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Zerstörung der Demokratie 1930-1933 | Weimarer Republik | bpb.de

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Zerstörung der Demokratie 1930-1933

Ernst Piper

/ 27 Minuten zu lesen

Die Weltwirtschaftskrise beendet die wirtschaftliche Stabilisierung. Nach dem Sturz der letzten, auf eine parlamentarische Mehrheit gestützten Regierungskoalition beginnt mit dem Amtsantritt Heinrich Brünings die Zeit der Präsidialkabinette. Seine Nachfolger entmachten die Sozialdemokratie. In Verkennung des Risikos binden sie die radikalen Systemveränderer der NSDAP in die Ausübung der politischen Macht ein und geben so das Gesetz des Handelns aus der Hand.

Die Weltwirtschaftskrise setzt auch das von Auslandsgeldern abhängige deutsche Wirtschaftsleben unter starken Druck. Schon bald herrscht Massenarbeitslosigkeit, der die Sozialsysteme nicht mehr gewachsen sind. Arbeitslose im Hof des Arbeitsamts Hannover, 1931 (© picture-alliance/akg, Walter Ballhause)

Die Ära Brüning

Übergang zur Präsidialregierung

Die Weltwirtschaftskrise setzte der in den Jahren zuvor erreichten Stabilisierung ein Ende. Amerikanische Auslandsinvestitionen und Kreditmittel blieben aus, weil die Gelder nun in den USA selbst gebraucht wurden. Das traf das von diesen Mitteln abhängige deutsche Wirtschaftsleben hart. Produktionsrückgänge und Massenentlassungen waren die Folge.

Die Zahl der Arbeitslosen, die in Deutschland 1927 mit 1,5 Millionen ihren tiefsten Stand erreicht hatte und auch im Folgejahr kaum höher war, betrug nach einem Konjunktureinbruch im November 1928 bereits zwei Millionen und nur zwei Monate später schon mehr als drei Millionen. Im Januar 1932 erreichte die Arbeitslosenzahl mit etwas mehr als 6 Millionen ihren Höhepunkt. Das Bruttoinlandsprodukt ging nach dem Zusammenbruch der Weltbörsen um 6,7 Prozent zurück, die Steuereinnahmen brachen weg.

Arbeitslosigkeit 1924 bis 1932 (© bpb)

Das deutsche Sozialversicherungssystem war derartigen Belastungen nicht gewachsen. Die staatliche Arbeitslosenversicherung, die der Reichstag erst 1927 eingeführt hatte, sollte die Erwerbslosenfürsorge der Gemeinden ablösen. Die Beiträge, drei Prozent des Lohns, wurden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern je zur Hälfte aufgebracht. 1927 herrschte eine Hochkonjunktur und die Eigenmittel der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung waren für maximal 1,4 Millionen Erwerbslose berechnet. Als 1929, bedingt durch die Wirtschaftskrise, die Konjunktur einbrach, geriet die Anstalt rasch an ihre Grenzen und musste sich verschulden.

Die verschiedenen Parteien im Kabinett des Reichskanzlers Hermann Müller (SPD) hatten höchst unterschiedliche sozialpolitische Vorstellungen. Die SPD schlug vor, die Beitragssätze um ein halbes Prozent zu erhöhen. Die DVP lehnte dagegen Beitragserhöhungen kategorisch ab, da die finanziellen Belastungen der Unternehmer ohnehin schon sehr hoch seien. Sie wollte stattdessen die Entschuldung der Reichsanstalt durch den Abbau sozialer Leistungen erreichen, was wiederum bei den Sozialdemokraten auf vehementen Widerspruch stieß.

An diesen Debatten scheiterte die Regierung von Hermann Müller (SPD), die letzte Koalition unter Beteiligung der Sozialdemokraten. Neuer Reichskanzler wurde am 30. März 1930 der Fraktionsvorsitzende des Zentrums Heinrich Brüning. Von Hindenburg erhielt er den ausdrücklichen Auftrag, sein Kabinett "nicht auf der Basis koalitionsmäßiger Bindungen" zu bilden. Brüning berief Politiker des Zentrums, der DDP, der DVP, der DNVP sowie konservativer Splitterparteien. Etliche hatten schon, teils in anderen Positionen, vorherigen Kabinetten angehört, doch insgesamt hatten sich die Gewichte deutlich nach rechts verschoben.

Die Regierung Brüning war das erste Präsidialkabinett, eine Regierung, die sich nicht mehr auf eine parlamentarische Mehrheit stützte. Seine Amtszeit erwies sich als entscheidende Wegmarke auf dem Weg zur "Zerstörung der parlamentarischen Republik" (Hans-Ulrich Wehler). In seiner Regierungserklärung betonte der Reichskanzler, seine Regierung sei "der letzte Versuch, die Lösung mit diesem Reichstag durchzuführen", drohte also unverhohlen mit Neuwahlen.

Brünings Handlungsfähigkeit hing vom Wohlwollen des Reichspräsidenten ab, der nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung Notverordnungen erlassen konnte. Diese Notverordnungen waren eigentlich, wie ihr Name es auch nahelegt, für den Fall des Staatsnotstandes gedacht und sollten dem Reichspräsidenten die Möglichkeit geben, in einem solchen Fall "die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen [zu] treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht".

Machtmechanismus der Präsidialregierungen (1930-1933) (© bpb)

De facto wurde dieses für den absoluten Ausnahmefall gedachte Instrument mit zunehmender Handlungsunfähigkeit des Reichstags mehr und mehr zum Ersatz für die reguläre Gesetzgebung. Der Reichstag konnte zwar die Aufhebung der Notverordnungen verlangen, die auf Initiative des Reichskanzlers vom Reichspräsidenten erlassen wurden. Dafür war aber die Mehrheit der Abgeordneten nötig, die nur erreicht wurde, wenn die SPD mitwirkte.

Brüning verfolgte eine restriktive, deflationäre Finanzpolitik, die sich allgemein um Senkung des Preisniveaus sowie den Erhalt der Kaufkraft bemühte und vor allem am Ziel eines ausgeglichenen Haushalts orientiert war. Sein Regierungsprogramm konzentrierte sich auf die Sanierung des Staatshaushalts, vorrangig auf Kosten der sozial Schwachen, auf die Überwindung der Wirtschaftskrise und den Aufbau eines vom Parlament unabhängigen Regierungsapparats. Zudem ging es ihm um außenpolitische Erfolge, insbesondere eine Beendigung des Reparationsregimes.

QuellentextBorchardt-Kontroverse

Brünings radikale Deflationspolitik brachte ihm den Beinamen "Hungerkanzler" ein. Mit vier großen Notverordnungen erhöhte er eine Vielzahl von Steuern und Abgaben und führte auch neue Steuern ein. Ein Beispiel war die "Reichsfluchtsteuer", mit der Brüning den Kapitalexport zu bremsen versuchte und die nach 1933 vom NS-Regime zur Ausplünderung der jüdischen Emigranten und Emigrantinnen benutzt worden ist. Gleichzeitig wurden die Einkommen der Staatsbediensteten mehrfach gekürzt, sodass sie etwa ein Fünftel weniger verdienten als zuvor. Pensionen, Renten, Kriegsopfer- und Arbeitslosenunterstützung wurden ebenfalls gekürzt und im Gegenzug die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhöht. Von 1929 bis 1932 sank das Bruttosozialprodukt um 40 Prozent.

Lange Zeit herrschte in der Geschichtswissenschaft darüber Einigkeit, dass Brünings Wirtschaftspolitik negativ zu beurteilen sei, seine Deflationspolitik den Krisenverlauf entscheidend verschärft, die Verarmung großer Teile der Bevölkerung gefördert und so Hitler den Weg bereitet habe. Brüning sei es vor allem darum gegangen, die auch im Young-Plan noch festgeschriebenen Reparationsverpflichtungen zu beseitigen.

Mit einem 1979 publizierten Aufsatz stellte der Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt diesen Konsens erstmals grundsätzlich in Frage. Seine zwei zentralen Thesen: Brüning sei in einer Zwangslage gewesen und habe keine wirkliche Alternative zur Deflationspolitik gehabt. Außerdem sei die deutsche Wirtschaft bereits vor der Weltwirtschaftskrise durch Verteilungskonflikte stark geschwächt gewesen. Dass sich die Krise gerade in der Weimarer Republik so dramatisch ausgewirkte, habe Brüning nicht verhindern können.

Seine Thesen lösten eine große Kontroverse aus. Zwei Jahrzehnte lang wurde erbittert über die Deflationspolitik Brünings und die wirtschaftliche Vorgeschichte der schweren Krise Ende der 1920er-Jahre gestritten. Die Debatte war auch deshalb so intensiv, weil es zum einen um die Frage der Mitschuld Brünings am Aufstieg der NSDAP ging. Zum anderen gab es tagespolitische Bezüge, denn bei dem von Borchardt entwickelten Modell der Lohnkostenhöhe schnitt die Bundesrepublik der späten 1970er-Jahre ähnlich schlecht ab wie die Weimarer Republik, wobei diese Modellrechnungen auf vielfältigen Widerspruch stießen.

Borchardts These, die Löhne seien im Verhältnis zur Investitionsquote zu hoch und deshalb wachstumshemmend gewesen, ließ sich nur schwer mit dem sozialen Elend, in dem große Teile der Bevölkerung in den 1920er-Jahren lebten, in Einklang bringen. Aber auch Borchardts Datenbasis wurde in der Debatte angezweifelt. Seine Widersacher verwiesen auf zahlreiche wichtige Ratgeber im Umfeld Brünings, die der praktizierten Deflationspolitik widersprachen. Viele Kritiker stimmten Borchardt zwar zu, dass die Wirtschaft schon vor der großen Krise an einer Strukturschwäche gelitten habe, machten jedoch andere Ursachen als die Verteilungskonflikte dafür verantwortlich. Borchardt antwortete seinen Kritikern in zwei weiteren Aufsätzen, wobei einige Kollegen ihn unterstützten. Die Diskussion endete, ohne dass sich ein Konsens ergab.

Dies alles sollte die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Deutschland seine Position als europäische Großmacht wiedererlangte. Der Etat der Reichswehr blieb deshalb von jeglicher Kürzung im Staatshaushalt verschont.

Außerdem musste die weitere Finanzierung der Arbeitslosenversicherung geklärt werden, an der die Vorgängerregierung zerbrochen war. Brüning erhöhte die Beiträge mehrfach. Um die im Young-Plan vereinbarten Ziele zu erreichen, war es notwendig, dass die Währung stabil blieb und die noch immer hohen Reparationszahlungen geleistet werden konnten.

