelze, die Abbuchung. Wenn sich beides die Waage halte oder die Einnahmen die Ausgaben gar überstiegen, sei die Haushaltsführung gesund. In den Alpen sei das seit Langem eine Utopie. Besonders am Blaueisgletscher. […]

Kann man ihn überhaupt noch so nennen – Gletscher? Definitionsgemäß muss eine Eisfläche, egal wie groß, sich unter ihrem eigenen Druck bewegen, um als Gletscher zu gelten, erklärt Hagg. "Eine unbewegte Eisfläche gilt als Toteis." […]
Wäre der Gletscher tatsächlich ein Patient, er würde wohl regungslos auf der Intensivstation liegen. Er würde nahezu keine äußeren Lebenszeichen mehr zeigen. Aber die Ärzte könnten noch Hirnströme messen. "Nirgends steht, um wie viele Zentimeter im Jahr das Eis sich noch bewegen muss", sagt Hagg. "Wir haben uns daher entschieden, an unseren Gletschern festzuhalten, solange es irgendwie vertretbar ist." Wie lange wird es noch vertretbar sein? "Wir reden von wenigen Jahren." Genauer? "Die 2020er-Jahre wird das Blaueis nicht überleben." […]

[…] Will man jenseits der alten Bilder und der Erzählungen eine Vorstellung davon bekommen, […] was da verschwunden ist in so kurzer Zeit, kann man Richtung Südwesten fahren, einmal quer durch die Alpen. […] [A]uf dem Jungfraujoch […], 3454 Meter über dem Meeresspiegel […]. […] Drei Gletscher vereinigen sich hier oben zu einem: dem Aletschgletscher, dem größten Eisstrom der Alpen.

Der Aletsch ist über 22 Kilometer lang und bedeckt eine Fläche von mehr als 80 Quadratkilometern. An seiner massivsten Stelle ist er rund 900 Meter dick. Solche Dimensionen hatte das Blaueis nie. Deshalb lässt sich am Aletsch besonders eindrücklich – sozusagen in Vergrößerung – betrachten, was einen Gletscher ausmacht, der noch kein Intensivpatient ist. Der Aletsch schiebt sich mit einer Geschwindigkeit von bis zu 200 Metern im Jahr talwärts. Dabei platzt er an seiner Oberfläche auf, und es entsteht ein Labyrinth aus sich ständig wandelnden Spalten, bis zu 30 Meter tief. Anderswo auf dem Schneefeld haben sich sogenannte Séracs aufgeschichtet, bizarr geformte Eistürme, so hoch wie Mehrfamilienhäuser. Sie können jederzeit in sich zusammenstürzen. Aus den Spalten dringt Knacken und Bersten herauf. Die Geräusche sind Begleiter einer Gletscherwanderung – eine Erinnerung daran, dass das Eis nie zur Ruhe kommt. […]

Gerade haben Forscher der ETH Zürich nachgewiesen, dass der Aletsch diesen Sommer innerhalb von drei Monaten bis zu acht Meter an Dicke verloren hat. Auch er ist gefährdet. Anders als beim Blaueis allerdings steht sein Schicksal noch nicht fest. Von den 5500 Alpengletschern haben nach Ansicht der Forscher einzig die zwei Dutzend größten, mit jeweils mehr als zehn Quadratkilometern Fläche, eine Chance. Gelingt es der Menschheit, die Erderwärmung unter Kontrolle zu bekommen, könnten sie wegen ihres dickeren Eispolsters das Gletschersterben überstehen.

Schon heute erwärmt sich die Luft in den Alpen doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt, das hat mit dem sogenannten Albedo-Effekt zu tun. Weiße Flächen reflektieren mehr Sonnenlicht als dunkle. Verschwinden Eis und Schnee, lässt diese Wirkung nach: Die Alpen absorbieren mehr Wärme, wodurch wiederum Eis und Schnee in größeren Mengen verschwinden, und immer so weiter. Ein klassischer Rückkopplungseffekt. […]

Das Zurückweichen großer Gletscher destabilisiert Berglandschaften, weil plötzlich der Druck auf die Oberflächen verloren geht. In der Schweiz krachten 2006 etwa zwei Millionen Kubikmeter Felsmasse von der Ostwand des Eigers herab, ausgelöst vom Rückzug des Unteren Grindelwaldgletschers. In Saas-Almagell, hundert Kilometer weiter südlich, evakuierten sie 2017 das ganze Dorf, weil Eismassen vom Gletscher abzubrechen und niederzuprasseln drohten. Nichts passierte. Der Gletscher wird nun überwacht.

Und dann ist da noch die Gefahr durch Wassertaschen – auf Gletschern bilden sich Schmelzwasserseen, sickern ins Eis und formen dort Hohlräume, oft auch von Fachleuten unbemerkt. Nimmt der Druck in der Wassertasche zu, kann sie wie aus dem Nichts explodieren und das Tal unterhalb des Gletschers fluten. Im Jahr 1892 starben bei einer solchen Katastrophe in einem Kurort am Fuß des Montblanc 175 Menschen. Vor wenigen Wochen wurde am Montblanc wieder vorsichtshalber ein Dorf evakuiert.
In Bayern wird so etwas nicht mehr geschehen, die fünf deutschen Gletscher sind längst zu klein, um noch eine Bedrohung zu sein. […]

Marius Buhl, "Toteis", in: DIE ZEIT Nr. 43 vom 15. Oktober 2020

Die städtischen Gebiete sind besonderes verwundbar gegenüber Hitzewellen und Überschwemmungen. Der Klimawandel wirkt sich direkt auf die Gesundheit der Menschen aus. In manchen Regionen ist bereits ein Anstieg der hitzebedingten Todesfälle zu verzeichnen. Bestimmte wasserbasierte Krankheiten und Krankheitsüberträger verbreiten sich zunehmend. Von den Veränderungen stark betroffen sind Branchen wie Land- und Forstwirtschaft, Energie und Tourismus, für die bestimmte Temperatur- und Niederschlagsmengen wichtig sind. Der Klimawandel vollzieht sich so rasch, dass viele Pflanzen- und Tierarten sich kaum anpassen können und verstärkt vom Aussterben bedroht sind.

Auch in Deutschland hat die Hitzebelastung deutlich zugenommen. Im Zeitraum 1951 bis 2019 ist die Anzahl der heißen Tage, an denen die Tageshöchsttemperatur 30°C überschreitet, im Mittel um etwa 8 Tage gestiegen, mit der höchsten Anzahl im Jahr 2018 mit mehr als 20 heißen Tagen. Die Sommer in den Jahren 2003, 2018 und 2019 waren die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881. Weiterhin sind in Deutschland in vielen Regionen Veränderungen der Niederschlagsregime zu beobachten, mit Zunahmen der Niederschlagsmengen im Winter, die zudem seltener in Form von Schneefall herunterkommen.

