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Der schmale Grat zwischen wirtschaftlicher Einflussnahme und zeitgemäßer Schulentwicklung Das Apple-Distinguished-Schools-Programm in der deutschen Bildungslandschaft

Philine Janus

/ 7 Minuten zu lesen

Die Kooperation von Schulen mit Tech-Konzernen ist umstritten. Einige Schulen nutzen diese für eine produktive Prozessentwicklung. Kritiker und Kritikerinnen sehen die Gefahr von Lobbyismus.

Programme wie das "Distinguished Schools-Programm" des Konzerns Apple sind Teil der Digitalisierung. Auf welche Weise nehmen sie Einfluss auf die Bildungslandschaft? (© Mika BaumeisterExterner Link: www.unsplash.com )

Für Unternehmen aus der Privatwirtschaft ist die Bildungslandschaft ein lukratives Geschäftsfeld. Insbesondere Technik- und Digitalkonzerne sind durch Hard- und Software aus dem Bildungssektor nicht mehr wegzudenken. Der Bedarf an technischer Ausstattung und digitalen Anwendungen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen – und damit auch die Möglichkeit von Konzernen sich im Bildungsbereich zu etablieren.

Eine Sprecherin des Digitalverbandes bitkom sagt über die Aufstellung privatwirtschaftlicher Unternehmen im Bildungsbereich: "Statt auf die Entwicklung neuer technologischer Angebote zur Digitalisierung ihres Unterrichts durch den Staat zu warten, setzen viele Schulen auf bewährte Lösungen aus der Wirtschaft. Das betrifft unter anderem die Netzanbindung von Bildungseinrichtungen, die Ausstattung mit und Administration von mobilen Endgeräten, die Nutzung digitaler Lehr- und Lernmaterialien genauso wie Angebote zur Lehrkräftequalifizierung."

Digitalkonzerne in Bildungseinrichtungen

Neben Apple bieten auch andere Digitalkonzerne spezielle Angebote für Bildungseinrichtungen an.

Samsung zeichnet Schulen, die der Konzern als bundesweite Vorreiter für den digitalen Unterricht ansieht, zu "Samsung Lighthouse Schools" aus. Mit der Initiative "Digitale Bildung neu denken" sollen Bildungseinrichtungen mit "kreativen Unterrichtskonzepten gefördert und digitale Kompetenzen vermittelt werden". Mit dem regelmäßig stattfindenden Wettbewerb “Ideen Bewegen” wird Schulen ein digitales Klassenzimmer zur Verfügung gestellt. Im Rahmen von "Samsung-Coding-Klassenfahrten" sollen Schulklassen das Programmieren kennenlernen.

Microsoft stellt Schulen auf Basis des DigitalPakts kostengünstig Geräte zur Verfügung. Außerdem bietet der Konzern das Software-Paket Office 365 für Bildungseinrichtungen kostenlos an. In der sogenannten "Microsoft Lehrer-Community" werden Veranstaltungen und Webinare für Lehrkräfte angeboten.

Google stellt Schulklassen mit dem Programm Google Expeditionen VR/AR-Brillen für virtuelle Reisen zur Verfügung. Außerdem bietet der Konzern Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte und Fortbildungen zu digitalen Themen an. Mit Google Classroom können Lehrkräfte Kurse sowie Lern- und Übungsaufgaben erstellen. Die Plattform ist Teil des Softwarepakets "G Suite for Education", das Schulen kostenlos angeboten wird.

Die Auszeichnung zur "Apple Distinguished School"

Fast alle größeren Tech-Konzerne haben neben bildungsspezifischen Anwendungen Programme oder Auszeichnungen entwickelt, die Bildungseinrichtungen in besonderer Form an das jeweilige Unternehmen binden sollen. So zum Beispiel das Programm "Distinguished Schools" des US-amerikanischen Technologiekonzerns Apple. In einer digitalen Broschüre des Unternehmens heißt es hierzu: "Das Apple Distinguished School Programm unterstützt zukunftsorientierte Bildungsexperten, die Apple Technologie nutzen, um positive Veränderungen an ihren Schulen zu bewirken."

