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"Armee der Einheit" Die Transformation der deutschen Streitkräfte im Zuge der Wiedervereinigung

Rudolf Josef Schlaffer

/ 9 Minuten zu lesen

Mit der deutschen Wiedervereinigung sollten nicht nur zwei Gesellschaften sondern auch zwei Armeen zusammenwachsen. Die Integration der Nationalen Volksarmee der DDR in die Bundeswehr vierlief dabei nicht ohne personelle Härten und außenpolitische Bedenken.

Altes Personal, neue Uniformen: Ein Offizier des 1. Artillerie-Regiments der DDR in Lehnitz bei Oranienburg erhält am 21. September 1990 das rote Barret seiner neuen Uniform der Bundeswehr. (© picture-alliance)

Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. und am 9. Mai 1945 hörten das Deutsche Reich und die deutschen Streitkräfte auf zu existieren. Im Jahr 1949 traten unter Aufsicht der jeweiligen Besatzungsmächte das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in Kraft. Nach mehreren Jahren der konzeptionellen Planung bauten beide deutsche Staaten, integriert in ihre jeweiligen politischen und militärischen Bündnisse (Nordatlantische und Warschauer Vertragsorganisation), ihre Streitkräfte auf: in der Bundesrepublik Interner Link: ab 1955 die Bundeswehr und in der DDR ab 1956 die Nationale Volksarmee (NVA). Interner Link: Während des Kalten Krieges blieben beide Streitkräfte fest in die NATO und den Warschauer Pakt integriert. Auf der einen Seite die NVA als Parteiarmee in einer sozialistischen Diktatur unter sowjetischer Hegemonie, auf der anderen Seite die unter der Führungsmacht USA in die NATO integrierte Bundeswehr als Streitkräfte in der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland.

Mit dem Ende des Kalten Krieges, der Auflösung des Warschauer Pakts sowie der Sowjetunion während und in der Folge der Zäsur von 1989/90 ergab sich die historische Chance der Deutschen Wiedervereinigung. Mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG) zum 3. Oktober 1990 musste fortan auch die NVA aufgelöst und Teile davon in die Bundeswehr integriert werden. Die politische und militärische Führung der Bundeswehr stand vor der Herausforderung, zwei unterschiedlich organisierte und ausgerüstete deutsche Streitkräfte zusammenzuführen. Die Bündnis- und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr galt es ungemindert zu erhalten und auch den berechtigten Ängsten anderer Nationen vor einem nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch starken Deutschland zu begegnen.

Abwicklung der NVA

Wie das gesamte politische System der DDR schob auch die NVA einen beträchtlichen Reformstau in der Ausrüstung und im inneren Zustand vor sich her. Vor allem die "Ghettoisierung" der Soldaten in den Kasernen bei einem sich wandelnden gesellschaftlichen Umfeld hätte eine Reform des Dienstbetriebes erfordert. Nachhaltige Veränderungen verhinderten aber die überalterten Spitzenfunktionäre des Ministeriums für Nationale Verteidigung (MfNV). Den 69-jährigen Verteidigungsminister, Armeegeneral Heinz Kessler, ersetzte ab November 1989 der vorsichtige Reformer, Admiral Theodor Hoffmann. Die neue NVA-Führung glaubte noch Ende 1989, dass sie einige Jahre Zeit hätte, um die Streitkräfte auf einen westlichen Standard zu bringen. Damit hätte es aber weiterhin zwei deutsche Armeen und zwei Ministerien geben müssen. Diese Option war für die Bundesregierung und die Führung der Bundeswehr undenkbar.

Daher musste die DDR-Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière schneller als erwartet abrüsten. Im Jahr 1969 verfügte die NVA noch über 183.000 Soldaten. Bis zum Oktober 1990 reduzierte die neue DDR-Regierung die NVA schließlich von etwa 173.000 Anfang 1989 auf unter 90.000 Soldaten. Deutlich weniger Grundwehrpflichtige wurden einberufen, so dass etwa 50.000 dieser 90.000 Soldaten Freiwillige und Berufssoldaten blieben.

Der "2+4-Vertrag" von 1990/91 gab die Interner Link: Höchstgrenze von 370.000 Soldaten für das wiedervereinigte Deutschland vor. Dazu mussten die Streitkräfte der Bundesrepublik um fast 130.000 Mann reduziert werden, während gleichzeitig ein Teil des Personals und Materials der NVA übernommen werden sollte.

Ein Land, zwei Armeen?

Die Option von zwei Armeen in einem Staat war vor allem außenpolitisch bedeutsam, weil Polen die Stationierung von NATO-Truppen direkt an seiner Grenze zunächst nicht zulassen wollte. Schließlich willigte die polnische Regierung vor allem aufgrund der Bestätigung der deutsch-polnischen Grenze doch ein – nicht zuletzt auch deshalb, weil ansonsten unmittelbar an der polnischen Grenze deutsche Streitkräfte weitgehend ohne internationale Kontrolle und mit einer eigenständigen Führung außerhalb der Bundeswehr gestanden hätten. Dies wäre beim "Zwei-Armeen-Modell" der Fall gewesen.

Der im April 1990 ernannte DDR-Minister für Abrüstung und Verteidigung Rainer Eppelmann strebte eine Auflösung beider Bündnisse des Kalten Krieges an. Am 20. Juli 1990, dem Jahrestag des Interner Link: gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler, ließ er die NVA einen neuen Eid schwören, in dem weder auf den Sozialismus noch auf die Sowjetunion verwiesen wurde. Der sowjetische Staatschef Michael Gorbatschow stimmte indes einer gesamtdeutschen Mitgliedschaft in der NATO zu. Damit waren alle Spekulationen über die weitere Existenz einer ostdeutschen Armee beendet. Die Bundeswehr der Einheit sollte nicht mehr als 370.000 Mann stark sein, gegenüber offiziell 495.000 west- und 173.000 ostdeutschen Soldaten nur zwei Jahre zuvor.

Entlassungswelle und Stasi-Aufarbeitung

Die Offiziere und Unteroffiziere der NVA sahen sich spätestens seit Sommer 1990 gezwungen, sich mit einer Zukunft im zivilen Berufsleben auseinanderzusetzen. Politische Unterstützung für ihre Lage erhielten sie kaum, denn die DDR regierten nunmehr hauptsächlich ehemalige Oppositionelle, welche die NVA als einen wichtigen Teil des Unterdrückungsstaates ablehnten. Die ehemalige Sozialistische Einheitspartei (SED) sicherte sich eine Rolle im vereinigten Deutschland als Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und nahm fortan eine radikal pazifistische Position ein. Auch das Ansehen der NVA-Offiziere und Unteroffiziere in der Mehrheit der Bevölkerung erwies sich als sehr gering, waren doch 99 Prozent der Offiziere auch Mitglieder der SED gewesen.

Die Personalabteilungen der Bundeswehr entließen alle Frauen, Generale und Berufssoldaten der NVA im Alter von über 55 Jahren. Den Bundeswehrsoldaten sollte nicht zugemutet werden, dass ehemalige führende Angehörige der NVA nunmehr als Offiziere in der Bundeswehr dienen sollten. Weiterhin legten die Personalfachleute Kategorien fest, nach denen weder Offiziere der ehemaligen Grenztruppen noch Politoffiziere übernommen werden konnten. Angehörige der Verwaltung Aufklärung, des Auslandsgeheimdienstes der DDR, fanden genauso wenig eine Berücksichtigung wie diejenigen, die als hauptamtliche oder informelle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) tätig waren.

Viele dieser Stasi-Akten blieben erhalten und konnten im Hinblick auf die persönliche Verstrickung in das DDR-System ausgewertet werden. Dennoch hofften etliche, dass ihre Rolle im Spitzelsystem folgenlos bleiben würde. Für die Bundeswehr brachte diese schrittweise Überprüfung manche Probleme mit sich. In den folgenden Jahren mussten daher nicht wenige Offiziere und Unteroffiziere plötzlich aus dem Dienst entlassen werden, weil ihre Stasi-Tätigkeit aufgedeckt wurde. Insgesamt entfernte die Personalführung der Bundeswehr so mehr als 1.500 ehemalige NVA-Soldaten aus dem aktiven Dienst.

