Tabelle 3: Gewaltdelikte (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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Gewaltkriminalität und erst recht schwere Formen von Gewalt machen nur einen kleinen Anteil an der gesamten Kriminalität aus. Während tödliche Gewalt aufgrund geringer Definitionsspielräume, eines kleinen Dunkelfeldes und einer sehr hohen Aufklärungsrate als zuverlässiger Indikator der historischen Gewaltentwicklung gilt, hängt die Statistik nicht-tödlicher Gewaltformen wie Körperverletzung und Raub sehr stark vom Anzeigeverhalten und den Reaktionen von Polizei und Strafjustiz ab; beide unterliegen historisch wandelbaren Bewertungsmustern von Gewalt.
Diese Interpretation betrifft vor allem die Entwicklung der gefährlichen Körperverletzung, deren außergewöhnliche Zunahme zwischen 1876 und 1900 auch einer Verschärfung des Strafgesetzbuches geschuldet war. Ab 1876 musste jeder bekannt gewordene Fall als Offizialdelikt von Amts wegen verfolgt werden. Als diese Strafverfolgungspflicht 1918 wieder aufgehoben wurde, fiel die bereits seit der Jahrhundertwende im Sinken begriffene Rate auf das frühere Niveau zurück. Auch der zweite Anstieg der gefährlichen Körperverletzungen seit den 1960er Jahren wird von Kriminologen teils auf eine steigende Anzeigebereitschaft der Opfer zurückgeführt. Raubdelikte spielten in der Kriminalstatistik bis in die 1960er Jahre kaum eine Rolle, bevor die Verurteiltenrate auf das Fünffache und die polizeiliche Häufigkeitsziffer auf das Zehnfache anstiegen. Ein Teil dieses Anstiegs kann mit der zunehmenden Beschaffungskriminalität von Drogenabhängigen erklärt werden. In den 1980er und 1990er Jahren wurden zudem vermehrt Kinder und Jugendliche wegen des gegenseitigen "Abziehens" von Kleidung und dem Raub von Mobiltelefonen strafrechtlich verfolgt.
Abbildung 4: Mord und Totschlag – Verurteiltenrate, Häufigkeitsziffer und Sterblichkeitsrate — pro 100 000 Personen strafmündige Bevölkerung bzw. Wohnbevölkerung (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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In Abbildung 4 sind drei unterschiedliche Indikatoren für die Entwicklung der Tötungsdelikte dargestellt, von denen die Todesursachenstatistik die zuverlässigste ist. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fluktuierte die Rate der gewaltsamen Todesfälle etwa zwischen 1 und 2,5 pro 100 000 Personen und stieg nur unmittelbar vor Beginn und nach Ende des Ersten Weltkrieges stark an. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschreiben die Todesursachenstatistik, die Verurteiltenrate und die Häufigkeitsziffer auf unterschiedlichem Niveau eine ähnliche Kurve, die zunächst bis in die 1970er Jahre nach oben und seit den 1990er Jahren wieder deutlich nach unten zeigt. Mit dem heutigen Wert von 0,5 hat Deutschland eine der weltweit niedrigsten Raten tödlicher Gewalt. Zu diesem Rückgang hat auch der Fortschritt der Notfallmedizin beigetragen. (siehe Abb 4)
Einen bedeutsamen Anteil an dem langfristigen Rückgang der tödlichen Gewalt hat auch die Entwicklung der Kindstötungen. Noch heute sind die ersten Tage nach der Geburt die gefährlichsten des ganzen Lebens, mit einem im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sechsfach höheren Risiko, umgebracht zu werden. Vor der Legalisierung von Abtreibungen und wegen der verbreiteten Stigmatisierung unehelicher Geburten war die Tötung von Säuglingen durch ihre Mütter im 19. und frühen 20. Jahrhundert noch erheblich häufiger, mit Raten zwischen 15 und 20 und in den 1920er Jahren sogar bis 40 pro 100 000 Lebendgeborenen.