So verfolgt der Konzern laut Selbstbeschreibung eine "Apple Vision des Lernens mit Technologie“ und zeichnet Schulen aus, die diese Vision umsetzen. Die Voraussetzungen dafür sind ein "etabliertes One-to-One Programm, innovative Verwendung der Apple Plattform, Lehrkräfte sind mit iPad und iMac vertraut [sowie] dokumentierte Ergebnisse."

All das sollen die Schulen in einem Portfolio darlegen, um von dem Konzern eine Zertifizierung für drei Jahre ausgestellt zu bekommen. Mit der Auszeichnung gehen keinerlei Vergünstigungen bei der Ausstattung mit Produkten einher. Der Konzern verspricht jedoch die Unterstützung der Schulen, insbesondere durch "Veranstaltungen für Führungskräfte" und "Kontakt zu Experten und Expertinnen". Des Weiteren können Schulen ihre Auszeichnung mit einem Logo auf den Schulwebseiten oder in Form von Bannern und Urkunden nach außen kommunizieren. Laut eigener Auflistung sind in Deutschland derzeit 14 Schulen als "Apple Distinguished Schools" zertifiziert.

Eine Gefahr der Einflussnahme auf Bildung?

Der Umgang mit Werbung wie auch Sponsoring an Schulen ist in Deutschland durchInterner Link: Gesetze und Richtlinien aller 16 Bundesländer geregelt. Kritiker und Kritikerinnen sehen durch die enge Verbindung von Schulen mit einem Konzern das Neutralitätsgebot von Bildung in Gefahr. Das Apple-Distinguished-School-Programm oder vergleichbare Angebote anderer Tech-Konzerne seien vor allem Werbeprogramme.

René Scheppler ist ein solcher Kritiker. Er ist Lehrer an einer Wiesbadener Gesamtschule und Mitglied im Kreisvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Auf einem privaten Blog setzt er sich mit Lobbyismus in Schulen auseinander.

In Programmen wie "Apple Distinguished Schools" sieht Scheppler die Grenze der Einflussnahme wirtschaftlicher Unternehmen auf Bildungseinrichtungen überschritten und das Vertrauen in das deutsche Bildungssystem bedroht. Schulen und somit die Qualität von Bildung würden käuflich werden. Er fordert, das Schulen werbefrei sein und bleiben müssen.

Dass es an Schulen einen Bedarf an Ausstattung mit Digitaltechnik gibt und die führenden Tech-Unternehmen in diesem Zusammenhang nicht mehr wegzudenken sind, weiß auch René Scheppler. Dieser Bedarf sollte seiner Meinung nach jedoch durch den Prozess einheitlicher und transparenter Ausschreibungen gedeckt werden und nicht mit zusätzlicher Werbewirkung für einzelne Unternehmen einhergehen.

Drei "Apple Distinguished Schools" in Deutschland

Die Grundschule Stadtschule Travemünde, die Hauptschule Wilhelm-Ferdinand-Schüßler Tagesschule in Düsseldorf und das Gymnasium Hermann-Josef-Kolleg in Steinfeld sind ausgewiesene "Apple Distinguished Schools". Alle drei Schulen haben sich im Zeitraum zwischen 2014 und 2016 verhältnismäßig früh auf den Weg zur Digitalisierung begeben und sich in diesem Zusammenhang auf die Auszeichnung beworben.

Die Beweggründe für die Bewerbung waren bei den drei Schulen unterschiedlich.

Michael Cordes, Schulleiter der Stadtschule Travemünde, beschreibt den 2014 begonnenen Prozess als einen wichtigen Schritt, um die Digitalisierung seiner Grundschule nachhaltig und tiefgreifend voranzutreiben. Da Digitalthemen im Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen nicht erst in der Sekundarstufe beginnen, sieht Cordes bereits in der Grundschule den klaren Auftrag zur Digitalisierung: "Das haben wir erkannt und uns gefragt, wie macht man das? Gibt es da Beispiele? Und da gab es in Deutschland im Jahr 2014 ganz wenig." Im Gegenteil seien Themen wie "Digital Change Management" und "Digitale Kompetenz in der Schulentwicklung" im Jahr 2014 kein Bestandteil von Lehrfortbildungen gewesen.

