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Vor 85 Jahren: Nazis bauen Macht der Gestapo aus | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 85 Jahren: Nazis bauen Macht der Gestapo aus

Redaktion

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Am 30. November 1933 trat das zweite "Gestapo-Gesetz" in Kraft, mit dem das Geheime Staatspolizeiamt in Preußen zu einem reichsweiten Terror-Instrument ausgebaut werden konnte - hin zu einer politischen und rassistischen Geheimpolizei ohne jede juristische Kontrolle.

"Gestapa" war eine zunächst postalische Abkürzung für "Geheimes Staatspolizeiamt" – dies war die Politische Polizei und Geheimpolizei der Nationalsozialisten. "Gestapo" wurde zur Kurzform für "Geheime Staatspolizei". Sie wurde unmittelbar nach der Machtergreifung per Gesetz im Februar 1933 gegründet, zunächst mit dem Ziel, politische Gegner einzuschüchtern und auszuschalten. Darüber hinaus wurde die Gestapo auch zu einer in ihrem Selbstverständnis rassistischen Polizei und zu einem Teil des Vernichtungsapparats der Nazis.

Gestapo-Gefängnis im KZ Theresienstadt. Die Gestapo und die Konzentrationslager waren zentrale Elemente des Unterdrückungs- und Vernichtungsapparats der Nazis. (© picture-alliance, arkivi)

Das bereits Ende Februar 1933 wesentlich verschärfte Instrument der "Schutzhaft" ermöglichte es der Gestapo, Gegner unbegrenzt in Schutzhaftlager und Konzentrationslager (KZs) einzuweisen. Die "Schutzhaftbefehle“ zu zeitlich unbefristeter Polizeihaft in KZs trugen den Briefkopf der Politischen Polizei. Ohne irgendeine Aktion getätigt zu haben, konnten Menschen zu "objektiven" Gegnern bzw. Staatsfeinden erklärt werden. Dies betraf zunächst Vertreter und Anhänger von oppositionellen Parteien, seien es Kommunisten oder Sozialdemokraten sowie Gewerkschaftler, darüber hinaus auch rassistisch definierte "Gemeinschaftsfremde" und "Asoziale" und von Beginn an auch Juden. In den ersten beiden Jahren ihres Bestehens wurden etwa 35.000 Menschen in SA-, SS- und Gestapo-Haftanstalten inhaftiert und erlitten Folterungen, hunderte von ihnen wurden getötet, 1938 schwoll ihre Zahl auf zeitweise 60.000 Inhaftierte an.

Völkisches Machtinstrument der Nazis

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurde die Gestapo in die Besatzungsregime der von der Wehrmacht eroberten Gebiete eingebunden. Sie war für die Verfolgung von politischen Gegnern, Erschießungsaktionen, vor allem von Geiseln, den Mord an Juden in Gaswagen verantwortlich. Ein eigenes Referat in der Berliner Gestapo-Zentrale unter Adolf Eichmann ordnete die Deportationen in Gettos und Vernichtungslager an und organisierte deren Durchführung. Auch im Deutschen Reich erhielt die Gestapo im Rahmen verschiedener Kriegssonderrechte größere Aufgabenbereiche und Vollmachten, gegen angebliche "Volksfeinde" oder "Volksschädlinge" vorzugehen, so der NS-Jargon.

Von SS und Gestapo am 10. November 1944 in Köln gehängte Jugendliche, die als unangepasst galten, weil sie Swing und Jazz hörten und der subkulturellen Widerstands-Bewegung der "Edelweißpiraten" zugeordnet wurden. (© picture-alliance, Mary Evans Picture Library)

Zur Geschichte der Gestapo

Unmittelbar nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler und die NSDAP am 30. Januar 1933 hatten die Nationalsozialisten mit der Verfolgung ihrer Gegner begonnen. Eine zentrale Rolle spielte dabei die bisherige "Preußische Politische Polizei", die schon in der Weimarer Republik zur Aufklärung von Straftaten mit politischem Hintergrund existierte. Sie wurde nun aufgelöst und in das "Geheime Staatspolizeiamt" überführt, alle dort als "politisch zuverlässig" geltenden Mitarbeiter wurden behalten. Anfang 1934 waren dies in Preußen etwa 1.700, darunter 1.000 Beamte, zu Kriegsbeginn reichsweit 7.000 und zum Kriegsende 25.000. Hinzu kamen V-Leute, die in oppositionelle Gruppen eindrangen und Informanten, wie Blockwarte und Postboten. Das sparte Personal. Unter den Gestapo-Beschäftigten waren in den Jahren 1933 bis 1945 auch mehrere 1.000 bis zu 10.000 Frauen, die aber nicht im Exekutivdienst tätig waren, sondern als Bürokräfte in der Verwaltung und nicht in Führungspositionen.

