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Das Frauenbild im Rechtsextremismus und Islamismus

Julian Ernst Josephine B. Schmitt

/ 9 Minuten zu lesen

Frauen übernehmen im Rahmen von extremistischen Gruppierungen wichtige Funktionen. Sie also nur als passive Mitläuferinnen zu sehen, ist verfehlt. Obwohl das vermittelte Frauenbild und die damit zugeschriebene Rolle von konservativen und traditionellen Geschlechtervorstellungen bestimmt ist, fruchten Propagandamaßnahmen extremistischer Gruppierungen bei vielen Mädchen und Frauen.

Das Frauenbild im Rechtsextremismus und Islamismus: 2 Mädchen mit erhobener Faust (© bpb)

Einführung

Wenngleich die medialen Repräsentationen und auch die öffentliche Wahrnehmung von Extremismus und Terrorismus eher männlich geprägt sind , nehmen Frauen und Mädchen eine nicht zu unterschätzende Rolle ein; dies ist unabhängig von jeglicher ideologischen Perspektive. So kamen etwa in den vergangenen Jahren Frauen aus strategischen Gründen im Rahmen von dschihadistischen Gewalttaten im Irak häufiger zum Einsatz . Aber auch in rechtsextremistischen Strukturen finden sich Mädchen und Frauen auf verschiedenen funktionalen Ebenen der Organisationen . Zu beobachten ist, dass Mädchen und junge Frauen gezielt im Rahmen extremistischer Propaganda adressiert werden.

Warum aber lassen sich Mädchen und Frauen z. T. für extremistische Organisationen anwerben? Warum sympathisieren sie mit Ideologien, die in der Regel traditionelle Geschlechter- und Rollenbilder propagieren und sich eher weniger mit den heutigen emanzipatorischen Entwicklungen in unserer Gesellschaft decken?

Geschlechterrollenvorstellungen extremistischer Ideologien

Es gibt vielfältige Schnittmengen zwischen rechtsextremen und islamistischen Narrativen. Eine wesentliche Gemeinsamkeit findet sich insbesondere im Hinblick auf die Vorstellungen von Geschlechterrollen. So gehen sowohl rechte Bewegungen als auch islamistische Akteure von einer grundlegenden Dichotomie der Geschlechter aus: Es gibt nur Mann und Frau. Die dazugehörigen Geschlechterrollen sind traditionell. Sie sind biologistisch determiniert, das heißt, die sozialen Rollen werden auf der Grundlage des biologischen Geschlechtes zugeordnet und werden daher als unveränderlich angesehen. Andere mögliche Geschlechtsidentitäten sowie sexuelle Orientierungen abseits der Heterosexualität werden in der Regel abgelehnt bzw. geleugnet. Mutterschaft wird ideologisch aufgewertet und Eigenschaften wie beispielsweise Fürsorge werden als typisch weiblich verstanden. Als Hausfrau und Mutter steht die Frau im Dienst der Gemeinschaft und wird von Männern, die als stark und machtvoll gelten, beschützt. Reproduktion und Erziehung im Sinne der jeweiligen Ideologie wirken sowohl für die rechte als auch die islamistische Szene stabilisierend.

Das Idealbild der Frau im islamistischen Spektrum ist zudem geprägt von Aspekten wie absoluter Reinheit, Keuschheit und Bescheidenheit. Dies spiegelt sich dann auch in einer umfassenden Geschlechtertrennung und strengen Bekleidungsvorschriften (z. B. in einem im Idealfall maximal bedeckten Körper) im Alltag wider; vor- und außereheliche Beziehungen werden abgelehnt. Um die eben genannten Aspekte zu gewährleisten, ist beispielsweise in der Ideologie des sogenannten Islamischen Staates (IS) der weibliche Körper komplett aus dem Sichtfeld bzw. der öffentlichen Wahrnehmung zu entfernen. Der "wahre" Ort der Frau liegt im Haus/Zuhause. Ein öffentliches Auftreten gilt als Ablenkung von den eigentlichen Pflichten als Hausfrau und Mutter bzw. der großen Verantwortung künftige Unterstützer, Kämpfer und Führer für den IS zu gebären und zu erziehen.