Starkniederschlagsereignisse haben zugenommen, die beispielsweise in 2016 und 2017 in vielen Regionen und Städten in Deutschland zu Überschwemmungen geführt haben. Auch in heißen und trockenen Jahren gibt es Starkregen, besonders viele traten im Dürrejahr 2018 auf, das zugleich durch lange Phasen mit sehr geringen Niederschlägen und durch hohe Verdunstungsraten aufgrund hoher Temperaturen geprägt war. Längere Phasen mit geringen Niederschlägen führen in Kombination mit höherer Verdunstung aufgrund ansteigender Temperaturen vermehrt zu Trockenheit im Boden und damit zu Bodenfeuchte-Dürren. Beobachtungen des Meeresspiegels verzeichnen einen Anstieg von etwa 10 bis 20 Zentimetern an Deutschlands Nord- und Ostseeküsten innerhalb der letzten 100 Jahre; dieser generelle Trend verbindet sich im selben Zeitraum mit einem Anstieg der Sturmflutwasserstände.

QuellentextModell für extreme Wetterlagen

[…] In der Summe der vergangenen beiden Jahre [2018 und 2019] wurde an keiner anderen der rund 2000 Messstationen des Deutschen Wetterdienstes so wenig Niederschlag registriert wie in Artern [an der Unstrut in Thüringen]. Dazu war es mehr als zwei Grad wärmer als üblich. […] Ein Ort trocknet aus, mitten in Deutschland. 2018 fielen hier nur noch 273 Millimeter Niederschlag, kaum mehr als in der mongolischen Steppenstadt Ulan-Bator. […]

Dabei ist in Artern womöglich die Zukunft zu besichtigen: Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Meteorologie und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung erwarten, dass sich die Niederschlagsmenge in Deutschland mit zunehmender Erderwärmung zwar vergrößern könnte – aber wenn, dann eher durch mehr Regen im Winter. In den Sommern hingegen, mitten in den Vegetationsphasen, werde sich der Hitze- und Dürre-Trend wahrscheinlich fortsetzen. Die Sommer von Artern dürften demnach Modell für extreme Wetterlagen in weiten Teilen Zentraleuropas sein.

[…] 1961 […] war die Arterner Senke zwischen den Gebirgen noch Überflutungsgebiet. Die sogenannten Riethflächen, im Mittelalter trockengelegte Flussauen, standen mindestens einmal im Jahr unter Wasser. […] Zu DDR-Zeiten wurde die Unstrut begradigt, was die Fließgeschwindigkeit erhöhte. Regen verschwand in Kanälen, statt zu versickern. Der Grundwasserspiegel sank. Blieben dann auch noch die Niederschläge aus, fiel schnell alles trocken. […]

Manchmal lässt […] die Trockenheit sich auch aus Zahlen lesen. Von den 6000 im Baumkataster erfassten Bäumen der Stadt haben 40 Prozent "Trockenschäden". Um all die Pflanzen mit sogenannten Wassertaschen oder Wadenwickeln zu retten, wie reichere Städte in Westdeutschland das tun, fehlt dem Ort das Geld. Auf dem Friedhof mussten die Gärtner im […] Sommer [2019] jeden zehnten Baum fällen, schattige Gräber liegen plötzlich in der prallen Sonne. In Privatgärten verdorren ganze Thujahecken, Rentnerpaare sitzen wieder auf nackten Grundstücken, als seien sie eben erst eingezogen. […].

Der Kreisbrandinspektor meldet, seit 2017 habe sich die Zahl der Gras-, Heide-, Busch-, Acker- und Strohballenbrände im Landkreis verdreifacht. Heißgelaufene Mähdrescher fangen Feuer. Aus trockengefallenen Tümpeln lässt sich kein Löschwasser mehr pumpen, Arterns Stadtbrandmeister sagt, seine Leute müssten mittlerweile über Kilometer hinweg Schläuche aneinanderschrauben bis zur Unstrut. Die jüngste Generation seiner Feuerwehrmänner kenne nur Brände, Sandsäcke habe sie nie geschleppt.

[…] Wer bislang größter Verlierer ist, lässt sich schwer sagen. Womöglich ist es der Wald. Im nahen Kyffhäusergebirge sind fast alle Fichten eingegangen. Die Kiefern wurden von einem Pilz aus Südeuropa befallen, der auf die Eichen übersprang, als er mit den Kiefern durch war. Zweihundertjährige Buchen starben ausgedörrt innerhalb weniger Wochen. Überall kahle Kronen, knochenbleiches Totholz, leergestorbene Flächen.

Zehn Kilometer südlich von Artern ist ein Mann anzutreffen, der den Wald nicht aufgeben will. Nico Frischbier, Wissenschaftler am Forstlichen Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha. […] Vor acht Jahren hat Frischbier im Windschatten der Gebirge um Artern einen Versuchswald aus Libanonzedern, Orientbuchen, Hemlocktannen, Silberlinden und Türkischen Tannen angelegt, allesamt Exoten. Die Wahl des Standorts war kein Zufall. Frischbier ist sich sicher: "Die Verhältnisse hier werden 2050 auf der Hälfte unserer Landesfläche herrschen."

Die Veränderung des Klimas belastet die Wälder auch deshalb, weil bei zunehmender Erwärmung die Vegetationsphase immer länger dauert. Der Mai ist gekommen? Die Haseln blühten [..] [2020] im Januar, die Wälder ergrünten im April. Das mögliche Mehr an Niederschlag aus den Wintern ist schnell verbraucht, verdunstet, verweht. Und dann kommt nichts nach.
Wenn Fichten, Eichen und Buchen sterben, ist das eine Katastrophe, die über kahle Mittelgebirge hinausreicht. Anders als der Laie glaubt, ist Deutschland arm an heimischen Baumarten. Weltweit sind rund 60.000 bekannt, in Deutschland bloß etwa 70. Während der Eiszeit starben die meisten Arten unter Gletschereis aus, nur wenige schafften es später über den Hochgebirgsriegel aus Pyrenäen, Alpen und Karpaten zurück.

