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Vor 5 Jahren: Ende der Ein-Kind-Politik in China | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 5 Jahren: Ende der Ein-Kind-Politik in China

Redaktion

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Im Oktober 2015 brach China mit seiner Ein-Kind-Politik. Seitdem dürfen Paare zwei Kinder bekommen. Doch der erhoffte Geburtenzuwachs blieb bislang aus.

Ende Oktober 2015 wurde die Ein-Kind-Politik in China abgeschafft. Seit 2016 dürfen Paare zwei Kinder bekommen. (© picture-alliance, AP Photo/Mark Schiefelbein)

Ein Kind pro Familie – das war in der Interner Link: Volksrepublik China von 1979 bis 2015 die Regel. Mit dieser Maßnahme wollte die chinesische Regierung dem Interner Link: Bevölkerungswachstum entgegenwirken. Doch die strikte staatliche Geburtenkontrolle, die sogenannte Ein-Kind-Politik, brachte neben einem Rückgang der Geburtenrate auch sehr problematische Folgen mit sich: selektive Abtreibungen von Mädchen, Millionen Kinder, die nicht registriert wurden und eine Überalterung der chinesischen Gesellschaft. Seit fünf Jahren ist es Paaren nun erlaubt, zwei Kinder zu bekommen. Auch wird diskutiert, ob die Kinder-Beschränkungen ganz fallen sollten.

Chinas Bevölkerungswachstum nach 1949

Nach dem Ende des Interner Link: Zweiten Weltkriegs entwickelte sich der Konflikt zwischen Kommunisten und Nationalisten in China zu einem Interner Link: Bürgerkrieg, den die Kommunisten 1949 gewannen. Daraufhin proklamierte der Interner Link: Führer der Kommunistischen Partei (KPCh), Mao Zedong, die Volksrepublik. Im Anschluss wuchs die Bevölkerung in China – trotz phasenweiser Versorgungsengpässe mit Nahrungsmitteln – enorm an. So stieg die Anzahl der Chinesinnen und Chinesen von 1949 bis Mitte der 1970er-Jahre um mehr als die Hälfte – von 550 Millionen auf über 900 Millionen. Während dieser Phase kam es zu einer verheerenden Hungerkatastrophe (1958-1962) aufgrund wirtschaftlicher Fehlsteuerung durch Maos Plan des "Großen Sprungs nach vorn". Die Kommunistische Partei lenkt Chinas Wirtschaft seit 1949 mit Fünfjahresplänen.

Ähnlich wie in anderen Ländern, in denen die Bevölkerungszahl zu dieser Zeit rasch wuchs, sorgte man sich in China – auch wegen der Erfahrungen der 1960er Jahre – vor einer erneuten Versorgungsknappheit und einer Destabilisierung der Wirtschaft.

Die Kommunistische Partei reagierte zunächst mit Kampagnen zur Geburtenkontrolle, was bereits ab Mitte der 1970er Jahre zu einem Rückgang der Geburten führte.1979 führte die chinesische Regierung unter Deng Xiaoping eine strikte Kontrollmaßnahme ein, die ab 1980 offiziell implementiert wurde: Von da an durften Paare in China nur noch ein Kind bekommen. In den folgenden Jahren beschloss Peking allerdings auch Ausnahmen – etwa für ethnische Minderheiten oder für einen Teil der Bauernschaft. So durften Eltern auf dem Land ab 1984 ein zweites Kind bekommen, wenn ihr Erstgeborenes weiblich war.

Propagandaplakat für die "Ein-Kind-Familie", 1970 (© picture-alliance/dpa, HPIC)

Brutale Umsetzung der Ein-Kind-Regel

Das Regime setzte die verschiedenen Maßnahmen der Ein-Kind-Politik lokal um. Dabei gab es große Unterschiede insbesondere zwischen urbanen und ländlichen Provinzen. Teilweise wurde die Ein-Kind-Politik äußerst brutal umgesetzt: Frauen wurden nach dem ersten Kind gewaltsam gezwungen zu verhüten, etwa indem Ärzte oder Ärztinnen ihnen Spiralen einsetzten. Zudem waren Zwangsabtreibungen auch noch in späteren Phasen der Schwangerschaft keine Seltenheit. Bei Verstößen gegen die Ein-Kind-Regel verhängten Behörden massive Geldstrafen – eine sogenannte Interner Link: "soziale Kompensations-Gebühr". Paare, die es sich leisten konnten, nahmen diese Geldstrafen für ein zweites Kind in Kauf.