Während Frauen auf der einen Seite wichtige Funktionen für die Stabilisierung der Szenen zugeschrieben werden, ist Antifeminismus insbesondere in rechten Bewegungen ein zentrales Thema. Der Feminismus hingegen wird verantwortlich gemacht für vielfältige persönliche und gesellschaftliche Probleme wie Ehescheidungen, wirtschaftliche und soziale Probleme von Frauen, Migration und angebliche "Überfremdung". Dem deswegen abzulehnenden Feminismus, wird das Bewahren und Vertreten vermeintlich traditioneller und christlicher Werte gegenübergestellt, die sich eben in einer anti-emanzipatorischen Verfasstheit von Geschlechterrollen widerspiegeln.

Die Rolle von Frauen innerhalb extremistischer Gruppierungen jedoch nur im Hintergrund bzw. als passive Unterstützerinnen zu sehen, greift zu kurz. Innerhalb dschihadistischer Organisationen etwa fungieren Frauen zuweilen auch als Ärztinnen, Krankenschwestern und – seltener – aber dennoch auch als bewaffnete Kämpferinnen. Vielfalt bei den Konstruktionen von Weiblichkeit gibt es auch im rechten Spektrum: Frauen gibt es nicht nur im Hintergrund als Hausfrau und Mutter, sondern auch im Vordergrund als Führungsfigur (z. B. Politikerinnen).

Mädchen und Frauen leisten aber auch strukturelle Unterstützung. So geben sie extremistischen Bewegungen nicht nur ein weibliches und vermeintlich friedfertiges Gesicht. Sie sind beispielsweise auch mit der Anwerbung anderer Frauen befasst. Im Zuge dessen haben sie eine wichtige Rolle im Rahmen der Vermittlung antifeministischer Ziele und geschlechterpolitischer Themen.

Wenngleich die vorherrschenden Rollenbilder und -erwartungen den emanzipatorischen Bestrebungen von Mädchen und Frauen in Deutschland scheinbar widersprechen, fühlen sich einige von extremistischen Gruppierungen angesprochen. Doch wie können sie überzeugen?

Narrative und Strategien im Rahmen extremistischer Propaganda

Extremistische Propaganda richtet sich auch im Internet gezielt an Mädchen und Frauen. Im Hinblick auf die Strategien dschihadistischer Akteure etwa fand Jugendschutz.net Angebote, die konkret auf eine weibliche Zielgruppe zugeschnitten war: Angebote für Mädchen sind eher in Rosa- und Lilatönen gestaltet, mit Blumen und Herzen geschmückt; sie behandeln relevante Alltagsthemen wie Beziehung, Aussehen, körperliche Entwicklung und Sexualität und bieten damit insbesondere jungen Frauen im Jugendalter Unterstützung und Orientierung. Emotionale Nähe wird beispielsweise durch Liebesgedichte oder entsprechende Ansprachen ("Schwester") erzeugt. Im Rahmen der Angebote werden etwa zentrale Narrative wie das "vom guten und erfüllenden Dschihad" oder – glorifizierend – der Frau als "Ehefrau des Kämpfers und Mutter des Löwen" vermittelt. Dabei spielt vor allem versprochenes Empowerment und Bedeutung im Rahmen der extremistischen Gruppierung – als Emanzipationsangebot – im Gegensatz zu Ungleichbehandlung und Diskriminierung in der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Diese Narrative und dazugehörige Verhaltensweisen werden dabei jedoch nicht nur von männlichen Personen vertreten und vermittelt. In der rechten Szene gibt es beispielsweise die sogenannten "Trad Wives" – eine (Online-)Community, bestehend aus Antifeministinnen, die nicht nur die Einhaltung traditioneller Geschlechterrollen propagieren, sondern auch die vollkommene (sexuelle) Unterwerfung der Frau gegenüber dem Mann. Vordringliche Frage sei laut Julia Ebner: "Wie kann ich lernen, Männern zu gefallen?".

