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Lernen in Projekten

Hanns-Fred Rathenow

/ 6 Minuten zu lesen

Handlungsorientiertes Lernen und Projekte stehen für die Abkehr von der Buchschule. Eine Einführung in die Arbeit mit Projekten.

Der ehemalige Auschwitz-Häftling Werner Bab im Gespräch mit Schülern der Herschel Schule in Hannover. (© Christian Ender / Imdialog e.V.)

Die in diesem Dossier vorgestellten Projekte gehen von einem didaktischen Ansatz aus, der seit mehr als 100 Jahren für die Abkehr von der traditionellen Buchschule und die Hinwendung zu Formen handlungsorientierten Lernens steht. Zuerst in der amerikanischen Reformpädagogik entwickelt, gab es auch in der deutschen Reformpädagogik der Zwischenkriegszeit der 1920er und 30er Jahre Entwicklungen, die den Projektgedanken in Form der so genannten Vorhaben aufgriffen.

Das Projekt wird daher nicht zu Unrecht als eine für die internationale Reformpädagogik epochentypische Methode bezeichnet. Im Zuge der (west)deutschen Gesamtschul- entwicklung der 1970er Jahre wurde diese wieder belebt und gilt heute vielfach als Ausweis moderner Unterrichtsgestaltung.

In der amerikanischen Reformpädagogik verbindet sich der Begriff der Projektmethode insbesondere mit John Dewey und William H. Kilpatrick, wenngleich er erstmals um 1900 von Richards im Werkunterricht gebraucht worden sein dürfte. Er bezeichnete damit Arbeiten von Schülerinnen und Schülern, die sie selbstständig planten und ausführten.

Entsprechendes finden wir Anfang des vergangenen Jahrhunderts in Georg Kerschensteiners bildungsbürgerlichen Ideen von Produktorientiertheit (der Bau eines "Starenkastens") und in der Arbeitsschulbewegung der deutschen Reformpädagogik für den beruflichen Bereich. Für Kilpatrick bedeutete das Projekt "planvolles Handeln von ganzem Herzen, das in einer sozialen Umgebung stattfindet" (Dewey/Kilpatrick 1935). Eine Beschreibung, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat.

In dem gesellschaftlichen Bezug des Projektgedankens und seiner Aktualisierung in konkreten, selbst das Handwerkliche einbeziehenden Produkten hat die Projektmethode Beziehungen zu der Pädagogik der entschiedenen Schulreformer in der Weimarer Zeit. Hier sind es Fritz Karsen und Paul Oestreich gewesen, die nachdrücklich die Einbeziehung der materiellen Produktion in das Unterrichtsgeschehen forderten.

In den reformpädagogischen Ansätzen der so genannten Vorhabenpädagogik bei Johannes Kretschmann, Otto Haase und Adolf Reichwein finden wir besonders das Einwirken auf Nachbarschafts- und Sozialbeziehungen im Rahmen des Projektunterrichts.

Projektbegriff und Handlungsorientierung

Mit dem Projektbegriff wird immer wieder die Forderung nach Handlungsorientierung verbunden. Im Sinne eines Unterrichtsprinzips sollen sich die an einem Projekt beteiligten Kinder und Jugendliche selbstständig mit der Lösung eines Problems oder der Bearbeitung eines – selbst definierten – Auftrags unter Beteiligung möglichst vieler Sinne auseinandersetzen.

Betrachtet man die Literatur, die es zum Projektunterricht gibt, so kristallisieren sich sieben Merkmale heraus. Vor mehr als 30 Jahren sind diese von Wolfgang Schulz und Gunter Otto (Vgl. Otto 1974) – noch immer gültig – wie folgt zusammengefasst worden:

  • Situationsbezogenheit,

  • Bedürfnisbezogenheit,

  • gesellschaftliche Relevanz,

  • Selbstorganisation der Lernprozesse,

  • ganzheitliches soziales Lernen durch gemeinsame Realisierung,

  • Produktorientiertheit,

  • Interdisziplinarität.