Innerhalb der NS-Spitze kam es in der Anfangszeit zu einem Konkurrenzkampf zwischen den führenden NS-Kadern Hermann Göring und Heinrich Himmler. Es ging um die Frage, wer die Polizei im "Dritten Reich" führen durfte und die größtmögliche Macht bei der staatlichen Terror-Organisation bekam. Göring war in Personalunion der von Hitler eingesetzte kommissarische Innenminister und Ministerpräsident Preußens, Himmler leitete zunächst landesweit die nationalsozialistische Schutzstaffel SS.

Himmler setzte sich gegen Göring durch

Zunächst zog Göring die Regie an sich: Er begründete am 26. April 1933 mit dem ersten Gestapa-Gesetz in Berlin das preußische "Geheime Staatspolizeiamt" (Gestapa) mit Sitz in der Prinz-Albrecht-Straße 8. Die Gründungsurkunde unterzeichnete zunächst gesetzeswidrig Adolf Hitler als Reichskanzler, strich dann aber seinen Namen durch und es unterzeichnete "für den Reichskanzler der Preußische Ministerpräsident Hermann Göring". Wörtlich hieß es in Paragraf eins:

"Zur Wahrnehmung von Aufgaben der politischen Polizei neben den oder anstelle der ordentlichen Polizeibehörden wird das geheime Staatspolizeiamt mit dem Sitz in Berlin errichtet."

Die Politische Polizei arbeitete von nun an nun als eine eigenständige polizeiliche Sonderbehörde, aber noch als Teil der Verwaltung und blieb dem preußischen Innenminister unterstellt. Diese Zuordnung änderte sich mit dem zweiten Gesetz über die geheime Staatspolizei vom 30. November 1933. Es bestimmte:

„Die Geheime Staatspolizei bildet einen selbstständigen Zweig der inneren Verwaltung. Ihr Chef ist der Ministerpräsident“

Zugleich erhielt die Politische Polizei "in den Angelegenheiten der geheimen Staatspolizei" Weisungsbefugnis über die Landes-, Kreis- und Ortspolizeibehörden. Diese hätten "den Weisungen des Geheimen Staatspolizeiamts Folge zu leisten" hieß es in Paragraf drei. Die genauen Befugnisse wurden in Paragraf zwei mit großem Freiraum definiert:

"Zum Aufgabengebiet der Geheimen Staatspolizei gehören die von den Behörden der allgemeinen und der inneren Verwaltung wahrzunehmenden Geschäfte der politischen Polizei. Welche Geschäfte im einzelnen auf die Geheime Staatspolizei übergehen, wird durch den Ministerpräsidenten als Chef der Geheimen Staatspolizei bestimmt".

Göring versuchte damit, seine Position im Kompetenz-Streit mit dem SS-Reichsführer Heinrich Himmler zu stärken. Der hatte Mitte März 1933 die Führung der gesamten Politischen Polizei Bayerns übernommen und erreicht, dass ihm das Konzentrationslager Dachau unterstellt wurde. Ihm gelang es zudem, von Bayern aus allmählich auch die Zuständigkeit für die politischen Polizeien der nicht-preußischen Länder zu erhalten.

Die führenden Köpfe der Gestapa bzw. Gestapo in ihrer Anfangszeit: Hermann Göring, Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich am 12. Januar 1938 in Berlin (© picture-alliance, Everett Collection)

Im April 1934 setzte sich Himmler endgültig gegen seinen Widersacher Göring durch: "In einer unerhörten Großzügigkeit" habe dieser ihm "die Geheime Staatspolizei Preußens" übergeben, sagte Himmler später. Er wechselte mit seinem engsten Mitarbeiter, dem SS-Mann Reinhard Heydrich, nach Berlin und kontrollierte nun auch die Politische Polizei Preußens, des größten Landes des Deutschen Reiches. Am 2. Mai 1934 wurde in der Prinz-Albrecht-Str. 8 eine neu geschaffene Koordinationsstelle eingerichtet, das "Zentralbüro des Politischen Polizeikommandeurs der Länder", in der Heinrich Himmler seine Länderkompetenzen zu einer „faktischen Reichskompetenz“ bündelte.