Dagegen gab es Widerstand auf der linken wie der rechten Seite des Reichstags. Das Haushaltsanierungsprogramm, das Brüning vorlegte, wurde abgelehnt. Daraufhin setzte er seine Vorlage mit Hilfe einer Notverordnung gemäß Artikel 48 der Verfassung durch. Doch der Reichstag hob die Notverordnung mit den Stimmen von KPD, SPD, DNVP und NSDAP wieder auf und Hindenburg setzte Neuwahlen an. Brüning legte wenige Tage später die Notverordnung in geringfügig veränderter Form erneut vor. Dagegen konnte der aufgelöste Reichstag keinen Einspruch mehr erheben.

Reichstagswahlen September 1930

Die Reichstagswahlen fanden am 14. September 1930 statt. Die NSDAP, die lange Zeit nur eine bescheidene Rolle gespielt hatte, hatte zuletzt bei regionalen Wahlen beachtliche Erfolge erzielt und war zum Beispiel bei den Landtagswahlen in Sachsen auf 14,4 Prozent gekommen. Bei den Reichstagwahlen erzielte sie nun einen sensationellen Erfolg. Statt 2,6 Prozent erhielt sie diesmal 18,3 Prozent der Stimmen und stellte daraufhin mit einer von zwölf auf 107 Abgeordnete angewachsenen Vertretung die zweitstärkste Reichstagsfraktion.

Wählerwanderung am Beispiel von DNVP und NSDAP (© bpb)

Viele Stimmen hatten die Nationalsozialisten der DNVP abgenommen, der sie mit ihrer noch entschiedeneren "nationalen Opposition" zunehmend den Rang abliefen. Die DNVP bekam nur noch 7 Prozent der Stimmen, nach 14,3 Prozent zwei Jahre zuvor. In der Partei hatte es schwere Auseinandersetzungen gegeben, deren Ausgangspunkt die Bewertung des Young-Plans war: Der radikal antidemokratische Flügel unter Hugenberg, der ihn ablehnte, dominierte die Partei. Die etwas gemäßigteren Kräfte um Kuno Graf Westarp hatten die DNVP verlassen und die Konservative Volkspartei (KVP) gegründet, die aber nur auf 0,8 Prozent der Stimmen kam.

Die Agrarkrise, die der eigentlichen Wirtschaftskrise vorausging, hatte vor allem in Norddeutschland eine Radikalisierung der Landbevölkerung bewirkt (siehe Quellentext "Forderungen des Landvolkes von Schleswig-Holstein" im Kapitel "Interner Link: Gefährdete Stabilität 1924-1929"). Auch davon profitierte in besonderem Maße die NSDAP. Die Partei war inzwischen nahezu für das gesamte bürgerliche Lager zunehmend attraktiv geworden. Die Reichstagswahlergebnisse der Parteien rechts von der SPD zeigten das überdeutlich. DDP, DVP, DNVP, Wirtschaftspartei und Bauernparteien verloren zusammen innerhalb weniger Jahre fast vier Fünftel ihrer Wählerinnen und Wähler, ihr Anteil fiel von 47 Prozent 1924 auf 10 Prozent bei den Reichstagswahlen im Juli 1932.

Hinzu kam, dass die Nationalsozialisten eine beträchtliche Anzahl Wahlberechtigter mobilisieren konnten, die zuvor den Wahlurnen ferngeblieben waren. Betrug die Wahlbeteiligung am 4. Mai 1924 77,4 Prozent, lag sie am 31. Juli 1932 bei 84 Prozent, was einem Zuwachs von 7,6 Millionen abgegebenen Stimmen entsprach.

Es gab allerdings zwei stark weltanschaulich geprägte Milieus, bei denen die Erfolge der NSDAP deutlich unter dem Durchschnitt lagen: das katholische Milieu und die sozialistische bzw. kommunistische Arbeiterbewegung. Das Zentrum konnte sich seine religiös gebundene Wählerbasis bis zum Schluss nahezu vollständig erhalten. Die KPD, deren Ideologie derjenigen der NSDAP genau entgegengesetzt war, vermochte es, ihren Stimmenanteil in den Jahren von 1928 bis 1932 sogar von 10,6 auf 14,3 Prozent zu steigern.

Die NSDAP war die erste Partei, die Menschen im ganzen Land ansprach, ohne regionale, konfessionelle oder soziale Begrenzung. Damit könnte man sie fast als erste moderne Volkspartei begreifen. Das war sie aber nicht in dem Sinne, wie dieser Begriff heute verwendet wird. Sie war zwar im Prinzip für Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten offen, aber keineswegs für diejenigen, die unterschiedlichen Weltanschauungen anhingen und schon gar nicht für die Angehörigen ethnischer Minderheiten. Vielmehr verstand sie sich als Volkspartei eines rassistisch exklusiv definierten Volkes, das einer einheitlichen Ideologie folgte. In der Geschichtswissenschaft wird deshalb in Bezug auf die NSDAP im Allgemeinen nicht von einer Volkspartei gesprochen, sondern eher von einer "Omnibus-Partei", sozusagen einem großen Fahrzeug, in dem sehr viele, aber nicht alle mitfahren durften.

Nach dem Wahlsieg der NSDAP im September 1930 gab es Stimmen, die Reichskanzler Brüning rieten, die Partei in seine Regierung aufzunehmen. Er stand jedoch einer Verbindung mit den erstarkten Nationalsozialisten unverändert sehr reserviert gegenüber, sodass auch ein Sondierungsgespräch am 5. Oktober 1930 kein greifbares Ergebnis brachte. Die von Brüning erhoffte loyale Opposition wurde von Hitler rundheraus abgelehnt, der sich auch keineswegs an den Wunsch Brünings hielt, das Gespräch geheim zu halten. Brüning sah, dass hier keine Verständigung möglich war.

QuellentextErnst Toller 1930 über einen Reichskanzler Hitler

[...] Es ist an der Zeit, gefährliche Illusionen zu zerstören. Nicht nur Demokraten, auch Sozialisten und Kommunisten neigen zu der Ansicht, man solle Hitler regieren lassen, dann werde er am ehesten "abwirtschaften". Dabei vergessen sie, daß die Nationalsozialistische Partei gekennzeichnet ist durch ihren Willen zur Macht und zur Machtbehauptung. Sie wird es sich wohl gefallen lassen, auf demokratische Weise zur Macht zu gelangen, aber keinesfalls auf Geheiß der Demokratie sie wieder abgeben.

Es heißt, die Menschen lernen nichts aus der Vergangenheit, anscheinend lernen sie auch nichts aus der Gegenwart. Sonst müßten sie sich daran erinnern, welche Methoden Mussolini, Pilsudski und andre angewandt haben.

Reichskanzler Hitler wird die Errungenschaften der Sozialdemokratie, auf die die Partei so stolz ist, mit einem Federstrich beseitigen. Über Nacht werden alle republikanischen, sozialistischen Beamten, Richter und Schupos ihrer Funktionen enthoben sein, an ihre Stelle werden fascistisch zuverlässige Kaders treten. Bei der Reichswehr hat Hitler nicht viel Arbeit, dort braucht er nur die "angekränkelte" Generalität zu ersetzen. Wer heute über Reichswehr, Polizei, Verwaltung und Justiz verfügt, ist in normalen Situationen kaum mehr aus dem Sattel zu heben. Und die Opposition?, werden Sie fragen. Historische Analogien stimmen nicht mehr. Die Entwicklung der militärischen Technik ist dermaßen fortgeschritten, daß selbst wenn die Opposition sich zur Wehr setzen sollte, sie gegen die Kampfmittel, über die die Regierung verfügt, Giftgas, Tanks und Fliegerbomben, nichts ausrichten könnte. [...]

Auszug aus Ernst Toller, "Reichskanzler Hitler" in: Die Weltbühne Nr. 41 vom 7. Oktober 1930

Externer Link: https://das-blaettchen.de/wordpress/wp-content/uploads/2020/05/1930_41-Toller-Reichskanzler_Hitler.pdf

Ernst Toller (1893–1939) war ein deutscher Dramatiker. Er hatte für kurze Zeit den Vorsitz der bayerischen USPD inne und war führend in der Münchner Räterepublik aktiv. Nach deren Niederschlagung wurde er im Juni 1919 verhaftet und wegen Hochverrats zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. 1933 wurde Ernst Toller von den Nationalsozialisten aufgrund seiner jüdischen Herkunft und politischen Haltung aus Deutschland ausgebürgert. Nach mehreren Exilstationen kam er 1937 in die USA, wo er 1939 Selbstmord beging.

In langen Verhandlungen gelang es ihm andererseits, die Sozialdemokraten zu einer Tolerierung seiner rigiden Sparpolitik zu bewegen. Der Reichstag wurde nur noch selten einberufen, dafür folgte eine Notverordnung der anderen, insgesamt waren es mehr als 60 in weniger als zwei Jahren. Mit einem drastischen Sanierungsprogramm versuchte Brüning, den Haushalt zu konsolidieren und zugleich auf diplomatischer Ebene ein Ende der Reparationen zu erreichen. Mit dieser Politik nahm er in Kauf, dass sich die Krisensituation durch die scharfen sozialen Einschnitte weiter zuspitzte. Gleichzeitig verhielt er sich außenpolitisch erstaunlich ungeschickt (siehe unten).

Erschwerend kam hinzu, dass die Hoffnung der Finanzwelt, der Sparkanzler könne für seinen unternehmerfreundlichen Kurs eine politische Mehrheit gewinnen, mit dem Wahlergebnis vom 14. September 1930 spektakulär gescheitert war. Die Parteien, der in seinem Kabinett vertretenen Regierungsmitglieder hatten allesamt Stimmen verloren. Das förderte die Verunsicherung. In den folgenden Wochen wurden nicht weniger als 300 Millionen Reichsmark an ausländischen Einlagen von deutschen Bankkonten abgezogen. Verunsicherte inländische Anleger, denen die Erinnerung an die Inflation noch in den Knochen steckte, hoben sogar mehr als 600 Millionen Reichsmark von ihren Konten ab.

