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Die Linke | Linksextremismus | bpb.de

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Die Linke Meinungsbeitrag von Prof. Dr. Eckhard Jesse

Eckhard Jesse

/ 8 Minuten zu lesen

Im Vergleich zur NPD steht Die Linke dem demokratischen Verfassungsstaat näher, glaubt Eckhard Jesse. Dennoch verkörpere die Partei insgesamt einen weichen Linksextremismus.

Prof. Dr. Eckhard Jesse.

Die Frage, ob die Partei Die Linke extremistisch, zum Teil extremistisch oder nicht extremistisch ausgerichtet ist, wird unterschiedlich beantwortet. Selbst die Ämter für Verfassungsschutz sind sich nicht einig. Die SPD befürwortet in den neuen Bundesländern prinzipiell eine Zusammenarbeit mit der Partei (allerdings nicht dann, wenn Die Linke stärker ist), in den alten überlässt sie die Entscheidung nach einem Kurswechsel durch Kurt Beck im Februar 2008 den Landesverbänden. Strikt lehnt sie jede Kooperation auf Bundesebene ab. Oft wird Die Linke kritisiert, weil sie nicht "politikfähig" sei, jedoch wenig die Frage erörtert, wie sie zum demokratischen Verfassungsstaat steht.

Die Linke hat eine lange, aber keineswegs ehrwürdige Tradition. Die SED, die "Staatspartei" in der DDR, 1946 aus der Zwangsvereinigung von KPD und SPD hervorgegangen und lange abhängig von der KPdSU, nannte sich im Dezember 1989 in SED/PDS um, im Februar 1990 in PDS. Sie löste sich in vielen Vorstellungen von der SED, ideologisch, strategisch und organisatorisch. So wurde der "demokratische Zentralismus" Lenins aufgegeben. Zu einer Auflösung der SED konnte sich die PDS nicht entschließen, vermutlich deshalb, weil ihr deren Parteivermögen entzogen worden wäre. Der Grund für die Änderung des Namens 2005 in "Die Linkspartei": Die im Westen zunächst als Verein, dann als Partei nicht zuletzt als Reaktion auf die Hartz-Gesetze ins Leben gerufene "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG) fand sich bereit, auf der Liste der Partei zu kandidieren. Durch die Fusion der Linkspartei mit der WASG am 16. Juni 2007 heißt sie nun "Die Linke". Seinerzeit hatte sie rund 69.000 Mitglieder. Nach einem zeitweiligen Anstieg der Zahl auf 78.000 (Ende 2009) betrug der Mitgliederbestand Ende 2012 nur noch 63.761.

Sie ist mittlerweile (Frühjahr 2013) nur noch in vier westdeutschen Landesparlamenten repräsentiert (Bremen 2011: 5,6 Prozent; Hamburg 2011: 6,4 Prozent; Hessen 2009: 5,4 Prozent; Saarland 2012: 19,1 Prozent), nachdem sie zuvor auch in den Parlamenten von Niedersachsen (2009: 7,1 Prozent), Nordrhein-Westfalen (2010: 5,6 Prozent) und Schleswig-Holstein (2009: 6,0 Prozent) vertreten war. In Bremen und Hamburg konnte sie jeweils erneut in das Parlament des Stadtstaates einziehen.

In den neuen Bundesländern hat die PDS seit 1990 nahezu konstant an Stimmen gewonnen. Allerdings stagniert ihr Anteil mittlerweile. In vier von fünf der Länder liegt sie nach den letzten Landtagswahlen auf dem zweiten Platz: in Thüringen (2009: 27,4 Prozent), in Brandenburg (2009: 27,2 Prozent), in Sachsen-Anhalt (2011: 23,7 Prozent) und in Sachsen (2009: 20,6 Prozent). Nur in der früheren Hochburg Mecklenburg-Vorpommern, wo sie als Juniorpartner der SPD wirkte (1998-2006), nimmt die Partei (2011: 18,4 Prozent) den dritten Rang ein. Zur stärksten "Entzauberung" der Partei führte ihre Regierungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern (2002-2011) und im Lande Berlin (2002-2011), wo sie bei der letzten Wahl 2011 lediglich noch 11,7 Prozent (Ostteil: 22,7 Prozent; Westteil: 4,3 Prozent) erreicht hatte. Seit 2009 ist sie Juniorpartner der SPD in Brandenburg.

Das Ergebnis von 8,7 Prozent bei der Bundestagswahl 2005 erklärt sich wesentlich damit, dass die Partei nicht zuletzt dank des Engagements von Oskar Lafontaine für die WASG nun auch im Westen Achtungserfolge zu erzielen vermochte. Dadurch wurde eine schwarz-gelbe wie eine rot-grüne Koalition verhindert. Und das Resultat von 11,9 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die Regierungspolitik der Großen Koalition gewesen. Die Erfolge der "Kümmerer"-Partei, die 1990, im Jahr der deutschen Einheit, so nicht annähernd abzusehen waren, sagen wenig über den Grad des Extremismus aus. Allerdings weist der Weg der Partei offenkundig nach unten, zumal der "Stimmenfänger" Oskar Lafontaine 2013 nicht mehr in der Bundespolitik "mitwirkt". Populismus und Extremismus müssen sich nicht ausschließen.

Zur Ideologie: Die PDS hatte drei Grundsatzprogramme verabschiedet: 1990, 1993 und 2003. Berief sich die Partei anfangs als ideologischen Gewährsmann eigens auf Lenin, so wurde diese Bezugnahme im Programm von 2003 gestrichen. Die beständige Kritik an den "Kapitalverwertungsinteressen" blieb erhalten. Im Jahre 2004 – auf ihrem Potsdamer Parteitag – versuchte die Partei mit dem Begriff vom "strategischen Dreieck" die unterschiedlichen Interessen auf außerparlamentarische Opposition, parlamentarische Opposition und Regierungspolitik gleichermaßen zu verpflichten: "Für sozialistische Politik nach unserem Verständnis bilden Widerstand und Protest, der Anspruch auf Mit- und Umgestaltung sowie über den Kapitalismus hinaus weisende Alternativen ein unauflösbares strategisches Dreieck." Auf dieses Dreieck kommt Die Linke immer wieder zurück.

In den "Programmatischen Eckpunkten" der Linkspartei und der WASG vom 24./25. März 2007 ist vom "entfesselten Kapitalismus" die Rede: Es werde "immer ungehemmter auch zu barbarischen Methoden der Herrschaft gegriffen." Der Kampf gegen den "Neoliberalismus" stand und steht im Vordergrund. Einen Tag vor dem Vereinigungsprozess äußerte sich der damalige Parteivorsitzende Lothar Bisky in einer Grundsatzrede wie folgt: "Ja, wir diskutieren auch und immer noch die Veränderung der Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse, und auch das unterscheidet eine neue Partei links von der Sozialdemokratie in Deutschland von anderen. Kurz gesagt: Wir stellen die Systemfrage! Für alle von den geheimen Diensten noch einmal zum Mitschreiben. Die, die aus der PDS kommen, aus der Ex-SED und auch die neue Partei DIE LINKE – wir stellen die Systemfrage. Das tun wir nicht in der Plattheit, wie es unsere politischen Gegner darstellen – zurück zum gescheiterten Realsozialismus, so wie es war – und in dem wir alles verstaatlichen wollten oder keinen Platz für erfolgreiche, ökologische und familienorientierte Unternehmen in unserem Denken hätten." Wie das Zitat belegt, bedeutet die Abkehr vom Marxismus-Leninismus noch keine Hinwendung zur freiheitlichen Demokratie.

Das Erfurter Grundsatzprogramm von 2011, ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Strömungen, sprach sich abermals gegen die "kapitalistischen Verwertungsinteressen" aus. Eingangs heißt es klipp und klar: "Wir kämpfen für einen Systemwechsel, weil der Kapitalismus, der auf Ungleichheit, Ausbeutung, Expansion und Konkurrenz beruht, mit diesen Zielen unvereinbar ist." In diesem Zusammenhang ist nicht bloß von der Wirtschaftsordnung die Rede, sondern von den "gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen". Auch die ökologische Frage lasse sich im Kapitalismus nicht lösen – sie sei eine "Systemfrage". Viele andere Forderungen sind nicht extremistisch, wohl aber populistisch, etwa die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Wer das Füllhorn sozialer Wohltaten auszuschütten gedenkt, ist ebensowenig extremistisch, praktiziert aber keine verantwortungsvolle Politik.

Die Auseinandersetzung mit der DDR bleibt nach wie vor halbherzig. Der Antikommunismus wird angeprangert, keineswegs der Kommunismus. So hat die damalige Parteivorsitzende Gesine Lötzsch Anfang 2011 für "Wege zum Kommunismus" geworben. Gemeinsam mit dem anderen Parteivorsitzenden Klaus Ernst hatte sie Glückwünsche an Fidel Castro zu seinem 85. Geburtstag gesandt, die kubanische Diktatur als "Beispiel und Orientierungspunkt für viele Völker dieser Welt" hervorgehoben. Die Linke verurteilt – wie gezeigt – nicht den Kommunismus, sondern den "Stalinismus". Die Schelte wirkt scharf, ist im Kern jedoch apologetischer Natur. Hingegen ist die Partei nicht antisemitisch ausgerichtet. Die massive Kritik an Israel bei einigen Personen basiert vermutlich auf "Antiimperialismus".

Zur Strategie: Die Partei hebt immer wieder die Notwendigkeit außerparlamentarischen Drucks hervor. Zugleich spricht sie sich nicht gegen ein Bündnis mit der SPD und den Grünen aus – bei aller Kritik an diesen Parteien. Die Linke orientiert sich an Rosa Luxemburg, nach der ihre Stiftung benannt ist. Die 1919 ermordete Revolutionärin kritisierte zwar Lenin wegen seines "demokratischen Zentralismus", doch war ihr Plädoyer für "Massenspontaneismus" keineswegs mit den Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates vereinbar. In der deutschen Revolution 1918/19 votierte das Gründungsmitglied der KPD gegen die ungefestigte Demokratie – sie unterstützte den Spartakusaufstand und propagierte die "Diktatur des Proletariats".

Die Linke verfolgt eine antifaschistische Strategie, keine antiextremistische. Das Konzept des Antifaschismus nimmt bei der Partei eine starke instrumentelle Funktion ein. So versuchte sie, im Bundestag und in den Landtagen eine "antifaschistische Klausel" zu verankern. Auf diese Weise will sie gesellschaftliche Reputation erreichen ("Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen"). Tatsächlich muss eine freiheitliche Ordnung Extremismen aller Couleur bekämpfen. Es gibt keinen Repräsentanten der Partei, der die DDR als "Unrechtsstaat" bezeichnet. Dadurch werde das Leben der Menschen delegitimiert, als hätten diese hinter dem "Arbeiter- und Bauernstaat" gestanden.

Zur Organisation: In der Partei wirken Gruppierungen wie die Kommunistische Plattform, die Antikapitalistische Linke, das Marxistische Forum, die offen den demokratischen Verfassungsstaat ablehnen. Die Linke sieht das als gelebten Pluralismus an. Tatsächlich weiß sie, dass ein Ausschluss derartiger Kräfte innerparteilich nicht durchsetzbar ist.

