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Rechtsstaat | ABDELKRATIE | bpb.de

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Rechtsstaat

Dr. Eike-Christian Hornig

/ 6 Minuten zu lesen

Hier findest Du Hintergrundinfos zum ABDELKRATIE-Video "Rechtsstaat".

RECHTSSTAAT – Ohne Gesetze geht nichts!

Video-Reihe "Abdelkratie"

RECHTSSTAAT – Ohne Gesetze geht nichts!

Der Duden sagt: Staat, der [gemäß seiner Verfassung] das von seiner Volksvertretung gesetzte Recht verwirklicht und sich der Kontrolle unabhängiger Richter unterwirft. Ganz schön kompliziert, oder? Keine Sorge, in der heutigen Folge Abdelkratie erklären wir alles ganz einfach.

Dieser Text ist Dir zu kompliziert? Interner Link: Hier findest Du ihn in Einfacher Sprache.

Man stelle sich vor, die Bundeskanzlerin würde aus einer Laune heraus Leute verhaften lassen, die sie zufällig aus dem Auto heraus auf der Straße gesehen hat und man kann nichts dagegen tun. Was heute zum Glück als unmöglich erscheint, war lange Zeit in der Geschichte Gang und Gäbe: Die Willkür von Herrschern im Umgang mit ihren Untertanen sowie zwischen den Untertanen selbst. In den frühen Formen von Staatlichkeit galt noch das Recht des Stärkeren. Erst mit der Entwicklung des Rechtsstaates, der Festschreibung von individuellen Rechten, der Teilung staatlicher Gewalt und einer unabhängigen Justiz nahm dies ein Ende.

Der Rechtsstaat ist also eine Herrschaftsordnung, die auf für alle gültigen Regeln basiert und Machtausübung durch das Recht beschränkt. Zentral ist dabei die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Nur so kann Gerechtigkeit entstehen. In italienischen Gerichtssälen kann man in großen Buchstaben geschrieben lesen: "La Legge è uguale per tutti" – Das Gesetz ist für alle gleich. Auf bildlichen Darstellungen der Figur Justizia ist eine Frau mit verbundenen Augen zu sehen, die eine Waage in der Hand hält. Die verbundenen Augen sollen darstellen, dass das Recht ohne Ansehen der Person gesprochen wird und damit für alle gleich ist. Die Waage symbolisiert, dass nicht einseitig entschieden wird, sondern beide Seiten ausgewogen berücksichtigt werden.

(© bpb)

Bis zu diesem Punkt war es aber ein weiter Weg. Nur Schritt für Schritt konnte über die Jahrhunderte die verbreitete Willkür und Rechtlosigkeit unterbunden werden. Wichtige Meilensteine dafür waren einzelne Rechtsdokumente, mit denen die Verrechtlichung des Zusammenlebens in Europa bewerkstelligt wurde. Die Magna Charta aus dem Jahr 1215 gilt als ein solcher Meilenstein. Darin wurden erste grundlegende Freiheitsrechte festgeschrieben, die der englische König fortan nicht verletzen durfte. Im Laufe der Zeit kamen weitere wichtige Dokumente hinzu, mit denen Rechte und Regeln festgehalten und verbindlich gemacht wurden. Zu nennen ist hier etwa die Bill of Rights, also das Gesetz der Rechte, das zuerst in England im 17. Jahrhundert und später in den Vereinigten Staaten von Amerika im 18. Jahrhundert verabschiedet wurde. Darin wurden den Menschen bestimmte Grundrechte zugesichert, die vom Staat nicht nur geachtet, sondern auch geschützt werden mussten.

Der Höhepunkt dieser Entwicklung war die Verabschiedung von Verfassungen, erstmals in den USA im Jahr 1787, vier Jahre später auch in Polen und in Frankreich. Verfassungen werden zu den zentralen Rechtsdokumenten moderner Staaten. Verfassungen enthalten keine Vorschriften über Dinge des Alltags, sondern nur die wichtigsten Regelungen eines modernen Staates, wie bei einem Betriebssystem. Dazu gehört der Aufbau des Staates mit seinen Institutionen, die Verteilung der Rechte und Pflichten unter diesen Institutionen und vor allen Dingen die Festschreibung der Rechte und Freiheiten der Menschen.