Bankenkrise

Die Basis für das Funktionieren des deutschen Finanzmarkts war fragil. Ein entscheidendes Element waren ausländische Kredite, die überwiegend nur kurze Laufzeiten hatten, gleichzeitig aber den Banken die Mittel lieferten für langfristige Kredite an Industrie und Gewerbe. Das Reichsbankengesetz vom 30. August 1924 sicherte der Reichsbank einerseits ihre Unabhängigkeit, verpflichtete sie andererseits allerdings zu einer beachtlichen Mindestdeckung der ausgegebenen Geldmenge durch Gold bzw. in Gold konvertierbare Devisen. Diese gesetzlich vorgeschriebene Währungsdeckung beschränkte den Handlungsspielraum der Reichsbank. Nach Jahren der Prosperität hatte bereits 1928 eine Eintrübung der wirtschaftlichen Lage eingesetzt. In Folge des "Schwarzen Donnerstags" im Oktober 1929 wurde dann vermehrt ausländisches Kapital aus Deutschland abgezogen. Dieser Kapitalabfluss gewann nach den Reichstagswahlen im September 1930 weiter an Dynamik.

Am 8. Mai 1931 veröffentlichte die Österreichische Credit-Anstalt ihre Bilanz für das Vorjahr, die einen Verlust von 140 Millionen Schilling auswies; drei Tage später erklärte sie ihre Zahlungsunfähigkeit. Am 11. Mai gab auch der Karstadt-Konzern große Verluste bekannt. Diese Vorgänge verstärkten das Klima der Unsicherheit. Allein im Mai 1931 wurden Devisen im Wert von 288 Millionen Reichsmark von deutschen Banken abgezogen. Es war absehbar, dass bald auch die Reichsbank in Zahlungsschwierigkeiten geraten würde.

In dieser Situation legte Brüning am 5. Juni eine zweite "Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen" vor, die weitere harte soziale Einschnitte vorsah. Er begleitete diesen Schritt mit einer öffentlichen Erklärung, dass weitere Reparationsleistungen für Deutschland im Moment nicht tragbar seien. Dabei übernahm Brüning die Diktion der Rechtsradikalen und bezeichnete die Reparationen als "Tribute".

Das internationale Echo auf Brünings "Tributaufruf", wie die Erklärung bald allgemein genannt wurde, war verheerend. Trotz einer Erhöhung des Diskontsatzes von fünf auf sieben Prozent verminderte sich der Devisenbestand der deutschen Zentralbank in den Tagen bis zum 17. Juni 1931 von drei auf 1,7 Milliarden Reichsmark. Die Reichsbank war also schon vor dem Ausbruch der eigentlichen Bankenkrise nahezu illiquide geworden. Mit seiner ungeschickten Erklärung hatte Brüning den Zustand, den er als Vorwand für die Aussetzung der Reparationen benutzen wollte, erst herbeigeführt.

Am 17. Juni wurde ein sehr hoher, existenzbedrohender Verlust bei der Norddeutschen Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei ("Nordwolle") bekannt. Jahrelang hatte die Geschäftsführung versucht, die finanzielle Lage zu verschleiern, und dabei auch vor betrügerischen Bilanzmanipulationen nicht zurückgescheut. Inzwischen waren Verluste von 145 Millionen Reichsmark aufgelaufen, was mehr als der Hälfte der Bilanzsumme entsprach und sich nicht länger verschleiern ließ. Der Zusammenbruch des größten europäischen Wollverarbeitungsunternehmens brachte auch zwei seiner Großgläubiger, die Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank) und die Dresdner Bank in große Schwierigkeiten.

Um das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wiederherzustellen, wurde am 8. Juli per Notverordnung ein Wirtschaftsgarantieverband geschaffen, der die Haftung für die ausländischen Darlehen übernehmen sollte. (Insgesamt wurden in den Tagen der Bankenkrise nicht weniger als 25 Notverordnungen vom Reichspräsidenten erlassen.) Die Danat-Bank rettete das aber nicht mehr. Die Lage spitzte sich weiter zu, als auch die Dresdner Bank Insolvenz anmelden musste. Die Schließung der Danat-Bank am 13. Juli löste einen Ansturm der Kunden auf die übrigen Banken und Sparkassen aus.

Die Regierung sah sich gezwungen, den 14. und 15. Juli zu Bankfeiertagen zu erklären, was Brüning zunächst hatte vermeiden wollen. Die Schalter der Banken blieben geschlossen, die Reichsbank musste die Devisenbewirtschaftung einführen und die Konvertierbarkeit der Reichsmark aussetzen, das heißt, der Zahlungsverkehr mit dem Ausland wurde staatlicher Kontrolle unterstellt. Die Danat-Bank wurde mit der Dresdner Bank zwangsfusioniert, wobei Letztere ebenso wie die Commerzbank nun in Staatsbesitz überging. Weitere Banken und Unternehmen gerieten trotz aller Bemühungen der Regierung in Zahlungsschwierigkeiten, die Krise zog auch die mit 2,5 Milliarden Reichsmark im Ausland verschuldeten Länder und Gemeinden in Mitleidenschaft.

Nach den Bankfeiertagen reglementierte die Regierung die Auszahlungsmodalitäten der Kreditinstitute. Um einen möglichst schnellen Abbau der Beschränkungen im Zahlungsverkehr zu erreichen, wurde am 28. Juli 1931 die Akzept- und Garantiebank gegründet. Eine Woche später wurde der unbeschränkte Zahlungsverkehr wiederaufgenommen. Dagegen hielt die Regierung an der Devisenbewirtschaftung noch bis September fest. Auf Grundlage der Notverordnung vom 19. September 1931 wurde ein "Reichskommissar für das Bankgewerbe" berufen, der eine einheitliche Bankenaufsicht etablieren sollte. In intensiven Verhandlungen mit den alliierten Regierungen war es Brüning außerdem im August 1931 gelungen, für sechs Monate ein Moratorium – das heißt einen Zahlungsaufschub – für die Reparationszahlungen zu erreichen, die durch das Abkommen von Lausanne vom 9. Juli 1932 dann ganz beendet wurden.

Harzburger Front

Wenige Monate vor der Bankenkrise hatte der ehemalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht ein Buch mit dem Titel "Das Ende der Reparationen" veröffentlicht, das enormes Aufsehen erregte. Schacht war von einem entschiedenen Befürworter zu einem lautstarken Gegner des Young-Plans geworden, weil dieser nach seiner Ansicht nicht richtig umgesetzt worden sei. Er nutzte sein Buch nicht nur, um seine politische Wendung nach rechts zu rechtfertigen, sondern auch zu einer Generalabrechnung mit Reichskanzler Brüning, dem er vorwarf, die "sozialistische Finanzpolitik" seines Vorgängers Müller fortzusetzen.

QuellentextHjalmar Schacht

Hjalmar Schacht kam 1877 in Nordschleswig zur Welt, der Vater war ein deutscher Kaufmann, die Mutter eine dänische Baronin. In München studierte er bei Lujo Brentano, der sein Interesse an der Volkswirtschaftslehre weckte. Ab 1903 war er bei der Dresdner Bank tätig und machte bald eine beachtliche Karriere als Bankier. Ende 1923 spielte Schacht als Reichswährungskommissar eine entscheidende Rolle bei der Beendigung der Hyperinflation. Am 22. Dezember 1923 wurde er zum Präsidenten der Reichsbank ernannt. Im Jahr darauf wurde er zusätzlich Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Golddiskontbank, die zur Sicherung der Konvertibilität, das heißt der Umtauschbarkeit, der Reichsmark gegründet worden war.

Schacht war nun der wichtigste Fachmann für alle währungspolitischen Fragen. Er nahm 1921 an der Londoner Konferenz teil, bei der ein Zahlungsplan für die deutschen Reparationsverpflichtungen erarbeitet wurde, und vertrat das Deutsche Reich bei den Beratungen über den Dawes-Plan 1924 sowie über den Young-Plan 1929.

Dem Young-Plan, der gegenüber dem Dawes-Plan deutliche Erleichterungen für Deutschland vorsah, stimmte Schacht auf Weisung von Reichskanzler Hermann Müller (SPD) zu. Er lehnte aber jede Verantwortung für die Folgen ab, da er das Entgegenkommen der Alliierten für unzureichend hielt. Dennoch wirkte er bei der Gründung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit, die den Transfer der Reparationen abwickeln sollte. Als allerdings die Reichsregierung die von Schacht zur Erfüllung der Reparationsverpflichtungen für notwendig gehaltenen Sparmaßnahmen nicht beschloss, trat er im März 1930 als Reichsbankpräsident zurück.

Politisch rückte der ursprünglich liberale Schacht immer weiter nach rechts, verließ 1926 die DDP und suchte den Anschluss an nationalistische Kreise. Als er Hitler kennenlernte, war er von diesem beeindruckt. Schacht unterstützte nunmehr die NSDAP, ohne Parteimitglied zu werden. Im November 1932 initiierte er – zunächst ohne Erfolg – eine Petition deutscher Industrieller und Bankiers an Reichspräsident Hindenburg, er möge Hitler zum Reichskanzler ernennen. Nachdem Hitler 1933 Reichskanzler geworden war, ernannte er Schacht erneut zum Präsidenten der Reichsbank. In dieser Funktion war seine wichtigste Aufgabe, die Finanzierung der Aufrüstung sicherzustellen. 1934 wurde Schacht Reichswirtschaftsminister und im Jahr darauf zusätzlich Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft. 1937 trat er als Reichswirtschaftsminister zurück, weil er mit der nationalsozialistischen Autarkiepolitik nicht einverstanden war. Da der selbstbewusste Schacht auch weiterhin mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hielt, entließ Hitler ihn im Januar 1939 als Präsident der Reichsbank.

Schacht ging zunehmend auf Distanz zum NS-Regime und wurde wegen Kontakten zum Widerstand nach dem 20. Juli 1944 sogar inhaftiert. Das trug sicherlich dazu bei, dass er im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess zwar angeklagt, aber freigesprochen wurde. Nach dem Krieg war er in verschiedenen asiatischen Staaten als Wirtschaftsberater tätig und starb 1970 in München.

Der ursprünglich liberale Schacht setzte sich inzwischen für ein Bündnis von DNVP und NSDAP ein. Trotzdem war es eine Sensation, dass der als Retter der deutschen Währung hoch angesehene ehemalige Reichsbankpräsident am 11. Oktober 1931 in Bad Harzburg auftrat. Er nahm dort an einer Großveranstaltung der "nationalen Opposition" teil, die auf Alfred Hugenbergs Initiative zustande gekommen war. Schacht hielt eine aufsehenerregende Rede, in der er die Geldpolitik der Reichsbank, die inzwischen von dem ehemaligen Reichskanzler Hans Luther geleitet wurde, scharf angriff.

