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Calliope mini: Mikrocontroller für den Schulunterricht

Annie Berend Birgit Frost

/ 7 Minuten zu lesen

Der Calliope mini soll Lernenden so früh wie möglich einen spielerischen Zugang zur digitalen Welt ermöglichen. Das Projekt erntet Zuspruch, aber auch Kritik.

Mit dem Calliope mini die digitale Welt entdecken. (Calliope gGmbH / bearbeitet / Lizenz: Externer Link: CC BY-SA)

Mit dem Externer Link: Calliope mini, der auf dem Nationalen IT-Gipfel im November 2016 zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, sollen Schülerinnen und Schüler ab der dritten Klasse ihre ersten Programmier-Erfahrungen machen.

Der Calliope mini ist eine sternförmige, handtellergroße Externer Link: Platine, die mit verschiedenen Bauteilen und einem Display aus 25 LED-Lämpchen versehen ist. Mit Hilfe von Externer Link: Editoren können auf einem externen Computer Programme für das Board geschrieben werden, die anschließend per USB-Kabel ihren Weg auf den Mikrocontroller finden. Per App können Programme auch kabellos auf den Calliope mini übertragen werden. Ist noch gar keine oder nur wenig Vorerfahrung mit dem Programmieren vorhanden, helfen kleine Übungen beim Einstieg. Eine Externer Link: Reihe mit Bildern und Erklärungen in einfacher Sprache erklärt die Inbetriebnahme des Geräts. Bei Problemen können sich die Nutzerinnen und Nutzer in einer Community gegenseitig weiterhelfen. Auch selbsterstellte Programme können sie dort präsentieren.

Was kann der Calliope mini?

Mit einem Bewegungssensor, einem Beschleunigungssensor und einem Kompass erkennt der Calliope mini Bewegungen, er kann Temperaturen und Helligkeit messen. Das Lämpchen-Display kann Zahlen oder Figuren anzeigen, zwei Buttons können vorher programmierte Aktionen auslösen, indem ein oder zwei Schaltkreise geschlossen werden. An den Ecken der Platine können Sensoren wie Temperaturfühler oder Feuchtigkeitsmesser angeschlossen werden. Zwei der Ecken sind berührungssensitiv: Werden sie angefasst, können sie Aktionen ausführen, die im Programm definiert wurden. Der integrierte Lautsprecher kann Musik wiedergeben oder Töne, die mit dem ebenfalls vorhandenen Mikrofon vorher aufgenommen wurden.

Ein Prozessor auf der Platine übernimmt die vorab programmierten Aufgaben. Das ist auch ohne Verbindung mit einem externen Computer möglich, denn der Calliope kann mittels Klemmen an eine Batterie angeschlossen werden. Über USB können zusätzliche Geräte mit dem Calliope verbunden werden, der Mikrocontroller verfügt aber auch über Bluetooth, um mit anderen Geräten, wie beispielsweise einem Smartphone, zu interagieren. Über einen Anschluss für zwei Motoren kann man das Board zum Beispiel in einen kleinen Roboter oder in ein Fahrzeug verwandeln.

In den Externer Link: Informationen für Lehrkräfte wird die genaue Funktionsweise des Boards, der Umgang mit dem Editor und der Einsatz im Unterricht erklärt. In Zusammenarbeit mit Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern sind auch Unterrichtsmaterialien in der Entwicklung.

Wie wird das Projekt finanziert?

Herausgegeben wird der Calliope mini von der Calliope gGmbH mit einer Externer Link: sechsköpfigen Geschäftsführung, deren Mitglieder Expertinnen und Experten aus Digital-Wissenschaft und -Wirtschaft sind. Eine Anschubfinanzierung des Projektes in Höhe von 200.000 Euro erfolgte durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Als Externer Link: Partner und Sponsoren sind aber auch eine Reihe von Unternehmen mit Geldern, Hardware oder Eigenleistungen wie Schulungen beteiligt: Google fördert beispielsweise die Fraunhofer-Plattform Open Roberta, mit der per Web-Browser eigene Programme für den Calliope mini entwickelt werden können. Der Cornelsen Verlag entwickelt Externer Link: Schulmaterialien für den Einsatz des „mini“ im Schulunterricht. SAP bietet MOOCs für die Weiterbildung von Lehrenden zur Nutzung des Calliope an. Bosch stellt den Orientierungssensor für das Gerät zur Verfügung. Und von Microsoft stammt die Umgebung "pxt.io", mit der sich der Calliope mini programmieren lässt.

Eine der Geschäftsführerinnen der Calliope gGmbH ist Gesche Joost, Professorin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin und Leiterin des Design Research Lab. Von Juli 2014 bis September 2017 vertrat Joost Deutschland auf Ernennung des Bundeswirtschaftsministeriums als "Digital-Botschafterin" in der EU-Kommission. Im Januar 2018 geriet sie in die Kritik, für diese ehrenamtliche Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung von 50.000 Euro im Jahr erhalten zu haben. Darüber hinaus besteht aus Kritikersicht die Gefahr von Interessenkonflikten, da Joost als Aufsichtsrätin beim Softwarehersteller SAP und bei der Bank ING-DiBa tätig ist, die beide zu den Sponsoren des Calliope gehören.

Das zu Beginn formulierte Ziel, alle dritten Klassen des Landes kostenlos mit Calliope minis auszustatten, ist bislang nicht vollständig gesichert. Von Dezember 2016 bis Januar 2017 lief deshalb eine Externer Link: Crowdfunding-Aktion mit einem Ziel von 60.000 Euro, bei der gut 108.000 Euro zusammenkamen. Mit diesem Geld sollen weitere Calliope minis mit Schulungsmaterial und Zubehör produziert werden, die an die Funding-Unterstützerinnen und -Unterstützer, deren Wunsch-Schulen sowie weitere Pilotschulen gehen. Außerdem ist der Calliope mini ab Ende April 2017 zu einem Einzelpreis von 35 Euro regulär zu kaufen. Es werden auch Klassensätze à 25 Stück für 750 Euro angeboten. Mitgeliefert werden ein Batteriehalter, ein USB-Kabel, zwei Batterien, ein Kupferkabel, eine LED, eine Klemme und Knete.

Kritiker äußern, dass hier ein Bildungsprojekt durch private Gelder und Crowdfunding-Spenden finanziert werde, während es sich eigentlich um eine staatliche Aufgabe handele. Christian Füller schreibt in seinem Externer Link: Blog pisaversteher.com über die Calliope-Macher: „Sie mobilisieren private Gelder für staatliche Aufgaben wie Schule. Das wäre dann tatsächlich eine Schulrevolution, die durch den Calliope mini ausgelöst wird – aber eine ganz andere als die beabsichtigte. Es würde die öffentliche Finanzierung des Schulwesens infrage stellen.“ Der Digital-Unternehmer und Calliope-Erfinder Stephan Noller betont auf dem Externer Link: Calliope-eigenen Blog "Calliope – Infos vom Calliope mini Team" den gemeinnützigen Willen des Projekts. Seitens des Staates seien aber weder ausreichend Geld noch Wille vorhanden. Deshalb seien Sponsoren eine gute Möglichkeit, die Finanzierungslücke zu überbrücken.

Welche Alternativen gibt es?

Der Calliope mini ist eine Weiterentwicklung des britischen Externer Link: micro:bit, der auch in Deutschland erhältlich ist, den Großteil der Informationen allerdings nur auf Englisch bereithält. Er ist außerdem etwas bescheidener als der Calliope ausgestattet, beispielsweise fehlen Lautsprecher und LEDs. Dem Calliope mini sehr ähnlich ist der in Deutschland entwickelte kommerzielle Externer Link: Bayduino, ein Board, das für Schülerinnen und Schüler ab der siebten Klasse geeignet ist und ebenfalls programmiert werden kann. Gegenüber dem Calliope mini ist er nicht micro:bit-kompatibel, das heißt, ein micro:bit-Code läuft auf dem Bayduino nicht. Außerdem gibt es mit dem Externer Link: Arduino und dem Externer Link: Raspberry Pi zwei Boards für alle, die auf einfache Weise Mikrocontroller programmieren möchten. Der Arduino besteht aus einem Board mit einem Mikrocontroller, die Entwicklungsumgebung basiert auf der Programmiersprache Processing, beide Komponenten sind quelloffen. Der britische Raspberry Pi ist ein scheckkartengroßer Mini-Computer mit USB, Ethernet und Anschlüssen für Bild und Ton. Die Calliope-Macher vertreten die Auffassung, Arduino und Raspberry Pi seien zu kompliziert für den Grundschul-Gebrauch, außerdem seien sie für den Unterricht nur mit Zusatzmaterial wie Lautsprechern oder Sensoren sinnvoll, was für den Schul-Regelbetrieb finanziell unrealistisch sei. Kritiker bemängeln dennoch die fehlende Innovation des Calliope mini gegenüber solchen bereits bestehenden Angeboten - sowohl in Sachen Platine als auch in punkto begleitendes Lehrmaterial.

Möchte man den Schülerinnen und Schülern das Programmieren ohne eine zusätzliche Hardware näherbringen, so kann auch auf das Coding-Tool Externer Link: Scratch zurückgegriffen werden. Auf der Webseite können mit einem kostenlosen Account Spiele oder Animationen programmiert werden. Dabei ist die Nutzung ähnlich einfach wie beim Calliope mini: Komplexe, textbasierte Programmiersprache ist in visuelle Coding-Bausteine portioniert. Aus demselben Hause – dem Massachusetts Institute of Technology – stammt der Externer Link: App Inventor, der wie auch Scratch unter einen offenen CC-Lizenz steht und ebenfalls mit grafischer Programmierung arbeitet. Mit Externer Link: Open Roberta, einer Weiterentwicklung der Initiative "Roberta – Lernen mit Robotern" des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme, können im Open-Source-Prinzip über eine frei zugängliche grafische Oberfläche Programme zur Steuerung von Robotern erstellt werden.

Wie kommt das Projekt in die Schulen?

Seit Beginn des Schuljahrs 2016/17 wir der Calliope mini an zwei Pilotschulen im Saarland getestet. Auch in einigen Berliner Schulen sind die Geräte schon im Einsatz. Mit der Zeit sollen weitere Bundesländer nachziehen. Aktuell können sich pro Bundesland bis zu zehn Schulen Externer Link: bewerben, die Calliope-Pilotschule werden wollen. Die Resonanz im Saarland ist bisher verhalten: Seit Herbst 2016 haben mit Stand Anfang März 2017 erst 31 von 155 öffentlichen Grundschulen Interesse am Einsatz des mini angemeldet.

Kritiker bemängeln die Top-Down-Struktur des Projekts, also die "Flutung" von Schulen mit einem Produkt für eine gesamte Altersgruppe, dessen Einsatz im Unterricht von den Lehrenden ohne vorherige Rückkoppelung und ohne die Möglichkeit, Alternativen zu verwenden, erwartet wird. Hier zeigten sich Parallelen zu der Einführung von Smartboards. Ferner wird befürchtet, dass den Lehrkräften die Einsatzmöglichkeiten im Unterricht nicht ausreichend vermittelt würden und somit die Bereitschaft fehle, die digitale Technologie im Unterricht zu nutzen. Zwar sei die Bedienung intuitiv und ansprechend gestaltet, dennoch seien möglicherweise Hemmschwellen bei nicht medienaffinen Lehrenden vorhanden. Hier müsse mehr für die Lehrerbildung getan und ein stärkerer Anreiz für die Nutzung geschaffen werden. Einige Externer Link: Handreichungen, die die Funktionsweise, den Umgang und mögliche Unterrichtsprojekte erklären, werden bereits auf der Webseite von Calliope angeboten, und auch Online-Kurse sollen zukünftig dabei helfen, Hemmschwellen abzubauen.

Weiterführende Links:

Blog BildungsRadar/René Scheppler
Externer Link: Gemeinnützigkeit als Türöffner

Blog Calliope – Infos vom Calliope mini Team
Externer Link: Gegenwind

Blog der FAZ – Deus ex Machina/Don Alphonso
Externer Link: Digitale Schulpolitik im Zeitalter des Lobbyismus

Blog Pisaversteher
Externer Link: Calliope geht die Puste aus

medienistik.de
Externer Link: Dichtung und Wahrheit – Ist der Hype um den Calliope mini gerechtfertigt?

Radio Bremen
Externer Link: Calliope-Test in Bremen

Saarländischer Rundfunk
Externer Link: Calliope: Das Interesse der Schulen ist überschaubar

DIE ZEIT
Externer Link: Dieser Computer kann unser Schulsystem revolutionieren

Annie Berend studiert im Bachelor Kulturwissenschaft sowie Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Bremen mit einem kurzen Aufenthalt an der Université d’Avignon et des Pays de Vaucluse. Im Rahmen und auch außerhalb ihres Studiums interessiert sie sich für Digitale Bildung und Projekte der Medienkompetenzvermittlung. Die Redaktion der Werkstatt der bpb unterstützt sie seit Januar 2017.

Birgit Frost ist seit Oktober 2016 Redakteurin bei der werkstatt.bpb. Sie studierte Kommunikationswissenschaft, Kulturwissenschaft und Spanische Philologie in Berlin und Amsterdam. Von 2010 bis 2016 war sie Projektreferentin am Goethe-Institut für ein weltweites Webportal im Alumni-Bereich, wo sie schwerpunktmäßig für Online-/E-Mail-Marketing und für Redaktion zu sprachlichen und kulturellen Themen zuständig war.