"Geld und Kredit" bezeichnet den Komplex von Institutionen und Beziehungen, der dem modernen "Finanzsektor" – ohne die öffentlichen Finanzen – entspricht. Dieser "moderne" Komplex steht am Ende einer sehr langen Geschichte, denn Geld und Kredit sind schon seit der Antike nachweisbar. In der Frühen Neuzeit wurden sie mit der Verbreitung marktwirtschaftlicher Tauschbeziehungen zu einem bestimmenden Faktor der Wirtschaft; im 19. Jahrhundert entwickelten sie schließlich eine Form und Struktur, die sich empirisch-statistisch erfassen und bis zur Gegenwart verfolgen lässt. Für den Zweck dieses Bandes erscheint es sinnvoll, das Thema "Geld und Kredit" in fünf Teile zu gliedern: Geldmenge und ihre Komponenten, Banken, Zentralnotenbankpolitik, Kapitalmarkt und Internationale Beziehungen. Dabei dürfen freilich die Interdependenzen zwischen diesen Unterbereichen nicht außer Acht gelassen werden.
Das übergreifende Ziel dieses Beitrages ist, "Geld und Kredit" als wichtige quantitative Dimension der langfristigen Entwicklung der deutschen Wirtschaft herauszuarbeiten. Die Auswahl bzw. Rekonstruktion der hierfür nötigen Zeitreihen soll diese historische Beziehung erhellen. Einige dieser Zeitreihen decken eine sehr lange Periode ab – 1835 bis 2012 – und sind nicht vollkommen homogen, zum einen weil die Verwendung des Euros als Maßstab den Wertschwankungen der in Deutschland jeweils geltenden Währungen nicht ganz gerecht sein kann, zum anderen weil die gewählten (modernen) Begriffe (wie zum Beispiel Zentralnotenbank, Geldmenge M1, M2 etc.) für die frühere Zeit zum Teil anachronistisch sind. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass für den Zeitraum bis 1950 die meisten Zeitreihen auf Stichproben bzw. Schätzungen beruhen. Gleichwohl dürften mit den hier rekonstruierten Reihen langfristige Tendenzen und Strukturveränderungen im deutschen Geld- und Kreditsystem besser erkannt werden, als dies mit bisherigen Datensammlungen möglich gewesen ist. Die folgende Präsentation thematisiert diese Tendenzen und Veränderungen. Auf besondere Probleme der benutzten Reihen soll aber auch hingewiesen werden.
Ganz allgemein gesehen ist die Aufgabe der hier erfassten Institutionen des Finanzsektors die Vermittlung zwischen Ersparnisbildung und Investitionsmöglichkeiten. In der werdenden Marktwirtschaft Deutschlands fielen Spar- und Investitionswünsche häufig nicht zusammen. Finanzinstitutionen entstanden, um Wirtschaftssubjekten Anlagemöglichkeiten für ihr Geldvermögen einerseits und anderen Wirtschaftssubjekten Kredit zur Finanzierung von Investitionsvorhaben andererseits bereitzustellen.
Die Begriffe "Geld" und "Kredit" sind fast – aber nicht ganz – identisch. Beide umfassen "Finanzinstrumente". "Geld" bezeichnet Finanzinstrumente, die allgemein als Zahlungsmittel und Wertmaßstab akzeptiert werden, "Kredit" ist das verbriefte Recht auf Geld zu einem zukünftigen Zeitpunkt. Beide setzen Vertrauen voraus. Vertrauen zum Geld (als allgemeines Zahlungsmittel) hing von dessen Wertbeständigkeit ab. Weil spätestens seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland der Staat die Geldversorgung der Wirtschaft steuerte, bewirkten der Bekanntheitsgrad, die Sanktionsmacht und vor allem die stabilitätsbewusste Politik des Staates ein Sinken der Informationskosten und die Stärkung des Vertrauens der Wirtschaftssubjekte in die Wertbeständigkeit des Geldes und stützten somit die Nachfrage der Wirtschaftssubjekte nach Geld (Ausnahme: die Inflationszeit). Kreditvergabe hing vom Vertrauen zu Schuldnern ab. Die Kreditversorgung blieb aber weitgehend eine private Angelegenheit, und die Kosten der Informationsbeschaffung über Anlagemöglichkeiten und die Kreditwürdigkeit potenzieller Schuldner blieben dementsprechend lange relativ hoch. Vertrauen der Wirtschaftssubjekte zu privaten Schulden breitete sich deshalb erst langsam aus. Schließlich ist erwähnenswert, dass Geld und Kredit in einer Hinsicht identisch sind: Bankeinlagen ("Buchgeld"), also Guthaben bei einer Bank, waren und sind ebenfalls eine Form des Kredits: Sie stellen Kredite der Einleger an die Banken dar.