Exemplarische Beispiele der Digitalisierung von (Grund-)Schule habe Michael Cordes hingegen durch Auflistungen internationaler "Apple Distinguished Schools" gefunden. Die Erstellung des Schulportfolios für Apple sei für die "Stadtschule Travemünde" daher eine Form der Prozessbegleitung gewesen. "Ein reines Vehikel", bei dem der von Apple formulierte Kriterienkatalog "Acht Elemente für Erfolg" zur Umsetzung einer technologischen Lernumgebung, entscheidend waren. Cordes ist der Meinung, dass ein gewisser Grad unternehmerischen Denkens in der Gestaltung von Bildung bereichernd sein kann, weil es eine zielorientierte Struktur vorgebe.

Cordes teilt generell die Sorge um eine zu starke Einflussnahme von Unternehmen auf Bildung, wünscht sich aber in der Debatte ein sachliches Abwägen: "In jeder Zusammenarbeit mit externen Partnern kommt es darauf an, darauf zu achten, dass der pädagogischen Nutzen, den man aus der Zusammenarbeit zieht, deutlich über dem wirtschaftlichen des Unternehmens liegt." Diese Prämisse sei in dem Bewerbungsprozess seiner Schule zur "Apple Distinguished School" ohne jeden Zweifel gegeben. Auch musste die Stadtschule Travemünde die von Apple genannten Bedingungen nicht zwingend erfüllen. Zum Zeitpunkt der Bewerbung war die Grundschule beispielsweise nicht eins zu eins mit Tablets ausgestattet, sondern pro Klassenverband wurde mit je sechs Tablets gearbeitet. Seine Schule habe nie ausschließlich mit Apple Produkten gearbeitet, sondern immer auch andere Systeme eingesetzt.

Die Zertifizierung zur "Apple Distinguished School" als Methode gegen Schulschließung

Das Hermann-Josef-Kolleg in Steinfeld kämpfte im Jahr 2015 mit stetig abnehmenden Anmeldezahlen. Als Gegenstrategie suchte das Gymnasium, das in einem alten Klostergebäude gelegen ist, nach einer neuen schulischen Ausrichtung.

Lehrer Jörg Zwitters, der für die administrative Verwaltung der Schultechnik verantwortlich ist, erzählt: "Es ging um die Frage, wie wird die Schule überleben? Und darum, wie wir uns in Zukunft erfolgreicher aufstellen." Um zu vermitteln, dass das Hermann-Josef-Kolleg auch in traditioneller Umgebung modernen Unterricht gestaltet, wurde der neue Schwerpunkt der Schule auf Digitalisierung gelegt. In die Anfangsphase dieser Transformation fiel dann auch die Bewerbung zur "Apple Distinguished School". Der Erfolg sei direkt spürbar gewesen: "Bei den jetzigen Anmeldezahlen müssen wir anbauen. Das war der klare Effekt aus 2015 und den Folgejahren."

Ähnlich wie das Gymnasium in Steinfeld stand auch die Wilhelm-Ferdinand-Schüßler-Tagesschule im Stadtteil Rath in Düsseldorf im Jahr 2016 vor der Herausforderung, den Standort ihrer Schule zu verteidigen.

Die Schulleiterin Beate Dincklage sagt offen: "Es ist an Schulen teilweise ein bisschen wie in der Wirtschaft. Ein ähnlich harter Kampf um die Frage, wird die Schule oder der Standort geschlossen oder nicht?" Um einer Schließung der Wilhelm-Ferdinand-Schüßler-Tagesschule entgegenzuwirken, wurde die Digitalisierung sehr öffentlichkeitswirksam als Fokus herausgestellt. Mit der Auszeichnung durch Apple wurde die Hauptschule, die zuvor häufig als sogenannte "Problemschule" dargestellt wurde, ein Vorzeige-Projekt der Stadt. Das habe ihrer Schule damals einen regelrechten "Kick nach vorne" gegeben.

