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Folge 05: Schokopudding für's Gehirn | Bewegtbild und politische Bildung | bpb.de

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Folge 05: Schokopudding für's Gehirn

Gerret von Nordheim

/ 3 Minuten zu lesen

Wie wär’s mit einem kleinen Experiment? Beschreibt doch mal kurz, was Ihr heute Morgen erlebt habt. Sehr wahrscheinlich erzählt Ihr jetzt eine Geschichte. Eine einfache Geschichte, zugegeben, aber doch: eine Erzählung mit Anfang (vielleicht wie der Wecker klingelte) und Ende (vielleicht endet Eure Geschichte mit dem Gong zur ersten Schulstunde), mit bestimmten Ereignissen (Euer Frühstück, Euer Schulweg mit dem Bus), mit einem Protagonisten (Euch selbst) und Nebenfiguren (vielleicht mit Eurer Mutter, die Euch geweckt hat, oder dem grummeligen Busfahrer, der Euch vor der Nase weggefahren ist). Gedächtniskünstlerinnen arbeiten mit dieser Strategie des "Storytellings“, wenn sie sich 20 Begriffe merken müssen, versuchen sie sie im Kopf zu einer Geschichte zu verbinden.

Fake News - Schokopudding für's Gehirn?

Webvideoreihe FakeFilter

Fake News - Schokopudding für's Gehirn?

Funktionieren Fake News, weil wir uns gute Geschichten besser merken können? In 10 Folgen beschäftigt sich der Youtuber Mr. Trashpack mit sogenannten Fake News und verwandten Phänomenen und präsentiert praktische Tipps und Tools im Netz.



Mr. Trashpack isst Schokopudding (© bpb)

Vielleicht ist es Euch in den sozialen Medien schon einmal aufgefallen, überall begegnen uns Storys: Instagram-Storys, Snapchat-Storys und eigene Jahresrückblicke mit besonderen "Momenten“. Unsere Timeline wird zum "Lebenslauf“, auch weil sie uns von den Plattformen in dieser Form aufbereitet wird. Denn die sozialen Netzwerke wissen: Eine gute Geschichte ist wie Schokopudding für unser Gehirn.

Der Mensch, ein Geschichtenwesen

Was uns einerseits hilft, kann andererseits zur Gefahr werden; denn wir neigen dazu, Geschichten auch dort zu sehen, wo vielleicht gar keine sind. Die Psychologen Heider und Simmel haben das schon 1944 eindrucksvoll mit einem Trickfilm bewiesen. In der Animation sind vier geometrische Figuren zu sehen, die sich über eine zweidimensionale Fläche bewegen. Sie stoßen gegeneinander, dann "verfolgen“ sie sich, zwei von ihnen verschwinden am Ende aus dem Bild. Ein übriggebliebenes Dreieck bleibt in einem Rechteck zurück und stößt so lange gegen die Seiten bis diese zerbrechen. Als Menschen in Interviews nach einer Beschreibung des Videos befragt wurden, antworteten sie mehrheitlich mit einer Geschichte: Sie schrieben den Formen Eigenschaften zu – Wut und Eifersucht, Liebe und Frustration. Sie sahen eine Romanze oder ein Eifersuchtsdrama.

Geometrische Figuren auf einer Fläche (© bpb)

Aber eben, da der Mensch dazu neigt, seine Sinneseindrücke zu einer Geschichte zu verbinden, kann er das Zufällige oder das, was nicht eindeutig ist, nur schwer akzeptieren. Und genau deswegen mögen wir Geschichten. Sie erklären uns die Welt so, wie wir sie am liebsten verstehen: mit eindeutigen Zusammenhängen und guten Figuren, die eine klare Absicht verfolgen, mit Ursache und Wirkung. Diese menschliche Neigung ist auch Treibstoff für Verschwörungstheorien. Solche Geschichten sind dann besonders erfolgreich, wenn sie schon eine Erklärung beinhalten, warum andere nicht an sie glauben: Die Zweifler sind Teil der Verschwörung oder haben sie einfach noch nicht durchschaut.

Die Pizza-Verschwörung

Ein Beispiel für solche Geschichten ist "Pizzagate“ – die Verschwörungstheorie besagt, dass US-amerikanische Politiker wie Barack Obama oder Hilary Clinton unter dem Deckmantel einer Pizzeria einen Kinderpornoring betreiben. Die aberwitzige Geschichte verbreitete sich über rechte Blogs und soziale Medien millionenfach. Durch diese massenhafte Wiederholung können sich online selbst verrückteste Theorien festsetzen – alleine dadurch, dass man eine Geschichte wiederholt liest, wirkt sie für unser Gehirn glaubwürdiger.

Leider ist "Pizzagate“ nicht nur ein Beispiel für unsere Schwäche für dramatische Geschichten, sondern auch dafür, welche schwerwiegenden Folgen sie haben kann: Am 4. Dezember 2016 stürmte ein bewaffneter Mann die Pizzeria "Comet Ping Pong“ auf der Suche nach versteckten Kindern. Dabei fielen Schüsse, verletzt wurde glücklicherweise niemand. Nachdem der Eindringling keine Kinder auffand, ergab er sich der Polizei.

In einem Interview deutete er später an, dass er immer noch an die "Pizzagate-Verschwörung“ der Politiker glaube – schließlich hätte es im Internet so viele Artikel darüber gegeben.

Filter-Tipps:

  • Der Mensch ist ein Geschichtenwesen. Er denkt in Geschichten, erinnert sich in Geschichten und begreift die Welt am liebsten in Form von guten Storys.

  • Manchmal führt uns dieser Geschichtentrieb hinters Licht: Wir meinen auch dort Zusammenhänge und Absichten erkennen zu können, wo vielleicht gar keine sind.

  • Verschwörungstheorien, aber auch Fake News können aus diesem Grund wirkungsvoll sein – sie sind wie Schokopudding für das Gehirn.

  • Verbreiten sie sich millionenhaft, werden sie durch die Wiederholung für den Menschen immer glaubhafter – eine fatale Kettenreaktion.

Quellen:

F. Heider, M. Simmel: Heider and Simmel (1944) animation. Externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=VTNmLt7QX8E

Craig Silverman: This Analysis Shows How Viral Fake Election News Stories Outperformed Real News On Facebook. Externer Link: https://www.buzzfeed.com/craigsilverman/viral-fake-election-news-outperformed-real-news-on-facebook?utm_term=.gxKVLvg09a#.jek3OdE9YD

Adam Goldman: The Comet Ping Pong Gunman Answers Our Reporter’s Questions. Externer Link: https://www.nytimes.com/2016/12/07/us/edgar-welch-comet-pizza-fake-news.html?_r=0

Alle Links wurden zuletzt abgerufen am 27.6.2017.

Zum Zwecke der Gleichstellung wird in unseren Texten frei zwischen Genderformen gewechselt.

Fussnoten