Durch den Zusammenschluss der Linkspartei mit der WASG haben extremistische Kräfte aus dem Westen verstärkt Einfluss gewonnen. Bei dem Göttinger Parteitag im Juni 2012 setzte sich neben Katja Kipping nicht der als Reformer geltende ostdeutsche Dietmar Bartsch durch, sondern der westdeutsche Bernd Riexinger, ein Parteigänger Oskar Lafontaines und Sarah Wagenknechts. Nicht erst dieser Parteitag machte deutlich, dass das Tischtuch zwischen dem einstigen Kommunisten Gregor Gysi und dem einstigen Sozialdemokraten Oskar Lafontaine, der deutlich fundamentalistischer auftritt, zerschnitten war.

Entgegen einer verbreiteten Meinung hatte die von beiden Parteien schnell vorangetriebene Fusion damit keineswegs eine Mäßigung zur Folge. So fungierte die WASG nicht nur als Sammelbecken für desillusionierte Sozialdemokraten des Gewerkschaftsflügels, sondern auch für sektiererische Extremisten: Altkommunisten der orthodoxen Richtung, Trotzkisten, fundamentalistische Antiglobalisierungskritiker.

Manche Verfassungsschutzämter sehen die Partei wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen weiterhin als Beobachtungsobjekt an (zum Teil die ganze Partei, zum Teil einzelne Zusammenschlüsse), manche Ämter überhaupt nicht. Offenbar spielen hier politische Deutungshoheiten hinein. Die Verfassungsschutzberichte erwähnen offen extremistische Strukturen innerhalb der Partei, etwa der "Kommunistischen Plattform" oder dem "Marxistischen Forum". Die engen Verbindungen zu kommunistischen Parteien innerhalb der "Europäischen Linkspartei" sind ein weiterer Stein des Anstoßes. Allerdings ergibt sich folgende Paradoxie: Obwohl sich der Grad des Extremismus bei der Partei seit dem Zusammenschluss eher erhöht hat, ist ihre Erwähnung in den Berichten insgesamt rückläufig. Die Linke hat vor dem Bundesverfassungsgericht eine Klage eingereicht, damit die "Bespitzelung" aufhöre. Sie kündigte an, den Europäischen Menschengerichtshof anzurufen, sollte die Klage scheitern. Das Bundesverwaltungsgericht legitimierte 2010 die Beobachtung der Partei mit öffentlich zugänglichen Informationen. Wichtiger als eine solche Beobachtung ist eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Politikverständnis der Partei. Eine "Wählerbeschimpfung" verbietet sich ohnehin.

In der praktischen Politik, und dies steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den erwähnten Anhaltspunkten, legt die Partei ein hohes Maß an Pragmatismus an den Tag. Vor allem in den neuen Bundesländern übernimmt die Partei Verantwortung. Sektiererische Tendenzen spielen dort eine geringere Rolle. Das Dilemma für die Linke besteht darin: In der Opposition kann sie populistisch Stimmung machen und viele Wähler an sich ziehen, als Regierungspartei ist ihr dieser Weg jedoch vorbei. Mit der Aufwertung als Regierungspartei sind jedoch zugleich beträchtliche Stimmenverluste verbunden.

Im Vergleich zur NPD, die einen harten Rechtsextremismus verficht, ist Die Linke eine Partei, die dem demokratischen Verfassungsstaat näher steht – in ideologischer, strategischer und organisatorischer Hinsicht. In ihr befinden sich allerdings Kräfte, für die die parlamentarische Demokratie kein geeigneter Rahmen zur Überwindung des Kapitalismus bildet. Insofern verkörpert die Partei insgesamt einen weichen Linksextremismus. Zudem bedient sie sich populistischer Ressentiments.

Dr. habil. phil.; geb. 1948; seit 1993 Professor für politische Systeme und politische Institutionen an der Technischen Universität Chemnitz.

Anschrift: TU Chemnitz, 09107 Chemnitz.
E-Mail: eckhard.jesse@phil.tu-chemnitz.de

Veröffentlichungen u. a.: Die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl., Baden-Baden 1997; (zus. mit Uwe Backes) Herausgeber des Jahrbuchs Extremismus Demokratie seit 1989.