Jetzt bricht womöglich eine Heißzeit an. Was, wenn die verbliebenen Bäume nicht dazu passen? […] Nico Frischbier […] telefonierte mit türkischen Forstverwaltern, erkundigte sich über Wälder auf dem Balkan und in Georgien, schrieb sogar Mails nach China. Ein heikles Unterfangen. Es gilt, Artenschutzabkommen zu beachten, niemand will eine invasive Art einschleppen oder Waldspaziergänger mit Stechpalmen irritieren. […]

So steht er nun in einem umzäunten Versuchswald, der nicht nur geografische Verhältnisse spiegelt, sondern auch geopolitische Realitäten. Auf Feldern von 34 mal 34 Metern jeweils 17 mal 17 Bäume. Ein Schachbrett aus verschiedenen Grüntönen, auf dem Frischbier eine Strategie für den Forst der Zukunft sucht. […] Der Kandidat Orientbuche gedeiht verlässlich, allerdings recht krüppelig. Von den Türkischen Tannen hat es nur ein Viertel durch die Jahre geschafft, von den Libanonzedern ein Drittel. Die Triebe der Silberlinden aus Bulgarien stürben im Sommer regelmäßig wieder ab, sagt Frischbier. Und über das Sorgenkind Hemlocktanne fällt der Furchenflügelige Fichtenborkenkäfer her – es sind ja keine Fichten mehr da.

Im Wald der Zukunft werde es nicht mehr um Holzernte gehen, sagt Frischbier. "Nur darum, die Oberfläche bedeckt zu halten." Das Land nicht der Erosion preiszugeben. So, wie er dabei klingt, wäre das schon ein Grund, sich zu freuen. Und er hat ja recht: Alles, was in Artern funktioniert, könnte auf lange Sicht dem ganzen Land helfen [...].

Martin Machowecz / Henning Sußebach, "Die Wettervorhersage", in: DIE ZEIT Nr. 33 vom 6. August 2020

Die häufiger und intensiver auftretenden Hitzewellen belasten Menschen, Tiere und Pflanzen. Sie können vor allem bei älteren und kranken Menschen schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben. "Aufgrund der alternden Bevölkerung, der Urbanisierung und der Häufigkeit von Diabetes, Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen ist die europäische Bevölkerung durch Hitze besonders gefährdet", stellt der Deutschland-Bericht fest, der erstmalig im Rahmen des "Lancet Countdown on Health and Climate Change" 2019 veröffentlicht wurde.

Die Veränderungen der Temperaturen und Niederschläge im Jahresverlauf haben Einfluss auf die landwirtschaftliche Produktion; extreme Hitze und Trockenheit, aber auch Dauer- und Starkregen können vermehrt zu Ernteausfällen führen. Die Wälder sind ebenfalls zunehmend durch Hitze und Trockenheit gefährdet, was ihre Anfälligkeit gegenüber Schädlingsbefall und Stürmen erhöht. In Städten zeigt der Klimawandel besonders starke negative Effekte aufgrund der hohen Dichte an Bevölkerung und Infrastruktur. Neben einer besonders ausgeprägten Hitzebelastung führt der hohe Versiegelungsgrad in Städten bei Starkniederschlägen häufiger zu Überschwemmungen und dadurch zu Beeinträchtigungen in der Wasserversorgung und -entsorgung, in der Energieversorgung und im Verkehr, was durch die enge Verzahnung der Infrastrukturen wechselseitig verstärkt werden kann.

Anpassung an den Klimawandel

Der Klimawandel bringt, wie oben dargelegt, weitreichende negative Folgen in allen Regionen der Erde mit sich, bedroht das Leben vieler Arten und hat Einfluss auf das Leben und die Gesundheit der Menschen. Nur durch sofortige und stark beschleunigte Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen kann die globale Erwärmung auf weniger als 2°C beschränkt werden, wie es als Ziel im Pariser Abkommen von 2015 formuliert ist. Die Vermeidung von Emissionen erfordert eine Anpassung der Lebensweise des Menschen und eine Transformation aller gesellschaftlichen Bereiche. Darüber hi naus sind effektive Maßnahmen zur Förderung der Senken von Treibhausgasen notwendig. Beispiele für solche Senken, also Systeme, die der Atmosphäre Kohlendioxid entziehen, sind Aufforstung oder Landmanagement zur vermehrten Kohlenstoffspeicherung im Boden.

Doch selbst wenn es gelingt, die globale Erwärmung auf unter 2°C zu beschränken, werden Folgen des Klimawandels nicht mehr zu umgehen sein, an die sich die Menschheit anpassen muss. Deshalb sind sowohl Strategien zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen als auch Strategien zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels notwendig, um die Ziele der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung zu erreichen. Anpassung ist – nach Definition des IPCC – der Prozess der Ausrichtung auf das tatsächliche oder erwartete Klima und dessen Auswirkungen. Es gilt Risiken zu senken, Schäden zu vermindern oder zu vermeiden, wie zum Beispiel durch den Umbau von Wäldern hin zu klimabeständigeren Mischwäldern, oder vorteilhafte Möglichkeiten zu nutzen, wie zum Beispiel durch den Anbau neuer landwirtschaftlicher Kulturen.

Risikobewusstsein und Resilienz

Zur vorbeugenden Anpassung müssen wir die mit dem Klimawandel verbunden Risiken verstehen. Sie hängen zum einen von Ausmaß und Geschwindigkeit der Erwärmung ab und davon, wie sich die Klimaänderungen regional und lokal ausprägen. Zum anderen wird der Risikograd davon bestimmt, wie stark ein System Klimaänderungen ausgesetzt ist (Exposition), wie empfindlich es darauf reagiert (Sensitivität) und wie verwundbar es dadurch ist (Vulnerabilität).

Beim Grad der Verwundbarkeit spielt die Anpassungskapazität eine wesentliche Rolle, also die Fähigkeit, potenziellen Schäden vorzubeugen oder mit entsprechenden Auswirkungen umzugehen. Resilienz ist die Fähigkeit von natürlichen und menschlichen Systemen, Klimaänderungen und extreme Ereignisse zu bewältigen und dabei derart zu reagieren beziehungsweise sich zu reorganisieren, dass die systemische Grundfunktion, Identität und Struktur erhalten bleiben und die Systeme sich gleichzeitig die Fähigkeit zur Anpassung, zum Lernen und zur Transformation bewahren können.

Die Betroffenheit durch den Klimawandel und die Fähigkeit zur Anpassung von menschlichen Systemen werden auch durch soziale, wirtschaftliche und kulturelle Faktoren beeinflusst. Dabei spielen zum Beispiel die Wirtschaftskraft einer Volkswirtschaft, Beschäftigungsstrukturen, Reichtum und dessen Verteilung eine Rolle, aber auch demografische Faktoren, Strukturen für politische Steuerung und gesellschaftliche Werte. Auch internationale Beziehungen und Handel sind von Bedeutung.

