Das Wachstum des Hochschulbereichs
Die deutsche Universitäts- und Hochschullandschaft ist vielfältig und das Ergebnis einer langen Entwicklungsgeschichte. Dieses Kapitel zeigt die wichtigsten Stationen dieser Geschichte in Zahlen und Fakten.Die Zahl der Studierenden an allen wissenschaftlichen Hochschulen Deutschlands hat sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts beständig erhöht, außer in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Um 1830 begann die Entwicklung mit 16 049 Studierenden und verminderte sich zunächst in den 1830er Jahren, um nach einer Stagnationsphase ab 1885 bis zum Ende des Kaiserreichs 1919 um das Zehnfache zu steigen. In den 1920er Jahren verlangsamte sich das Wachstum, unter den Nationalsozialisten reduzierte sich die Zahl der Studierenden um die Hälfte. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Zahl auf dem Niveau von Anfang der 1930er Jahre und stieg mit einer kurzen Verlangsamung in den 1990er Jahren bis heute um das Siebzehnfache im Vergleich zur Nachkriegszeit. (siehe Tab 3)


Das Wachstum wurde angetrieben durch die Öffnung des Studiums für Frauen, durch die Gründung weiterer Universitäten und Hochschulen anderen Typs und durch die Erweiterung der Möglichkeiten, die Hochschulberechtigung auf anderen Wegen zu erwerben als durch ein Abitur an einem Gymnasium. Frauen durften im größten deutschen Teilstaat Preußen erst 1908 studieren. Ihre Beteiligung blieb aber in der Weimarer Republik noch gering und wurde unter der NS-Herrschaft drastisch durch Quotierungen beschränkt. Erst in der Phase der Bildungsexpansion erlangten sie innerhalb weniger Jahre eine fast gleiche, also ihrem Bevölkerungsanteil entsprechende Beteiligung. (siehe Tab 4)

Die Studienberechtigung, auch Hochschulreife genannt, konnte lange Zeit nur über das Abitur an einem Gymnasium erworben werden. Eine erste Öffnung erfolgte im Kaiserreich, als das Abitur an den sogenannten Realgymnasien, in denen man es auch ohne Latein und Griechisch bestehen konnte, im Jahr 1900 als allgemeine Studienberechtigung anerkannt wurde. Heute erwerben immer noch knapp 80 Prozent der Abiturienten ihren Abschluss an einem Gymnasium, aber es gibt weitere Wege: Fachgymnasien, integrierte Gesamtschulen, viele Kollegschulen sowie weitere Möglichkeiten, ohne Abitur unter bestimmten Bedingungen mit einem beruflichen Abschluss wie etwa einer Meisterprüfung zu studieren. Vor allem die Fachhochschulreife wird zum weit überwiegenden Teil an Berufsfachschulen und Fachoberschulen erworben und nur zu 8,4 Prozent an Gymnasien.

Die Zahlen der ersten berufsbefähigenden Abschlüsse – meist Diplom, Magister, heute Bachelor – und der Promotionen spiegeln zum einen die Effizienz des Studiums wider, zum anderen auch Kriegs- oder Arbeitsmarkteinflüsse, wegen denen Abschlüsse aufgeschoben oder aufgegeben werden. Durch die Einführung des Bachelors, der die Studienzeit stark verkürzt, ist aktuell sogar eine Verdoppelung der gesamten Hochschulabschlüsse zwischen 2002 und 2012 eingetreten. Dadurch wird die Akademikerquote stark erhöht, ohne dass dahinter eine gestiegene Bildungsbeteiligung steht. Die Zahl der Promotionen zeigt im Vergleich zu den Studierenden insgesamt den Anteil, der zur wissenschaftlichen Forschung beiträgt. Dieser Anteil hat sich vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute halbiert, das Studium dient heute fast nur der Berufsvorbereitung. (siehe Tab 3)

Die stark gestiegene Anzahl an Studierenden hat nicht in allen Bereichen zu einer entsprechenden Steigerung der Zahl der Professorinnen und Professoren geführt. Die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter und die der nebenberuflich, zum Beispiel über Lehraufträge, als Dozentin oder Dozent tätigen Mitarbeiter ist seit den 1980er Jahren stärker gestiegen als die der hauptamtlichen Professoren. Das zeigt, dass die Ausbildungsfunktion bei allen Hochschulen zusammen stärker geworden ist im Vergleich zur Forschungsfunktion. Frauen haben dabei zunächst vor allem im Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen ihren Anteil steigern können, erst weniger bei den Habilitationen; dazu wird aber auch längere Zeit benötigt, da ja erst in jüngster Zeit annähernd so viele Frauen studieren wie Männer. (siehe Tab 6)

Die vergangenen 150 Jahre der Entwicklung von Bildung und Wissenschaft, und im Besonderen die letzten 60 Jahre, lassen sich insgesamt unter zwei Gesichtspunkten zusammenfassen. Sie stellen eine Erfolgsgeschichte dar, weil das allgemeine Bildungsniveau sehr stark gestiegen ist, mit den positiven Folgen, die Bildung für die Individuen und die Gesellschaft hat: mehr Selbstverantwortung, mehr Wohlstand, mehr Toleranz, mehr Friedfertigkeit. Sie zeigen aber auch, dass trotzdem die soziale Schichtung in Bezug auf die Bildungsabschlüsse hartnäckig stabil geblieben ist, das Wachstum also nicht in gleichem Ausmaß zu besseren Chancen für Bildungsaufstiege geführt hat.