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"PoliTikTok" – TikTok als Medium für politische Meinungsbildung

Leonie Meyer

/ 6 Minuten zu lesen

An TikTok kommt man beim Thema Netzkultur mittlerweile nicht mehr vorbei: Die videobasierte Social-Media-Plattform erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Doch ist sie auch als Medium für die politische Meinungsbildung geeignet?

TikTok hat Plattformen wie Facebook oder Twitter in den Downloadzahlen bereits überholt. (© Solen Feyissa Externer Link: flickr.com)

Die Social-Media-Plattform TikTok wurde lange Zeit als Spaß-App für Jugendliche betrachtet, mittlerweile ist klar, dass TikTok breiter als das aufgestellt ist. Die Plattform ist zwar bei jungen Menschen beliebt, allerdings sind die Nutzenden, anders als ihnen nachgesagt wird, nicht ausschließlich Teenager. Die weltweit am stärksten auf TikTok vertretene Altersgruppe bilden die 18- bis 24-Jährigen mit circa 38 Prozent der Nutzenden. Knapp 29 Prozent der User sind zwischen 13 und 17 Jahre alt, User zwischen 25- und 34-Jährigen machen immerhin ein Viertel aus.

Im Jahr 2020 war TikTok die weltweit am meisten heruntergeladene App – und überholte dabei sogar Facebook und dessen Messenger WhatsApp. TikTok hat damit einen enormen Einfluss auf die Popkultur. Neben Unterhaltung spielen auch politische Inhalte eine immer größere Rolle auf der Plattform. Was bedeutet das für die Rezeption der Inhalte?

Entstehung und Kritik

TikTok wurde 2016 vom chinesischen Konzern ByteDance veröffentlicht. Zwei Jahre später kaufte ByteDance die Konkurrenz-App Musical.ly auf, die bis dahin vor allem auf dem europäischen und US-amerikanischen Markt Erfolg hatte, und verband die beiden Anwendungen in einer. Seitdem erfreut sich die Plattform auf der einen Seite wachsender internationaler Beliebtheit, wird auf der anderen Seite aber auch scharf kritisiert.

Zentrale Kritikpunkte an TikTok sind laut Chris Köver von Netzpolitik.org der mangelnde Jugendschutz, die Zensur politischer Inhalte und Intransparenz in Sachen Datenschutz. Die Vorwürfe hinsichtlich des Jugendschutzes beziehen sich unter anderem darauf, dass TikTok zwar offiziell ein Mindestalter von 13 Jahren für die Nutzung der App vorschreibt, dies aber nicht ausreichend durchsetzt. Die Wirkmechanismen politischer Zensur bei TikTok hat Chris Köver in einer Externer Link: Netzpolitik-Recherche selbst aufgedeckt: Moderatorinnen und Moderatoren wurden 2019 unter anderem angewiesen, Videos von Demonstrationen in Hongkong oder Kritik an Regierenden in ihrer Reichweite einzuschränken. Bedenken in Bezug auf Datenschutz bestehen bei Kritikerinnen und Kritikern vor allem hinsichtlich einer potenziellen Überwachung durch die chinesische Regierung, so Köver im Gespräch. Weitergehend sagt sie dazu: "Bis heute gibt es keinerlei Nachweis, dass Daten von TikTok an staatliche Stellen geflossen wären. Allerdings hätte ByteDance auch keine rechtlichen Möglichkeiten, sich zu widersetzen, wenn staatliche Stellen diese Ansprüche erheben würden." Diese Kritik treffe zwar auch auf etablierte Social-Media-Plattformen wie Twitter und Facebook zu, doch insbesondere das Maß an politischer Zensur sei bei TikTok unvergleichbar. Dennoch habe TikTok aus Fehlern gelernt und auf Kritik reagiert.

Das bestätigt auch Datenwissenschaftler Juan Carlos Medina Serrano, der an der TU München zum Thema soziale Netzwerke, Politik und Desinformationskampagnen promoviert hat. Ihm zufolge wollte TikTok am Anfang unpolitisch bleiben, "weil ByteDance bewusst war, dass politische Inhalte der Plattform Probleme bringen." So sei ein Aushandlungsprozess darüber notwendig gewesen, welche Inhalte in welchem Maße moderiert werden müssen und wie mit unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten umgegangen werden soll.

TikTok hat diesbezüglich eine Entwicklung durchlaufen und fördert mittlerweile sogar politischen Content. Etwa durch das Bewerben von Hashtags und Challenges, beispielsweise zuletzt zum Pride Month, wo thematische Videos an prominenter Stelle in der App platziert wurden. Zudem gibt es seit 2020 das von TikTok selbst finanzierte Programm "#LernenMitTikTok", bei dem Creatorinnen und Creatoren von Erklärvideos monetär gefördert und durch eine Influencer-Agentur betreut werden. Das Programm bezieht sich nicht explizit auf politische Bildungsinhalte, es wird beispielsweise auch über juristische und medizinische Fragen aufgeklärt. Creatorinnen und Creatoren politisch-historischer Bildungsinhalte waren aber bereits Teil des Programms.

"PoliTikTok" – Wer sind die Creatorinnen und Creatoren politischer Inhalte auf TikTok?

Wer macht in den sozialen Medien Wahlkampf, wer möchte informieren und wer produziert einfach nur Videos zur Unterhaltung? Das ist im Netz oftmals nicht eindeutig auseinanderzuhalten. Die Einordnung (politischer) Inhalte bei TikTok erfordert eine hohe Medienkompetenz.