Bad Harzburg gehörte zum Freistaat Braunschweig, der seit den Landtagswahlen vom 14. September 1931 von einer Koalition aus NSDAP und der Bürgerlichen Einheitsliste, zu der sich DVP, DNVP und einige kleine Rechtsparteien zusammengeschlossen hatten, regiert wurde. Es waren die gleichen Kräfte, die schon das Volksbegehren gegen den Young-Plan getragen hatten und die nun die sogenannte Harzburger Front bildeten.

Hinzu kamen der großagrarisch orientierte Reichslandbund, viele hochrangige Militärs wie Generaloberst Seeckt, der als Chef der Heeresleitung 1926 entlassen worden war und nun für die DVP im Reichstag saß, Angehörige des Hochadels, darunter zwei Söhne von Kaiser Wilhelm II., führende Vertreter der Industrie wie Fritz Thyssen und andere Repräsentanten des republikfeindlichen Deutschland wie der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes Heinrich Claß. Hier vollzog sich der demonstrative Schulterschluss der alten Eliten des Kaiserreiches mit der aufstrebenden kleinbürgerlichen Massenbewegung der Nationalsozialisten.

Die Tagung am 11. Oktober 1931, einem Sonntag, begann mit einem "Feldgottesdienst", zu dem 2000 SA-Leute und 3000 Angehörige des "Stahlhelms" mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel aufmarschierten. Anschließend fand eine gemeinsame Sitzung der Reichstagsabgeordneten von NSDAP und DNVP statt. Das Ziel der Harzburger Front war der Sturz des Reichskanzlers Brüning. Die Führer der nationalen Verbände betonten, dass sie "die heutige Regierung und das heute herrschende System" ablehnten, und verlangten die Aufhebung der von Brüning initiierten Notverordnungen und eine Neuwahl des Reichstags.

QuellentextAlfred Hugenberg auf der Kundgebung der Harzburger Front am 11. Oktober 1931

Hier ist die Mehrheit des deutschen Volkes. Sie ruft den Pächtern der Ämter und Pfründen, den Machtgenießern und politischen Bonzen, den Inhabern und Ausbeutern absterbender Organisationen, sie ruft den regierenden Parteien zu: Es ist eine neue Welt im Aufstieg – wir wollen Euch nicht mehr!
In dem Volke, das in hellen Scharen hinter dieser Versammlung steht und durch sie verkörpert wird, stehen die tragenden Kräfte der Zukunft. Aus ihnen heraus wird ein neues, wahres und jüngeres Deutschland wachsen. […]

Niemand möge sich täuschen: Wir wissen, daß eine unerbittliche geschichtliche und moralische Logik auf unserer Seite ficht. Aus dem Neuen, das Technik und Industrie für die Welt bedeutete, hatte sich ein Wahn mit doppeltem Gesichte entwickelt, – der sogenannte internationale Marxismus und der eigentlich erst aus den marxistischen Konstruktionen heraus Wirklichkeit gewordene internationale Kapitalismus. Dieser Wahn bricht jetzt in der Weltwirtschaftskrise und in der davon scharf zu unterscheidenden deutschen Krise zusammen. Die Frage ist nur, ob daraus Zerstörung und Elend nach russischem Muster oder neuer Aufstieg nach unseren Plänen und unter unserer Führung hervorgehen soll. […]

Da gibt es keinen Mittelweg und keine Konzentration widerstrebender Kräfte. Da gibt es nur ein Entweder-Oder.

Zitiert nach: Die ungeliebte Republik. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik Weimars 1918–1933. Herausgegeben von Wolfgang Michalka / Gottfried Niedhart, dtv-Dokumente, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co.KG München 1980, S. 306 f.

Umrahmt war die Veranstaltung von Aufmärschen der paramilitärischen Organisationen. Hitler ließ es sich gerne gefallen, dass der Glanz der prominent besetzten Versammlung auch auf ihn fiel. Er hatte in diesem Bündnis von vornherein ein Mittel gesehen, seine Reputation zu mehren. Das Bündnis war vor allem deshalb für ihn von großem Wert, weil die NSDAP damals nur über einen bescheidenen Presseapparat verfügte, während Hugenbergs Medienimperium seinen Namen nun noch in den entlegensten Winkeln des Deutschen Reiches bekannt machte.

Gleichzeitig achtete Hitler aber darauf, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Der große Wahlerfolg vom September 1930 hatte seiner Bewegung eine enorme Schubkraft verliehen. Die NSDAP war nun nicht mehr, wie noch beim Kampf gegen den Young-Plan, der Juniorpartner der Deutschnationalen, sondern hatte mehr als doppelt so viele Reichstagsabgeordnete. Hitler sah sich damit berechtigt, die Führungsrolle zu beanspruchen.

Er betonte mit seinem Führungsanspruch im rechtsextremen Lager zugleich die Eigenständigkeit der nationalsozialistischen Bewegung. So verweigerte er die Teilnahme am gemeinsamen Mittagessen und verließ nach dem Vorbeimarsch der SA demonstrativ die Tribüne, ohne die Parade des "Stahlhelms" abzuwarten. Das alles war sehr bewusst kalkuliert. Eine Woche später ließ er vor dem Braunschweiger Schloss 100.000 Angehörige der SA und anderer nationalsozialistischer Verbände aufmarschieren, um zu demonstrieren, wozu die NSDAP alleine in der Lage war. Bei den Straßenkämpfen, die diese Machtdemonstration provozierte, gab es mehrere Tote und viele Verletzte. Das war Propaganda nach Hitlers Geschmack.

QuellentextDer Appell an den inneren Schweinehund“ Kurt Schumacher im Deutschen Reichstag am 23. Februar 1932

Meine Damen und Herren! Es hat keinen Zweck, gegen die Ungeheuerlichkeiten, die aus dem Munde der Herren Goebbels und Strasser kamen, mit einem formalen Protest anzugehen. Diese Dinge sind ja nur Teile eines ganzen Systems der Agitation. Wir wenden uns dagegen, auf diesem Niveau moralischer und intellektueller Verlumpung und Verlausung zu kämpfen. [...]

Das deutsche Volke wird Jahrzehnte brauchen, um wieder moralisch und intellektuell von den Wunden zu gesunden, die ihm diese Art Agitation geschlagen hat. Als Vertreter der marxistischen Arbeiterbewegung betone ich mit Stolz, daß System und Politik des Marxismus derartige persönliche Schmutzigkeiten immer ausgeschlossen haben. [...] Eine Auseinandersetzung ist schon darum nicht möglich, weil wir in dem Nationalsozialisten nicht das gleiche Niveau achten können. Wir sehen keinen Gegner, mit dem wir die Klinge kreuzen könnten. Außerdem lehnen wir es gerade bei dieser Frage grundsätzlich ab, die sozialdemokratische, durch Opfer an Gut und Blut erhärtete Politik in nationalen Fragen vor solcher Art Kritikern zu rechtfertigen. Den Herren fehlen die politischen Kenntnisse, denn die meisten von ihnen beschäftigen sich erst zwei oder drei Jahre mit der Politik, so daß ihnen das alles fern liegen muß. [...] Die Herren bringen auch keinerlei Voraussetzungen mit, um ein kritisches Urteil über uns abgeben zu können. Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen. [...]

Wenn wir irgend etwas beim Nationalsozialismus anerkennen, dann ist es die Tatsache, daß ihm zum erstenmal in der deutschen Politik die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen ist. […] Abschließend sage ich den Herren Nationalsozialisten: Sie können tun und lassen was sie wollen; an den Grad unserer Verachtung werden sie niemals heranreichen.

Externer Link: www.fes.de/fulltext/historiker/00781a20.htm

Kurt Schumacher (1895–1952) trat 1918 in die SPD ein und arbeitete 1920 für die sozialdemokratische Zeitung "Schwäbische Tagwacht" in Stuttgart. 1924 wurde er in den württembergischen Landtag und ab 1930 in den Reichstag gewählt. Als Gegner der Nationalsozialisten wurde er von 1933 bis 1944 in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert. Nach Kriegende baute er die SPD in den westlichen Besatzungszonen wieder auf und war erster Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag.

Externer Link: www.spd.de/partei/groessen-der-sozialdemokratie/groessen-der-sozialdemokratie-detailseite/speaker/kurt-schumacher/

Am 16. November 1931 brachten die in Bad Harzburg versammelten politischen Kräfte im Deutschen Reichstag einen Misstrauensantrag gegen Brüning ein, der von NSDAP, DNVP, der Mehrheit der DVP und auch der KPD – wenngleich auch aus anderen Motiven – unterstützt wurde. SPD, Zentrum, DDP und einige Kleinparteien stimmten dagegen, sodass der Antrag knapp scheiterte. Brüning war noch einmal gerettet, was nicht zuletzt daran lag, dass es keinen überzeugenden Gegenkandidaten gab.

Wahl des Reichspräsidenten 1932

Reichspräsidentenwahlen 1932 (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 50 072)

Das Jahr 1931 brachte bei allen Landtagswahlen weitere Erfolge für die NSDAP. Die Partei fühlte sich nun stark genug, den offenen Schlagabtausch mit der traditionellen Rechten zu suchen. Brünings Initiative, die Amtszeit des Reichspräsidenten Hindenburg mittels einer Verfassungsänderung zu verlängern und dem 84-Jährigen einen erneuten Wahlkampf zu ersparen, lehnte die NSDAP kategorisch ab. Da sowohl die NSDAP als auch die DNVP eigene Kandidaten aufstellten, war völlig klar, dass Hindenburg aus diesem Wahlkampf nur dann als Sieger hervorgehen konnte, wenn die Wählerinnen und Wähler der SPD, die noch immer die größte Partei war, für ihn stimmen würden. Eine Vorstellung, die er als zutiefst demütigend empfand.

Er entschloss sich deshalb erst zu einer erneuten Kandidatur, als dies von "breiten Volksschichten", nicht aber von einer Partei gefordert wurde. Es fand sich ein "Hindenburg-Ausschuss" zusammen, an dessen Spitze der parteilose Berliner Oberbürgermeister Heinrich Sahm stand und dem unter anderen der Schriftsteller Gerhard Hauptmann, der Maler Max Liebermann und der frühere Reichswehrminister Gustav Noske angehörten.