Anpassungsstrategien und Verantwortlichkeiten

Wirksame Strategien zur Minderung von Klimarisiken berücksichtigen diese Faktoren, haben die zeitlichen Veränderungen von Exposition und Verwundbarkeit sowie deren Verknüpfung mit sozialen und wirtschaftlichen Prozessen im Blick und verfolgen das Prinzip nachhaltiger Entwicklung. Mit entsprechenden Maßnahmen können sie so die Resilienz unter vielen möglichen zukünftigen klimatischen Bedingungen stärken und gleichzeitig dazu beitragen, Gesundheit, Existenzgrundlagen, das soziale und wirtschaftliche Wohlergehen sowie die Umweltqualität zu verbessern.

Anpassungsplanung und -umsetzung können durch Politik, Verwaltung, Wirtschaftsunternehmen, aber auch durch Einzelpersonen gefördert werden. Nationale Regierungen können politische und gesetzliche Rahmenbedingungen für Anpassung schaffen und finanzielle Unterstützung leisten, regionale Unterschiede ausgleichen, wirtschaftliche Vielfalt unterstützen, verwundbare Gruppen schützen sowie Informationen zur Verfügung stellen. Lokale Verwaltungen und der Privatsektor werden zunehmend als entscheidend für den Fortschritt von Anpassung erkannt, weil sie diese in Unternehmen, Gemeinden, Haushalten und der Zivilgesellschaft ausweiten, für Information sorgen und zur Finanzierung beitragen.

Bei schneller fortschreitendem Klimawandel kommt die Anpassung allerdings zunehmend an ihre Grenzen. Unter Umständen sind keine Anpassungsmaßnahmen mehr möglich oder zum benötigten Zeitpunkt nicht verfügbar Die Grenzen der Anpassung entstehen aus der Wechselwirkung zwischen Klimawandel und biophysikalischen und bzw. oder sozioökonomischen Einschränkungen.

Beispiele für Anpassungsstrategien und -maßnahmen

Bislang werden häufig technische Anpassungsmaßnahmen umgesetzt. Hierzu gehören beispielsweise Maßnahmen zum Hochwasserschutz durch Deichbau oder die Bewässerung in der Landwirtschaft bei Trockenheit. Zunehmend werden auch naturbasierte Maßnahmen erprobt und angewendet, wie die Renaturierung von Flussauen zur Vorbeugung von Hochwasser. Weitere Beispiele sind die standortgerechte Entwicklung von Mischwäldern zur Verringerung der Anfälligkeit gegenüber Klimaänderungen oder die Entsiegelung und Begrünung von Städten zur Reduktion der Hitzebelastung. Zum Umgang mit zunehmend extremen Wetterbedingungen werden Beobachtungs- und Frühwarnsysteme eingesetzt und Maßnahmen zur Bekämpfung der Folgen verbessert.

QuellentextBegrünung der Wüste

[…] "Mit genug Bäumen retten wir das Klima auf der Welt", sagt [Sakina] Mati [52, Bäuerin in Niger] […]. Baumaktivistin könnte man sie nennen. […]
Wenn sie auf Konferenzen in der Elfenbeinküste spricht, wenn sie in Algerien und Burkina Faso vom Wunder in der Sahelzone erzählt, wird manchmal ein Beamer eingeschaltet, der Satellitenaufnahmen an die Wände der Kongresssäle wirft, damit die Leute nicht denken, sie hätten etwas falsch verstanden.

Zuerst kommt dann immer eine Aufnahme aus den Siebzigerjahren, auf der man nicht viel sieht außer Steppe und Einöde. Dann kommt eine neuere Aufnahme, die zeigt, wie aus dem Nichts ein großes, grünes Band wurde. Auf etwa sechs Millionen Hektar wachsen plötzlich wieder Bäume in der Wüste von Niger: Gao, Wüstendattel, Nam, Schirmakazie und der Baobab, der Affenbrotbaum [...].[...]

"Es ist […] ganz einfach", sagt Sakina Mati. Man steigt mit ihr ins Auto und fährt einige Kilometer zu ihrer Farm, so nennt sie die wenigen Hektar, die sie bewirtschaftet, wie viele Hektar genau es sind, kann sie nicht sagen. Wenn man das Dorf verlässt, öffnet sich eine Weite, es ist eine Landschaft mit sandigem Boden und großen, dicken Bäumen. "Das ist mein Feld", steht auf einem kleinen Schild, das Mati in den Boden gerammt hat, ein paar Meter daneben kauert eine Art Vogelscheuche, ein Stock, behängt mit ein paar Kleiderfetzen, damit die Vögel nicht kommen. Es sieht nicht wirklich nach einem Wunder aus.

Sakina Mati zeigt auf ein paar grüne Zweige, die aus dem Sand nach oben wachsen. "Man muss sie gut beschützen." Vor den Kühen, die hier manchmal grasen, und den Menschen, die hier manchmal nach Brennholz suchen. Sie baut den kleinen Sprösslingen ein Nest aus Zweigen, das sie schützen soll. Wenn die Bäumchen wachsen und gedeihen, kommt Sakina Mati mit einem kleinen Messer oder einer Schere und schneidet die Triebe ab, sodass alle Kraft aus der Wurzel in den Stamm fließt, dass also kein Busch daraus wird, sondern ein Baum. 150 Bäume stehen auf ihrem Feld. "So einfach ist das", sagt Sakina Mati.

Die Methode, die Mati und Tausende andere Bauern in Niger seit Jahren erfolgreich praktizieren, wurde schon als kopernikanische Wende beschrieben. Sakina Mati hat 150 Bäume großgezogen, aber noch nie einen Setzling gepflanzt. Sie hat sich einfach nur um die Triebe gekümmert, die aus einem verborgenen unterirdischen Netzwerk von Wurzeln durch die Erde kamen. Es ist eine revolutionär einfache Methode. Aber eine, die keine werbewirksamen Bilder von Setzaktionen produziert. Genau das ist das Problem: Sie berührt nicht, zumindest nicht unmittelbar.

[…] Tony Rinaudo, ein Australier, [kam] als junger Kerl nach Niger, ganz in die Nähe des Dorfes von Sakina Mati, mit dem Auftrag, die Leute zum christlichen Glauben zu missionieren und daneben auch noch ein paar Bäume zu pflanzen. Er grub die Setzlinge viele Jahre lang in den Wüstensand, wo sich schnell ihre Spur verlor. Eines Tages, so hat es Rinaudo einmal erzählt, er wollte eigentlich aufgeben, hatte sich schon auf die Kapitulation vorbereitet, als er eine Reifenpanne hatte, mitten in der Wüste. Da sah er plötzlich lauter grüne Sprossen aus dem Boden kommen. Das war der Anfang. Und das ist schon die ganze Geschichte: Setzlinge beschützen und beschneiden.