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Das deutsche Grundgesetz schreibt vor allem in seinen ersten Artikeln die unveräußerlichen Freiheitsrechte des Menschen als Grundrechte fest. Dazu gehört die freie Entfaltung der Persönlichkeit genauso wie die Freiheit des Glaubens und die körperliche Unversehrtheit. Diese Rechte werden vom Rechtsstaat nicht einfach nur gewährt, sondern der deutsche Staat verpflichtet sich dazu, dass diese Rechte oberstes Ziel des Handelns aller staatlichen Organe sind. In Artikel 1 der Verfassung heißt es, dass die in den ersten 19 Artikeln genannten Grundrechte die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung unmittelbar binden.

Diese starke Rolle der Grundrechte in der deutschen Verfassung ist eine Lehre aus der menschenverachtenden Gewaltherrschaft im Nationalsozialismus. Das Dritte Reich gab sich nach außen hin auch noch den Anschein eines Rechtsstaates, mit Gesetzen und Gerichten. Doch diese waren durchtränkt von einer menschenverachtenden Rassenlehre und endeten in Willkür, Mord und der schlimmsten Rechtlosigkeit der Geschichte. Daher wird vom Dritten Reich auch von einem "Unrechtsstaat" gesprochen, was in Wirklichkeit eine Untertreibung ist. Bei der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 wurde daher besonders darauf Wert gelegt, Demokratie und Rechtsstaat auch gegen Feinde von innen zu rüsten. Nach dem Zivilisationsbruch des Dritten Reiches wurden nach 1949 in der Bundesrepublik Deutschland Elemente der Wehrhaften Demokratie verankert, die eine Wiederkehr der totalitären Herrschaft und die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte verhindern sollen. Bürgerinnen und Bürger, die sich in ihren Grundrechten verletzt fühlen, können sich, wenn kein Gericht dies anerkennt, mit einer Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht wenden. Zudem können verfassungsfeindliche Parteien und Organisationen verboten und Gesetze, bevor sie überhaupt Realität werden, zur Überprüfung an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe übersandt werden (abstrakte Normenkontrolle).

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Verfassungen organisieren auch die Verteilung von Macht in einem Staat über die Festschreibung der Gewaltenteilung. Nach den Menschenrechten ist auch dies eine zentrale Errungenschaft moderner Rechtsstaatlichkeit. Im Gegensatz zur Willkür und Machtanmaßung, die lange die Geschichte geprägt haben, gehören zum Rechtsstaat genau festgelegte Rechte und Pflichten staatlicher Organe. Damit Machtausübung nicht wieder ins Willkürliche abrutscht, ist sie durch Gesetze begrenzt und geregelt. Klassisch gehört hierzu der Dreiklang aus Exekutive (Regierung), Legislative (Parlament) und Judikative (Rechtsprechung durch Gerichte). Die Idee ist, dass sich staatliche Organe nach festgelegten Regeln gegenseitig kontrollieren. Die Gesetze werden vom Parlament erlassen, aber umgesetzt von der Regierung. Das Verfassungsgericht überwacht die Einhaltung der Verfassung und entscheidet über Streitigkeiten zwischen den Organen. Im deutschen Staatsaufbau kommt hinzu, dass durch den Föderalismus noch weitere Hürden der Machtausübung festgeschrieben sind. Die deutschen Bundesländer haben ein eigenes politisches System mit eigenen Ressourcen und Instrumenten von Staatlichkeit, zum Beispiel die Polizei.