Geheime Staatspolizeiämter mit weitreichenden Kompetenzen waren in allen Ländern eingerichtet worden. Beispielsweise definierte in Thüringen am 13. Dezember 1933 eine "Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Errichtung eines Geheimen Staatspolizeiamtes" dessen Befugnisse, wie folgt:

"Zu erforschen und zu bekämpfen sind insbesondere staatsfeindliche oder staatsgefährliche Umtriebe wie Hoch- und Landesverrat einschließlich Werkspionage, Ausspähung oder Verrat militärischer Geheimnisse und Zersetzungstätigkeit in Reichswehr und Polizei, Sprengstoff-Funde, Sprengstoffanschläge und Sprengstoffdiebstähle, politische Gewalttaten, dabei insbesondere Landfriedensbruch".

Zu ahnden seien aber auch Verstöße gegen das "Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933". Außerdem sei die Gestapa zuständig

"...für die Anordnung der polizeilichen Sicherungsverwahrung bis zur Dauer von 14 Tagen sowie für Anordnungen, die Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis nach Maßgabe des § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (RGBl. I S. 83) darstellen".

Terror-Apparat ohne Kontrolle

Mit einem dritten Gesetz zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) vom 10. Februar 1936 wurde dann für staatspolizeiliche Aktionen jegliche juristische Kontrolle aufgehoben. Im Paragraf sieben hieß es:

"Verfügungen und Anordnungen der Geheimen Staatspolizei unterliegen nicht der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte."

Die Gestapo brauchte sich damit an keine Gesetze mehr zu halten.

Zur Aufgabenbeschreibung hieß es wörtlich in Artikel 1 des Gesetzes:

„§ 1. (1) Die Geheime Staatspolizei hat die Aufgabe, alle staatsgefährlichen Bestrebungen im gesamten Staatsgebiet zu erforschen und zu bekämpfen, das Ergebnis der Erhebungen zu sammeln und auszuwerten, die Staatsregierung zu unterrichten und die übrigen Behörden über wichtige Feststellungen auf dem laufenden zu halten und mit Anregungen zu versehen. Welche Geschäfte im Einzelnen auf die Geheime Staatspolizei übergehen, bestimmt der Chef der Geheimen Staatspolizei im Einvernehmen mit dem Minister des Innern.“

Heinrich Himmler (r.) neben Adolf Hitler und SA-Chef Viktor Lutze 1935 bei einer Heldenehrung auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände (© picture-alliance, arkivi)

Im Juni 1936 wurde Himmler auch zum generellen "Chef der Deutschen Polizei" ernannt. "Sogleich strukturierte er den Polizeiapparat um, fasste Kriminalpolizei und Geheime Staatspolizei in einem Hauptamt Sicherheitspolizei zusammen, das von Reinhard Heydrich geleitet wurde, und unterstellte die übrige Polizei in einem Hauptamt Ordnungspolizei dem altgedienten SS-Obergruppenführer Kurt Daluege", beschreibt der Historiker Michael Wildt.

Aufgabenfeld "rassische Generalprävention"

Polizei und SS wurden auf diese Weise eng miteinander verflochten. Die staatliche Polizeiarbeit war kaum mehr zu unterscheiden vom parteipolitischen Terror der SS, die als "Parteipolizei" zur NSDAP gehörte. Das war durchaus Absicht. "Die Polizei hat das deutsche Volk als organisches Gesamtwesen, seine Lebenskraft und seine Einrichtungen gegen Zerstörungen und Zersetzung zu sichern. Die Befugnisse einer Polizei, der diese Aufgaben gestellt sind, können nicht einschränkend ausgelegt werden", formulierte Himmler bei einem öffentlichen Auftritt im Mai 1937. Für die "weltanschauliche Schulung" ließ er eine Reihe von Schulungseinrichtungen aufbauen, u.a. die "Führerschule der Sicherheitspolizei" in Berlin-Charlottenburg. Für die Nationalsozialisten ging es nicht nur um die Ausschaltung der politischen Opposition, sondern um eine umfassende "rassische Generalprävention". Alles, was nicht "arisch" sei, sollte bekämpft werden. So überwachte die Gestapo auch die Einhaltung der "Nürnberger Rassegesetze" und verschleppte im Verlauf der Novemberpogrome 1938 tausende Juden.

