Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Zwischen Gamification und Bewertungssystem | Spielend lernen | bpb.de

Spielend lernen Genderkonstruktionen in digitalen Spielen Werkstatt-Gespräch: Serious Games in der historisch-politischen Bildung "Erinnern mit Games" – geht das? HIDDEN CODES - mit Serious Games gegen Radikalisierung vorgehen Gemeinsam rätseln und demokratisch entscheiden: Escape Games in der politischen Bildung Keep Cool mobil: Klimawandel spielerisch auf dem Tablet verstehen Von Vor(ur)teilen: Digitale Spiele in der Bildung Lernen mit Minecraft Mit Computerspielen Medienbewusstsein und Zivilcourage stärken Zwischen Gamification und Bewertungssystem Spielst du noch oder lernst du schon? Umfrage: "Lernen tut man immer was" Computerspiele in der Bildung sinnvoll einsetzen Kleines 3x3 zu digitalen Spielen in der Bildung Editorial: Spielend Lernen

Zwischen Gamification und Bewertungssystem

Frank Sindermann

/ 4 Minuten zu lesen

Unser Gastautor Frank Sindermann erläutert am Beispiel von „Classcraft“, inwieweit digitale Rollenspiele im Unterricht hau mehr Lernerfolg und Sozialkompetenz beitragen und welche Probleme mit ihnen einhergehen können.

Mit digitalen Rollenspielen zu mehr Lernerfolg und Sozialkompetenz. (© Classcraft)

Gamification liegt voll im Trend, verspricht doch die Anreicherung ganz normaler Tätigkeiten durch spielerische Elemente eine deutliche Steigerung der Motivation. Was im Arbeitsleben zu höherer Produktivität führen soll, verspricht im Bildungsbereich besseren Lernerfolg. An der Universität Düsseldorf werden bereits seit 2013 vermeintlich trockene Lehrinhalte über das interaktive Textadventure "Die Legende von Zyren" mit ergänzenden Seminar vermittelt. Im selben Jahr erdachte der Highschool-Lehrer Shawn Young das für Schulklassen entwickelte Rollenspiel "Classcraft", dessen Name nicht zufällig an das beliebte Online-Rollenspiel "World of Warcraft" erinnert. Die Idee: Indem man die Schülerinnen und Schüler dort abhole, wo sie sind, und den Unterricht mit Rollenspiel-Elementen anreichere, steigere dies Motivation, Lernerfolg und Sozialkompetenz.

Spielverlauf

Bei "Classcraft" schlüpfen die Schülerinnen und Schüler in die Rolle virtueller Spielfiguren, deren Entwicklung über ein Punktesystem gesteuert wird. Je nach Verhalten im Unterricht gewinnt der jeweilige Avatar beispielsweise an Erfahrung oder verliert Lebensenergie. Die Spieler und Spielerinnen sind dabei in Teams eingeteilt und können sich innerhalb der Teams gegenseitig unterstützen. Im Gegensatz zu gängigen Online-Rollenspielen werden die Avatare eher verwaltet als tatsächlich gespielt, das heißt es gibt keine simulierte Spielwelt, durch die man sich bewegen könnte, sondern eine formularartige Bedienoberfläche, über die alle Spielereignisse durchgeführt werden. Die Benutzeroberfläche von "Classcraft" (siehe Screenshot 1), wird zum Beispiel über einen Beamer während des Unterrichts permanent angezeigt. Hierzu ist eine Internetverbindung erforderlich.

Screenshot 1: Die Abbildung zeigt den Charakterbogen einer Spielfigur namens "Alaina Rabideau", einer Kriegerin aus der Gruppe "Die unergründlichen Spinnen". Die Werte auf der linken Seite geben Informationen über den aktuellen Status des angezeigten Charakters. (© Classcraft)

Jede Spielfigur verfügt über Lebensenergie (HP), Aktionspunkte (AP), Erfahrungspunkte (XP) sowie Goldstücke (GP). Diese eher nüchtern anmutenden Werte sind der Dreh- und Angelpunkt des Spiels. So werden Schülerinnen und Schüler für gute Antworten im Unterricht, soziales Verhalten etc. mit Erfahrungspunkten belohnt und verlieren im Gegenzug Lebenspunkte, wenn sie zu spät erscheinen oder die Hausaufgaben vergessen haben. Für welche Leistungen oder Versäumnisse es welche Belohnungen bzw. Strafen gibt, kann der Lehrende frei konfigurieren. Sollte die Lebensenergie einer Figur auf null sinken, stirbt bzw. fällt diese im Kampf. Sie kann nun von anderen Gruppenmitgliedern wiederbelebt werden oder sich aus eigener Kraft retten. Dazu muss eine Strafarbeit geleistet werden, wobei das Mitbringen eines Kuchens für die Klasse genauso möglich ist wie ein zusätzliches Referat.

