Die "neue Rechte" in der Bundesrepublik
Fazit
Das GRECE, das Thule-Seminar, die DESG und all die anderen Bestandteile des neurechten Netzwerks haben den Zenit ihrer Entwicklung längst überschritten. Denn der Grundgedanke des Ethnopluralismus findet sich mittlerweile mehr oder weniger kompakt in allen Programmen des europäischen Rechtsextremismus. Dies gilt insbesondere für das Bedürfnis nach nationaler Identität und völkischer Verwurzelung, für den Hinweis auf die Verschiedenheit der Ethnien und Kulturen und für die Forderung nach Bewahrung dieser Verschiedenheit (nach ihrer Isolierung gewissermaßen) und schließlich für die ethnozentristische Absicht, das eigene Volk über die anderen zu stellen ("Deutschland den Deutschen", "les francais d'abord", "eigen Volk eerst" etc.).Außerdem wurde das Ziel der ethnisch homogenen Volksgemeinschaft mittlerweile mit der sozialen Frage verknüpft. Dazu entwickelte die "neue Rechte" jedoch keine wegweisenden Ideen. In Deutschland wurde die Antiglobalisierungskampagne von der NPD konzipiert und umgesetzt. Und diese Partei wird man kaum der "neuen Rechten" zuordnen - welcher Sichtweise man auch immer folgt.
Die NPD ist gegenwärtig die einzige Gruppierung innerhalb des rechtsextremen Lagers, die das Konzept einer "kulturellen Hegemonie" zielstrebig verfolgt. Ihr Versuch, als Gegenstück zur linken "Frankfurter Schule" (Adorno, Horkheimer, Habermas u.v.a.) eine "Dresdner Schule" zu etablieren, die "volkstreue Theoriearbeit" leistet, war bislang zwar nicht sonderlich erfolgreich, zumal der ehemalige Vordenker der NPD, Jürgen Schwab, die Partei 2005 wegen ihres "intellektuellen Defizits" verließ. Aber es ist den NPD-Ideologen doch gelungen, in das völkisch-nationalistische Parteikonzept eine kapitalismuskritische Dimension zu integrieren. Seither wettert die NPD gegen den "vaterlandslosen Raubkapitalismus", gegen den "entarteten Monopolkapitalismus", gegen den "menschenverachtenden und völkervernichtenden Liberalkapitalismus", der Nationalstaaten und -kulturen zerstöre, um die "Weltdiktatur des großen Geldes" zu errichten. Um den heraufziehenden "Völkerfrühling" zu beschleunigen, behauptet die NPD, "Multikulti bedeutet Sozialabbau", und setzt sich für "Arbeit statt Profite", für die "Erhaltung des Sozialstaats", "gegen Sozialabbau" und für "soziale Gerechtigkeit statt Volksbetrug" ein. Für die Entwicklung des Rechtsextremismus im Nachkriegsdeutschland kann die Verbindung von nationaler und sozialer Frage durchaus als programmatische Innovation gelten. Als "neu" oder gar als besonders originell wird man diese Verbindung mit Blick auf die "Sozialisten" in der NS-Bewegung aber kaum bezeichnen wollen.
Literatur:
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