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Eine zentrale Frage ist, worauf sich die Rechts- und Staatsordnung gründet. Wie wird die Legitimität dieser Verteilung und Zuteilung von Macht durch das Recht gesichert, wie sie in einer Verfassung steht? Aus demokratischer Sicht ist hierfür die Zustimmung der Menschen notwendig, die unter der jeweiligen Verfassung leben. Dies kann etwa durch eine Volksabstimmung geschehen, wie in Italien oder Frankreich. Als indirekte Legitimierung durch das Volk gilt aber auch die Wahl von Parteien, die die neue Ordnung ausgearbeitet haben und tragen, nach der Verabschiedung und darüber hinaus, wie es in der Bundesrepublik war und ist.

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Die Besonderheit von Verfassungen als Regeln über Regeln wird auch anhand der Mechanismn zur Änderung deutlich. In einigen Ländern erfolgen Änderungen der Verfassungen durch Volksabstimmungen, in anderen braucht es besonders hohe Zustimmungsraten in den Parlamenten. In Deutschland müssen Bundestag und Bundesrat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder einer Verfassungsänderung zustimmen. Dies soll sicherstellen, dass nicht einfach die Verfassung und damit die Grundregeln der Politik zu Gunsten der gerade bestehenden Regierungsmehrheit geändert werden. Stattdessen muss eine große Mehrheit der vertretenen Interessen eine Änderung der Spielregeln zustimmen. Wie schon erwähnt, sieht das deutsche Grundgesetz vor, dass die Grundrechte in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden dürfen. In Artikel 79 gibt es eine sogenannte Ewigkeitsklausel, die dies festschreibt. Neben den Grundrechten und dem demokratischen System ist auch der föderale Staatsaufbau in Deutschland nicht zu ändern.

Der Rechtsstaat wäre nur eine Worthülse, wenn es nicht die entsprechenden Institutionen und Organe gebe, um das Recht auch durchzusetzen. Im Vordergrund steht die Rechtsprechung. Unabhängige Gerichte sind der Garant für die Sinnhaftigkeit des Rechtsstaates. Dort wo Gerichte instrumentalisiert werden, hilft auch die beste Rechtsordnung nicht mehr. In Deutschland kommt dem Bundesverfassungsgericht eine besondere Rolle zu. Das Verfassungsgericht wacht über die Gesetzgebung und das Handeln von Behörden in Deutschland. Neben dem Verfassungsgericht findet allerdings der Alltag der Rechtsprechung in vielen verschiedenen Gerichten in den Städten und Kreisen statt. Zudem ist auch die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu nennen. Behörden und Ämter sind der verlängerte Arm des Staates. Dass auch sie sich an die Regeln halten, ist unabdingbar.

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Realistischer Weise verfügt der Rechtsstaat in seiner Praxis immer über Beeinträchtigungen. Das perfekte System gibt es nicht, da an allen Stellen Menschen handeln. So ist etwa Korruption ein sehr ernstes Problem für die Rechtsstaatlichkeit, wenn der Schutz des Einzelnen durch staatliche Organe von Geldleistungen abhängt. Dies ist etwa besonders in Osteuropa zu beobachten. Auch Vetternwirtschaft kann die Funktionsweise der Verwaltung und die Erfüllung von demokratisch legitimierten Zielen unterlaufen. Eine vollständige Unterbindung individuellen Fehlverhaltens bleibt daher immer das Ziel, auch wenn es kaum zu erreichen sein wird. Entscheidend ist, dass diese Beeinträchtigungen nicht im System angelehnt sind, sondern der Rechtsstaat als Ganzes funktioniert und immer an der Einhaltung des Rechtes orientiert ist.

ist Demokratie- und Parteienforscher, zuletzt an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Zuvor Vertretungs- und Gastprofessuren an der TU Darmstadt, Forschungsaufenthalte in der Schweiz, Taiwan und Südkorea. Forschungsschwerpunkte liegen im Vergleich von Partizipation und Interessenvermittlung, insbesondere politische Parteien und direkte Demokratie. Veröffentlichungen: Die Parteiendominanz direkter Demokratie in Westeuropa, Baden-Baden 2011; Mythos Direkte Demokratie, Opladen 2017.