Degradierung und Übernahme

Ein zusätzliches Problem stellte die unterschiedliche Dienstgradstruktur dar. Die NVA beförderte Offiziere sehr schnell, die Offiziere der Bundeswehr dagegen unterlagen einer strikten Rangfolge nach Dienstalter. Die Bundeswehr kannte dagegen der Militärtradition vor 1945 folgend ein eigenständiges Unteroffizierkorps, das auch Führungsverantwortung übertragen bekommen hatte. Die NVA verfügte jedoch nur über wenige Spezialisten als Unteroffiziere, so dass viele weniger qualifizierte Tätigkeiten in der NVA von Offizieren erledigt wurden. Daher behielten viele ehemalige NVA-Offiziere ihren Dienstgrad in der Bundeswehr nicht. Diesen bot man daher eine Laufbahn als Unteroffizier an. Eine zusätzliche Alternative bestand in der Laufbahn der Fachdienstoffiziere, die höchstens mit dem Dienstgrad Stabshauptmann abschloss.

Viele betroffene NVA-Soldaten empfanden diese Verfahrensweise als Degradierung und Deklassierung. Aufgrund des Einigungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR verloren alle NVA-Offiziere ihren Dienstgrad. Mit dem Übernahmeangebot akzeptierten sie den Dienstgrad, den sie ihrem Dienstalter entsprechend bei einer regulären Laufbahn in der Bundeswehr erreicht hätten.

Rund 18.000 NVA-Soldaten werden weiterbeschäftigt

Für den Rest des Jahres 1990 wurden die ehemaligen NVA-Angehörigen mit einem speziellen Status weiterbeschäftigt, um in dieser Zeit geeignete Bewerber auszuwählen. Rund 1.000 Soldaten versetzte die Personalführung mit Lohnfortzahlung in den Wartestand, während die anderen 50.000 Berufssoldaten ihren aktiven Dienststatus behielten. 51.000 konnten somit zur Bewerbung für den weiteren Dienst in der Bundeswehr zugelassen werden. Etwa 11.700 bewarben sich für eine Offizierslaufbahn, etwa 12.300 als Unteroffiziere und rund 1.000 wollten in der Mannschaftslaufbahn dienen. Während von den Unteroffiziers- und Mannschaftsdienstgraden mehr als 90 bzw. 80 Prozent der Bewerber übernommen wurden, erhielt nur knapp die Hälfte der Offiziersbewerber ein Übernahmeangebot. Der Rest verließ Ende Dezember 1990 die Bundeswehr.

2.650 Offiziere wurden von einem speziellen Beratungsgremium vergleichbar dem Personalgutachterausschuss (PGA) untersucht. Während der Aufbaujahre der Bundeswehr in den 1950er Jahren hatte der PGA ehemalige Angehörige der Wehrmacht für eine Verwendung in den Spitzenpositionen geprüft. Lediglich in 35 Fällen erhielten die NVA-Angehörigen eine Ablehnung von dem Beratungsgremium.

Exkurs: Aufstellung der BundeswehrDer Personalgutachterausschuss

In den Aufbaujahren der Bundeswehr war es schwierig, erfahrenes Ausbildungs- und Führungspersonal zu rekrutieren, das eine "unbelastete" Vergangenheit hatte. Viele der sich freiwillig Meldenden waren ehemalige Angehörige der Wehrmacht oder anderer Verbände wie der Waffen-SS.

Um sicherzustellen, dass unter den Freiwilligen keine Kriegsverbrecher oder Täter des nationalsozialistischen Regimes waren, setzte das Parlament 1955 per Gesetz den Personalgutachterausschuss ein. Die Mitglieder waren 25 Männer und Frauen aus dem öffentlichen Leben und 13 ehemalige Berufssoldaten der Wehrmacht.

Der Ausschuss sollte zum einen Bewerber für leitende Posten (ab dem Dienstgrad Oberst aufwärts) auf deren persönliche Eignung prüfen, und zum anderen Richtlinien bestimmen, nach denen die übrigen Freiwilligen zur Bundeswehr zugelassen werden sollten. Zu den Eignungskriterien zählten neben charakterlichen Eigenschaften, Bildungsstand und Leistungsfähigkeit vor allem die Belastung der Bewerber im nationalsozialistischen Regime und ihre Einstellung zur Widerstandsgruppe des 20. Juli 1944.

Ausgeschlossen vom Dienst in der Bundeswehr wurden ausdrücklich Kriegsverbrecher, Generale und Oberste der Waffen-SS sowie Mitglieder verfassungsfeindlicher Parteien oder Vereinigungen. Ehemalige Angehörige der SS und des SD durften nur unter "besonderen Umständen" oder mit persönlicher Genehmigung des Bundesverteidigungsministers eingestellt werden. Ebenfalls ausgeschlossen waren u.a. Mitglieder des kommunistischen "Nationalkommitees Freies Deutschland", in dem sich deutsche Kriegsgefangener und Emigranten in der Sowjetunion zusammengeschlossen hatten, und allgemein Mitglieder "politisierender Wehrverbände".

Bis zur Vorlage des Abschlussberichts im Dezember 1957 wurden dem Personalgutachterausschuss durch das Bundesministerium für Verteidigung 553 Bewerbungen zur Prüfung vorgelegt. Davon wurden 470 angenommen, 51 abgelehnt und die restlichen 32 wurden durch den Antragssteller zurückgezogen.

Weiterführende Informationen:

Die Redaktion, 23.06.2014

Die rund 18.000 Soldaten der ehemaligen NVA – etwa 6.000 Offiziere, 11.000 Unteroffiziere und 800 Manschaftssoldaten – wurden zunächst als Zeitsoldaten mit einer Verpflichtungsdauer von zwei Jahren in die Bundeswehr übernommen. Sie erhielten die Option entweder mit Übergangsbeihilfe auszuscheiden oder eine Weiterverpflichtung mit einer späteren Übernahme in das Dienstverhältnis als Berufssoldaten anzustreben. Von 1990 bis zum Jahr 1996 liefen vielfältige Um- und Weiterbildungen für NVA-Offiziere und Unteroffiziere. So mussten sie beispielsweise noch den Offizierslehrgang absolvieren bzw. den Stabsoffiziersgrundlehrgang bestehen.

Bis Ende 1998 reduzierte sich die Zahl der ehemaligen NVA-Angehörigen in der Bundeswehr auf noch 9.300 Soldaten. Von Bedeutung war für die Bundeswehr weniger der relativ geringe Anteil von ehemaligen NVA-Soldaten. Vielmehr rekrutierte sich inzwischen ein beträchtlicher Prozentsatz des Nachwuchses der Streitkräfte aus den neuen Bundesländern. Ehemalige NVA-Offiziere schafften es, die Zulassung für den Generalstabsdienst der Bundeswehr zu erhalten und somit bis in die Spitzenpositionen der militärischen Führung aufzurücken. Als ersten ehemaligen NVA-Offizier beförderte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Januar 2014 Gert Gawellek zum Brigadegeneral.

Nur wenig Militärgerät wird übernommen

Neben dem Personal übernahm die Bundeswehr auch Material. Doch nur wenige Handwaffen und Waffensysteme der NVA konnten in den Streitkräften weiterbenutzt werden. Ein erheblicher Teil des Geräts entsprach nicht den Sicherheitsbestimmungen. Das Sturmgewehr der NVA, das AK-47, verschoss ein Kaliber, das nicht den NATO-Standards entsprach, so dass es ausgesondert werden musste. Die Jagdflugzeuge vom Typ MiG 29 flogen dagegen bis zum Jahr 2004 beim Jagdgeschwader 73 "Steinhoff" in Laage bei Rostock.

Eine geregelte Materialübergabe von der NVA zur Bundeswehr gab es nicht. Vielerorts übernahm die Bundeswehr Waffen, Ausrüstung und Fahrzeuge so wie sie diese vorgefunden hatte. Die Abwicklung des nicht gebrauchten/unbrauchbaren Materials übernahmen zuerst staatliche Organisationen, ab dem Jahr 1995 dann private Unternehmen. Die Treuhandanstalt veräußerte die VEB-Kombinate und damit auch die ehemaligen Rüstungsbetriebe der DDR.

Neues Personal, neue Aufgaben

Bis zum Sommer 1990 hatte sich die Bundeswehrführung nicht ernsthaft mit der Integration von Personal und Material in die Bundeswehr befasst. Es standen somit mehrere Herausforderungen gleichzeitig an: Die "alte" Bundeswehr musste stark reduziert werden, um die international vereinbarte Stärke von 370.000 Soldaten zu erreichen, die NVA aufgelöst und teilweise integriert werden. Zudem verlegte die Bundeswehr - neben der umfangreichen Unterstützung des Abzugs der verbliebenen russischen Truppen aus den neuen Bundesländern bis 1994 - immer mehr Truppen ins Ausland, zuerst in die Türkei während des Irakkrieges von 1991 und später nach Bosnien-Herzegowina, dann in das Kosovo, nach Afghanistan oder in den Kongo.

Mit dem Beitritt der DDR in den Geltungsbereich des Grundgesetzes sollte eine Reform der Wehrverfassung nicht notwendig werden. Somit blieb mit der Bundeswehr über das historisch bedeutsame Jahr 1990 hinaus eine deutsche "Armee der Einheit" bestehen. Jedoch veränderte die Integration von Personal und Material der NVA, die Einberufung von Grundwehrpflichtigen aus den neuen Bundesländern bis zur Aussetzung der Allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 2011 auch das innere Gefüge der Bundeswehr.

Katalysator der "inneren Einheit"

Die Innere Führung als Organisations- und Führungsphilosophie der Bundeswehr, die den in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung lebenden Staatsbürger in Uniform erforderte, erwies sich als derart elastisch, dass auch ehemalige auf den Sozialismus eingeschworene Soldaten sich erfolgreich integrieren konnten. Mit der Praxis, die (Grund-)Wehrpflichtigen aus den neuen in den alten Bundesländern und umgekehrt einzuberufen sowie Bundeswehreinheiten und Wehrverwaltungen in den neuen Bundesländern flächendeckend zu stationieren, wirkte die neue Bundeswehr in den Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung auch als einer der vielen Katalysatoren, um Interner Link: den Prozess der inneren Einheit der Bundesrepublik voranzubringen.

Seit die Auslandseinsätze der Bundeswehr immer mehr in das öffentliche Bewusstsein der Deutschen gelangten, wurden die Streitkräfte eher als "Armee im Einsatz" und immer weniger als "Armee der Einheit" rezipiert. Damit setzte sich eine öffentliche, aber auch bundeswehrinterne Wahrnehmungsänderung aufgrund der sicherheitspolitischen Veränderungen ab dem Jahr 1990 und den damit verbundenen Einsätzen der Bundeswehr durch.

"Armee der Einheit" beschreibt aber nicht das Selbstverständnis einer geeinten Armee, die durch eine gleichberechtigte Synthese zweier deutscher Streitkräfte entstanden war. Die Bundeswehr integrierte vielmehr DDR-Bürger – anteilig auch ehemalige NVA-Soldaten – in ein bereits bestehendes System. Der Schutzbereich der Bundeswehr erweiterte sich damit lediglich auf die neuen Bundesländer. Die NVA wurde vollständig aufgelöst und die Bundeswehr konnte infrastrukturell in den neuen Bundesländern aufgebaut werden. Der Begriff "Armee der Einheit" umschreibt als Terminus die ersten gesamtdeutschen Streitkräfte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von 1990 bis zur Gegenwart.

Quellen / Literatur

Schlaffer, Rudolf J. (2009). Die Bedeutung des Balkans als strategisch-operativer Raum für die Bundeswehr. In: Bernhard Chiari & Gerhard P. Groß (Hrsg.). Am Rande Europas? Der Balkan – Raum und Bevölkerung als Wirkungsfelder militärischer Gewalt (S. 347-363). München: Oldenbourg.

Schlaffer, Rudolf J. (2010). Die Bundeswehr nach 1990: Armee der Einheit und im Auslandseinsatz. Militärgeschichte. Zeitschrift für Historische Bildung, 2010 (3), S. 16-21.

Schlaffer, Rudolf J. (o.J.). Die Bundeswehr nach 1990: Armee der Einheit und im Auslandeinsatz. In: Dokumentation der zweiten Sitzung des deutsch-koreanischen Konsultationsgremiums zu Vereinigungsfragen (S. 743-755). o.O.

Sieg, Dirk (2000). Armee der Einheit 1990-2000. Bundesministerium der Verteidigung. Verfügbar unter: Externer Link: http://www.bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzM...

Fussnoten

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Rudolf Josef Schlaffer für bpb.de

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Weitere Inhalte

Dr. Rudolf Josef Schlaffer ist Offizier und Militärhistoriker am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam. Am ZMSBw leitet er den Projektbereich Einsatzgeschichte und ist Lehrbeauftragter am Historischen Seminar und im Studiengang "Military Studies" der Universität Potsdam. Er hat zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen Militärgeschichte vorgelegt.