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6. Februar: Internationaler Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung | Hintergrund aktuell | bpb.de

6. Februar: Internationaler Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung

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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass weltweit über 200 Millionen Mädchen und Frauen beschnitten sind. 3 Millionen Mädchen sind jährlich gefährdet, Opfer einer Beschneidung zu werden. Seit 2003 findet jährlich am 6. Februar der "Internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung“ statt, um auf diese Form der Menschenrechtsverletzung aufmerksam machen.

Frau bei einem Protest gegen Genitalverstümmelung in Madrid, Spanien am 06. Februar 2016. (© picture-alliance)

Die sogenannte "Female Genital Mutilation“ (FGM, dt.: Genitalverstümmelung) oder das "Female Genital Cutting“ (FGC, dt.: Genitalbeschneidung) wird in 29 Ländern Afrikas, auf der Arabischen Halbinsel und in manchen asiatischen Ländern praktiziert. Die Motive der Beschneidung unterscheiden sich hinsichtlich der kulturellen Praktiken in den verschiedenen Ländern. Das Sicherstellen der Jungfräulichkeit, bessere Chancen auf dem Heiratsmarkt oder spirituelle Reinheit sind verbreitete Begründungen für das Ritual. Das Problem der Externer Link: Genitalverstümmelung existiert auch in Deutschland. Nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation Externer Link: "Terres des Femmes“ leben in Deutschland etwa 58.000 betroffene und 13.000 gefährdete Mädchen und Frauen.

Eingriff

Die Externer Link: WHO definiert die weibliche Genitalverstümmelung als "jede teilweise oder totale Entfernung oder sonstige Verletzung der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane aus nicht medizinischen Gründen.“ Es gibt verschiedene Formen von FGM/FGC, die je nach Land und Region ab dem Säuglingsalter bis ungefähr zum 14. Lebensjahr durchgeführt werden. Aber "auch Frauen, die kurz vor der Eheschließung stehen, sind generell gefährdet“, sagt Idah Nabateregga, Referentin für weibliche Genitalverstümmelung bei "Terres des Femmes“ in Berlin. Ältere Frauen, die in ihren Dörfern mit der Aufgabe betraut wurden, oder traditionelle Geburtshelferinnen führen die Eingriffe durch. Häufig verwenden sie dabei nicht sterilisierte Messer, Glasscherben, Rasierklingen, Scheren oder Skalpelle ohne ihren Opfern eine Narkose zu geben oder Antiseptika zu verwenden.

Formen weiblicher Genitalverstümmelung

Typ I: Klitoridektomie: Die „mildeste“ Form der Genitalverstümmelung ist die Klitorisbeschneidung. Hier wird den Mädchen die Klitoris teilweise oder vollständig entfernt.

Typ II: Exzision: Bei der Exzision werden zusätzlich zur Klitoris die inneren Schamlippen entfernt. Die äußeren Schamlippen bleiben dabei unverletzt und die Vagina wird nicht verschlossen. Wieviel entfernt wird, hängt auch von den Gebräuchen in der jeweiligen Gemeinde ab, davon wie gut die Sehfähigkeit der Beschneiderin ist und wie stark sich das Mädchen gegen die Beschneidung wehrt.

Typ III: Infibulation: Die Infibulation ist die schwerste Form der Genitalverstümmelung. Die Klitoris, die inneren Schamlippen sowie die inneren Seiten der äußeren Schamlippen werden vollständig entfernt und die Wunde wird mit Dornen befestigt oder zusammengenäht. Eine kleine Öffnung für das Abfließen von Urin und Menstruationsblut bleibt bestehen. Da so keine Penetration möglich ist, muss die infibulierte Frau nach der Heirat durch den Ehemann erweitert oder aufgeschnitten werden. Dies ist sehr schmerzhaft und kann sich über Tage hinziehen.

Typ IV: Alle sonstigen Praktiken, die physische und/oder psychische Schäden hinterlassen.: Unter Typ IV fallen alle sonstigen Praktiken, die keine medizinische Notwendigkeit haben und die Klitoris und Vulva der Frauen dauerhaft beschädigen. Darunter fallen unter anderem: Ätzen, Brennen, Scheuern oder das Auftragen von nervenschädigenden Substanzen.

Gesundheitliche Folgen

Für die Mädchen und Frauen beginnt mit der Verstümmelung ein lebenslanger Leidensweg. Neben dem Schock, den die Betroffenen erleben, kommt es zu starken Blutungen, verursacht durch das Entfernen von Teilen der Genitalien und der damit einhergehenden Beschädigung von Venen und Arterien. Viele Betroffene leiden unter Infektionen, die durch nicht sterilisierte Instrumente, traditionelle Wundheilmittel und dem Brauch, dem Opfer nach dem Eingriff die Beine zusammenzubinden, was den Abfluss des Wundsekrets verhindert, entstehen. Langzeitfolgen sind Unfruchtbarkeit, chronische Unterleibsentzündungen, Harnwegsinfektionen, Schwierigkeiten beim Urinieren und Abszesse sowie Schwierigkeiten bei der Menstruation. Laut WHO sterben 10 Prozent der Frauen an den direkten Folgen wie Blutvergiftung und Blutverlust. 25 Prozent sterben an langfristigen Folgen wie Infektionen mit Interner Link: Aids und Hepatitis sowie an Komplikationen bei der Geburt.