Das "vaterländische" Deutschland dagegen hielt sich weitestgehend fern. Der "Stahlhelm" stellte mit seinem zweiten Vorsitzenden Theodor Duesterberg sogar einen eigenen Kandidaten auf. Duesterberg wurde auch von der DNVP unterstützt, der er seit 1919 angehörte. Für die KPD kandidierte ihr Vorsitzender Ernst Thälmann. Der eigentliche Gegenspieler Hindenburgs aber war der Kandidat der NSDAP. Adolf Hitler war als Staatenloser nicht wählbar. Nachdem frühere Versuche, ihn einzubürgern, gescheitert waren, ernannte der nationalsozialistische Innen- und Volksbildungsminister im Freistaat Braunschweig Hitler der Form halber zum Regierungsrat, wodurch er automatisch die Staatsangehörigkeit im Freistaat Braunschweig erhielt und nun für das Amt des Reichspräsidenten kandidieren konnte.

Hitler erhielt am 13. März im ersten Wahlgang 30,1 Prozent der Stimmen und bereitete damit Hindenburg, der auf 49,6 Prozent kam, die Schmach, sich einem zweiten Wahlgang stellen zu müssen. Da Thälmann und Duesterberg mit 13,2 und 6,8 Prozent weit abgeschlagen waren, konzentrierte sich die Auseinandersetzung im zweiten Wahlgang ganz auf Hitler und Hindenburg.

Hitler wurde in der NSDAP-Wahlpropaganda als "Mann der Kraft" dargestellt, der im ersten Wahlgang allein elf Millionen Stimmen auf sich vereinigt hatte und "gegen Parteikadaver und Interessenhaufen" stand. Wogegen acht verschiedene "Interessenhaufen", vom Zentrum bis zur Wirtschaftspartei, zusammen nur 18 Millionen Stimmen für Hindenburg hätten mobilisieren können.

Im zweiten Wahlgang wollte Hitler noch einmal alle Kräfte mobilisieren. Nachdem der amtierende Reichspräsident einen "Osterfrieden" verkündet hatte, blieben für den Wahlkampf in der zweiten Runde nur sechs Tage. Um in dieser kurzen Zeit möglichst viele Menschen zu erreichen, setzte Hitler ein neues Mittel ein, das Flugzeug. So konnte er täglich mehrere Massenversammlungen in verschiedenen Städten abhalten. Dabei begleiteten ihn Kameraleute, die die Wahlkampfreise dokumentierten. "Hitler über Deutschland" wurde der erste nationalsozialistische Propagandafilm.

So etwas hatte es noch nie gegeben und diese "Amerikanisierung" des Wahlkampfes war auch in den eigenen Reihen nicht unumstritten. Aber sie trug dazu bei, Hitlers Nimbus als moderner Volkstribun weiter zu festigen. Der Wahlgang am 10. April 1932 brachte mit 36,8 Prozent einen weiteren Stimmenzuwachs. Einerseits war das ein großer Erfolg, andererseits blieb der Abstand zu Hindenburg, der auf 53 Prozent kam, dennoch deutlich.

Das Ende der Weimarer Republik

Preußenschlag

Hitler stürzte sich sofort mit einer zweiten Deutschlandflug-Kampagne in den nächsten Wahlkampf. Am 24. April gab es in fünf Ländern Landtagswahlen. Sie erbrachten durchweg starke Stimmengewinne für die NSDAP, die mit Ausnahme von Bayern, wo sie noch knapp hinter der BVP lag, nun überall zur stärksten Partei wurde.

Am bedeutsamsten war der Wahlausgang in Preußen, dem Land, das nach Bevölkerung und Fläche zwei Drittel des Deutschen Reiches ausmachte. Die SPD erreichte dort nur noch 21,2 Prozent der Stimmen, während die NSDAP auf 36,3 Prozent kam. Zusammen mit den 12,8 Prozent der KPD reichte das für eine negative Mehrheit, die jede neue Regierungsbildung verhinderte. Das "rote Preußen" war unter seinem Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD) seit 1920 ein Hort relativer Stabilität gewesen. Nun hatte die Regierung Braun, die sich in der Vergangenheit auf eine Weimarer Koalition gestützt hatte, keine Mehrheit mehr und amtierte nur noch geschäftsführend.

QuellentextOtto Braun

Geboren 1872 im ostpreußischen Königsberg, engagierte sich Otto Braun schon früh in der Sozialdemokratie, wurde 1898 Vorsitzender der SPD Ostpreußens und 1911 Mitglied des Reichsvorstandes. Im Ersten Weltkrieg unterstützte er die Politik der Partei, beteiligte sich an der Organisation des Streiks im Januar 1918 und wurde im November in den Arbeiter- und Soldatenrat Berlins gewählt.

1919 wurde er preußischer Landwirtschaftsminister und im Jahr darauf Ministerpräsident. Energisch wandte Braun sich gegen Pläne, das Land Preußen zu zerschlagen, das einerseits etwa zwei Drittel des Deutschen Reiches ausmachte, andererseits jedoch von uneinheitlicher Gestalt war und mehrere andere Länder als Enklaven umschloss. Braun fürchtete aber, dass eine Zerschlagung des Landes Preußen Annexionsforderungen der Siegermächte nach sich ziehen könnte.

Otto Braun übte das Amt des Ministerpräsidenten, abgesehen von zwei kurzen Unterbrechungen, von März 1920 bis Mai 1932 aus. Er stand in dieser Zeit an der Spitze einer Weimarer Koalition aus Sozialdemokraten, Zentrum und DDP, zu denen bis 1924 noch die DVP hinzukam. Preußen galt ihm als Bollwerk der Demokratie, dessen Interessen er vehement vertrat, notfalls auch gegen seine Parteifreunde auf Reichsebene.

Er pflegte einen Regierungsstil, der zuweilen ins Autoritäre abglitt und ihm den Ruf eines "Roten Zaren von Preußen" einbrachte. Nach der Überzeugung des Historikers Hagen Schulze war er "für lange Jahre der mächtigste Mann im Weimarer Staat". Anders als der Reichskanzler, den der Reichspräsident ernannte, wurde der preußische Ministerpräsident vom Parlament, dem preußischen Landtag, gewählt, in dem die ihn tragende Koalition ihre Mehrheit bis 1932 verteidigen konnte.

Die Regierungen wechselten in Preußen wesentlich seltener als im Reich. So konnte politisch einiges erreicht werden, zum Beispiel eine demokratische Schulreform und mindestens in Ansätzen auch eine Bodenreform. Fast alle der Kaiserzeit entstammenden Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, Landräte und Polizeipräsidenten wurden von Braun und dem preußischen Innenminister Carl Severing (SPD) ausgewechselt. Gegen Beamte, die sich während des Kapp-Lüttwitz-Putsches illoyal verhalten hatten, wurden anders als in anderen Ländern konsequent Disziplinarmaßnahmen ergriffen. Die etwa 50.000 Mann starke preußische Polizei, republikanisch gesinnt und gut ausgebildet, galt als eine der wichtigsten Stützen der Weimarer Republik.

Bei der Reichspräsidentenwahl 1925 kandidierte Braun für die Nachfolge des verstorbenen Friedrich Ebert und erhielt im ersten Wahlgang 29 Prozent der Stimmen, deutlich mehr als die SPD bei den letzten Reichstagswahlen. Da im zweiten Wahlgang die relative Mehrheit der Stimmen genügen würde, kam es darauf an, dass sich die Parteien der Weimarer Koalition auf einen gemeinsamen Kandidaten einigten. Die Wahl fiel auf Wilhelm Marx (Zentrum), obwohl dieser im ersten Wahlgang nur halb so viele Stimmen wie Braun erhalten hatte. Ein wichtiger Gesichtspunkt war dabei, dass die Wählerschaft der bürgerlichen Parteien kaum bereit war, sozialdemokratische Kandidaten zu unterstützen. Im Gegenzug für den Verzicht Brauns wählte das Zentrum Braun in Preußen erneut zum Ministerpräsidenten.

Anfangs hatte Braun ein gutes Verhältnis zum neuen Reichspräsidenten Hindenburg, das jedoch zunehmend unter seinem entschiedenen Vorgehen gegen die Nationalsozialisten litt. Spätestens im Oktober 1929, nach dem Verbot des rheinischen "Stahlhelms", dessen Ehrenmitglied Hindenburg war, war das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen zerstört.

Brauns politische Basis schwand zusehends, ähnlich wie bei den demokratischen Parteien auf Reichsebene. Bei den preußischen Landtagswahlen am 24. April 1932 erreichte die Weimarer Koalition erstmals keine Mehrheit mehr. Braun und sein Kabinett blieben gemäß Artikel 59 der Landesverfassung geschäftsführend im Amt. Braun selbst war allerdings von den Anstrengungen des Wahlkampfs so erschöpft, dass er die laufenden Amtsgeschäfte an den stellvertretenden Ministerpräsidenten Heinrich Hirtsiefer (Zentrum) übergeben musste.

Am 20. Juli 1932 erhielt Braun auf dem Krankenlager von Reichskanzler Franz von Papen das Entlassungsschreiben. Hindenburg deckte den sogenannten Preußenschlag, die Ausschaltung der preußischen Landesregierung als wichtiges Machtzentrum der demokratischen Parteien. Dabei kamen Papen sowohl das schlechte Wahlergebnis als auch die stark angeschlagene Gesundheit Brauns entgegen.

Otto Braun kämpfte vergeblich darum, die Regierungsgewalt zurückzuerhalten. Wenige Tage nach dem Reichstagsbrand erhielt er Warnungen aus dem Umfeld des Reichspräsidenten, dass sein Leben oder doch jedenfalls seine Freiheit bedroht sei. Noch am 4. März 1933 überquerte er die Grenze nach Österreich. Diese Flucht noch vor Schließung der Wahllokale wurde ihm von der Parteiführung der SPD sehr verübelt. Er verbrachte die Jahre des Exils in der Schweiz und starb 1955 in Locarno.

Auch auf nationaler Ebene verschärfte sich die Krise der Demokratie. Brüning hatte in einem rastlosen Wahlkampf Hindenburg eine zweite Amtszeit verschafft, doch der verzieh es ihm nicht, dass er seinen knappen Sieg ausgerechnet Katholiken und Sozialdemokraten, den verhassten "Reichsfeinden" von einst, verdankte. Der Dissens verschärfte sich, als der Reichswehr- und geschäftsführende Reichsinnenminister Wilhelm Groener, einer der wenigen entschiedenen Gegner der NSDAP unter den Militärs, ein Verbot der SA verfügte.