Massiver Rückgang der Geburtenrate

Zwar erzielte die auf Sanktionen setzende staatliche Familienplanung die vom Regime gewünschte Wirkung: So sank die Zahl der Kinder, die eine Frau im Durschnitt zur Welt bringt, in China von fast 4,9 im Jahr 1975 auf rund 2,5 im Jahr 1995 – zehn Jahre später lag die Geburtenrate sogar nur mehr bei 1,6. Dennoch ist China heute mit 1,4 Milliarden Menschen das bevölkerungsreichste Land der Erde, seit 1980 wuchs die Bevölkerungszahl um rund 400 Millionen an. Grund dafür ist vor allem eine bessere Gesundheitsversorgung und damit einhergehend geringere Sterblichkeitsraten und eine höhere Lebenserwartung. Schätzungen zufolge würden in Interner Link: China ohne die Ein-Kind-Politik heute 300 Millionen Menschen mehr leben.

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sahen in der Ein-Kind-Politik einen massiven Eingriff in die Privatsphäre und einen erheblichen Verstoß gegen die Menschenrechte. In der Folge der Einführung der Zwangsgrenze kam es zu massenhaften Abtreibungen von Mädchen: Jungen werden bis heute oft als Stammhalter gesehen. Zudem sollen sie im Alter für die Eltern sorgen. Auch nach der Reform der Ein-Kind-Regelung im Jahr 1984 trieben weiterhin viele Chinesinnen – auch auf dem Land – weibliche Föten ab.

Männerüberschuss und Überalterung

Die geringere Zahl an weiblichen Nachkommen machte sich ab der Jahrtausendwende zunehmend in der Bevölkerungsstatistik bemerkbar. 2018 lebten in China Erhebungen des Interner Link: Internationalen Währungsfonds zufolge 34 Millionen mehr Männer als Frauen. Auch 2019 kamen auf 100 neugeborene Mädchen 113 Jungen. Da der Männerüberschuss bei Chinesen unter 30 Jahren besonders gravierend ist, bleiben viele junge Männer alleine, was zu verschiedensten gesellschaftlichen Problemen führt: Expertinnen und Experten warnen etwa vor einem Anstieg von Gewalt- und Sexualdelikten. Die in vielen Großstädten ohnehin angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt spitzt sich wegen der hohen Zahl an Alleinstehenden weiter zu.

Ein weiteres Problem stellt die drohende Überalterung der chinesischen Gesellschaft dar, die zu einem Kollaps der Sozialsysteme führen könnte. Bis 2050 werden Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge rund 30 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein. Immer weniger junge Menschen müssen in Zukunft immer mehr Alte versorgen. Laut Prognosen der Vereinten Nationen wird die Zahl der Erwerbstätigen bis zum Jahr 2050 um 24 Prozent gegenüber 2018 sinken.

Reformen und Abschaffung der Ein-Kind-Politik 2015

Nach Interner Link: Xi Jinpings Ernennung zum Staatspräsidenten begann die Regierung ab 2013 mit unterschiedlichen Maßnahmen gegenzusteuern und die Ein-Kind-Politik zu lockern. Wenn ein Elternteil selbst Einzelkind war, durfte ein Paar zwei Kinder haben. Ende Oktober 2015 entschied sich die Regierung schließlich dafür, die Ein-Kind-Politik abzuschaffen und erlaubte es jedem Paar, zwei Kinder zu bekommen. Die Regelung trat 2016 in Kraft.

Doch bislang führten die Lockerungen nicht zu einem Anstieg der Geburtenrate. 2019 sank die Geburtenzahl landesweit das zweite Jahr in Folge auf den niedrigsten Stand seit fast sechs Jahrzehnten. Viele Chinesinnen und Chinesen geben als Gründe für ihre Entscheidung gegen Kinder die hohen Bildungskosten sowie teure und unzureichende Betreuungsmöglichkeiten an.

Diskussionen um Abschaffung der Geburtenkontrolle

Bereits 2018 wurde deshalb in China intensiv über die vollständige Abschaffung der Begrenzung der Kinderzahlen diskutiert – ein entsprechender Gesetzesentwurf sollte im Jahr 2020 beschlossen werden. Bislang ist die Zwei-Kind-Grenze landesweit jedoch noch nicht gefallen. Weitgehende Fördermaßnahmen, um die Entscheidung für junge Chinesinnen und Chinesen Kinder zu bekommen wieder attraktiver zu machen, fehlen in der Volksrepublik bislang.

Doch nicht alle Menschen in China profitieren von diesen Lockerungen. Recherchen der Nachrichtenagentur AP zufolge wird die Geburtenkontrolle zunehmend als machtpolitisches Instrument gegen Minderheiten missbraucht, etwa gegen die muslimischen Minderheiten der Uigurinnen und Uiguren und Kasachinnen und Kasachen. Demnach drohen den muslimischen Familien Strafen und Zwangsabtreibungen, was in den Regionen Hotan und Kaschgar zwischen 2015 und 2018 zu einem Rückgang der Geburten um mehr als 60 Prozent geführt hat. Die staatliche Unterdrückung dieser Minderheiten zeigt sich auch in der Internierung in sogenannten Umerziehungslagern und dem Zerstören von Moscheen oder Heiligengräbern in jenen Regionen.

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