Politischer Content auf TikTok wird in vielen Fällen von Menschen gemacht, die selbst Mitglied einer (Jugend-)Partei sind, zum Teil politische Ämter bekleiden oder für Politikerinnen und Politiker arbeiten. Teilweise werden Parteizugehörigkeiten klar benannt und offengelegt, doch die Inhalte unterscheiden sich stark voneinander: Während die einen mit ihren Inhalten parteipolitische Interessen vertreten, ermutigen die anderen ihr Publikum primär dazu, sich allgemein politisch zu engagieren. Bei anderen Creatorinnen und Creatoren müssen TikTok-Nutzende erstmal stöbern, um ihre Verbindungen zu bestimmten Parteien zu erkennen.

Es stellt sich die Frage, ob Personen mit Parteizugehörigkeit überhaupt neutrale Berichterstattung leisten können. Andererseits ist einzuräumen, dass auch Personen ohne Parteizugehörigkeit eine politische Einstellung haben und ihre Meinungen kundtun können. Juan Carlos Medina Serrano bemerkt dazu: "Auf TikTok sind die Nutzer die Stars und die Gatekeeper. Sie teilen Nachrichten, dazu aber auch oft ihre Meinung." Das Problem: Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass insbesondere die sehr jungen Userinnen und User immer kritisch hinterfragen, ob die TikToker, deren Inhalte sie sich ansehen, eine politische Agenda verfolgen und welche Quellen von ihnen herangezogen werden.

Klar ist: Wer Bildungsinhalte produzieren will, aber auch Meinungsbeiträge produziert, muss diese deutlich kennzeichnen, sonst sind diese für die Rezipientinnen und Rezipienten schwer zu unterscheiden. In der Realität wird das nicht immer gemacht, stattdessen verlaufen die Grenzen zwischen neutraler Berichterstattung und Aktivismus zunehmend fließend. Das ist kein alleiniges Problem von TikTok, sondern eines, dass sich auch auf anderen Social-Media-Plattformen beobachten lässt. Etablierte Darstellungsformen der sozialen Medien wie die Kurzvideos auf TikTok oder Textkacheln auf Instagram werden im Netz von seriösen Nachrichtenformaten wie der Tagesschau genauso genutzt wie von Politikinfluencern. Da den Überblick darüber zu behalten, welche Accounts auf seriöse Quellen zurückgreifen und welche lediglich ihre Meinung teilen, ist schwer.

Ein Beispiel für parteiunabhängige TikToks zum Thema Politik ist der Kanal von Nina Poppel, die als @nini_erklaert_politik bei TikTok knapp 110 000 Follower hat und schon mehrfach Teil des Förderprogramms "#LernenMitTikTok" war. Nina Poppel ist Politikstudentin und Journalistin, arbeitet beim SWR und erhebt laut eigenen Aussagen auch an ihre Inhalte bei TikTok journalistische Ansprüche. Im Gespräch erzählte sie uns, dass sie in ihren Videos stets versucht, neutral zu berichten und nur bei wenigen Themen ihre eigene Meinung äußert: etwa zu Demokratie, Feminismus und zu den öffentlich-rechtlichen-Medien. Nach eigener Bekundung macht sie bei diesen Themen deutlich, dass es sich um Meinungsbeiträge handelt. Die Zeitbegrenzung von TikTok empfindet Poppel nur selten als Einschränkung, etwa beim Thema Nahost-Konflikt.

Chancen und Grenzen der Plattform

TikTok bietet als Kommunikationstool aber auch positive Funktionen. So kann neben Likes und Kommentaren auch mit einem eigenen Video direkt geantwortet werden: zum Beispiel in Form der "Stitch"- und "Duett"-Funktionen, bei denen User vor oder neben dem original TikTok ein Video von sich anfügen können, indem sie darauf reagieren oder etwas ergänzen. Chris Köver lobt die Funktionen etwa als hilfreiches Tool zum Entlarven von Falschinformationen.

Der Aufbau der App hingegen erschwert die Einordnung der Inhalte zusätzlich. Nutzende suchen selten aktiv aus, welche Inhalte sie sich ansehen, sondern konsumieren diese eher passiv. Auf der sogenannten "ForYouPage" (engl. "Für-dich-Seite") werden den Nutzerinnen und Nutzern jeweils kurze Videos von bis zu drei Minuten vorgeschlagen. Von dort aus können sie endlos durch Videos scrollen. Dabei spielt es keine Rolle, wem die Userinnen und User folgen, stattdessen werden algorithmisch Videos vorgeschlagen, die sie interessieren könnten. So erlangen oft Videos von Accounts mit wenigen Abonnentinnen und Abonnenten hohe Abrufzahlen oder gehen viral. Diese Funktionsweise bietet einerseits großes Potenzial, weil Userinnen und User mit Inhalten von Menschen konfrontiert werden, denen sie nicht folgen. Andererseits wirkt das der Echokammerbildung faktisch nicht entgegen. Denn der TikTok-Algorithmus erkennt genau, welche Inhalte die Userinnen und User interessieren könnten, welche politische Haltung sie haben und spielt eben diese Inhalte an die Nutzenden aus.

Die Kürze der Videos birgt zusätzlich Probleme für die politische (Meinungs-)Bildung. Politische Themen werden zum Teil unterkomplex präsentiert und Unterschiede zwischen neutralen und meinungsbasierten Inhalten sind schwer erkennbar. Abgesehen davon bietet die Plattform enormes Potenzial, um zumindest das Interesse an politischen Sachverhalten mittels "snackable Content" zu wecken.

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Leonie Meyer ist Redakteurin für werkstatt.bpb.de. Daneben studierte sie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Master Politikwissenschaft. Ihr thematischer Schwerpunkt liegt auf den Wechselwirkungen von Sozialen Netzwerken und Politik bzw. politisch-historischer Bildung.