Wenn die Schüler und Schülerinnen eine bestimmte Anzahl an Erfahrungspunkten hinzugewonnen haben, steigen sie eine Stufe auf. Dies ermöglicht es ihnen, neue "Fertigkeiten" zu erlernen. Diese ermöglichen beispielsweise, im Unterricht zu trinken, ein Fenster zu öffnen oder sogar mehr Bedenkzeit in einem Test zu haben. Hier soll die soziale Komponente des Spiels zum Tragen kommen, da viele der Kräfte auf andere Gruppenmitglieder angewendet werden können oder gleich die gesamte Gruppe betreffen. Neben der Punktevergabe bietet die Bedienoberfläche noch einige weitere Möglichkeiten. So wird zu Stundenbeginn das Zufallsereignis des Tages angezeigt, über das "Rad des Schicksals" kann jemand für eine Aufgabe ausgewählt werden und Hilfsmittel wie herunterzählende Timer als Zeitlimit für Freiarbeitsphasen lassen sich einblenden.

Nutzungsbedingungen

Die Grundversion erfordert lediglich eine kostenlose Registrierung. Die Lehrkraft kann selbst Log-ins für die Schülerinnen und Schüler anlegen, wobei die Eingabe von E-Mail-Adressen oder anderen persönlichen Daten nicht erforderlich ist. Wer monatlich 8–12 Dollar für die Premium-Version von "Classcraft“ bezahlt, kann sich ausführliche Statistiken der Schülerinnen und Schüler anschauen (Screenshot 2) und das Spiel als Kommunikations- und Lernplattform nutzen. Eine Gegenüberstellung der weiteren Unterschiede zwischen kostenloser und Premium-Version findet sich Externer Link: auf der Website des Spiels.

Screenshot 2: Übersicht – Entwicklung der Lebenspunkte über mehrere Tage mit Angabe der dazugehörigen Ereignisse (© Classcraft)

Pro und Kontra

"Classcraft" stellt eine innovative, grundsätzlich neue Möglichkeit des Unterrichtens dar und wird entsprechend kontrovers diskutiert. Während Lehrerinnen und Lehrer nach ersten Praxistests vor allem eine gesteigerte Motivation, die Stärkung des sozialen Zusammenhalts der Klasse und die Bewertungstransparenz als positive Effekte hervorheben, gibt es meines Erachtens auch erhebliche Einwände gegen den Einsatz von "Classcraft". Zunächst einmal muss genau geprüft werden, ob das Spiel mit dem Schulgesetz und der Schulordnung konform ist. Dies betrifft vor allem den Datenschutz. Zum Zweiten stellt sich die Frage, wie mit Schülern und Schülerinnen zu verfahren ist, die nicht teilnehmen möchten. Auch wenn man die Teilnahme freistellt, liegt die Gefahr der Ausgrenzung von Nichtspielerinnen und -spielern nahe. Das größte Problem liegt allerdings im Spielprinzip selbst. Die Spielhandlung weist keinerlei Bezug zum eigentlichen Unterrichtsinhalt auf und hilft daher auch nicht, diesen zu erfassen und zu verstehen – anders als zum Beispiel bei der Storyline-Methode, die den Lernstoff als Teil einer übergeordneten Geschichte vermittelt. So wie beim oben genannten Textadventure "Die Legende von Zyren". Zudem wird bei Classcraft die Lernmotivation rein äußerlich über ein Belohnungssystem erzeugt. Erfahrungspunkte sind sozusagen die Währung, mit der die Leistung der Schülerinnen und Schüler bezahlt wird, wodurch die Beteiligung am Unterrichtsgeschehen zu einer Art Kosten-Nutzen-Rechnung wird. Andererseits könnte man den üblichen mündlichen und schriftlichen Noten eine ähnliche Wirkung unterstellen. Ob nun die Vor- oder Nachteile überwiegen, muss letztlich jede Lehrkraft selbst herausfinden. Bedingung für einen erfolgreichen Einsatz von "Classcraft" im Klassenzimmer dürfte neben den technischen Voraussetzungen vor allem die überzeugende Einbeziehung der Eltern und der Schulleitung sein. Nicht zuletzt sollte eine grundsätzliche Affinität für Computerspiele und die Fantasy-Thematik vorhanden sein, da sonst der Funke kaum überspringen dürfte.

Weitere Informationen

Externer Link: http://www.classcraft.com/de/

Preis
Grundversion kostenlos, Premium-Version 8–12 Dollar monatlich, Staffelpreise möglich

Zielgruppe
Empfohlen für den Einsatz in der 6. bis 8. Klasse

Frank Sindermann lehrt seit 2013 am Zentrum für Lehrerbildung und Schulforschung im Bereich "Kulturelles Lernen – Ästhetische Bildung". Themenschwerpunkte sind die Förderung sinnlich-ästhetischer Erfahrungen in der Schule, das Museum als außerschulischer Lernort sowie der didaktisch sinnvolle Einsatz von Spielen im Unterricht.