Projekte sollten sich auf die konkrete gesellschaftliche Situation beziehen und an die Bedürfnisse, Interessen und Fragen der Jugendlichen ("Was hat der Holocaust mit mir zu tun?") anknüpfen. Damit können gesellschaftsbezogene, auch historisch-politisch komplexe Phänomene zum Gegenstand von Lernprozessen werden. Diese dienen der Bewältigung konkreter Lebenssituationen und der Beantwortung von Fragestellungen aus dem Alltag der Schülerinnen und Schüler.

Projekte sind nur begrenzt planbar. Ihr Verlauf hängt weitestgehend vom Frage- und Diskussionshorizont der Teilnehmenden ab. Wichtig sind auch die Zwischenergebnisse der Arbeit, welche die Lernenden selbst in die Hand nehmen. Planung ist nur in Form eines offenen Systems, unter Beteiligung der Lernenden möglich.

Die Projektmethode verlangt Kooperation auf Seiten der Lehrkräfte, der Teamer/innen beziehungsweise Moderatoren/innen. Der einzelne Fachlehrer/die Fachlehrerin bzw. der Experte/die Expertin im außerschulischen historisch-politischen Lernkontext treten zugunsten eines Teams zurück. Dieses trifft gemeinsam mit den Lernenden entsprechende inhaltliche und methodische Entscheidungen und gestaltet kooperativ die Lern- und Erfahrungsprozesse.

Das Ergebnis projektorientierter Lern- und Arbeitsprozesse sollte ein möglichst konkretes Produkt sein, dessen Aussagen generalisierbar und transferierbar sind. Es könnte beispielsweise in einer Ausstellung, in Plakaten, in Informationsveranstaltungen und Aktionen bestehen, mit denen die Jugendlichen in den schulischen Raum hinein oder über diesen hinaus in die Gesellschaft hineinwirken.

Der Komplexität der Projektgegenstände wird durch interdisziplinäre, fächerübergreifende und überfachliche didaktische Ansätze entsprochen.

Handlungsorientiertes und entdeckendes Lernen wird in der didaktischen Literatur immer wieder besonders empfohlen, weil, wie der Lernpsychologe Hans Aebli hervorhebt, im herkömmlichen Unterricht zu wenig "gehandelt" werde. Aebli betont, "dass Erkenntnisse zuerst einmal durch Suchen und Forschen, durch Beobachten und Nachdenken gewonnen werden müssen. Man kann sich Vorstellungen und Begriffe nicht in fertiger Form einverleiben. Man muss sie nachschaffen, nachkonstruieren. Nur dann sind sie etwas wert.

Dem Begriff geht das Begreifen voraus, der Einsicht das Einsehen" (Aebli 2003, S. 183). Diese These greift auf pädagogische Erfahrungen zurück, wie sie bereits von Johann Amos Comenius im 17., Johann Heinrich Pestalozzi im 18./19. und den Reformpädagogen des In- und Auslands im 19. und 20. Jahrhundert beschrieben worden sind.

Struktur von Projekten

Die nachdrückliche Betonung der Produktorientierung in der Projektmethode lässt folgende methodische Struktur bei der Bearbeitung von Projekten empfehlenswert erscheinen:

  1. Erarbeitung einer Fragestellung,

  2. gemeinsame Definition des Umfangs, den das Projekt annehmen soll,

  3. arbeitsteilige Bearbeitung der Gesamtfragestellung/des Themas/des Produkts,

  4. Realisierung des Projekts unter Einschaltung von Metakommunikations- bzw. Reflexionsphasen,

  5. Zusammenfügung der Teilergebnisse,

  6. (öffentliche) Präsentation des Projektergebnisses,

  7. Reflexion der gemeinsamen Arbeit.

Zum Begriff der Projektorientierung

In dem Bestreben, möglichst viele der Projektkriterien zu realisieren, wird ehrlicherweise häufiger von projektorientiertem Arbeiten als von Projekten zu sprechen sein, weil in der Realität des gefächerten Unterrichts und der Praxis historisch-politischen Lernens außerhalb der Schule oft nur einzelne Merkmale der Projektidee verwirklicht werden können. Bestimmte Merkmale für die zu bearbeitenden Projekte werden oft vorgegeben sein, etwa der thematische Rahmen. Teilnehmende müssen dann ihre speziellen Fragen und Bedürfnisse am vorgegebenen Inhalt ausrichten.