Für ein solches Verbot gab es Gründe und Anlässe in Fülle, aber es widersprach der Linie des Generals Kurt von Schleicher. Schleicher, ein Vertrauensmann Hindenburgs, war Chef des Ministeramtes, was dem Amt des Staatssekretärs in anderen Ministerien entsprach, und wollte die SA als Rekrutierungsreserve für die Wiederaufrüstung nutzen. Er drängte Groener erfolgreich zum Rücktritt als Wehrminister. Schleicher, der im Dezember 1932 für kurze Zeit selbst Reichskanzler wurde, verfolgte eine Querfrontstrategie zur Ausschaltung der Sozialdemokratie. Er strebte ein Bündnis aus dem linken Flügel der NSDAP um Gregor und Otto Strasser ("Strasser-Flügel") sowie sozialpolitisch aufgeschlossenen nationalen Kräften an, wobei auch ein Teil der Gewerkschaften einbezogen werden sollte.
Der Konflikt beschleunigte das Ende der Ära Brüning. Den letzten Anstoß gab der Versuch Brünings, die enorm hohen Hilfsgelder für die völlig überschuldeten Landgüter im Osten zugunsten anderer agrarpolitischer Prioritäten zu kürzen. Dies hätte den erneut an den Rand der Unfinanzierbarkeit geratenen Staatshaushalt entlastet und ermöglicht, den durch die Aufgabe von Gutsbetrieben frei werdenden landwirtschaftlichen Grund an Siedler zu vergeben. Dieser Plan wurde von den ostelbischen Gutsbesitzern als "Agrarbolschewismus" diffamiert. Hindenburg war als Besitzer des Gutes Neudeck von diesem Thema persönlich betroffen. Er erklärte brüsk, er werde keine einzige Notverordnung mehr unterzeichnen, woraufhin Brüning am 30. Mai seinen Rücktritt erklärte.

Zu Brünings Nachfolger wurde auf Schleichers Betreiben Franz von Papen ernannt, der ebenfalls der Zentrumspartei angehörte. Aber das war nur eine formale Gemeinsamkeit. Nachdem er 1925 für die Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten eingetreten war, hatte Papen in seiner Partei lediglich eine marginalisierte Stellung am Rand der Partei eingenommen. Bis April 1932 hatte er dem Preußischen Landtag als Abgeordneter angehört und auf ein Ende der Koalition seiner Partei mit der SPD hingearbeitet. Nun kam er auf spektakuläre Weise ans Ziel. Auf Papens Vorschlag hin enthob Hindenburg den geschäftsführenden preußischen Ministerpräsidenten Braun und seine Regierung am 20. Juli 1932 per Notverordnung ihres Amtes und ernannte Papen zum Reichskommissar in Preußen. Damit war die letzte wesentliche Regierungsbeteiligung der SPD beseitigt.

QuellentextFranz von Papen

Franz von Papen, der 1879 in Werl zur Welt kam, entstammte einem westfälischen Adelsgeschlecht. Er besuchte eine Kadettenanstalt, wurde zum Kavallerieoffizier ausgebildet und begann 1913 eine diplomatische Laufbahn als Militärattaché. In dieser Zeit knüpfte er wichtige Bekanntschaften, etwa mit Kurt von Schleicher und Paul von Hindenburg.

Da er die neue Republik ablehnte, nahm Papen 1919 seinen Abschied vom Militär und ging in die Politik. Er schloss sich der Zentrumspartei an und positionierte sich dort als rechter, monarchistisch gesinnter Flügelmann. Ab 1921 war er Mitglied im Preußischen Landtag, opponierte dort gegen die Weimarer Koalition und forderte, das Zentrum sollte anstelle der SPD mit der DNVP zusammengehen. Bei der Reichspräsidentenwahl 1925 setzte er sich gegen den Kandidaten der eigenen Partei Wilhelm Marx für die Wahl von Paul von Hindenburg ein. Daraufhin gab es Versuche, Papen aus der Partei auszuschließen, die aber nicht erfolgreich waren, weil er ein großes Aktienpaket der Parteizeitung "Germania" besaß und dort Aufsichtsratsvorsitzender war.

Nach dem Sturz Brünings wurde Papen auf Betreiben des Generals Kurt von Schleicher zum Reichskanzler ernannt und berief nun seinerseits Schleicher als Reichswehrminister. Er trat aus der Zentrumspartei aus und bildete ein "Kabinett der nationalen Konzentration", das sich aber im Reichstag nur auf die relativ kleine Fraktion der DNVP stützen konnte. Zehn Tage später, am 10. Juni 1932, trat Papen vor dem Deutschen Herrenklub auf, in dem er seit langem aktiv war. Diesem Klub, 1924 gegründet und 1946 von den Alliierten aufgelöst, gehörten mehrere Tausend Angehörige der Funktionseliten an, Industrielle, Bankiers, Großgrundbesitzer und fast 100 ehemalige Minister. Sein Ziel war es, das "Vordringen des Marxismus" in Deutschland zu verhindern. Als Papen dort seine Idee einer gegen die Sowjetunion gerichteten deutsch-französischen Allianz vorstellte, waren auch Hermann Göring, Ernst Röhm und Joseph Goebbels unter den Gästen.

In seiner kurzen Regierungszeit von etwas weniger als einem halben Jahr agierte Papen ganz im Sinne von Hindenburg und tat alles, um den Umbau der Demokratie zu einem autoritären Staatswesen voranzutreiben. Bezeichnend für seine Verachtung des Parlamentarismus war, dass er den Reichstag schon vor der ersten Vertrauensabstimmung auflöste und ihn nach der Sommerpause gleich wieder auflöste, sodass innerhalb von fünf Monaten zweimal gewählt werden musste.

Pläne für eine Verfassungsreform, an deren Ende die Wiedereinführung der Monarchie stehen sollte, blieben allerdings im Anfangsstadium stecken, zumal Papen bei den Reichstagswahlen im November 1932 scheiterte. Er musste die Position des Reichskanzlers für Kurt von Schleicher räumen, der allerdings Ende Januar 1933 schon wieder gestürzt wurde, wozu Papen nach Kräften beitrug. Am 30. Januar wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und Papen übernahm den extra für ihn geschaffenen Posten des Vizekanzlers. Er sah sich am Ziel seiner Wünsche und gab sich der Illusion hin, Hitler unter Kontrolle halten zu können.

Schon bald musste Papen erkennen, dass er politisch nichts mehr zu sagen hatte. Nachdem sogenannten Röhm-Putsch, bei dem auf Befehl Hitlers nicht nur etwa 80 SA-Führer, sondern auch andere missliebige Personen erschossen worden waren, trat er am 1. Juli 1934 aus der Regierung aus und war, zunächst in Wien, später in Ankara, als Diplomat tätig. 1946 geriet Papen in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde beim Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg freigesprochen, anschließend in einem Entnazifizierungsverfahren jedoch zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt.

Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung 1949 zog er sich ins Privatleben zurück und starb 1969. In seinen beiden Büchern "Der Wahrheit eine Gasse" (1952) und "Vom Scheitern einer Demokratie" (1968) gab er höchst fragwürdige Darstellungen der politischen Vorgänge, in die er involviert gewesen war, und verstärkte noch das negative Bild, das die große Mehrheit der Geschichtswissenschaft ohnehin von ihm hatte. Karl Dietrich Bracher nannte ihn den "Mörder einer Demokratie" und Joachim Fest attestierte Papen "moralische Unempfindlichkeit, einen fundamentalen Mangel an intellektueller Redlichkeit und jene vom Standesbewusstsein geprägte Allüre, die mit der Wahrheit umging wie der Herr mit dem Personal".

Den Vorwand für dieses Vorgehen lieferte der "Altonaer Blutsonntag": Nachdem die Regierung Papen das von Brüning im April 1932 erlassene Verbot der SA aufgehoben hatte, waren am 17. Juli 1932 7000 aus ganz Schleswig-Holstein zusammengetrommelte uniformierte SA-Leute durch die zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein gehörende Stadt Altona (Elbe) gezogen. Das provozierte die dort dominierende Anhängerschaft der KPD und der SPD und es folgte eine Schießerei zwischen Kommunisten, Nationalsozialisten und der Polizei, an deren Ende 18 Tote und 285 Verletzte zu beklagen waren. Es war der blutige Höhepunkt einer Gewaltwelle, die den Reichstagswahlkampf 1932 zum brutalsten in der Geschichte der Weimarer Republik werden ließ.

Die Absetzung der Regierung Braun, der sogenannte Preußenschlag, entzog die sozialdemokratisch geprägte preußische Polizei der demokratischen Kontrolle. Zahlenmäßig dem durch den Versailler Friedensvertrag auf 100.000 Mann reduzierten Heer an Mannschaftsstärke weit überlegen, galt sie als wichtiger, das republikanische System stützender Ordnungsfaktor.

Mit Unterstützung einiger süddeutscher Länder, die den Föderalismus gefährdet sahen, erhob die Regierung Braun Klage vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig. Dieser kam am 25. Oktober zu einem Urteil von "grotesker Zwiespältigkeit" (Karl Dietrich Bracher): Die Richter erklärten die Maßnahmen des Reichskommissars Papen zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit wegen des Staatsnotstandes teilweise für rechtens, die Regierung Braun behalte aber ihre staatsrechtliche Stellung gegenüber Landtag, Reichstag, Reichsrat und Reichsregierung. Ihre Absetzung sei nicht gerechtfertigt.

Daraufhin trat die ihrer realen Macht beraubte Regierung Braun als sogenannte Hoheitsregierung wieder zu ihren wöchentlichen Kabinettssitzungen zusammen. Ihre Tätigkeit wurde aber von der Reichsregierung nicht beachtet. Die Macht der Exekutive lag vielmehr bei den Vertretern der "Reichsexekution" unter Franz Bracht, den Papen zum stellvertretenden Reichskommissar in Preußen ernannt hatte.

Mit dem "Herrenreiter" Papen, der wie wenige das Versagen des deutschen Bürgertums angesichts der totalitären Herausforderung symbolisiert, war nicht nur die moralische Substanz der ersten deutschen Demokratie weitestgehend aufgezehrt, auch das parlamentarische System war nur noch ein Schatten seiner selbst. Papen, der im Stil höfischer Intrigen Politik machte, stand an der Spitze einer Regierung aus parteilosen Fachministern, von denen so viele adeliger Abstammung waren, dass die Regierung als "Kabinett der Barone" verspottet wurde. Bezeichnend für die neuen Machtverhältnisse war, dass Hindenburg Papen bei seiner Ernennung eine fast fertige Ministerliste präsentierte.