Während die physischen Konsequenzen der Genitalverstümmelung vielfach durch Studien belegt sind, gibt es noch keine vergleichbare Forschung hinsichtlich der psychischen Folgen und die Auswirkungen auf das sexuelle Empfinden und Erleben der Frauen. Viele Betroffene leiden jahrelang unter dem erlebten Trauma und haben das Vertrauen in ihre Bezugspersonen verloren. Langfristig kämpfen sie mit Angstzuständen, dem Verlust ihrer Weiblichkeit, Schamgefühlen, Depressionen, chronischer Reizbarkeit, Frigidität, Partnerschaftskonflikten und Psychosen.

In Deutschland sind Ärzte und Ärztinnen teilweise noch unvorbereitet, da sie keine Erfahrung haben, wie sie mit den Frauen einfühlsam über die Verstümmelung sprechen können und wie sie mit einer betroffenen Frau bei der Geburt umgehen müssen. Doch mittlerweile gibt es mehrere Angebote, wie beispielsweise das Externer Link: "Desert Flower Center“ in Berlin, das auf die medizinische und psychologische Betreuung der Opfer von Genitalverstümmelung spezialisiert ist.

Karte zeigt Vorkommen weiblicher Genitalverstümmelung in Afrika und auf dem arabischen Halbmond. Genitalverstümmelung wird traditionell auch in einigen Ländern Asiens durchgeführt. Betroffene Frauen leben weltweit. (© Public Domain, UNICEF: Externer Link: www.commons.wikimedia.org/wiki/File%3AFGM_prevalence_UNICEF_2015_de.svg, 2016.)

Rechtliche Situation

In vielen Ländern ist die weibliche Genitalverstümmelung auf dem Papier längst verboten. Von den 29 afrikanischen Ländern, in denen Frauen traditionell beschnitten werden, haben 24 Staaten eigene Gesetze, welche FGM verbieten. Nur in Liberia, Somalia, Sierra Leone, Mali und dem Sudan gibt es keine gesetzlichen Regelungen. In Deutschland, wie in anderen europäischen Ländern, ist FGM seit 2013 ein Straftatbestand (Externer Link: Strafbesetzbuch, § 226A). Außerdem gibt es internationale Abkommen wie die Frauenrechtskonvention, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Kinderrechtskonvention, in denen die weibliche Genitalverstümmelung explizit geächtet wird.

Allerdings bezweifeln viele Frauengruppen die Reichweite der Gesetze. "Wir können nicht genau sagen, wie häufig FGM in Deutschland stattfindet“, sagt Idah Nabateregga von "Terres des Femmes“. "Es gibt die sogenannte Ferienbeschneidung, bei der die Eltern mit ihren Töchtern in die Heimat reisen, um sie dort beschneiden zu lassen“, erklärt Nabateregga. Deshalb brauche es nach Ansicht der Referentin eine verpflichtende Untersuchung für alle Minderjährigen, die in Deutschland leben. Dabei müssen die Genitalien miteingeschlossen werden. So ist neben einer Verstümmelung auch sexuelle Gewalt schneller erkennbar.

"Terres des Femmes“ engagiert sich mit anderen Organisationen aus verschiedenen EU-Staaten in einem gemeinsamen Projekt "Externer Link: Change Plus“ und bildet sog. Externer Link: Change Agents aus. Diese sind engagierte Mitglieder afrikanischer Gemeinden, die sich in ihren Communities durch Aufklärung dafür einsetzen, dass die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung beendet wird. Idah Nabateregga wünscht sich mehr Einsatz von der Bundesregierung. "Es fehlen bundesweit flächendeckende und ausreichend spezialisierte Projekte, vor allem für Minderjährige“, kritisiert die Referentin von "Terres des Femmes“. Und: "Diese müssen ausreichend und langfristig finanziert sein.“ Zudem müsse das Thema FGM Teil der Berufsausbildung werden, beispielsweise bei medizinischen und psychologischen Fachpersonal. "Die Erfolge kann man noch nicht statistisch messen“, sagt Nabateregga, aber immerhin könne man in den Communities jetzt offener über das Thema reden.

Nach einer UNICEF-Studie ist die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen seit den achtziger Jahren weltweit um etwa 1/3 zurückgegangen. Allerdings sind die Erfolge in der Bekämpfung des traditionellen Rituals von Land zu Land sehr unterschiedlich. Während Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen sich in Nigeria, Zentralafrika oder Liberia um die Hälfte verringert hat, sind in Somalia, Guinea, Ägypten und Djibouti weiterhin etwa 90% der weiblichen Bevölkerung von Genitalverstümmelung betroffen.

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