Erst waren die Menschen skeptisch in Niger, weil da schon wieder ein Weißer kam und ihnen erzählte, was sie mit den Bäumen machen sollten und was nicht. Die Älteren erinnerten sich noch an die französischen Kolonialherren, die das Land in Departements einteilten, eine Route Nationale in die Provinz stanzten und den Bauern sagten, sie müssten ihre Bäume fällen, damit sie Landwirtschaft betreiben könnten, mit Traktoren und allem Drum und Dran. Also wurden die Bäume gefällt – und der Sand der Sahara hatte freie Bahn. Die Bäume, die noch standen, gingen in den Besitz des Staates über, waren also nicht mehr Eigentum der Bauern, was letztlich dazu führte, dass sich keiner mehr um sie kümmerte. Keiner protestierte, als sie gefällt und als Brennholz verkauft wurden. Die Bevölkerung in Niger wächst bis heute so schnell wie sonst fast nirgends auf der Welt. Die Ressourcen reichten kaum noch für alle. Das Land wurde kahl. Was blieb, war ein riesiges unterirdisches Wurzelwerk, das weiterlebte und begann, seine Triebe nach oben zu schicken.

Und dann kam Rinaudo mit seinem missionarischen Eifer. Die Bäume wuchsen und veränderten das Klima, an manchen Orten war es mehr als 50 Grad heiß gewesen ohne sie, mit den Bäumen fiel die Temperatur auf etwa die Hälfte. Die Stämme brachen die Sandstürme, und die Wurzeln hoben den Grundwasserspiegel an, lieferten Nitrate, die dem Getreide beim Wachsen halfen. Bekamen die Bauern früher aus einem Hektar gerade mal 150 Kilogramm Hirse, waren es unter Bäumen nun plötzlich 500 Kilogramm. Erst begrünte Rinaudo Niger, dann auch die Nachbarländer, mittlerweile hat er seine Methode in 28 Länder exportiert, die er Farmer Managed Natural Regeneration (FMNR) nennt.

Die Begrünung mit der FMNR-Methode kostet etwa 40 Dollar pro Hektar. Manche schätzen, dass die konventionelle Aufforstung mit Setzlingen etwa 8000 Dollar pro Hektar kostet und dass in manchen Regionen bis zu 95 Prozent der Setzlinge eingehen. "Man sieht die kleinen Bäume drei Mal: in der Baumschule, eingepflanzt und dann verdorrt." […]
In Niger hat das Baumwunder sehr viele Hauptdarsteller, es funktioniert nur, weil in vielen Dörfern ganz viele Menschen an die Methode glauben – und an die Bäume. Es sind übrigens Menschen, die schon daran geglaubt haben, bevor Rinaudo kam. "Ich habe bereits 1983 angefangen, mich mit Bäumen zu beschäftigen", sagt Sakina Mati. Damals seien die Männer zum Arbeiten in die Nachbarländer gezogen. Im Dorf blieben die Frauen, denen der Saharawind um die Ohren blies. Sie haben sich um die wenigen Bäume und Triebe gekümmert, die es gab. […]

Bernd Dörries, "Die Baumschule", in: Süddeutsche Zeitung vom 29. September 2020

QuellentextLandwirtschaft der Zukunft

[…] Die Durchschnittstemperatur ist in Deutschland seit 1881 um 1,5 Grad Celsius gestiegen. Das klingt wenig, aber bedeutet viel. Die Niederschlagsmuster verändern sich, manchmal gibt es mehr Regen, vor allem häufiger Starkregen, gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit für längere Hitzewellen und Dürren. Viele Pflanzen beginnen aufgrund der Wärme früher im Jahr zu keimen. Kommt dann ein Spätfrost im April: Pech für den Bauern. […]

Im östlichen Brandenburg liegt Müncheberg und mitten im Ort das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF). Die Winter sind dort kälter, Niederschlag ist seltener. Die Böden sind sandig und humusarm. Vor über 90 Jahren gründete Erwin Baur hier das Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung, um Nutzpflanzen zu züchten, die auch solch ungünstige Bedingungen überstehen. Damals ahnte man noch nicht, dass der Mensch einmal die Atmosphäre so weit aufheizen würde, dass er damit das gesamte Klimasystem ins Wanken bringt.

Die Mitarbeiter des Leibniz-Zentrums bewirtschaften eine Reihe von Versuchsfeldern, teils zu Fuß von den Büros zu erreichen. Auf einigen Parzellen wachsen Sojabohnen, einmal bewässert, einmal unbewässert. Und natürlich der in Brandenburg allgegenwärtige Mais. Einmal in 20 Jahre andauernder Folge, einmal im Fruchtwechsel mit Getreide. Das Leibniz-Zentrum erforscht die Grundlagen einer Landwirtschaft, die dem Klimawandel widersteht, die gleichzeitig ökologisch und ökonomisch nachhaltig ist, die Ernährung und die biologische Vielfalt sicherstellt.

Die Forscherinnen und Forscher arbeiten auch mit Landwirten zusammen, die auf ihren Höfen experimentieren. Frank Ewert ist Wissenschaftlicher Direktor des ZALF. Seit 25 Jahren beschäftigt er sich mit Feldversuchen und Modellen, die Klimaänderung und Pflanzenwachstum verbinden. "Wir haben Experimente gemacht, um Hitzestress und Dürrestress besser zu verstehen, und dies dann berücksichtigt, wenn es um die Anbauplanung geht." Für die Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel gebe es aber nicht die eine Lösung.

Es gibt eine Reihe von Strategien, mit denen sich Landwirte auf den Klimawandel vorbereiten können. Sie können auf Technologie und Arbeitskraft bei der Bewässerung setzen […]. Sie können das Risiko streuen, indem sie neue Einnahmequellen erschließen. Sie können Arten verstärkt nutzen, die an die Hitze angepasst sind, wie Mais und Hirse, aber auch auf Trockenresistenz gezüchtete Sorten. Sie können ihre Anbautechnik anpassen, um die Wasserhaltefähigkeit der Böden zu erhöhen, und mit einer stark erweiterten Fruchtfolge experimentieren, wie es Johann Gerdes in Brandenburg macht.

Sein Beerfelder Hof liegt in sachtwelliger Landschaft. Der Boden ist sandig. Während der Kollektivierung wurden hier Hecken, Gräben und Baumreihen entfernt. Im Sommer weht der heiße Wind ungebremst durch die Landschaft.
Gerdes telefoniert regelmäßig mit einem Mitarbeiter des nahen ZALF, um seine Erfahrungen gegen Expertisen zu tauschen. Wann lohnt es sich, eine Hecke zu pflanzen? Sollte er seine Kartoffeln künstlich bewässern, weil die Ernte nun zum zweiten Mal so mickrig ausfiel? Welche Pflanzen und Anbauweisen könnten auf seinen Standorten funktionieren? Gerdes versteht sich nicht nur als Landwirt, auch als Manager. Mit seinem Ansprechpartner beim Leibniz-Zentrum, Moritz Reckling, ist er inzwischen befreundet.

