Eine Gesamtstatistik der öffentlichen Finanzen in Deutschland leidet darunter, dass vor allem die (quantitativ sehr bedeutenden) Kommunalfinanzen erst seit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg vollständig erfasst werden. Daher sind für das 19. Jahrhundert zwar viele finanzstatistische Reihen vorhanden, doch lassen sich diese nicht auf Reichsebene aggregieren. In der Literatur gemachte Angaben für die Rechnungsjahre 1872, 1881, 1891, 1901 und 1907 sind systematisch zu niedrig, da die preußische Kommunalfinanzstatistik bis 1913 lediglich die größeren Kommunen mit einem Gesamtanteil an der preußischen Bevölkerung von nur 36 Prozent (1913) berücksichtigte.
Für die Zeit des Ersten Weltkriegs und der Hyperinflation (1914 bis 1923) sind lediglich Angaben über die Gesamtausgaben vorhanden, ebenso wie für das erste darauffolgende einigermaßen normale Jahr 1924. In der Weimarer Republik wurde erstmals eine systematische Reichsfinanzstatistik aufgebaut, die für die Jahre 1925 bis 1939, zum Teil auch noch bis in die frühen 1940er Jahre hinein, verlässliche Ergebnisse liefert. Gleiches gilt auch für die Bundesfinanzstatistik ab 1950.
Erschwert wird die Interpretation dieser Daten jedoch durch Gebietsveränderungen und Umstellungen der Finanzsystematik. Sofern nicht anders vermerkt, sind bei der Interpretation die folgenden Brüche zu beachten: Die Angaben für die Zeit vor 1913 beziehen sich auf das Deutsche Reich einschließlich Elsass-Lothringen. Die Angaben für 1913 und 1925 bis 1932 (Ausgaben) bzw. 1939 (Steuern) sind der bislang letzten historischen Publikation des Statistischen Bundesamts (aus dem Jahre 1972) entnommen.
Die Zahlen für 1950 sind ohne West-Berlin. Während sich alle Angaben bis einschließlich 1959 auf das Fiskaljahr 1.4. bis 31.3. beziehen, stellte die Finanzstatistik 1960 auf das Kalenderjahr um. Werte für 1960 umfassen also nur neun Monate. Die Daten ab 1961 entstammen einschlägigen Publikationen des Statistischen Bundesamts und des Bundesministeriums für Finanzen.
Die Aufgliederung der Steuern folgt dem gegenwärtig vom Bundesfinanzministerium zugrunde gelegten Schema. Zu den direkten Steuern zählen die Steuern auf Einkommen und Vermögen sowie die Erbschaftsteuer. Die indirekten Steuern umfassen die Steuern vom Vermögensverkehr (außer der Erbschaftsteuer) und die Steuern aus der Einkommensverwendung, hier unterteilt nach Vermögensverkehrsteuern, Zöllen, Umsatzsteuer, Vebrauchsteuer, Beförderungsteuer, Energiesteuer, Kfz-Steuer und (nicht ausgewiesene) sonstige. Der Gesamtsteuerbetrag liegt 1990 deutlich höher als die Summe der Einzelbeträge, da die Steuereinnahmen des DDR-Staatshaushalts der zweiten Jahreshälfte der Bundesrepublik zuflossen (8,8 Milliarden Euro).
Zu beachten – insbesondere auch bei der Interpretation der Abbildungen 2 und 3 – ist, dass seit 1974 die finanzstatistische Berichterstattung um die Sozialversicherungsträger und einige weitere verwandte Posten (Bundesanstalt für Arbeit, Zusatzversorgungskassen, kommunale Zweckverbände, Finanzanteile an der EU, Ausgaben der Krankenhäuser und Unikliniken mit kaufmännischem Rechnungswesen) erweitert worden ist und zu diesem Anlass einige andere Änderungen eingeführt wurden. Daher weisen auch die Gesamtausgaben und -einnahmen 1974 einen Strukturbruch auf, der insbesondere bei der Betrachtung von Relativgrößen (etwa Anteil der Militärausgaben an den Gesamtausgaben) zu beachten ist. Nach Auskunft des Statistischen Bundesamts ist es nicht möglich, die Angaben vor bzw. nach 1974 zu vereinheitlichen. Sinnvolle zeitliche Vergleiche über das Jahr 1974 hinweg sind daher in vielen Fällen nicht möglich. Dem ist in den Abbildungen 2 und 3 entsprechend Rechnung getragen worden.
Zu den Schulden des öffentlichen Sektors finden sich wegen unterschiedlicher Abgrenzungen sehr widersprüchliche Angaben. Hier wurde der Einheitlichkeit wegen für die Zeiträume 1927 bis 1944 und 1950 bis 1986 auf Angaben der Deutschen Bundesbank zurückgegriffen. Diese sind kompatibel mit den Angaben des Statistischen Bundesamts, die als Quelle für den Zeitraum nach 1986 dienen. Die Nettoneuverschuldung ist hier einfach als Differenz zweier aufeinanderfolgender Jahre berechnet. Wegen einer Ausweitung der Erfassungskriterien im Jahre 2010 kann für dieses Jahr die Nettoneuverschuldung und somit auch die Neuverschuldungsquote ("Maastricht-Quote") nicht berechnet werden. Die Angaben für diese beiden letztgenannten Reihen sind mit äußerster Vorsicht zu genießen und sollten im Falle einer eingehenderen Analyse unbedingt mit den einschlägigen Publikationen der Bundesbank oder des Statistischen Bundesamts abgeglichen werden. Dort finden sich auch Hinweise auf weitere, hier nicht genannte kleinere Änderungen der Erfassungskriterien.
Zum Weiterlesen empfohlen
Marc Buggeln: Steuern nach dem Boom: die Öffentlichen Finanzen in den westlichen Industrienationen und ihre gesellschaftliche Verteilungswirkung, in: Archiv für Sozialgeschichte, 52 (2012), S. 47– 89.
Marc Hansmann: Vor dem dritten Staatsbankrott? Der deutsche Schuldenstaat in historischer und internationaler Perspektive, München 2012.
Eckart Schremmer: Steuern und Staatsfinanzen während der Industrialisierung Europas. England, Frankreich, Preußen und das Deutsche Reich 1800 bis 1914, Berlin 1994.
Mark Spoerer: The Evolution of Public Finances in Nineteenth-Century Germany, in: José Luis Cardoso/Pedro Lains (Hrsg.): Paying for the Liberal State: The Rise of Public Finance in Nineteenth Century Europe, Cambridge 2010, S. 103 –131.
Andreas Thier: Steuergesetzgebung und Verfassung in der konstitutionellen Monarchie. Staatssteuerreformen in Preußen 1871–1893,Frankfurt a. M. 1999.
Hans-Peter Ullmann: Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute, München 2005.
Miquelsche Steuerreformen
Johannes von Miquel (1828 –1901) war von 1890 bis 1901 preußischer Finanzminister. Nach vielen Jahrzehnten Reformstau modernisierte er Anfang der 1890er Jahre die direkten Steuern und führte dabei die in ihren Grundzügen noch heute gültige Einkommensteuer ein.
Maastricht-Quote
Im Vertrag von Maastricht legten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union Anfang 1992 fest, dass nur solche Staaten an der Europäischen Währungsunion teilnehmen können, deren jährliche Neuverschuldung dauerhaft unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt.