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Kleines 3x3 zur digitalen Zivilgesellschaft | Digitale Zivilgesellschaft | bpb.de

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Kleines 3x3 zur digitalen Zivilgesellschaft

Peter Schuller

/ 5 Minuten zu lesen

Schon mal eine Petition im Netz unterzeichnet? Oder über soziale Netzwerke eine Demo organisiert? Wir haben drei Expertinnen und Experten gefragt, was digitale Partizipation für sie bedeutet.

Bei der Konferenz re:publica ist die digitale Gesellschaft seit 2007 ein Thema. ( lemonbeat / bearbeitet / flickr / Externer Link: Lizenz: CC BY 2.0)


Im Kleinen 3x3 stellen wir drei Akteuren dieselben drei Fragen. Zum Thema digitale Zivilgesellschaft und Partizipation haben wir den Medienpädagogen Jürgen Ertelt, die Partizipationsforscherin Sigrid Baringhorst und Yasemin Fusco, Mitarbeiterin bei Externer Link: abgeordnetenwatch.de interviewt.

Was bedeutet digitale Partizipation für Sie?

Jürgen Ertelt: Partizipation ist grundsätzlich nicht von analogen oder digitalen Formaten abhängig. Partizipation sollte eine Beteiligung mit Wirksamkeit beschreiben, was aber leider oft nicht greift. Digitale Medien und Internet eröffnen neue Wege, sich besser in Beteiligungsverfahren aufzustellen und einbringen zu können. Zeit- und Ortsunabhängigkeit, dokumentierte und transparente Abläufe, Schriftsprache ergänzende Visualisierungsmöglichkeiten sowie Solidarisierungs- und Netzwerkeffekte sprechen für potenzielle Vorteile digitaler Partizipation. Wichtigste Erfolgsbedingung bleibt aber der politische Wille zur Teilhabe.

Yasemin Fusco: Digitale Partizipation bedeutet für mich, dass die Zivilgesellschaft die parlamentarische Arbeit konstruktiv hinterfragt und von ihrem Recht Gebrauch macht, Transparenz einzufordern, zum Beispiel mit Blick auf das Abstimmungsverhalten ihrer Volksvertreterinnen und Volksvertreter. Man sollte digitale Partizipation als zivilgesellschaftliches Kontrollinstrument von unten nach oben begreifen, das die Anliegen von Menschen via Frageportale, Kampagnenplattformen oder Petitionen in Rathäuser, Landtage und den Bundestag transportiert. Ein "digitales Gedächtnis" wie abgeordnetenwatch.de ermöglicht zusätzlich, Aussagen von Politikerinnen und Politikern, ihr Abstimmungsverhalten oder Nebentätigkeiten jederzeit nachzuvollziehen.

Sigrid Baringhorst: "Digitale Partizipation der Zivilgesellschaft" ist ein Oberbegriff über vielfältige Formen bürgerschaftlicher Selbstorganisation oder Mitwirkung an politischen Entscheidungen über Angelegenheiten des Gemeinwohls im Internet. Beim zivilgesellschaftlichen Engagement im Netz handelt es sich oft um hybride Handlungsformen: kollaborative Online-Praktiken der Meinungs- und Willensbildung, Ressourcen-Generierung, Vernetzung und Mobilisierung unterstützen die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Offline-Aktionen. Im Zuge der Digitalisierung ist zivilgesellschaftliche Beteiligung niedrigschwelliger geworden. Zudem sind neben den klassischen Organisationsformen kollektiven Handelns wie Nichtregierungsorganisationen (NROs) neue, oft nur lose verbundene Netzwerke entstanden, die nach spontanen themenbezogenen Empörungswellen, oft schnell wieder zerfallen.

Wo steht Deutschland in den Bereichen E- und digitale Partizipation?

Jürgen Ertelt: An Online-Beteiligungsverfahren wird gerne die Erwartung an eine quantitative Steigerung der Beteiligung geknüpft. Größere Reichweiten bekommt man aber nicht über das Format, sondern über Betroffenheit und konkretere, erreichbare Ziele. Hier gilt es mehr Gelingensbedingungen der E-Partizipation herauszuarbeiten und mit politischen Willensbekundungen und Kommunikation fördernden Werkzeugen zu stabilisieren. Dank neuer niederschwelliger Instrumente kann die Qualität der Partizipation kontinuierlich ansteigen – Petitionen, Crowdfunding oder Social-Media-Kampagnen befördern eine sich entwickelnde Beteiligungskultur.

Yasemin Fusco: In der Medienpädagogik sollte noch mehr dafür getan werden, dass Jugendliche ein Interesse für digitale Partizipation entwickeln. So könnten gemeinsam mit jungen Menschen neue Modelle erarbeitet werden, um bessere Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen. Hierfür ist der Austausch zwischen Jugendlichen und Fachleuten wichtig, zum Beispiel über Schulprojekte oder außerschulische Veranstaltungen. Es gibt neben E-Petitionen auch andere wirksame Instrumente wie etwa das Informationsfreiheitsgesetz. Dank 1.600 Anfragen aus der Bevölkerung an die Ministerien hat abgeordnetenwatch.de zusammen mit fragdenstaat.de kürzlich im Rahmen der Aktion #GläserneGesetze erreicht, dass die Bundesregierung nun freiwillig viele Tausend Stellungnahmen von Interessenvertreterinnen und -vertretern herausgibt. Dieses konkrete Beispiel zum Thema Lobbyismus zeigt, dass die Zivilgesellschaft selbst für Transparenz sorgen kann. Ohne fragdenstaat.de, das Bürgerinnen und Bürgern bei Anfragen nach Informationsfreiheitsgesetz eine einfache Oberfläche zur Verfügung stellt, wäre es sicher nicht so weit gekommen.

Sigrid Baringhorst: Nach einer Phase der Hoffnung auf eine Revitalisierung von politischer Beteiligung und Graswurzel-Aktivismus im Netz mehren sich in den letzten Jahren eher kritische Beurteilungen des webbasierten Engagements. Während die einen von einer "Politik mit dem Mausklick“ und "Faulenzeraktivismus" sprechen, warnen andere vor einer demokratieschädigenden Unberechenbarkeit politischer Empörungswellen im Netz. Doch sollte zivilgesellschaftliches Engagement im Netz nicht mit bloßem "Klicktivismus" gleichgesetzt werden. Viele Aktionsformen sind durchaus kreativ und komplex, wie etwa das webgestützte Engagement in der Flüchtlingshilfe oder die Kollaboration auf innovativen ökologischen Aktionsplattformen wie Foodsharing.de belegen.

Zitat

Größere Reichweiten bekommt man (...) nicht über das Format, sondern über Betroffenheit und konkretere, erreichbare Ziele.

Jürgen Ertelt, Medienpädagoge

Zitat

Um eine größtmögliche Mobilisierungskraft erreichen zu können, ist eine noch engere Verknüpfung beider Beteiligungsformen wünschenswert.

Yasemin Fusco, abgeordnetenwatch.de

Zitat

Im Zuge der Digitalisierung ist zivilgesellschaftliche Beteiligung niedrigschwelliger geworden.

Sigrid Baringhorst, Partizipationsforscherin

Wie kann digitale Partizipation zielgerichtet mit klassischen Beteiligungsformen verknüpft werden?

Jürgen Ertelt: Hybride Formate – analog plus digital – haben den Vorteil, dass emotionale Schwankungen in der Auseinandersetzung um ein Anliegen besser aufgefangen werden können. Durch räumlichen Kontakt können Konflikte leichter entschärft und wieder zur Versachlichung geführt werden. Oft kann so auch eine größere Verbindlichkeit ins weitere Verfahren getragen werden. Ob Online-Beteiligungsverfahren, klassische Versammlung vor Ort oder eine Kombination aus beidem – entscheidend für den jeweiligen Erfolg sind die Anlässe und die Frage, wie sich die Zielgruppen am besten erreichen lassen. Ein gut gefüllter Methodenkoffer mit variantenreichen digitalen Tools sollte ohne Vorbehalte verfügbar sein und situativ Anwendung finden.

Yasemin Fusco: Digitale und klassische Beteiligungsformen ergänzen sich schon jetzt äußerst gut. So kann etwa eine E-Petition online für ein Anliegen mobilisieren, das andere durch Demonstrationen zuvor auf die Straße gebracht haben, – oder umgekehrt. Um eine größtmögliche Mobilisierungskraft erreichen zu können, ist eine noch engere Verknüpfung beider Beteiligungsformen wünschenswert. So könnten beispielsweise Petitionsstarter selbst zu klassischen Demonstrationen aufrufen, da sie oftmals mit den Zeichnerinnen und Zeichnern direkt kommunizieren können.

Sigrid Baringhorst: Insbesondere auf lokaler Ebene gibt es inzwischen zahlreiche Partizipationsangebote, in denen Konsultationen vor Ort mit Diskussionen und Abstimmungen im Netz verknüpft werden. Im Netz sind zudem neue Petitionsplattformen entstanden, in denen Bürgerinnen und Bürger ohne die Unterstützung durch klassische Vermittler wie Parteien und NRO eigene politische Forderungen öffentlich machen können. Manche dieser Petitionen erhalten in kurzer Zeit massenhaft Unterstützung und werden durchaus auch von verantwortlichen Entscheiderinnen und Entscheidern wahrgenommen. Insgesamt wäre es wünschenswert, wenn Politikerinnen und Politiker das Netz nicht primär für die Verbreitung eigener Botschaften, sondern stärker als Raum zur Beratschlagung und zur Beobachtung der Artikulation von Bürgerinteressen nutzen würden.

Über unsere Interviewpartner:

Jürgen Ertelt (*1957), Sozial- und Medienpädagoge arbeitet als Koordinator bei der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. (www.ijab.de) im Gemeinschaftsprojekt www.jugend.beteiligen.jetzt.

Yasemin Fusco (*1992) ist Mitarbeiterin bei der Transparenzorganisation abgeordnetenwatch.de und studiert Kulturwissenschaften und Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg.

Prof. Dr. phil. Sigrid Baringhorst (*1957), Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Siegen, forscht u.a.. zum Thema politische Partizipation und dabei insbesondere zu Politik und sozialen Protestformen im Netz.

Peter Schuller hat Politikwissenschaft sowie für das Lehramt an Mittelschulen in Passau studiert. Nach Stationen im schulischen Vorbereitungsdienst und bei der Robert Bosch Stiftung ist er bei der Bundeszentrale für politische Bildung u. a. in der Redaktion der Heftreihe „Informationen zur politischen Bildung“ tätig.