Reckling ist dort Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er betreut Gruppen von Landwirten, die sich auch untereinander beraten sollen. Sie berichten ihm am Ende des Jahres, was auf dem Feld funktioniert hat und was nicht.
Aus solchen Berichten, zusammen mit vorgegebenen Versuchen auf Farmen in ganz Europa und aus Feldexperimenten am ZALF, füttert Reckling Computermodelle. In diesen Modellen wachsen Agrarpflanzen virtuell. Basierend auf Daten aus realen Einzelexperimenten. "Es ist ja noch unklar, an was wir uns anpassen müssen." Im Computer spielen sie verschiedene Szenarien durch. Die Modelle arbeiten mit Tageswerten etwa von Niederschlag und Temperatur und berechnen das Wachstum der Pflanzen innerhalb eines Jahres – wann die Blätter sich bilden, wann sie blühen und Früchte bilden. "Wir können simulieren, wie sie in Jahren mit ganz unterschiedlichem Wetter wachsen würden", sagt Reckling.

Momentan interessiert er sich sehr für Soja. Die Bohne, die ursprünglich aus Ostasien stammt, ist einerseits in der Lage, Stickstoff aus der Luft im Boden zu binden, andererseits ist sie gut an Hitze gewöhnt. Reckling hat sie in Experimenten künstlich bewässert. "Damit konnten wir die Erträge vervierfachen" erzählt er. […]
Nicht nur der Anbau, auch das Pflügen verändert sich gerade. Neu ist das Strip-Till-Verfahren. Hierbei werden nur die später besäten Streifen des Feldes mit einem Grubber aufgerissen und nur dort Gülle oder Biogas-Substrat in den Boden gegeben. Auf Maisfeldern bleibt so ein gut 50 Zentimeter breiter Streifen des Bodens fast unberührt, samt Humus, Bodenleben und Resten der Vorfrucht. Ertragskarten verzeichnen, wo in den vergangenen Jahren Mais schlechter wuchs. Dort, wo der Boden schlechter Wasser speichert und weniger Nährstoff enthält, wird mehr Gülle und weniger Saatgut ausgegeben. […]

Für Frank Ewert, den wissenschaftlichen Leiter des Zentrums für Agrarlandforschung, sind die individuellen Anpassungsstrategien der Landwirte an den Klimawandel nur die Hälfte der Geschichte. Es müsse darüber hinaus eine Agrarpolitik betrieben werden, die kleine Höfe und die regionale Verarbeitung der Produkte unterstützt, auch deren Vertrieb. Was in Deutschland fehlt, sagt Ewert, "ist eine Vision, wie die Landwirtschaft in der Zukunft aussehen soll und wie wir dahin kommen."

Andreas Bäumer, "Neulandwirtschaft", in: DIE ZEIT Nr. 45 vom 2. November 2019

QuellentextKlimaschutz in Heidelberg

Heidelberg gilt als Vorzeigestadt beim Klimaschutz. […]
Vor ein paar Monaten […] wollte [Lena Grazé] herausfinden, wie ihr ökologischer Fußabdruck aussieht. Gar nicht schlecht, stellte sich heraus, verglichen mit anderen im Land sogar ziemlich gut. Zu diesem beruhigenden Ergebnis hat Lena Grazé selbst nicht nennenswert beigetragen. Ihre Klimabilanz verdankt sie der Wohnung […].

Das Gebäude, in dem die Familie wohnt, ist ein Passivhaus. Es ist so gebaut, dass Menschen selbst bei Minusgraden im Winter in den Räumen nicht frieren. Eine Anlage filtert die Luft, sodass sie immer frisch ist und die Fenster nur selten geöffnet werden. Auf diese Weise sparen Grazés Energie – so wie auch alle anderen Bewohner in der Bahnstadt, einem Neubauviertel in Heidelberg. Es ist die größte Passivhaussiedlung der Welt, Stadtplaner kennen sie als Beispiel für gelungenen Klimaschutz.

Auf Orte wie das Zuhause der Grazés kommt es an. Denn wie Häuser saniert oder gebaut werden, auf welche Weise Bürger ihre Wohnungen heizen – auch davon hängt ab, ob die Klimaziele erreicht werden. Mehr als 60 Prozent des Kohlendioxids werden weltweit in Städten ausgestoßen.

[…] An vielen Orten basteln Beamte an Ideen, das CO2 zu reduzieren. Städte wie Köln riefen den Klimanotstand aus. In Heidelberg kann man über solche Maßnahmen nur lächeln. Die Stadt hat sich schon vor Jahren verpflichtet, bis 2050 die COc-Emissionen um 95 Prozent zu reduzieren, den Energiebedarf will sie um die Hälfte senken. Manchen geht auch das noch nicht weit genug. Doch in Heidelberg ist schon auf der Straße zu erkennen, was in anderen Orten höchstens in guten Vorsätzen zu lesen ist:

  • Einige Hundert Meter hinter Lena Grazés Wohnhaus verläuft ein neuer Radschnellweg. Er gehört zum städtischen Verkehrskonzept, mit Elektrobussen, Fahrradbrücken, erweiterten Bahnstrecken.

  • Ein paar Kilometer weiter werkeln Bauarbeiter an einem riesigen Wärmespeicher. Er soll das Wasser warm halten, um Energie zu sparen, wenn Grazé und ihre Nachbarn gleichzeitig duschen wollen.

  • Auch außerhalb der Bahnstadt, an der Universität, in Betrieben und in der Verwaltung wurde dafür gesorgt, dass Mitarbeiter weniger COc verbrauchen. Allein bei den städtischen Gebäuden konnte der Energieverbrauch um die Hälfte gesenkt werden.

Warum aber klappt, was so viele fordern, ausgerechnet in Heidelberg schon jetzt so gut? Egal wen man fragt – den Bauleiter des Energiespeichers, den Planer der Bahnstadt, die Mitarbeiterin der Stadtverwaltung –, sie alle erzählen von Eckart Würzner. Der ist hier Oberbürgermeister.

Er war es, der die Pläne zur Bahnstadt umsetzte, die vor seinem Amtsantritt seit Jahren unangetastet in der Schublade schlummerten. Er sorgte dafür, dass die Stadt jene Unternehmen fördert, die das Klima schonen. Und er war es, der Heidelberg zusammen mit 19 anderen Kommunen vor sieben Jahren zur Modellstadt machte, beim "Masterplan 100 Prozent Klimaschutz" des Umweltministeriums.

