Eheschließungen und Ehescheidungen
Wer heiratat wen, wann und wie? Diese Übersicht zeigt die historische Entwicklung unter anderem von Eheschließungen, durchschnittlichem Heiratsalter und Scheidungsraten.


Zum Verständnis dieser Entwicklungen muss man die Geburtskohorten betrachten. Personen, welche 2010 45 bis 54 Jahre alt waren, wurden zwischen 1956 und 1965 geboren. Demnach ist also der Trend weg von der staatlich sanktionierten Ehe bei den Kindern des vorangegangenen Heiratsbooms zu lokalisieren. Dagegen ist der Heiratsboom bzw. der Tiefststand der Ledigenquote bei den in den Jahren von 1910 bis 1920 Geborenen zu verankern. Die erste Phase eines Rückgangs der Ehelosigkeit trug zum Rückgang der unehelichen Geburten bei, da die bislang in Teilen Süddeutschlands zwangsweise ehelosen Partner nun heiraten konnten. Dies kann auch als Indiz für die relativ große Häufigkeit von nichtehelichen Lebensgemeinschaften im 19. Jahrhundert gewertet werden.[4]
Ehen wurden im 19. Jahrhundert in der Regel durch den Tod gelöst. Ehescheidungen waren im 19. Jahrhundert noch relativ selten. Die Scheidungsrate lag bis zum Ersten Weltkrieg unter 20 sich scheiden lassende pro 10 000 verheiratete Personen (im Alter von 15 und mehr Jahren), wenngleich ein leichter Anstieg bemerkbar war. Nach dem Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit setzte sich dieser Anstieg fort und ebenfalls in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Mittlerweile scheint der Anstieg der Ehescheidungen ein erstes Plateau erreicht zu haben, von dem aus es nicht sicher ist, ob ein weiterer Anstieg erfolgt. Die Scheidungsrate von 2010 ist mit 107 sich scheiden lassende auf 10 000 verheiratete Personen (im Alter von 15 und mehr Jahren) niedriger als 2004 mit einem Wert von 116. Die Scheidungshäufigkeit wird durch Kriege, Konjunkturen und Gesetzesänderungen beeinflusst. So ereigneten sich nach Ende beider Weltkriege viele Ehescheidungen, und in Westdeutschland brach die Scheidungsrate durch die Scheidungsreform von 1978 mit Einführung des Zerrüttungsprinzips zeitweilig ein. Außerdem wird der langfristige Anstieg der Scheidungshäufigkeit stark durch die Ausweitung der legalen Scheidungsgründe beeinflusst.
Bei Wiederverheiratungen muss zwischen Eheschließungen Geschiedener und Verwitweter unterschieden werden, welche sehr unterschiedliche Muster aufweisen. Im 19. und bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Ehen häufig in Hinblick auf einen neuen Heiratspartner geschieden. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich dieses Verhaltensmuster grundlegend. Geschiedene gingen immer seltener eine neue Ehe ein, sondern lebten zunehmend allein oder in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Die Entwicklungen sind für beide Geschlechter ganz ähnlich, aber der Niveauunterschied ist schlagend: Geschiedene Männer verheirateten und verheiraten sich um ein mehrfaches häufiger als geschiedene Frauen. Die Wiederverheiratung verwitweter Männer und Frauen zeigt ein sehr anderes Verlaufsmuster. Einen mehr oder weniger stetigen Rückgang von hohen Wiederverheiratungsraten bis zu verschwindend geringen. Im 19. Jahrhundert war die erneute Eheschließung von Verwitweten die Regel, da im Haus nicht nur (zum Teil viele) Kinder aufzuziehen waren, sondern oft auch gewerblich oder landwirtschaftlich produziert wurde und die entsprechenden Arbeitsrollen wiederbesetzt werden mussten. Dies änderte sich im 20. Jahrhundert zunehmend: Zum einen sank im Lauf der demografischen Transition die zu versorgende Zahl der Kinder, außerdem übernahm der Staat teilweise durch familienpolitische Leistungen die Versorgerrolle, bäuerliche und gewerbliche Familienbetriebe nahmen an Zahl ab, und schließlich schob die steigende Lebenserwartung das Verwitwungsalter im Lebenszyklus in ein höheres Alter. (siehe Abb 5a, Abb 5b)