Regierungskrise in Tschechien
Die tschechische Regierung um Ministerpräsident Mirek Topolanek hat am Dienstag (24.03.2009) eine Vertrauensabstimmung im Parlament verloren und muss zurücktreten. 101 der insgesamt 200 Abgeordneten sprachen der Regierungskoalition das Misstrauen aus. Das Votum hat auch Auswirkungen auf die EU-Politik: Topolanek ist amtierender EU-Ratspräsident.
Seit den Parlamentswahlen im Juni 2006 erschweren instabile
Machtverhältnisse im Abgeordnetenhaus die Regierungsführung der
Mitte-Rechts-Koalition um Premier Mirek Topolanek. Es war bereits der fünfte
Misstrauens-
antrag, den die Opposition gegen den Premier und seine Regierung
richtete. Hintergrund sind die wachsende Unzufriedenheit mit Topolaneks
Regierungsführung und der Vorwurf des Machtmissbrauchs. Da die Regierung im
Abgeordnetenhaus über keine sichere Mehrheit verfügt, war die Abstimmung
äußerst knapp: 101 der insgesamt 200 Abgeordneten - die erforderliche Mehrheit - stimmten gegen die Minderheitenregierung aus Bürgerdemokraten (ODS), der
Christlich-Demokratischen Union/Tschechoslowakischen Volkspartei (KDU-CSL)
und Grünen (SZ).
Ingesamt hat die Dreier-Koalition 98 der insgesamt 200 Sitze im Abgeordnetenhaus inne und
ist auf die Unterstützung von fraktionslosen Abgeordneten angewiesen. Die
linke Opposition aus Sozialdemokraten und Kommunisten hält 96 Mandate.
Insofern war die Opposition bei der Abstimmung auf Stimmen der parteilosen Abgeordneten oder
aus dem Regierungslager angewiesen.
Als nächsten Schritt muss die Regierung nun ihren Rücktritt einreichen. Im Anschluss ist Präsident Václav Klaus am Zuge, den Auftrag zur Regierungsbildung neu zu vergeben. Dabei ist er laut Verfassung an keinen zeitlichen Rahmen gebunden. Mit Blick
auf die tschechische EU-Ratspräsidentschaft könnte er Topolanek auch
geschäftsführend im Amt belassen. Die Regierung würde dann ohne das
Vertrauen des Parlaments weiterregieren - was den politischen Prozess weiter
erschweren würde. Eine vorzeitige Auflösung des Abgeordnetenhauses, die den
Weg zu Neuwahlen freimachen würde, ist in Tschechien relativ schwierig: Der
Präsident kann das Abgeordnetenhaus erst nach dem dritten vergeblichen
Anlauf zur Regierungsbildung auflösen. Die nächsten regulären Wahlen in
Tschechien finden in etwa 15 Monate statt.
Das Ergebnis der Abstimmung könnte auch Folgen für Europa haben: Mit einem
Votum gegen die Regierung würde auch das Amt des EU-Ratsvorsitzenden
geschwächt, das Topolanek seit Januar 2009 inne hat. Experten gehen zwar
davon aus, dass der tschechische Premier seinen EU-Posten bis zum Ende der Ratspräsidentschaft am 30. Juni 2009
behalten werde. Allerdings würde die innenpolitische Krise indirekt auch die
europäische Politik beeinflussen. Tschechien, das 2004 der EU beigetreten
ist, hat den EU-Verfassungsvertrag noch nicht ratifiziert. Der so genannte
Lissabon-Vertrag liegt derzeit dem Senat zur Abstimmung vor, wo die ODS als
stärkste Fraktion vertreten ist. Beobachter befürchten, dass die gemeinhin
europakritischen ODS-Senatoren das Vertragswerk nach einem Sturz der
Regierung kippen könnten. Die Vertragskritiker befürchten, dass Tschechien im
Zuge der EU-Reform einen Großteil seiner nationalstaatlichen Souveränität
zugunsten der Gemeinschaft aufgeben müsse. So gehörte die Tschechische
Republik neben Polen auch zu den entschiedenen Gegnern einer weitgehenden
inhaltlichen Übernahme der ursprünglich vorgesehenen Regelungen aus dem
ersten gescheiterten Verfassungsvertrag.