[…] Wie kommt es, dass […] er die Klimapolitik vorantreibt? Eckart Würzner erzählt, er habe sich schon in seinem Geografie- und Jura-Studium für die Umwelt interessiert. Damals war das Waldsterben ein großes Thema, und er schrieb seine Doktorarbeit über die Auswirkungen von Umweltgiften. Im Rathaus übernahm er Jahre später den Posten des Umweltfachberaters. Als er schließlich ins Büro des Bürgermeisters umzog, war klar, dass die Natur auch in diesem Job sein Thema bleiben wird.
Nach beinahe drei Amtsperioden hat das Folgen. […] Zum Beispiel im Jahre 2006, als das Projekt "Passivhaussiedlung in der Bahnstadt" zu scheitern drohte. Damals fehlten Investoren. Also gründete der Bürgermeister mit der Heidelberger Sparkasse, einer Städtischen Wohnungsbaugesellschaft und der Landesbank Baden-Württemberg eine kommunale Entwicklungsgesellschaft, und man kaufte die vorgesehene Fläche selbst. Die Stadt investierte 300 Millionen Euro. In nicht einmal zehn Jahren wurden hier Wohnungen für bislang 4319 Menschen gebaut und Büros für knapp 3000 Arbeitsplätze.
[…] Wie vielen ihrer Nachbarn war auch [Lena Grazé] der ökologische Fußabdruck ziemlich egal, als sie vor fünf Jahren den Mietvertrag unterschrieb: "Neubau, Erstbezug, das war für uns entscheidend." Und doch stellte die Familie ihren Lebensstil nach und nach um. Die meisten Wege geht Grazé heute zu Fuß. Die Kita ihrer Tochter liegt nur wenige Minuten entfernt. Um die Ecke gibt es Ärzte, Bäcker, Spielplätze. Neuerdings auch ein Passivhaus-Kino und eine ökumenische Kirchengemeinde. "Außer zur Arbeit brauche ich das Viertel kaum noch zu verlassen", sagt Grazé. Fährt sie doch einmal zum Shoppen in die Innenstadt, lässt sie den Golf inzwischen daheim. "Hier gibt es eine neue Haltestelle." Die Bahn ist komfortabler. […]

Laura Cwiertnia, "Sie machen den Anfang", in: DIE ZEIT Nr. 38 vom 12. September 2019

In Europa wurden auf allen Regierungsebenen Anpassungsmaßnahmen entwickelt, die teilweise in das Küstenmanagement und die Wasserwirtschaft, in Umweltschutz und Raumplanung sowie in das Katastrophenrisikomanagement eingebunden wurden. In Deutschland hat das Bundeskabinett am 17. Dezember 2008 die Deutsche Anpassungsstrategie (DAS) an den Klimawandel beschlossen. Diese schafft einen Rahmen, der eine sektorenübergreifende Vorgehensweise des Bundes gegen die Folgen des Klimawandels in Deutschland ermöglichen soll. Darin werden für 15 Handlungsfelder und ausgewählte Regionen mögliche Klimafolgen und Handlungsoptionen skizziert.

Die DAS wurde 2015 und 2020 im Rahmen von Fortschrittsberichten fortgeschrieben und die damit zusammenhängenden Aktionspläne werden alle vier Jahre aktualisiert. Ein besonderes Augenmerk liegt zum Beispiel auf dem Handlungsfeld Menschliche Gesundheit, das unter anderem durch die Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen besonders betroffen ist. Maßnahmen umfassen hier beispielsweise Hitzeaktionspläne, staatliche Regeln zum Arbeitsschutz wie die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge sowie Informationen für die Bevölkerung und die Gesundheitsberufe. Zudem sollen Informations- und Frühwarnsysteme angepasst und ausgeweitet werden. Städte sind durch die hohe Dichte der Bevölkerung und Infrastrukturen sowie die hohe Konzentration wirtschaftlicher Wertschöpfung besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen, und es bestehen vielfältige Notwendigkeiten zur Anpassung. Versiegelung, dichte Bebauung und zusätzliche Wärmeemissionen führen zu Hitzeinsel-Effekten, die sich unter fortschreitendem Klimawandel verstärkt ausprägen.

Unter den Stichworten "grüne, blaue, weiße Städte" können unter anderem helle Oberflächen und Gebäudefarben, blaue und grüne Infrastrukturen wie Seen und offene Wasserelemente sowie Baumpflanzungen, Parks und Gründächer zu Verdunstungskühlung und Beschattung beitragen. Damit wird die Hitzebelastung verringert und zugleich werden dadurch Luftqualität und Lebensqualität verbessert. Zum nachhaltigen Umgang mit Niederschlagswasser und zur Vorbeugung von Überschwemmungen wird vermehrt das Prinzip "Schwammstadt" in Betracht gezogen. Es soll die Speicherung von Wasser in Phasen mit hohen Niederschlagsmengen ermöglichen und dieses in Phasen mit geringen Niederschlägen nutzbar machen, zum Beispiel zur Grünflächenbewirtschaftung.

QuellentextKlimaanpassung in Offenbach

[…] Extremwetterereignisse insgesamt nehmen deutlich zu, davon sind Klimatologen überzeugt. Holger Robrecht berät Städte, wie sie "klimaresilient" werden können. "Klimawandel ist keine Sache, auf die man sich einmal einstellt", sagt Robrecht. "Die Stadt der Zukunft muss sich ständig an den Klimawandel anpassen." In Robrechts Verband LCLEI mit Sitz in Freiburg sind 1500 Städte, Kommunen und Regionalverbände weltweit organisiert, die nachhaltig sein und sich auf den Klimawandel einstellen wollen. […]. Es geht darum, dass sich das Denken der Stadtverwaltungen verändert, sagt Robrecht.

[…] Der Starkregen 2016 führte in Offenbach dazu, dass innerhalb kurzer Zeit ein Klimaanpassungskonzept erstellt wurde. Einerseits geht es um Risikobewertung, andererseits Maßnahmen zum Schutz. Die Stelle einer Klimaanpassungsmanagerin wurde 2017 geschaffen. […] Wenn jemand etwa beim Thema Hitzeschutz wissen will, wo der richtige Ansprechpartner in den Behörden sitzt, vermittelt sie den Kontakt. Das Klimaanpassungskonzept soll in der Stadt bekanntgemacht werden. Auch die Rolle des Umweltamtes hat sich verändert. "Heute beraten wir viel mehr präventiv. Wir klären auf, wir planen mit den Ingenieurbüros, um Regenwasser mehr zu nutzen, wir sind aber inzwischen auch an der Gefahrenabwehr stärker beteiligt", sagt Umweltamtsleiterin Heike Hollerbach. "Seit 2017 ist die Voraussetzung für einen Neubau bei großen Bauvorhaben und Bauleitplanung, dass er einem hundertjährigen Niederschlagsereignis standhält."

