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Westsahara-Konflikt: Der "Grüne Marsch" 1975 | Hintergrund aktuell | bpb.de

Westsahara-Konflikt: Der "Grüne Marsch" 1975

Redaktion

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Am 6. November 1975 überschritten unbewaffnete Marokkaner die Südgrenze ihres Landes in die damalige spanische Kolonie Westsahara. In der Folge beanspruchte Marokko weite Teile der dünn besiedelten Region. Bis heute ist der völkerrechtliche Status Westsaharas umstritten.

Ein Marokkaner küsst am 6. November 1975 nach der Überquerung der Grenze den Boden von Spanisch-Sahara (später: Westsahara). Rund 350.000 marokkanische Zivilisten nahmen, ausgerüstet mit dem Koran und marokkanischen Flaggen, an dem von König Hassan II. initiierten "Grünen Marsch" teil. (© picture-alliance/dpa)

Der sogenannte Grüne Marsch wurde von der marokkanischen Regierung veranlasst mit dem Ziel, die eigenen Ansprüche auf die damalige Interner Link: Kolonie Spanisch-Sahara (heute: Westsahara) zu untermauern. Das Gebiet sollte nach dem absehbaren Ende der Kolonialherrschaft dem marokkanischen Staatsterritorium angegliedert werden. Im Oktober 1975 kündigte Marokkos König Hassan II. an, 350.000 unbewaffnete Zivilisten auf einen "Friedensmarsch" in die Westsahara schicken zu wollen. Dieser Marsch begann am 6. November 1975. Zuvor war das marokkanische Militär bereits in das nordöstliche Grenzgebiet Westsaharas vorgedrungen.

Der Grüne Marsch führte nur wenige Kilometer auf westsaharisches Territorium. Er löste intensive diplomatische Verhandlungen zwischen Marokko, Spanien und Mauretanien aus, in die sich auch die Vereinten Nationen einschalteten.

Die Dekolonisierung Westsaharas

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren viele ehemalige europäische Kolonien unabhängig geworden. So auch Marokko, das bis 1956 unter französischer und spanischer Herrschaft stand. Lediglich die Enklaven Ceuta und Melilla (sowie bis 1969 auch Sidi Ifni) verblieben Teil des spanischen Staatsgebiets. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen forderte Spanien am 16. Dezember 1965 in Externer Link: Resolution 2072 dazu auf, auch die Kolonie Westsahara in die Unabhängigkeit zu entlassen und der Bevölkerung das Recht auf Selbstbestimmung zu gewähren.

Aufgrund des zunehmenden internationalen Drucks und des bewaffneten Widerstands der 1973 gegründeten Befreiungsbewegung Polisario (kurz für: Frente Popular de Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro) kündigte Spanien an, in der Westsahara ein Referendum über die Unabhängigkeit durchzuführen. Die benachbarten Staaten Marokko und Mauretanien erhoben ihrerseits Gebietsansprüche auf Westsahara und wandten sich 1974 an die UN-Vollversammlung. Diese forderte in Externer Link: Resolution 3292 Spanien auf, das Referendum zu stoppen. Zugleich wurde der Interner Link: Internationale Gerichtshof in Den Haag damit betraut, die Gebietsansprüche von Spanien, Mauretanien und Marokko in Westsahara zu untersuchen.

Karte von Westafrika mit Marokko und von Marokko kontrollierte Gebiete in Westsahara sowie angrenzende Staaten. (von TUBS via Externer Link: Wikimedia Commons, Bearbeitung (=Beschriftung) durch bpb) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs

Der Internationale Gerichtshof stellte in seinem Externer Link: Gutachten am 16. Oktober 1975 fest, dass in der Vergangenheit zwar rechtliche Bindungen von Marokko und Mauretanien zur Westsahara bestanden hätten, wies jedoch territoriale Herrschaftsansprüche beider Staaten zurück. Die Bevölkerung der Westsahara sollte stattdessen in einer Volksabstimmung über ihre Unabhängigkeit entscheiden dürfen. Noch am selben Tag erklärte König Hassan II. öffentlich, der Internationale Gerichtshof habe die historisch begründeten Ansprüche Marokkos auf die Westsahara bestätigt.

Am 6. November fand schließlich der Grüne Marsch statt, bei dem nur ein Teil der Marschierenden tatsächlich die Grenze zur Westsahara überschritt. Die Demonstration wurde von der spanischen Regierung geduldet, die die nördliche Grenzregion zu diesem Anlass geräumt hatte. Nach wenigen Tagen beendete Hassan II. den Grünen Marsch.

Teilung und Westsaharakrieg

Am 14. November 1975 erklärte sich Spanien im Vertrag von Madrid bereit, Marokko und Mauretanien bis zum endgültigen Ende der spanischen Kolonialherrschaft an der Verwaltung der Westsahara zu beteiligen. Danach sollte Marokko die nördlichen zwei Drittel des Landes, Mauretanien das verbleibende Drittel übernehmen. Im Gegenzug erhielt Spanien Fischfangrechte und Bergbauanteile. Eine Klärung der endgültigen Souveränität Westsaharas enthielt der Vertrag nicht. Im Februar 1976 zog sich Spanien völlig aus Westsahara zurück.

In der Folge berief Marokko in Westsahara eine gesetzgebende Versammlung (djemaa) ein, deren Mehrheit das Abkommen zwischen den drei Staaten ratifizierte. Damit wurde der Forderung nach Selbstbestimmung der Bevölkerung Westsaharas zumindest formal nachgekommen. Die Polisario jedoch widersprach der vereinbarten Aufteilung des Landes durch Marokko und Mauretanien. Seit Beginn der militärischen Besetzung durch die beiden Staaten im Dezember 1975 war es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Am 27. Februar 1976 rief die Polisario die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) aus und gründete wenige Tage später eine Exilregierung in Algerien. Unterstützt von Algerien, wohin ein erheblicher Teil der westsaharischen Bevölkerung geflüchtet war, führte sie einen jahrelangen Krieg gegen Marokko und Mauretanien.

Nachdem Mauretanien im August 1979 einen Friedensvertrag mit der Polisario schloss und sich aus dem Südteil der Westsahara zurückzog, besetzten marokkanische Truppen auch diesen Teil des Landes. Seine Gebietsansprüche in Westsahara festigte Marokko mit einem in den 1980er-Jahren errichteten, mehr als 2.000 Kilometer langen Systems von Schutzwällen. Es kontrolliert damit bis heute rund 85 Prozent des Territoriums. Offiziell herrscht seit 1991 ein Waffenstillstand zwischen Marokko und der Polisario, der von der UN-Mission Externer Link: MINURSO (United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara) überwacht wird. Ein bereits für 1992 geplantes Referendum über die Zukunft Westsaharas scheitert bis heute am Streit zwischen Marokko und der Polisario über die Abstimmungsberechtigten.

Marokkanische Sicherheitskräfte reißen im November 2010 ein Protest-Camp am Rande von Laayoun, der Hauptstadt der Westsahara ab. Bei der Räumung des Zeltlagers werden mehrere Menschen, darunter auch Polizisten, getötet. (© picture-alliance/dpa)

Völkerrechtlicher Status und Menschenrechte

Der völkerrechtliche Status der Westsahara ist bis heute ungeklärt. Die 1976 ausgerufene Demokratische Arabische Republik Sahara wird laut einer Externer Link: Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages von einigen afrikanischen und südamerikanischen Staaten anerkannt. Genaue Zahlen sind schwer ermittelbar und schwanken im Zeitverlauf. Weder die Bundesrepublik Deutschland noch ein Staat der Europäischen Union erkennen die DARS an. Die EU unterhält mit Marokko ein Partnerschaftliches Fischereiabkommen, dass auch Fischfangrechte für die Gewässer vor der westsaharischen Küste beinhaltet.

Marokko wird von Menschenrechtsorganisationen regelmäßig für seinen Umgang mit der westsaharischen Bevölkerung kritisiert. Laut Externer Link: Human Rights Watch und Externer Link: Amnesty International unterbindet Marokko jede öffentliche Versammlung, Organisation und Berichterstattung, von der es seinen Anspruch auf Westsahara gefährdet sieht. Westsaharische Unabhängigkeits-Aktivisten werfen Marokko Polizeigewalt und vereinzelt Folter vor.

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