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Subjektorientierung, Menschenrechtsbildung und Demokratie-Lernen als wichtige Elemente einer 'Inklusiven politischen Bildung‘. | bpb.de

Subjektorientierung, Menschenrechtsbildung und Demokratie-Lernen als wichtige Elemente einer 'Inklusiven politischen Bildung‘.

Jürgen Gerdes

/ 3 Minuten zu lesen

Die Frage nach dem genaueren Sinn einer Verknüpfung von Inklusion und politischer Bildung, die mit dem interessanten Thema und Titel "Inklusive Politische Bildung" anvisiert ist, wirft umso mehr Fragen auf, je genauer man hinsieht. Um nur einige Beispiele zu nennen: Ist gemeint, dass die pädagogische Teildisziplin politische Bildung sich inklusiv umstellt? - was in gewisser Weise voraussetzen würde, dass politische Bildung noch nicht (genügend) inklusiv ausgerichtet ist. Wenn ja, hinsichtlich ihrer Themen und Inhalte? Ihrer Didaktik und ihrer Methoden? In Bezug auf die Bildungsinstitutionen, in denen politische Bildung üblicherweise auftritt? (Wäre der letzte Bezug überhaupt etwas, was politische Bildung als Fachdisziplin betrifft?) Oder geht es vorrangig um die Frage, was und wie politische Bildung etwas zum Anliegen einer Umstellung auf Inklusion beitragen kann? Zur Umstellung in welchen Bereichen? Den Bildungsinstitutionen? Den gesellschaftlichen Institutionen? Der politischen Kultur? Und: Welche Umstellung? Die Definitionen und Interpretationen von Inklusion sind äußerst vielfältig und reichen von einem (unterschiedlich verstandenen) zielgruppenspezifischen Empowerment i.d.R. für Menschen mit Behinderung bis hin zu Anstrengungen einer gesamtgesellschaftlichen Dekonstruktion von eingewöhnten Normalitätsvorstellungen und -erwartungen, durch die soziale, kulturelle und politische Diskriminierungen ganz verschiedener Personen und Gruppen als verursacht und stabilisiert gesehen werden, zugunsten einer allgemeinen gleichberechtigten Akzeptanz (oder Toleranz, oder Anerkennung, oder Wertschätzung …) von gesellschaftlicher Diversität (aus wiederum unterschiedlichen, z.B. menschenrechtlichen oder ökonomischen Gründen).

Mein tentativer Vorschlag einer Antwort wäre, einerseits eine voreilige Engführung der Antwort zu vermeiden (weil dies den anspruchsvollen Konnotationen des hier verhandelten Titels nicht gerecht werden kann), und andererseits sich aber auf das überlieferte professionelle Selbstverständnis und zentrale Themen politischer Bildung zu beschränken bzw. daraus Themen und Methoden auszuwählen, die der Sache nach eine starke Nähe zum Konzept der Inklusion aufweisen: das wären m.E. insbesondere Menschenrechte und Demokratie, die gleichzeitig als die zentralen Legitimationsprinzipien demokratischer Rechtsstaaten gelten und leicht mit einer 'Inklusiven politischen Bildung‘ in Verbindung gebracht werden können. Jedoch scheint mir auch, dass die Anstrengungen in den Bereichen Demokratie-Lernen und Menschenrechtsbildung nicht nur aus "inklusionistischen" Gründen verstärkt werden sollten, sondern auch aus Gründen jüngerer gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen, die vielfach unter dem Stichwort "Postdemokratie" diskutiert werden.

Es kann wohl als Konsens vorausgesetzt werden, dass eine Demokratie (und vitale Zivilgesellschaft) auf ihr entgegenkommende Kompetenzen der Bürgerinnen und Bürger (Wissen, Einstellungen, Orientierungen, Handlungsbereitschaften) angewiesen ist, die nicht als gegeben vorausgesetzt werden können, sondern als ein Gegenstand von Bildungsprozessen betrachtet werden müssen. Durch zunehmend zu beobachtende Tendenzen einer demokratiepolitisch äußerst problematischen sozialen Selektivität politischen Interesses und konventioneller politischer Partizipation (insbesondere in Bezug auf die Beteiligung an Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen und hinsichtlich der Mitarbeit und Mitgliedschaft in politischen Parteien) müsste sich m.E. die politische Bildung (die sich auch als schulische Politikdidaktik nicht auf sozial- und politikwissenschaftliche Propädeutik beschränken sollte) noch weitaus stärker zu erhöhten Anstrengungen veranlasst sehen als das gegenwärtig der Fall ist. Solche Anstrengungen zur Überwindung der mangelhaften Repräsentation der Interessen in verschiedener Hinsicht benachteiligter Gruppen wären dann auch Beiträge zur (politischen) Inklusion. Methodisch-didaktisch eignen sich in erster Linie Ansätze, die nicht prioritär von einem zu vermittelnden, eventuell "elementarisierten" Fachinhalt "Politik" ausgehen, sondern in einer subjekt-, lebenswelt- und handlungsorientierten Perspektive sich zunächst möglichst unvoreingenommen zu den Erfahrungen, Interessen und Deutungen der Lerngruppen in Beziehung setzen und ihr Selbstbewusstsein und politisches Kompetenzbewusstsein stärken. Auch dieser Aspekt ist "inklusionsrelevant", wenn geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung nicht "undemokratisch" über die Köpfe der Betroffenen entschieden werden sollen.

Erst in einem zweiten Schritt können (und müssen) die artikulierten Erfahrungen und Interessen mit politischen Inhalten und Machtverhältnissen verknüpft werden. In diesem Sinn geeignete Ansätze versuchen soziales und politisches Lernen systematisch zu verbinden, wobei sich wiederum thematisch vor allem Menschenrechtsbildung und Demokratielernen dazu eignen. Gerade im Bereich geeigneter und wirksamer Konzepte der Menschenrechtsbildung gibt es in Deutschland (verglichen mit anderen westlichen Ländern) einen erheblichen Entwicklungsbedarf.

Fussnoten

Dipl.-Politikwissenschaftler, z. Zt. wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Pädagogischen Hochschule Freiburg, von 2005-2011wissenschaftlicher Mitarbeiter an der soziologischen Fakultät der Universität Bielefeld, davor an der Hochschule Bremen. Aktuelle Projekte: VorBild: Politische Bildung an Förderschulen; Lions-Quest Erwachsen handeln; Life Skills als Transitionshilfe (LiST). Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Bildungsforschung, Politische Bildung, Soziales Lernen, Demokratietheorie, Menschenrechtsbildung, Staatsbürgerschaft, Migrationsforschung, Sozialpolitik.