Die meisten Projekte, die Hollerbach und ihre Kollegen angehen, greifen in den Planungsprozess ein. Mit großer Zufriedenheit verweist man auf die 40.000 Quadratmeter große Fläche des Goethequartiers, das derzeit im Stadtzentrum gebaut wird. Weil das Gelände vorher brach lag, konnte die Fläche viel Wasser aufnehmen. Das sollte nun auch der Neubausiedlung gelingen: Die Dächer sollen bewachsen sein. Durch die Pflanzen kann das Wasser verdunsten, gleichzeitig können Wasserspeicher mit integrierten Kapilarsäulen das Wasser auch aufnehmen. Entscheidend ist die Verdunstungsquote in der Jahresbilanz. Sie liegt im neuen Wohnviertel bei 78 Prozent. Laut der städtischen Planer erreichen solche Werte sonst nur unbebaute Grundstücke.

Schwieriger wird es, wenn es um die bereits bestehenden Gebäude geht. In Offenbach hat man sich aus finanziellen Gründen gegen zusätzliches Dämmen entschieden. Im Fall von Schulen wird die Hitze immer mehr zum Problem. "In den Klassenräumen gibt es keine Klimaanlagen", sagt Düpre. Zu teuer und letztlich für das Klima kontraproduktiv. "Wir müssen also mit dem Stadtschulamt nach Lösungen suchen." Die Spielräume sind begrenzt. Entweder werden Jalousien angebracht oder Bäume gepflanzt. Sie spenden nicht nur Schatten, sondern senken die Temperatur.

Bäume nehmen in den Städten eine wichtige Rolle ein. In Offenbach sind in den vergangenen Jahren 500 der 22.000 Bäume im Stadtgebiet abgestorben. Sie sind schlicht verdurstet, der Boden war bis tief unten ausgetrocknet. Weil sie umstürzen könnten, stellten sie ein Sicherheitsrisiko dar und wurden gefällt. Seit Anfang des Jahres werden neue Bäume gepflanzt, 200 Stück insgesamt. 100.000 Euro hat die Stadt dafür zurückgestellt. […] Statt Fichten, die in der Hitze schon vertrocknet sind, werden Sorten wie der Zürgelbaum oder die Blumenesche, der Amberbaum, die Ungarische Eiche oder die Silberlinde gepflanzt. Einerseits müssen sie die Hitze des Sommers aushalten, andererseits die Kälte und den hohen Niederschlag des Winters. In Städten ist häufig auch der Untergrund ein Problem: Wenn Tiefgaragen oder S-Bahntunnel im Boden sind, dürfen Bäume nicht zu tief wurzeln […]. Viel Geld der Stadt fließt inzwischen auch in die Bewässerung. Mit Hilfe neuer Fahrzeuge müssen die alten und neuen Bäume bewässert werden. Im Umweltamt muss man sich am Stadtrand auch mit Fragen der Waldbrandgefahr auseinandersetzen.

Eine Analyse des Deutschen Wetterdienstes, die 2014 für Offenbach erstellt wurde, zeigt, wie stark sich das Klima in der Stadt von jenem auf dem Land unterscheidet. Im Schnitt war es laut Wetterdienst ein bis zwei Grad wärmer als im Umland, teilweise mit weiteren Ausschlägen an heißen Tagen. Vor allem aber kühlte es in der Stadt viel weniger ab als im Umland. Die sogenannten Wärmeinseln, die sich in der Offenbacher Innenstadt bildeten, waren zum Teil sechs Grad heißer als etwa im Mainvorland, einer ländlichen Vergleichsgröße. Die Tropennächte, bei denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt, sind besonders für ältere und kranke Menschen sowie Kleinkinder belastend.

An jeder Ecke gibt es bei dem Thema Zielkonflikte der Stadtplanung. Einerseits müssen Städte aufgrund des erhöhten Zuzugs verdichtet werden, aufgrund geringerer Anfahrtswege könnte das Leben in der Stadt auf den ersten Blick auch klimafreundlicher sein. Andererseits braucht es mehr Platz in der Stadt für Kaltluftschneisen und Parks. Es braucht auch weniger versiegelte Flächen – die haben den Nachteil, dass sie die Erhitzung unterstützen und keinen Niederschlag aufnehmen. Perspektivisch gibt es laut einer Modellrechnung, die das Land Hessen erstellen ließ, bald auch in Offenbach weit mehr heiße Tage. Und damit auch tropische Nächte. Viele Städte haben im Sommer längst Hitzeberatungen eingeführt, mancherorts Hitze-Hotlines geschaffen. […]

Wie sehr sich das Bewusstsein in den Städten bereits verändert hat, zeigen die Zahlen des Bundesumweltministeriums. Im Jahr 2015 bewarben sich 30 Kommunen um eine Förderung für Klima-Anpassung, die Zahl stieg 2018 auf 85 und schnellte [...] [2019] auf 154 hoch. […] Städte engagierten sich schon seit langem intensiv für wirksamen Klimaschutz. [Helmut] Dedy [Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags] nennt rund 16.650 Projekte in 3650 Kommunen, die von 2008 bis Ende 2019 im Rahmen der Kommunalrichtlinie der Nationalen Klimaanpassungsstrategie des Bundes gefördert worden sind […].

Timo Steppat, "Jedes Jahr eine Jahrhundertflut", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. August 2020 © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

Kommunen besitzen aufgrund der zentralen Aufgaben der Daseinsvorsorge eine Schlüsselstellung bei der Anpassung kritischer Infrastrukturen. Hierzu zählen die öffentliche Trinkwasserversorgung, die Abwasserentsorgung, präventiver Hochwasserschutz, die Energieversorgung sowie die Bereitstellung kommunaler Verkehrsinfrastruktur. Eine wichtige Rolle für die kommunale Anpassung an den Klimawandel nehmen die kommunalen Spitzenverbände ein. So veröffentlichte im März 2019 der Deutsche Städtetag ein Positionspapier zur Klimaanpassung, in dem zentrale Forderungen, Hinweise und Anregungen formuliert werden.

Die Autorin dankt ihrer Kollegin beim GERICS, Dr. Irene Fischer-Bruns, für die sprachliche Überarbeitung des Textes.

Dr. Diana Rechid leitet die Abteilung "Regionaler und lokaler Klimawandel" am Climate Service Center Germany (GERICS) des Helmholtz-Zentrums Hereon in Geesthacht und erforscht physikalische Prozesse im Klimasystem. Seit Juli 2014 arbeitet sie an der Weiterentwicklung eines regionalen Erdsystemodells und koordiniert seit 2016 die internationale WCRP CORDEX Flagship Pilot Study "LUCAS – Land use and climate across scales".