Dieses völkische Selbstverständnis hatte maßgeblich der langjährige Gestapo-Justitiar Werner Best geprägt, der die Politische Polizei als "Arzt am Volkskörper" definierte. "Keime" sollten mit "jedem geeigneten Mittel beseitigt werden. Das ist die Idee und der Ethos der Politischen Polizei im völkischen Staat unserer Zeit". So wurden zunehmend auch Sinti und Roma, Homosexuelle und "Erbkranke" von der Gestapo verfolgt. Himmler ließ weitere Konzentrationslager wie Sachsenhausen, Buchenwald, Flossenbürg und Neuengamme errichten. Während im KZ Dachau weiterhin vor allem politische Häftlinge eingesperrt wurden, kamen in den neuen Lagern Menschen in Haft, die nach sogenannten rassenbiologischen Kriterien ausgewählt wurden.

Am 27. September 1939 wurde mit Erlass Himmlers das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) gegründet - rund drei Wochen nach Beginn des Zweiten Weltkrieges. Es bündelte die Arbeit der nationalsozialistischen Sicherheitspolizei (Sipo), des Sicherheitsdiensts (SD), dem Reichskriminalpolizeiamt sowie der Gestapo. Dieser bislang beispiellose Machtsicherungsapparat wurde Reinhard Heydrich unterstellt.

Konzipiert zur "Gegnererforschung und -verfolgung". Aus einer Anlage zum Geschäftsverteilungsplan des Reichssicherheitshauptamts der Gestapo von 1944, die Organisation des Amtes IV (Geheimes Staatspolizamt Gestapo) betreffend. (© Ausstellung Topografie des Terrors Berlin)

Heydrich hatte 1939 – mit dem vorgeblichen Überfall polnischer Truppen auf den deutschen Sender Gleiwitz – den Vorwand für den deutschen Angriff auf Polen organisiert. Kurz darauf wurde Heydrichs Stellvertreter Heinrich Müller neuer Chef der Gestapo, die ab Oktober 1939 als "Abteilung IV" des Reichssicherheitshauptamtes geführt wurde, Müller war zu diesem Zeitpunkt SS-Oberführer und Generalleutnant der Polizei und befehligte die "Sonderbehandlung" (Ermordung) politischer Gegner.

Durchführung der "Endlösung“

Angehörige der Gestapo in Paris (© picture-alliance, Mary Evans Picture Library)

8. April 1945: Gestapo und SS haben in Wien Florisdorf drei vermeintliche Widerstandskämpfer standrechtlich hinrichten lassen: Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth und Oberleutnant Rudolf Raschke. (© picture-alliance, IMAGNO)

In den besetzten Gebieten übernahm die Gestapo die Kontrolle und unterdrückte jeden Widerstand. Mit Reinhard Heydrich waren Reichssicherheitshauptamt und Gestapo im Januar 1942 auch bei der Wannseekonferenz vertreten und forcierten europaweit die "Endlösung der Judenfrage". Im sogenannten Juden-Referat der Gestapo organisierte Adolf Eichmann die Deportationen der Juden Europas in die Vernichtungslager. Gestapo-Beamte beteiligten sich auch an den Morden der "Einsatzgruppen" in der Sowjetunion und in Polen.

Im Reichsgebiet blieb die Gestapo ebenfalls weiterhin aktiv. Sie überwachte die Millionen Zwangsarbeiter, um Sabotageakte zu verhindern. Nach dem Attentatsversuch auf Hitler am 20. Juli 1944 verfolgte Gestapo-Chef Müller die verdächtigten Verschwörer.

In den letzten Kriegswochen mordeten Gestapo-Trupps im Zusammenspiel mit SD und SS als "fliegende Standgerichte", unter ihren Opfern waren zu diesem Zeitpunkt vor allem Widerstandskämpfer und Deserteure.

Es ist schwer, eine genaue Zahl der Todesopfer zu beziffern, die auf Gestapo-Handeln zurückzuführen sind. Sicherlich kam eine mittlere einstellige Millionenzahl von Menschen durch den Terror der Gestapo ums Leben. Vor allem Slawen, Juden, politische Gegner in den besetzten Ländern, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter waren die größten Opfer-Gruppen.

Wiedereinstellungen nach Schonfrist

Opfer der NS-Mordmaschinerie, dokumentiert von US-Soldaten am 12. April im Lager Mittelbau-Dora in Nordhausen 1945, einem Konzentrationslager der Gestapo für politische Gefangene und Zwangsarbeiter. Mehrere Tausend Gefangene starben an Entkräftung und Unterernährung, andere wurden durch SS und Gestapo erschossen. Die Gestapo konnte Menschen inhaftieren, ohne dass ein Richter, Staatsanwalt oder Verteidiger dies verhindern konnte. Bürger aus der Umgebung wurden nach der Befreiung Nordhausens in das Lager geführt, um Augenzeugen der Gräueltaten zu werden und um Überlebenden zu helfen. (© dpa picture-alliance / Photoshot (Original-Picture by Myers / Lightroom Photos / US Army))

Nach Kriegsende standen Gestapo-Angehörige ganz oben auf den alliierten Fahndungslisten gesuchter Nationalsozialisten. Einige konnten sich mit gefälschten Papieren über sogenannte Rattenlinien ins Ausland absetzen. Bei den Nürnberger Prozessen wurde die Gestapo als verbrecherische Organisation eingestuft. Die Mehrheit der Gestapo-Beamten kam für durchschnittlich drei Jahre in Haft und wartete auf ihre Entnazifizierung. Wer von den sogenannten Spruchkammern als "Belasteter" eingestuft wurde, erhielt zunächst keine neue Anstellung im öffentlichen Dienst.

Das änderte sich 1951: Der in das Grundgesetz eingefügte Artikel 131 über "Ehemalige Angehörige des öffentlichen Dienstes" erleichterte die Wiederanstellung von Belasteten. Zwar wurden frühere Gestapo-Angehörige von dieser Regelung ausdrücklich ausgenommen, aber es gab ein Schlupfloch: Wer "von Amts wegen" zur Gestapo versetzt worden war, fiel großzügig unter die Neuregelung. Die Gestapo war fast komplett durch die Versetzung von Beamten aus anderen Abteilungen der Polizei entstanden.

Die Folge: Im Verlauf des Interner Link: Kalten Kriegs kehrten zahlreiche ehemalige Gestapo-Mitarbeiter in den Polizeidienst zurück. Ihre Erfahrung als Ordnungskräfte war gefragt. So bestand die erste Führung des Bundeskriminalamtes zu einem erheblichen Teil aus früheren Gestapo-Mitarbeitern und SS-Führern. Aber auch in der DDR kam es nur sporadisch zur Bestrafung ehemaliger Gestapo-Angehöriger, die meisten kamen straffrei davon, sofern sie sich mit der neuen Ordnung arrangierten.

Kriegsgefangene Gestapo-Angehörige in Straßburg am 23. November 1944 auf dem Weg in ein französisches Internierungscamp. (© picture-alliance, Usis-Dite/Leemage)

Andere Länder nutzten sogar Nazi-Know-how, dazu zwei Beispiele: Der Gestapo-Führer und Kriminalrat Horst Kopkow, seinerzeit in der NS-Spionageabwehr tätig, arbeitete nach dem Krieg vier Jahre beim britischen Geheimdienst "MI6", bevor er mit einer neuen Identität ausgestattet nach Deutschland zurückkehrte. Zur NS-Zeit war er u.a. verantwortlich für das Ausschalten von Spionen und leitete die Ermittlungen gegen die Hitler-Attentäter von 1944. Der US-Geheimdienst beschäftigte den Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, der den Résistance-Chef Jean Moulin zu Tode gequält hatte. Zeitweise arbeitete der Gestapo-Mann auch für den Bundesnachrichtendienst BND.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe: www.bpb.de/izpb/137221/verfolgung?p=all

  2. Elisabeth Kolhaas (Universität Leipzig) über „(Mit-)Täterschaft - Frauen bei der Gestapo, zitiert nach: https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-1916

  3. Siehe: www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/gallery121923322/Die-Gruendungsakte-der-Gestapo.html

  4. Johannes Tuchel, Reinold Schattenfroh: Zentrale des Terrors. Prinz-Albrecht-Str. 8. Das Hauptquartier der Gestapo. Berlin 1987, S. 84.

  5. Gräfe, Post, Schneider; Die Geheime Staatspolizei im NS-Gau Thüringen 1933 - 1945, Erfurt 2009, S. 74, auch online: https://www.lzt-thueringen.de/files/uellenb_gestapo-1.pdf, S. 74

  6. Quelle: http://histox.de/wp-content/files/1936-02-10G_Gestapo.pdf

  7. Siehe: www.bpb.de/izpb/137221/verfolgung?p=all

  8. vgl.Ulrich Herbert; Von der Gegnerbekämpfung zur "rassischen Generalprävention" - Schutzhaft und Konzentrationslager in der Konzeption der Gestapo-Führung 1933-1939, in: ders./Karin Orth/Christoph Dieckmann (Hg.); Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, Entwicklung und Struktur, Bd. I, Göttingen 1998.

  9. Carsten Dams, Michael Stolle, Die Gestapo, München 2008, S.42 43

  10. Siehe: www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/stasi/224017/stasi-gestapo

  11. Carsten Dams, Michael Stolle, Die Gestapo, München 2008, S. 181/182

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