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Vor 25 Jahren: Eröffnung des Eurotunnels | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 25 Jahren: Eröffnung des Eurotunnels

Redaktion

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Am 6. Mai 1994 wurde der Tunnel unter dem Ärmelkanal, der Frankreich und Großbritannien miteinander verbindet, offiziell eröffnet. Seitdem wird ein erheblicher Teil des Handels mit Großbritannien über den Eurotunnel abgewickelt. Daran soll sich auch nach dem Brexit nichts ändern.

Bis der Eurotunnel 1994 feierlich eröffnet werden konnte, dauerte es mehrere Jahrhunderte. Heute ist er ein wichtiger Pfeiler der europäischen Infrastruktur und auch für die deutsche Exportwirtschaft von enormer Bedeutung. (© picture-alliance/dpa)

Eine feste Landverbindung zwischen England und Frankreich – mit dieser Idee beschäftigte sich bereits Mitte des 18. Jahrhunderts der französische Geologe Nicolas Desmarest, allerdings noch ohne konkrete Baupläne. Diese stellte im Jahr 1802 der Bergwerksingenieur Albert Mathieu-Favier erstmals vor. Sein Ziel: Mit der Postkutsche sollte man in fünf Stunden vom französischen Calais nach Dover in Südengland reisen können – durch einen Kanaltunnel.

Etwa 192 Jahre später, am 6. Mai 1994, wurde der Eurotunnel schließlich Realität. Für die 50 Kilometer lange Strecke benötigen Hochgeschwindigkeitszüge ("Eurostar“) heute etwas mehr als eine halbe Stunde. So beförderten sie 2018 etwa 11 Millionen Passagiere. Ebenso viele Menschen befuhren den Tunnel in Autos oder Lastwagen, die auf Autozügen transportiert werden. Doch bis dahin war es ein langer Weg.

Briten fürchteten Invasion

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das Projekt vor allem aufgrund politischer Spannungen zwischen London und Paris nicht ernsthaft weiterverfolgt. Alle Vorstöße, einen Tunnel zwischen der Insel und dem Kontinent zu realisieren, scheiterten bis in die 1880er-Jahre an britischen Ängsten vor einer französischen Invasion.

Erst im Jahr 1955 gab das britische Verteidigungsministerium grünes Licht: Aus militärischer Sicht gebe es gegen einen Tunnel keine Bedenken mehr. Doch trotz einer erfolgversprechenden Machbarkeitsstudie und einer Vereinbarung zwischen der britischen und französischen Regierung scheiterte das erste Bauprojekt 1975 an der schlechten Haushaltslage in Großbritannien.

Private Investoren statt öffentlicher Gelder

1984 einigten sich Großbritannien und Frankreich schließlich darauf, das Projekt für private Investoren auszuschreiben, statt es mit staatlichen Mitteln zu bauen. Die Ausschreibung gewann die neugegründete "Groupe Eurotunnel“, die heute "Getlink“ heißt und ihren Sitz in Paris hat. Ihr wurde ein Monopol für den Bau und Betrieb des Tunnels zugesichert. Für das nötige Geld versprachen Banken Kredite und es wurden Aktien verkauft. Ein Konsortium aus fünf britischen und fünf französischen Baufirmen begann anschließend mit dem Bau des Tunnels, der zum größten Teil unter dem Meeresgrund des Ärmelkanals verläuft. Die Baukosten waren zum Schluss mit 15 Milliarden Euro doppelt so hoch wie vorhergesehen.

Schwierige Anfangsjahre

Wegen der explodierten Baukosten hatte die Groupe Eurotunnel Milliardenschulden angehäuft. Zugleich nutzten zunächst weniger Menschen als gedacht die Schnellzüge. Die Planerinnen und Planer hatten die Konkurrenz durch billige Fluglinien und Fähren unterschätzt. Hinzu kam, dass der Betrieb 1996 durch einen Brand unterbrochen werden musste. Die Firma stand mehrfach vor der Pleite. Erst seit im Jahr 2007 rund die Hälfte der Schulden erlassen wurden und die Kreditgeber als Gegenleistung Aktien erhielten, konnte sich das Unternehmen erholen. Noch im selben Jahr wurde erstmals ein realer Gewinn erzielt. Heute arbeitet Getlink profitabel.

Seit dem Start 1994 nutzten nach Angaben der Betreiberfirma fast 430 Millionen Passagiere und gut 86 Millionen Fahrzeuge den Eurotunnel. Nach einer ebenfalls von Getlink veröffentlichten Externer Link: Studie geht mittlerweile mehr als ein Viertel des Güterverkehrs (26 Prozent) zwischen Großbritannien und dem europäischen Festland durch den Kanaltunnel. Das entspreche Waren im Wert von jährlich rund 138 Milliarden Euro. Etwa 30 Milliarden Euro entfielen dabei auf den Handel zwischen Deutschland und Großbritannien.

Wichtige Verbindung zwischen Insel und Festland

Trotz der Startschwierigkeiten war der Bau des Eurotunnels nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch von großer Bedeutung. Er symbolisierte die Annäherung zwischen Großbritannien und dem europäischen Festland. 1973 wurden die Briten Mitglied der Europäischen Gemeinschaft (EG), Interner Link: nachdem 1963 und 1967 entsprechende Anträge noch am Veto Frankreichs gescheitert waren. Frankreichs Präsident Francois Mittérand und Großbritanniens Premierministerin Margret Thatcher trieben das Tunnelprojekt damals auch als politische Vision voran.

Der Eurotunnel in Zahlen. (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Der Eurotunnel als Fluchtweg

Obwohl 85 Prozent der Passagiere heute Britinnen und Briten sind, wurde der Eurotunnel in den vergangenen Jahren in Großbritannien vor allem als "Einfalltor für Migranten“ wahrgenommen. Viele Menschen versuchen, etwa versteckt in Lkw, von Frankreich nach Großbritannien zu reisen, um dort Asyl zu beantragen. In der Folge wurden die Grenzkontrollen verschärft.

In Calais, nicht weit vom französischen Eurotunnel-Eingang entfernt, lebten 2015 und 2016 zeitweise Tausende Geflüchtete in illegalen Lagern, unter zumeist menschenunwürdigen Bedingungen. Das größte Lager, in dem bis zu 9.000 Menschen teilweise monatelang lebten, war bereits im Herbst 2016 geräumt worden. Noch immer leben Geflüchtete in der Hafenstadt und deren Umgebung. Anfang 2018 vereinbarten Frankreich und Großbritannien, noch einmal rund 100 Millionen Euro für neue Sicherheitsmaßnahmen am Ärmelkanal zu investieren, unter anderem in die Videoüberwachung.

Folgen eines "Brexit“

Mit dem geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU ist unklar, wie sich der Grenzverkehr mit der Europäischen Union durch den Eurotunnel zukünftig entwickeln wird. Getlink-Chef Jacques Gounon sagte zuletzt, dass man auf den Brexit vorbereitet sei. So werde es für Lkw eine digitale Vorab-Deklaration der Ladung geben und Zollkontrollen würden wie bisher stichpunktartig durchgeführt. Außerdem seien 15 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert worden, einschließlich Passkontrollen und zusätzlicher Grenzkontrollstellen in Calais. Dennoch warnen Wirtschaftsexperten davor, dass im Falle eines Brexit das Handelsvolumen zwischen dem europäischen Festland und Großbritannien deutlich zurückgehen könnte – auch der Eurotunnel müsste dann mit einem nachlassenden Grenzverkehr rechnen.

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