Den besten Überblick über Geschichte und Gegenwart der deutschen Kriminalstatistik bietet Wolfgang Heinz
Die gerichtliche Verurteiltenstatistik bietet die längste historische Zeitreihe der Kriminalstatistik. Ab 1882 und letztmalig 1942 erschien die sogenannte Reichskriminalstatistik als Reihe in der Statistik des Deutschen Reiches. Im Jahresband 1927 wurden lange Zeitreihen ab 1882 veröffentlicht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Reihe in der Bundesrepublik als Strafverfolgungsstatistik vom Statistischen Bundesamt weitergeführt, erst ab 2007 sind darin die neuen Bundesländer vollständig erfasst. Vor der Reichsgründung hatten bereits einzelne Länder Verurteiltenstatistiken geführt; hier wird die preußische verwendet, deren Zeitreihen für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts von Dirk Blasius
Die polizeiliche Kriminalstatistik der registrierten Straftaten und Tatverdächtigen wird seit 1953 vom Bundeskriminalamt für die Bundesrepublik und seit 1993 für das wiedervereinigte Deutschland herausgegeben, nachdem es den Jahren 1936 bis 1938 bereits erste Versuche gegeben hatte. Im Internet bietet das Bundeskriminalamt Zeitreihen ab 1987 an, der Zeitraum 1953 bis 2003 wird von Uwe Dörmann
Eine umfassende Strafvollzugsstatistik der Gefängnisse gibt es in Deutschland erst ab 1960 (ab 1992 für Gesamtdeutschland), da der Strafvollzug im Deutschen Reich in der Verantwortung der Länder blieb und selbst dort teils, wie zum Beispiel in Preußen, auf mehrere Ministerien aufgeteilt war. Von besonderem Interesse ist die Anwendung der Todesstrafe. Da sich die amtliche Statistik im Nationalsozialismus und danach über die Zahl der Hinrichtungen ausschwieg, ist man hier besonders auf historische Rekonstruktionen wie auf die gründliche Arbeit von Bernhard Duesing
Studien zur historischen Entwicklung der Gewaltkriminalität verwenden außerdem die Todesursachenstatistik, da sie unabhängig von der Strafverfolgung die Zahl der Opfer von absichtlicher tödlicher Gewalt zählt und nach Opfermerkmalen differenziert. Ein Teil der hier verwendeten Daten wurde aus der von Manuel Eisner
Für die DDR existieren keine ernstzunehmenden Kriminalstatistiken, da die Regierung aus ideologischen Gründen nicht an einer wahrheitsgetreuen Berichterstattung interessiert war. Die Anzahl der Todesurteile und Hinrichtungen in der DDR wurden von Falco Werkentin
Angesichts niedriger Fallzahlen ist es in der Kriminalstatistik generell üblich, bevölkerungsbezogene Raten pro 100 000 Personen strafmündiger Bevölkerung (bei Tatverdächtigen, Verurteilten und Inhaftierten) bzw. der Wohnbevölkerung (bei den Häufigkeitsziffern der polizeilich registrierten Straftaten) zu berechnen. Das Strafmündigkeitsalter wurde 1923 von 12 auf 14 Jahre angehoben. Seit den 1980er Jahren werden in der polizeilichen Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistik täterbezogene Raten nur noch für deutsche Staatsangehörige anhand der deutschen Wohnbevölkerung berechnet, weil eine Rate für Nicht-Deutsche durch Touristen, Durchreisende und Illegale, die nicht zur Wohnbevölkerung gehören, verzerrt würde. Im Interesse der historischen Kontinuität werden hier jedoch ausschließlich einheitliche Raten aller Tatverdächtigen bzw. aller Verurteilten bezogen auf die gesamte Wohnbevölkerung in Deutschland berechnet.
Die Bevölkerungszahlen werden aus den Kriminalstatistiken und aus demografischen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes und des Deutschen Reiches bzw. Preußens entnommen. Daher weichen einige der hier dargestellten Raten für die letzten Jahrzehnte von der veröffentlichten Kriminalstatistik ab.
Zum Weiterlesen empfohlen
Dirk Blasius: Kriminalität und Alltag. Zur Konfliktgeschichte des Alltagslebens im 19. Jahrhundert, Göttingen 1978.
Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte, Berlin 2001.
Rebekka Habermas / Gerd Schwerhoff (Hrsg.): Verbrechen im Blick.
Perspektiven der neuzeitlichen Kriminalgeschichte, Frankfurt a. M. 2009.
Wolfgang Heinz: Das strafrechtliche Sanktionensystem und die Sanktionierungspraxis in Deutschland 1882 – 2012, Konstanz 2014, Externer Link: www.uni-konstanz.de/rtf/kis/Sanktionierungspraxis-in-Deutschland-Stand-2012.pdf.
Dietrich Oberwittler: Kriminalität, in: Stefan Mau / Nadine Schöneck (Hrsg.): Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands, 3. Aufl., Wiesbaden 2013.
Gerd Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung, Frankfurt a. M. 2011.
Statistisches Bundesamt: Justiz auf einen Blick, Wiesbaden 2011.
Helmut Thome / Christoph Birkel: Sozialer Wandel und die Entwicklung der Gewaltkriminalität. Deutschland, England und Schweden im Vergleich, 1950 bis 2000, Wiesbaden 2007.
vorgerichtliche Sanktionen
Darunter versteht man Maßnahmen, die von der Staatsanwaltschaft gegen Einstellung des Verfahrens angeordnet werden. Darunter fallen Geldstrafen, gemeinnützige Arbeit oder Verhaltensauflagen.