Wenn beispielsweise in gedenkstättenpädagogischen Projekten auf das Merkmal der Produktorientierung besonderer Wert gelegt wird, könnte am Ende eines Projekts eine kleine Ausstellung über das Leben eines KZ-Häftlings nach seiner Befreiung entstehen. Denkbar ist auch eine Collage aus Berichten einer Zeitzeugin oder ein Video, das der Aufklärung der Schülerinnen und Schüler über einen bestimmten Sachaspekt aus dem Lageralltag dient.

Wie in diesem Falle werden Projekte meist mit einem konkreten, vorweisbaren Werk abgeschlossen, das die Projektteilnehmer/innen ggf. im Rahmen einer kleinen Feier (öffentlich) präsentieren. Dabei wird es zwar oft um die Interessen der Jugendlichen und ihre Fragen gehen, die im Laufe eines Projekts beantwortet werden. Gleichwohl ist die didaktische Planungshoheit der Lehrkräfte bzw. der außerschulischen Fachkräfte dort herausgefordert, wo sich die Fragen der Lernenden mit den Ansprüchen der Curricula im Bereich der schulischen historisch-politischen Bildung arrangieren müssen.

Auf dem Wege zu einem für alle Seiten befriedigenden Projektergebnis ist ein hohes Maß an Kommunikationskompetenz der Jugendlichen, aber auch der Lehrkräfte bzw. der Teamer/innen gefragt. Jede Projektarbeit lebt nämlich besonders davon, dass alle Beteiligten sich immer wieder in Phasen der Reflexion vergewissern, wo sie gerade selbst in ihrem Arbeitsprozess stehen, wie sie miteinander gearbeitet haben, welche Probleme bei der Lösung der Aufgaben entstanden sind und wie man sie gemeinsam meistern kann. Solche Fixpunkte dienen der Metakommunikation und langfristig der Arbeitszufriedenheit, die einen Teil des Projekterfolgs ausmacht.

Literatur

Aebli, Hans (2003): Zwölf Grundformen des Lehrens und Lernens. Eine allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage. 13. Aufl., Stuttgart: Klett.

Dewey, John; Kilpatrick, William Heard (1935): Der Projektplan. Grundlegung und Praxis. Weimar: Böhlau.

Dewey, John (1993): Demokratie und Erziehung. Weinheim: Beltz.

Frey, Karl (2007): Die Projektmethode: Der Weg zum bildenden Tun. Weinheim/Basel: Beltz.

Gudjons, Herbert (2001): Handlungsorientiert lehren und lernen: Projektunterricht und Schüleraktivität. 6., überarb. und erw. Aufl., Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Jung, Eberhard (1997): Projekt – Projektorientierung. Mehr als eine Methode. Schwalbach/Ts.

Otto, Gunter: Das Projekt – Merkmale und Realisationsschwierigkeiten einer Lehr-Lern-Form. In: Frey, Karl; Blänsdorf, Kurt (Hrsg.): Integriertes Curriculum Naturwissenschaft der Sekundarstufe I: Projekte und Innovationsstrategien. Weinheim 1974, S. 569 – 587.

Hanns-Fred Rathenow ist Professor für Didaktik der Sozialkunde und als Geschäfsführender Direktor des Instituts für Gesellschaftswissenschaften und historisch-politische Bildung an der Externer Link: Technischen Universität Berlin tätig.