Der eigentliche Sinn des "Preußenschlages" enthüllte sich in den folgenden Wochen. Überall im Lande wurden sozialdemokratische und andere demokratische Polizeipräsidenten, Landräte und Beamte durch rechte Kräfte ersetzt. Keine andere Maßnahme der kurzlebigen Regierung Papen hat Hitlers "Machtergreifung" mehr entgegengearbeitet. Papen erfüllte alle Bedingungen, die die Nazis für die Tolerierung seiner Regierung gestellt hatten. Er hob das Verbot von SA und SS auf, ließ das Tragen von Uniformen wieder allgemein zu und schrieb Neuwahlen zum Reichstag aus. Dies alles geschah mit Wissen und Billigung des Reichspräsidenten. Hindenburg, der eigentlich kurz zuvor als Bollwerk gegen Hitler wiedergewählt worden war, konnte diese Erwartung nicht erfüllen, da er jede Zusammenarbeit mit der SPD grundsätzlich ablehnte und sich so unweigerlich mehr und mehr den Nationalsozialisten auslieferte.

Reichstagswahlen Juli 1932

Am 15. Juli 1932 startete Adolf Hitler seinen dritten Deutschlandflug. In 14 Tagen besuchte er von München bis Königsberg 50 große Wahlkampfkundgebungen und sprach zu annähernd zwei Millionen Menschen. Am 31. Juli stand das Ergebnis fest, das nun keine Überraschung mehr war: Mit 37,3 Prozent der Stimmen und 230 von 608 Abgeordneten wurde die NSDAP auch im Reichstag die mit Abstand stärkste Partei, gefolgt von den Sozialdemokraten mit 21,6 Prozent und der KPD mit 14,3 Prozent. NSDAP und KPD, die radikalen Parteien am rechten und linken Rand, konnten jetzt auch im Reichstag eine negative Mehrheit bilden. Das Zentrum (12,4 %) und die BVP (3,2 %) erwiesen sich, gestützt auf ihre konfessionell gebundene Wählerschaft, als stabil, aber die anderen bürgerlichen Parteien verloren drastisch an Wählerzuspruch. Sie kooperierten bei der Wahl des Reichstagspräsidiums offen mit den Nationalsozialisten.

Zum neuen Reichstagspräsidenten wurde Hermann Göring gewählt, der gar nicht erst den Anschein zu erwecken suchte, er werde dieses Amt unparteiisch ausüben. Um ein "marxistenfreies" Präsidium zu erreichen, überging man den Anspruch der SPD, als zweitstärkste Fraktion den ersten Vizepräsidenten zu stellen. Die Sozialdemokraten wurden überhaupt nicht berücksichtigt. Stattdessen wählte man den Zentrumsabgeordneten Thomas Esser. Zweiter und dritter Vizepräsident wurden Walther Graef (DNVP) und Hans Rauch (BVP).

Das katholische Lager stellte so, obwohl es nur über 97 Abgeordnete verfügte, zwei von vier Präsidiumsmitgliedern. Dabei hatten sich die Gewichte innerhalb des Zentrums sehr stark nach rechts verschoben. Tonangebend waren jetzt die ehemaligen Reichskanzler Marx und Brüning, außerdem Josef Joos, der auch dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken angehörte, sowie der Prälat Ludwig Kaas, der 1929 den Parteivorsitz übernommen hatte und nach 1933 seine Karriere im Vatikan fortsetzte. Kaas vor allem propagierte einen Kurs der "Volkssammlung", aber auch andere prominente Zentrumspolitiker waren der Auffassung, der richtige Ausgleich für das langjährige Zusammengehen mit den Sozialdemokraten in Preußen sei eine Annäherung an die Nationalsozialisten auf Reichsebene. Tatsächlich hätte eine Koalition aus NSDAP und Zentrum, selbst ohne BVP, eine knappe Mehrheit im Reichstag hinter sich gehabt.

Im August 1932 kam es auch zu intensiven Verhandlungen über den Eintritt der NSDAP in die Regierung Papen, die aber an den überzogenen Forderungen der Nationalsozialisten scheiterten. Insbesondere wollte Hitler sich nicht mit dem Posten des Vizekanzlers zufriedengeben. Schleicher, Hindenburg und andere waren gewillt, Hitler sehr weit entgegenzukommen, aber noch wehrte der Reichspräsident sich dagegen, den Mann, der ihn bei seiner Wiederwahl so gedemütigt hatte, zum Reichskanzler zu berufen.

Gleichwohl sah Papen die Annäherungsversuche zwischen Zentrum und NSDAP mit Unbehagen, da sie das Ende seines Präsidialkabinetts bedeutet hätten. Seine einzige parlamentarische Stütze bildeten die 37 Abgeordneten der DNVP. Als der Reichstag am 12. September 1932 mit 512 gegen 42 Stimmen die Aufhebung der von Papen initiierten Notverordnung zur Belebung der Wirtschaft verlangte, war das für ihn ein willkommener Anlass, den Reichstag erneut aufzulösen. Am selben Tag erklärte Papen im Rundfunk, er beschreite nunmehr "den Weg einer neuen unabhängigen Staatsführung", zu welcher der Reichspräsident ihn berufen habe.

Reichstagswahlen November 1932

Die Wahlen vom 6. November 1932 brachten nach Jahren stetig zunehmender Erfolge erstmals einen empfindlichen Rückschlag für die NSDAP. Mit 33,1 Prozent der Stimmen stellte sie nun statt 230 nur noch 196 Abgeordnete. Viele demokratisch gesinnte Menschen dachten schon, das Schlimmste sei überstanden und der nationalsozialistische Sturmlauf gegen die Republik gescheitert. Das Zentrum hatte ebenfalls – wenn auch nur leichte – Verluste hinnehmen müssen, sodass die rechnerische schwarz-braune Mehrheit vom Sommer dahin war. Allerdings verloren auch die Sozialdemokraten mit 20,4 Prozent Stimmanteile, während DNVP (8,3 %) und KPD (16,9 %) Stimmen und Mandate hinzugewannen.

An eine von einer Parlamentsmehrheit getragene Regierung war nach dieser Wahl noch weniger zu denken als zuvor. Prälat Kaas verlangte indes erneut eine "starke volksverbundene Reichsregierung" im Zeichen der "nationalen Sammlung", was nach Lage der Dinge nur eine Einbeziehung der NSDAP bedeuten konnte. Selbst Joseph Wirth, der ehemalige Reichskanzler und prominenteste Repräsentant des linken Flügels innerhalb des Zentrums, warb bei den Sozialdemokraten um Verständnis für eine solche Lösung.

Papen kam bald zu der Erkenntnis, dass er einer Regierung der "nationalen Konzentration" im Weg stand und erklärte am 17. November seinen Rücktritt. Kurz darauf plädierten Großagrarier und Industrielle in einer Eingabe an den Reichspräsidenten für einen Kanzler Hitler, doch dessen Unterredung mit Hindenburg blieb aus den gleichen Gründen wie drei Monate zuvor ohne positives Ergebnis. Der Feldmarschall wehrte sich noch immer gegen Hitlers Allmachtsanspruch und hätte ihm allenfalls die Kanzlerschaft einer vom Parlament getragenen Regierung zugestanden.

Am 3. Dezember berief Hindenburg schließlich General Kurt von Schleicher, der unter Papen bereits an die Spitze des Reichswehrministeriums gerückt war, zum neuen Kanzler. Schleicher stammte aus Brandenburg an der Havel und hatte in Berlin-Lichterfelde die Kadettenanstalt absolviert, wo er unter anderen Oskar von Hindenburg, den Sohn des späteren Reichspräsidenten, kennengelernt hatte. Im Krieg hatte er in der Obersten Heeresleitung gedient und sich 1918 für die Verständigung zwischen Reichswehr und Sozialdemokratie eingesetzt. Schleicher vertrat eine autoritäre Staatsauffassung, befürwortete aber zugleich die Einbindung der Arbeiterschaft.

Für kurze Zeit schien die Vision eines vorkonstitutionellen Staates auf, gestützt auf ein Bündnis, das vom SPD-nahen ADGB bis hin zu den Nationalsozialisten um Gregor Strasser, der inzwischen aus Protest gegen Hitlers "Alles-oder-nichts-Kurs" von sämtlichen Parteiämtern zurückgetreten war.

Doch schon am 28. Januar 1933 trat Schleicher wieder zurück, nachdem Hindenburg eine erneute Auflösung des Reichstags bei gleichzeitiger Verschiebung der Neuwahlen auf den Herbst 1933 verweigert hatte. Auch Zentrum und SPD mobilisierten ihre Energien gegen einen solchen "Reichsnotstand". Die beiden großen demokratischen Parteien verhielten sich Ende Januar 1933 so, als werde die Republik mehr von Schleicher als von Hitler bedroht. Dabei wäre Hitler womöglich nie Reichskanzler geworden, wenn Hindenburg Schleichers Vorschlag gefolgt wäre, den Reichstag aufzulösen, ohne Neuwahlen anzusetzen.

Machtübergabe an die Nationalsozialisten

Adolf Hitler wird Reichskanzler

In den letzten Januartagen trafen sich Hitler, Göring, Papen, Hugenberg, der "Stahlhelm"-Führer Seldte, Oskar von Hindenburg und der Staatssekretär und Chef der Präsidialkanzlei Otto Meißner zu intensiven Verhandlungen. Die Gespräche fanden in wechselnder Besetzung statt und gestalteten sich aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen der Teilnehmer äußerst kompliziert. Hugenberg war zum Zusammengehen mit Hitler bereit, fürchtete aber die von diesem geforderte erneute Auflösung des Reichstags.

Zum entscheidenden Steigbügelhalter für Hitler wurde Papen, der auch Oskar von Hindenburg und Meißner auf seine Seite zog. Dem Reichspräsidenten wurde schließlich eine Kabinettsliste vorgelegt, die mehrere Minister der DNVP und verschiedene Parteilose enthielt, aber nur zwei Nationalsozialisten, Frick als Innenminister und Göring als Minister ohne Geschäftsbereich. Der Posten des Justizministers war freigeblieben, um bei Hindenburg den Eindruck zu erwecken, auch das Zentrum werde in die Regierung Hitler eintreten. Auf dieser Grundlage gab Hindenburg die Zustimmung zu dessen Ernennung.