Darüber hinaus erhalten auch Berichte über Gewalt gegen Frauen und Kinder Bedeutung im Kontext rechtsextremer wie islamistischer Propaganda. Sie werden vermutlich mit dem Ziel, Angst vor einer feindlichen Gruppe (Outgroup; z. B. "der Westen" im Fall islamistischer Propaganda bzw. "die muslimischen Männer" im Fall rechtsextremer Propaganda) zu schüren und damit die Wichtigkeit des eigenen Kollektivs, der eigenen Gruppe als Schutzraum zu betonen – und sogar Gewalt gegenüber der Outgroup zu legitimieren.

Motive wie Selbstwirksamkeit, eine "Mission" (z. B. Erziehung von Kindern im Sinne der Ideologie), die Aufnahme in ein sorgendes Kollektiv wie auch eine klare Werteorientierung finden sich gleichermaßen im Rahmen rechtsextremer und islamistischer Angebote und können identitäts- wie sinnstiftend wirken.

Fazit

Sowohl rechte als auch islamistische Bewegungen gehen weitgehend davon aus, dass das biologische Geschlecht des Menschen auch seine Rolle in der Gesellschaft bestimmt. Das schlägt sich schließlich auch in den Mädchen und Frauen zugeschriebenen Aufgaben nieder: Sie haben einem anti-emanzipatorischen Rollenverständnis zu genügen, welches einem komplexen Verständnis von Gender, Geschlecht und Emanzipation deutlich zuwiderläuft. Aufgabe von Präventionsarbeit muss es demzufolge sein, eine geschlechterreflektierende Perspektive einzunehmen und im Zuge dessen "das historische und individuelle Gewordensein von Geschlecht" zu berücksichtigen und zu diskutieren. Es gilt somit eine multiperspektivische Sicht auf die Bedingtheiten und Beeinflussungen von sozialem Geschlecht (engl.: Gender) und biologischem Geschlecht (engl.: Sex) einzunehmen. Vorstellungen und Konstruktionen von Weiblichkeit und die damit verbundenen Rollenzuschreibungen und Genderdynamiken sind weitgehend gesellschaftlich geprägt, erlernt und somit veränderbar. Gleichzeitig ist zu betonen, dass auch Religiosität abseits rigide gelebter Geschlechterrollen möglich ist. So bedeutet der Entschluss für das Tragen eines Hijabs nicht, dass eine junge Frau nicht selbstbewusst, unabhängig und modisch auftreten darf. Die Creatorin Amira beispielsweise zeigt das auf vielfältige Weise auf ihrem Instagram-Kanal bzw. ihrer Webseite23, die sich mit Modest Fashion befassen.

Weitere Inhalte

Julian Ernst (Lehramtsstudium in Köln und Istanbul) ist Doktorand am Arbeitsbereich für Interkulturelle Bildungsforschung der Universität zu Köln. Er forscht zur Medienkritik(fähigkeit) Jugendlicher, zu digitalen Bildungsmedien im Kontext von Hass und Gegenrede sowie zu didaktischen Fragestellungen Interkultureller Bildung. Weiterhin entwickelt er (medien)pädagogische Konzepte u.a. im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und des Innenministeriums NRW.

Dr. Josephine B. Schmitt (Studium der Psychologie in Hamburg, Promotion im Bereich Medienpsychologie an der Universität Hohenheim) ist Referentin am Center for Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum. Sie forscht unter anderem zu Inhalt, Verbreitung und Wirkung von Hate Speech, extremistischer Propaganda, Gegenbotschaften und (politischen) Informations- und Bildungsangeboten im Internet. Zudem entwickelt sie didaktische Konzepte für die Radikalisierungsprävention unter anderem im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und des Innenministeriums NRW.