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Im Praxistest: Jugendkultur - Islam und Demokratie | bpb.de

Im Praxistest: Jugendkultur - Islam und Demokratie

Dr. Wolfgang Schmitz

/ 3 Minuten zu lesen

Islam und/oder Islamismus? - In der aktuellen gesellschaftlichen Debatte gibt es wohl kaum ein zweites Thema, das die Gemüter derartig in Wallung versetzt und in einem solchen Ausmaß von Klischees und Vorurteilen geprägt ist. "Wie hältst du’s mit dem Kopftuch, sprich?", lautet die moderne Gretchenfrage, hinter der sich diffuse Ängste und gravierende Informationsdefizite breiter Bevölkerungskreise verbergen. Aufgabe der Schule muss es sein, Licht in dieses Dunkel zu bringen und die Jugendlichen in die Lage zu versetzen, vorurteilsfrei die Rolle des Islam in der Demokratie und dabei ihre eigene Situation und Haltung zu reflektieren.

Das Material: Konzeption und inhaltliche Schwerpunkte

Das vorliegende Dossier - bestehend aus einer umfassenden Auswahl an Texten aus Newslettern vergangener Jahre - beleuchtet zahlreiche Facetten des Lebens muslimischer Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Die inhaltlich breit gestreuten Texte widmen sich u.a. den Themen "Islamische Mode in Deutschland", "Reise nach Jerusalem - der Nahostkonflikt", "KanakCultures", "Shisha-Cafés in Berlin", "Das deutschtürkische Internet-Portal Vaybee!" oder "Religiosität und Zugehörigkeit junger Muslime". Sämtliche Texte verfolgen eine primär informierend-dokumentierende Zielsetzung. Sie liefern Fakten, statistische Daten und lassen immer wieder in Deutschland lebende Muslime - Jugendliche wie Erwachsene - zu Wort kommen. Dabei werden auch kontroverse bzw. provokante Perspektiven nicht ausgespart. So z.B. in dem Bericht über eine Diskussion Thilo Sarrazins mit Schülern einer Berliner Brennpunktschule, in deren Verlauf er das Kopftuch als "vorausflatternde Flagge des Islamismus" bezeichnete und damit heftige Reaktionen seiner Gesprächspartner - alle mit muslimischem Migrationshintergund - auslöste.

Der Unterricht: Einsatzmöglichkeiten und Anregungen

Die vorliegenden Materialien sind zweifellos geeignet für den Einsatz in der Schule ab Klasse 9, bieten sie doch eine große Bandbreite differenzierender methodischer Zugänge (Stationenlernen, Lerntheke/-szenario/-büffet, Portfolio etc.). Da sie aber nicht explizit für den Unterricht konzipiert sind, bedürfen sie der didaktisch-methodischen Bearbeitung durch die Lehrkräfte, was einen nicht unbeträchtlichen Mehraufwand für diese bedeutet. Bei einigen der mit 3-4 Seiten recht umfangreichen, gelegentlich auch redundanten Texte werden Kürzungen und Vorentlastungen erforderlich sein, besonders in lern- bzw. leseschwächeren oder auch ausgeprägt leistungsheterogenen Lerngruppen. Zu den vordringlichen Aufgaben der Lehrkräfte wird es fernerhin gehören, je nach Unterrichtsschwerpunkt oder Fach die passenden Texte auszuwählen bzw. diese durch weiteres Material zu ergänzen und zu aktualisieren. Letzteres könnte zur Förderung der Recherchekompetenz von den Schülerinnen und Schülern übernommen werden. Einige mögliche Schwerpunkte der sinnvollen unterrichtlichen Verwendung des Dossiers seien im Folgenden kurz skizziert:

Fächerverbindender Unterricht

Hier ist in erster Linie an Klassen-/ Jahrgangsprojekte oder auch gesamtschulische Projektwochen zu denken. Unter einem Motto wie "Kopftuch? Na und!" lassen sich in zahlreichen Fächern sinnvolle Aktivitäten durchführen, z.B. im Geschichts- bzw. gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht ("Rolle der Musliminnen in Vergangenheit und Gegenwart"), in Kunst ("Kunst und Kultur des Islam"), in Musik ("Moslem-Rap"), Ethik ("Recht und Gerechtigkeit"), Religion ("Was steht eigentlich im Koran?"), Geografie ("Flickenteppich Naher Osten"), Naturwissenschaften/ Mathematik ("Warum sprechen wir von Arabischen Zahlen?"), Fremdsprachen ("Muslimisches Leben in den USA und Großbritannien"), Biologie ("Warum Ayshe nicht dümmer ist als Jens!").

Fachunterricht

Die genannten und viele andere Themen könnten unter Einbeziehung der Dossier-Materialien in den Einzelfächern vertieft werden. So wäre es im Deutschunterricht ausgesprochen reizvoll, sich mit dem bereits angesprochenen Text "Thilo Sarrazin im Dialog" intensiv auseinanderzusetzen. Dieser lädt förmlich dazu ein, im Kompetenzbereich "Argumentieren und Diskutieren" die Thesen Sarrazins denen der beteiligten Schüler gegenüberzustellen und sie somit einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Das bundesweit etablierte Projekt "Jugend debattiert" bietet sich hier als Forum zur Förderung der Debattierkompetenz der Jugendlichen an. Nicht minder anregend wäre die textintensive Auseinandersetzung mit einigen Passagen der Vorlage, insbesondere dann, wenn Sarrazin zunächst Vorurteile gegenüber muslimischen Jugendlichen kritisiert, diese dann aber selber explizit formuliert.

Zugriff

Das gesamte Dossier steht unter http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/jugendkultur-islam-und-demokratie/ bereit. Hinweise auf weitere thematisch verwandte Materialien sowie ein Glossar über Personen, Organisationen und religiöse Begriffe stellen eine sinnvolle Ergänzung dar.

Fussnoten

Dr. Wolfgang Schmitz, Jahrgang 1952, ist Studiendirektor mit den Fächern Deutsch, Englisch und ev. Religionslehre an einem Berliner Gymnasium und Lehrbeauftragter für Fachdidaktik Deutsch an der Humboldt-Universität.