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler Reichskanzler, am 31. Januar erklärte er die Koalitionsverhandlungen mit dem Zentrum, die in Wahrheit nie stattgefunden hatten, für gescheitert. Auf den zunächst freigelassenen Posten des Justizministers wurde Franz Gürtner (DNVP) berufen, der als bayerischer Justizminister den Nationalsozialisten mit erkennbarer Sympathie gegenübergestanden hatte und schon unter Papen und Schleicher Reichsjustizminister gewesen war.

Die DNVP stellte noch vier weitere Minister: Hugenberg war eine Art Superminister und übernahm das Wirtschaftsressort sowie das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, der "Stahlhelm"-Führer Franz Seldte wurde Arbeitsminister, Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk Finanzminister und Paul Freiherr von Eltz-Rübenach Verkehrs- und Postminister.

Die beiden Letztgenannten hatten dieselben Ministerposten auch schon unter Papen und Schleicher innegehabt, eines von vielen Signalen, die Kontinuität suggerieren sollten. Dass die DNVP im ersten Kabinett Hitler doppelt so viele Minister stellte wie die viermal so große NSDAP sollte ebenfalls den Eindruck erwecken, dass sich durch Hitlers Kanzlerschaft gar nicht so viel geändert habe. Papen übernahm das Amt des Vizekanzlers, eine Position, die in früheren Regierungen entweder gar nicht besetzt oder von einem Minister wahrgenommen worden war. Das Auswärtige Amt blieb in den Händen von Konstantin von Neurath, einem parteilosen Karrierediplomaten alter Schule, der im Ausland hohes Ansehen genoss, General Werner von Blomberg wurde Reichswehrminister. Sie alle sollten zur konservativen Umrahmung des von vielen als Emporkömmling empfundenen Reichskanzlers ihren Beitrag leisten.

Papen, der sich nicht ganz zu Unrecht als derjenige sah, der das alles eingefädelt hatte, war mit dem Ergebnis seines Intrigenspiels hochzufrieden. Der 30. Januar 1933, von den Nationalsozialisten als Beginn einer Revolution gefeiert, war zunächst weniger eine "Machtergreifung", wie der von ihnen propagierte Terminus lautete, als vielmehr eine Machtübertragung, die Aufgabe der Macht durch die alten Eliten.

Hitlers Kanzlerschaft war alles andere als unvermeidlich. Sie war gewollt, zuletzt sogar von Reichspräsident Hindenburg, der den "böhmischen Gefreiten" lange mit Verachtung gestraft hatte. Solange er noch lebte, nahm man auf den greisen Reichspräsidenten etwas Rücksicht und schonte zum Beispiel bei den Verfolgungsmaßnahmen Juden, die im Weltkrieg für ihre Tapferkeit an der Front ausgezeichnet worden waren.

Aber Hitler ging sehr rasch daran, den Rahmen, den man ihm hatte setzen wollen, zu sprengen und die alte Ordnung hinter sich zu lassen. Und diejenigen, die dazu ausersehen waren, ihn unter Kontrolle zu halten, legten zum allergrößten Teil ein erstaunliches Maß an Willfährigkeit gegenüber dem neuen starken Mann an den Tag. Hitler bestimmte das Tempo der Veränderungen und das war hoch. Seine konservativen Partner waren – ehe sie wussten, wie ihnen geschah – in der Defensive.

Reichstagswahlen März 1933

Die alten Eliten hatten das Risiko einer Einbindung der Nationalsozialisten in die Ausübung der politischen Macht dramatisch unterschätzt. Der Kampf gegen die ungeliebte Republik war ihnen wichtiger als die Abwehr gegen die radikalen Systemveränderer der NSDAP. Jetzt hatten sie das Gesetz des Handelns aus der Hand gegeben. Bereits am 1. Februar 1933 löste Hitler den Reichstag auf und setzte Neuwahlen für den 5. März an, die dritten Reichstagswahlen in sieben Monaten.

Ein Streikaufruf der KPD lieferte den Vorwand für die Verordnung des Reichspräsidenten "Zum Schutz des deutschen Volkes" vom 4. Februar, die die in der Verfassung verankerten Grundrechte empfindlich einschränkte. Die Behörden nutzten die Verordnung vor allem zur willkürlichen Behinderung der KPD und der SPD im nun beginnenden Wahlkampf, wandten sie aber immer wieder auch gegen das Zentrum an. Nachdem in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar der Reichstag ausgebrannt war, erließ der Reichspräsident eine weitere Notverordnung "Zum Schutz von Volk und Staat", die viele Grundrechte außer Kraft setzte und der Reichsregierung die Möglichkeit gab, in Befugnisse der Länder einzugreifen.

QuellentextCarl von Ossietzky

Carl von Ossietzky, 1889 in Hamburg geboren, war wie viele Intellektuelle im Ersten Weltkrieg zum Pazifisten geworden. Im Oktober 1919 gründete er zusammen mit Kurt Tucholsky und anderen Pazifisten den Friedensbund der Kriegsteilnehmer (FdK). Als Journalist war er zunächst für verschiedene Zeitungen tätig, bevor er 1926 Herausgeber und Chefredakteur der "Weltbühne" wurde. Unter seiner Leitung erwarb die Wochenzeitschrift großes Ansehen als radikaldemokratisches, linkes Forum. Gleichzeitig hatte Ossietzky Gegner in allen Lagern. Den Kommunisten war er zu bürgerlich, die liberalen Demokraten sahen in ihm einen radikalen Gegner der demokratischen Republik. Und die Konservativen und Nationalisten, deren Hass er immer wieder auf sich zog, lehnten ihn ohnehin ab.

Häufig musste Ossietzky sich vor Gericht gegen Angriffe wehren. Besonderes Aufsehen erregte der "Weltbühne-Prozess" im Jahr 1929. Ausgangspunkt war der Artikel "Windiges aus der deutschen Luftfahrt" des Flugzeugkonstrukteurs Walter Kreiser, den die Zeitschrift veröffentlicht hatte. Der Beitrag behandelte den heimlichen Aufbau der Luftwaffe, wobei Ossietzky die brisanteste Passage des Textes, in der es um das Luftfahrtübungsgelände der Reichswehr in Russland ging, noch gestrichen hatte. Trotzdem war die Aufregung groß. Ossietzky und Kreiser wurden wegen des Verrats militärischer Geheimnisse zu je achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt. Kreiser entzog sich der Haft durch Flucht ins Ausland, was Ossietzky strikt ablehnte. Er wurde aufgrund einer Weihnachtsamnestie für politische Häftlinge am 22. Dezember 1932 nach 227 Tagen Haft vorzeitig entlassen.

Auch nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wollte Ossietzky nicht emigrieren, obwohl er durch Freunde wusste, dass sein Name auf den Verhaftungslisten stand. Wahrscheinlich spielte dabei die Rücksichtnahme auf seine alkoholkranke Frau eine Rolle. So wurde er nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 erneut verhaftet und erst in das KZ Sonnenburg deportiert und später in das KZ Esterwegen verlegt.

Wie seine Mitgefangenen berichteten, wurde er immer wieder gezielt ganz besonders schrecklich misshandelt, zum einen, weil er unerschrocken wie wenige gegen den immer mächtiger werdenden Ungeist der Nationalsozialisten opponiert hatte, zum anderen, weil seine Peiniger ihn für einen Juden hielten.

Bald setzte eine internationale Kampagne zu seinen Gunsten ein, bei der sich auch Willy Brandt engagierte, der damals im Exil in Norwegen lebte. Sie gipfelte in dem Vorschlag, dem Inhaftierten den Friedensnobelpreis zu verleihen. Zunächst wagte das Komitee dies nicht und setzte die Preisverleihung im Jahr 1935 aus.

Doch im November 1936 wurde der Friedensnobelpreis für 1935 Carl von Ossietzky nachträglich zuerkannt. Hermann Göring versuchte, ihn zu überreden, den Preis abzulehnen, und sicherte ihm im Gegenzug eine bessere Behandlung zu, doch Ossietzky lehnte ab. Da die Regierung die Blamage vermeiden wollte, dass der Nobelpreisträger im KZ umkam, wurde er in ein Berliner Krankenhaus verlegt, wo er bis zuletzt unter polizeilicher Bewachung stand. Dort verstarb er im Mai 1938 an den Folgen der schweren Misshandlungen.

Die Reichstagswahlen vom 5. März 1933 waren die letzten, an denen mehr als eine Partei teilnahm. Mit 88,8 Prozent erreichte die Wahlbeteiligung einen neuen Rekord. Die NSDAP steigerte ihren Stimmenanteil auf 43,9 Prozent. Das war einerseits ein gewaltiger Erfolg für eine Partei, die nur fünf Jahre zuvor noch bei 2,6 Prozent gestanden hatte. Andererseits hatte die Partei des neuen Reichskanzlers trotz einer riesigen Propagandaschlacht, bei der sie erstmals auch staatliche Mittel einsetzen konnte, nicht einmal die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht. Der Zuspruch für die Partei war noch immer nicht einheitlich. Am geringsten war die Wählerwanderung zur NSDAP bei den Katholiken und bei den Kommunisten ausgefallen, am stärksten bei denjenigen, die sich zuvor nicht an Wahlen beteiligt hatten, und bei denjenigen, die zur Wählerschaft der konservativen Mittelschichtparteien gehört hatten.

Ergebnisse der Reichstagswahlen 1919-1933 (© bpb)

Während die Nationalsozialisten in dem ländlich-evangelischen Wahlkreis Frankfurt/Oder auf 55,2 Prozent Stimmenanteil kamen, erreichten sie im benachbarten Berlin nur 31,3 Prozent. In der Reichshauptstadt dominierten trotz des massiven braunen Terrors nach wie vor die alten Arbeiterparteien SPD und KPD, die am 5. März 1933 immer noch 52,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinigten. Selbst nach Wochen intensivster Seelenmassage und angesichts eines nun im Scheinwerferlicht des Erfolges stehenden Adolf Hitler stimmte die Mehrheit der Deutschen nicht für die NSDAP. Allerdings gelang es der von der DNVP dominierte "Kampffront Schwarz-Weiß-Rot" knapp 8 Prozent der Stimmen zu erreichen, sodass die Regierung Hitler im Reichstag über eine sichere Mehrheit verfügte. Adolf Hitler konnte nun darangehen, die von ihm seit langem propagierte Diktatur Wirklichkeit werden zu lassen.

Ernst Piper, 1952 in München geboren, lebt heute in Berlin. Er ist apl. Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und hat zahlreiche Bücher zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts publiziert, zuletzt "Geschichte des Nationalsozialismus. Von den Anfängen bis heute" (2018) und "Rosa Luxemburg. Ein Leben" (2018).