Parlamentswahlen in der Türkei
Mehr Stimmen, weniger Sitze: Die islamisch-konservative AKP von
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat am Sonntag die Parlamentswahlen
in der Türkei klar für sich entscheiden können, muss jedoch Sitze im
Parlament abgeben. Sie wird aber weiter allein regieren können.
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kam Erdogans "Partei für
Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP) auf 46,7 Prozent der Stimmen, rund 13
Prozent mehr als bei den Wahlen 2002. Die Partei erreichte damit die
absolute Mehrheit im Parlament, verfehlte aber erneut die
Zweidrittel-Mehrheit. Künftig wird sie mit 339 der 550 Abgeordneten im
Parlament vertreten sein (2002: 352 Sitze). Die linksnationale
Republikanische Volkspartei (CHP) erhielt 20,8 Prozent der Stimmen,
umgerechnet sind das 111 Abgeordnete. Mit 14,3 Prozentpunkten wird auch die
ultrarechte "Partei der Nationalen Bewegung" (MHP) ins Parlament einziehen.
Vor fünf Jahren war sie noch an der Zehn-Prozent-Hürde gescheitert. Die MHP
bestritt ihren Wahlkampf vor allem mit Anti-EU-Parolen. Gewählt wurden auch
27 unabhängige Kandidaten, darunter 21 Abgeordnete der kurdischen Partei für
eine demokratische Gesellschaft (DTP). Sie werden erstmals seit eineinhalb
Jahrzehnten wieder im Parlament vertreten sein. Die anderen Parteien
scheiterten an der Sperrklausel. Die demokratische Partei erhielt lediglich
5,4 Prozent der Stimmen. Ihr Vorsitzender Mehmet Agar trat noch am
Sonntagabend zurück. Die Wahlbeteiligung fiel hoch aus: Rund 80 Prozent der
insgesamt 43 Millionen Wahlberechtigten hatten ihre Stimme abgegeben.
Vor allem die gute wirtschaftliche Entwicklung des Landes soll der Grund für
Erdogans Wiederwahl sein. Zwischen sechs und neun Prozentpunkten wuchs die
türkische Wirtschaft jährlich in den bisherigen fünf Regierungsjahren der
AKP. Während die Opposition Erdogan vorwirft, die Türkei mithilfe einer
"versteckten Agenda" islamisieren zu wollen, weisen politische Beobachter
darauf hin, dass inzwischen die Hälfte der Anhängerschaft der AKP dem
säkularen Milieu entstammt. Die Wähler sehen in der AKP eine Vorbildfunktion
für den ganzen Nahen und Mittleren Osten: Als einzige Partei würde sie einen
islamischen Geist mit einer demokratischen Orientierung verbinden. Erdogan
versprach noch in der Wahlnacht, er wolle den Reformkurs beibehalten und
werde sich weiterhin für eine Mitgliedschaft in der EU einsetzen.
Als erste Bewährungsprobe steht dem neuen Parlament die Wahl des
Staatspräsidenten bevor, die im April gescheitert war. Damals hatte Erdogan
den islamisch-konservativen Außenminister Abdullah Gül für das
Präsidentenamt vorgeschlagen. Die Opposition und das türkische Militär, das
sich als Hüter der laizistischen Verfassung versteht, sahen deswegen die
Trennung von Staat und Religion gefährdet. Sie drohten mit einem Putsch,
sollte Gül Präsident werden. In der Türkei fürchtet man nun, dass der
Konflikt wieder aufbrechen könnte, sollte Erdogan seinen Außenminister
erneut als Kandidaten vorschlagen. Der Ministerpräsident signalisierte aber
bereits Kompromissbereitschaft: Die AKP sei auch bereit, sich mit der
Opposition auf einen anderen Kandidaten zu einigen.