Der Kritik eines singulären Fokus auf die Produkte von Apple begegnen die interviewten Schulleitungen mit dem Gegenargument, dass die Festlegung auf eine einheitliche Hard- und Software im Schulkonzept ohnehin stattfinde. Für das Gelingen von digitalem Unterricht sei die Schaffung einer homogenen Lernatmosphäre Grundvoraussetzung. Zum einen, damit die eingesetzte Technik flächendeckend kompatibel sei, aber auch, um als Kollegium in der Lage zu sein, diese zu administrieren.

Dem Vorwurf einer einseitigen Beeinflussung ihrer Schülerinnen und Schüler widersprechen sie. An allen drei Schulen würden trotz einer Grundausstattung mit Apple Produkten auch andere Systeme verwendet, da es weder Verträge noch verbindende Vereinbarungen mit Apple gibt.

Wirtschaftlicher Erfolg vs. pädagogische Qualität?

Kritik an dem Programm können Beate Dincklage wie auch Jörg Zwitters und sein Kollege Ralf Kremp zu Teilen dennoch nachvollziehen. "Es liegt in der Natur der Sache, dass Tech- Konzerne natürlich nicht wie Pädagogen und schon gar nicht fächerorientiert denken", stellt Kremp fest. Die Integration digitaler Möglichkeiten in den Unterricht hätte ihre Schule daher unabhängig von Apple in pädagogischen Fachtagen erarbeitet. Eine Einflussnahme des Unternehmens auf die Bildungsinhalte ihres Unterrichts habe nicht stattgefunden. Potenziellen Risiken einer Kooperation mit Konzernen könnten Schulleitungen gemeinsam mit ihrem Schulkollegium selbstverantwortlich entgegenwirken.

Über die Werbewirksamkeit für ihre Schule innerhalb der Region hinaus schätzt Beate Dincklage den Nutzen des Programms gering ein. Ein zu der Zeit verpflichtendes Netzwerktreffen des Konzerns in München habe sie als eine "Werbeveranstaltung ohne didaktischen oder pädagogischen Mehrwert" empfunden. Weiterführende Fortbildungen hat ihre Schule nicht wahrgenommen. Das Kollegium habe lediglich eine zweistündige Schulung zum Umgang mit Tablets im Apple Store erhalten, die aber unabhängig von dem Programm angeboten wird.

Hoher Bedarf an Fortbildungen im Bereich Digitalisierung

Für Ralf Kremp und Jörg Zwitters war das Fortbildungsangebot des Konzerns demgegenüber ausschlaggebend für die Kooperation. Sie bemängeln das fehlende Angebot seitens der Landesinstitute. Sowohl im Bereich des Umgangs mit Endgeräten als auch in Bezug auf Führungsstrukturen in der Steuerung von digitalem Veränderungsmanagement sei dies bis heute nicht ausreichend.

Kritiker René Scheppler alarmiert dieses Argument. Er erkennt die Schulungsveranstaltungen von Apple im deutschen Schulkontext nicht als Fortbildungen an: "Eine Fortbildung ist im staatlichen Umfeld und im Sinne von Beamten und Staatsbediensteten unabhängig zu gestalten." Apple habe als Konzern hingegen immer die Bewerbung ihrer Produkte als Hauptziel und könne daher nicht unabhängig agieren. Scheppler problematisiert, "dass einzelne Schulen zum Bestandteil von Bildungsmarketing werden."

Abschließend kann festgestellt werden, dass auch in der Umsetzung des Digitalpaktes eine Hürde darin liegt, dass zwar die Digitalisierung in Form der Verteilung von technischen Geräten vorangetrieben wird, jedoch die Qualifizierung für den Umgang mit diesen Geräten zu kurz kommt.

Die Frage liegt also nahe, ob Tech-Konzerne wie Apple mit ihren Fortbildungsprogrammen den Mangel an vergleichbaren staatlichen Angeboten und Digitalkonzepten für sich nutzen und Schulen auch in Ermangelung an Alternativen auf diese zurückgreifen.

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Philine Janus ist seit August 2022 Redakteurin für werkstatt.bpb.de. Sie studierte Literaturwissenschaft und Soziokulturelle Studien in Berlin und Frankfurt Oder. Nach 2013 arbeitete sie für verschiedene Bildungsträger an Schulen in ganz Berlin, in der Dramaturgie des Berliner Maxim Gorki Theaters und als freie Redakteurin unter anderem für das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG).