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Auswirkungen des demografischen Wandels auf Staat und Verwaltung

Margaret Heckel

/ 7 Minuten zu lesen

Manche Städte gewinnen deutlich an Einwohnerinnen und Einwohnern, viele Regionen verlieren: Der demografische Wandel trifft Deutschland sehr unterschiedlich. Die Verteilungskämpfe um Geld dürften deshalb künftig noch heftiger werden.

Staat und Verwaltung (© Martin Brombacher )

Solche Probleme hätten viele Städte gern: Potsdam muss in den nächsten Jahren sechs neue Schulen bauen, denn die brandenburgische Landeshauptstadt wächst und wächst und wächst – und mit ihr die Anzahl der Kinder. Von derzeit 160.000 Einwohnern soll die Zahl der Potsdamer bis 2030 auf 178.750 steigen. 160 Millionen Euro braucht die Stadt deshalb allein für die neuen Schulen.

Potsdam ist keineswegs eine Ausnahme: Auch einige Großstädte wie Berlin, München und Stuttgart werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter wachsen, obwohl Deutschland insgesamt deutlich an Einwohnerinnen und Einwohnern verlieren wird. Immer stärker zeigt sich, dass der demografische Wandel regional sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Während manche Regionen immer dünner besiedelt sind und Bevölkerungsverluste von zehn oder gar zwanzig Prozent hinnehmen müssen, verzeichnen andere Regionen, vor allem attraktive Städte, starke Zuzüge.

Wachstumsregionen legen noch zu

Damit wird immer deutlicher, dass der demografische Wandel Deutschland in Gewinner und Verlierer spaltet: Ohnehin schon starke Wachstumsregionen wachsen kräftig weiter. Gerade ländliche Regionen vergreisen dagegen immer schneller. So haben zwei Drittel aller ländlichen Gemeinden und Kleinstädte zwischen 2005 und 2010 Einwohnerinnen und Einwohner verloren. Bis 2030 werden nach aktuellen Bevölkerungsprognosen 800.000 Menschen weniger auf dem Land leben, was einem Verlust von acht Prozent der dortigen Bevölkerung entsprechen würde. Neben den Jungen verlassen auch viele Ältere inzwischen die ländlichen Regionen, weil gesundheitliche Versorgung und das kulturelle Angebot in den Städten meist besser sind.

Längst trifft es nicht nur Ostdeutschland, wo das Schrumpfen schon vor zwanzig Jahren eingesetzt hatte, sondern auch weite Teile Westdeutschlands: vom Saarland bis zur Oberpfalz, vom ländlichen Schleswig-Holstein bis zum Schwarzwald.

Besonders betroffen sind ländliche Regionen, die kein attraktives Oberzentrum in der Nähe haben. So wachsen beispielsweise Trier und das Umland, während Saarbrücken verliert. Regensburg und seine Region profitieren, Hof und die Gegend drum herum hat Probleme. Für das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung folgt die Siedlungsstruktur damit der Wirtschaftsentwicklung: "In modernen Wissensgesellschaften konzentrieren sich wertschöpfungsintensive Branchen sowie attraktive Arbeits- und Ausbildungsplätze zunehmend in städtischen Regionen." Das war historisch schon immer so und ist im Grunde nichts Neues. Doch mit dem demografischen Wandel nimmt dieser Prozess noch einmal eine ganz andere Dimension an, weil jetzt zum ersten Mal ganze Dörfer zu verwaisen drohen.

Schrumpf-Kommunen in der Abwärtsspirale

Rollende Arztpraxis in Niedersachsen: Aufgrund des Ärztemangels werden einige Dörfer in Niedersachsen von einer mobilen Arztpraxis angefahren. (© picture-alliance/dpa)

Zwei Probleme belasten die schrumpfenden Kommunen dabei ganz besonders: Sie haben immer weniger Einnahmen bei steigenden Kosten und es droht ihnen der Verlust ihrer sozialen Infrastruktur. Dabei verstärken sich beide Problemkreise gegenseitig. Schrumpfende Kommunen sind für Arbeitgeber nicht attraktiv. Familien und Junge ziehen weg, weil sie keine Jobs bekommen und die Kommune kein Geld hat, um in Schulen und Kitas zu investieren. Die Kosten für Straßen und Abwasserkanäle bleiben aber gleich und steigen für die Einwohnerinnen und Einwohner sogar noch, weil sie durch weniger "Köpfe" geteilt werden müssen. Dann dreht sich die Spirale nach unten immer schneller: Bibliotheken machen zu, Buslinien werden ausgedünnt, der letzte Lebensmittelmarkt schließt.

Es stellt sich die Frage, ob die im Grundgesetz festgeschriebene "Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen" unter diesen Bedingungen noch gegeben ist. Doch die Kommunen leiden still vor sich hin – und das hat auch mit der föderalen Struktur zu tun. Denn zuständig sind die Bundesländer. Doch die sind in ihrer demografischen Entwicklung oft tief gespalten. Thüringen ist ein gutes Beispiel: Obwohl das Bundesland insgesamt deutlich an Bevölkerung verlieren wird, gehören Städte wie Weimar und Jena zu den Profiteuren. Soll die Landespolitik also lieber diese Wachstumskerne so stärken, dass sie weiterhin Zuzügler anziehen? Oder das Geld stattdessen in Kommunen investieren, die dem Wegzug der Bewohner nichts entgegenzusetzen wissen?

Schwierige Verteilungskonflikte sind absehbar

Hier zeichnen sich schwierige Verteilungskonflikte ab, die in den nächsten Jahren noch zunehmen werden. Denn viele Finanztransfers in Deutschland werden "pro Kopf" abgerechnet – und wo Einwohnerinnen und Einwohner fehlen, leiden die Kommunen dann ganz besonders. So haben bereits 833 der insgesamt 11.000 Kommunen in Deutschland Widerspruch gegen die Ergebnisse der Volkszählung des Jahres 2011 eingelegt. Die Volkszählung hatte ergeben, dass 1,5 Millionen Menschen weniger in Deutschland leben als gedacht. Viele Städte und Kommunen mussten daraufhin ihre Einwohnerzahlen deutlich nach unten korrigieren.

Aachen beispielsweise hätte nach der Zählung 8,4 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner verloren, insgesamt 21.789 Menschen. Weil die Finanzzuweisungen vom Land und aus dem kommunalen Finanzausgleich per Kopf berechnet werden, würde das eine jährliche Einbuße von bis zu zehn Millionen Euro für die Domstadt bedeuten, wie Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU) erläutert. Er hat auch ausgerechnet, was das bedeuten würde: Mit dieser Summe ließen sich "fast 200 Kindergärtnerinnen beschäftigen."

Sollte also der Finanzausgleich zwischen den Bundesländern auch die Kosten des demografischen Wandels berücksichtigen?

Noch wird darüber relativ wenig diskutiert, doch die Debatte um die Volkszählung gibt schon einen Vorgeschmack. In den nächsten Jahren laufen wichtige Programme wie beispielsweise der Solidarpakt II aus. Damit werden seit der Wende 1989 und noch bis zum Jahr 2019 die ostdeutschen Bundesländer mit Steuergeldern und dem Solidaritätszuschlag besonders gefördert. Inzwischen kritisieren viele Politikerinnen und Politiker im Westen, dass es den Städten und Regionen dort schlechter geht als vergleichbaren Kommunen im Osten Deutschlands. Sie fordern deshalb eine neue Umverteilung nach regionalen, und nicht geografischen Kriterien.

Gestritten wird auch um den Länderfinanzausgleich, dessen rechtliche Grundlage ebenfalls 2019 ausläuft und neu gestaltet werden muss. Hier werden Gelder zwischen den Bundesländern in einem sehr komplizierten Mechanismus verteilt. Finanzstarke Länder wie Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg haben in diesen Topf über die Jahre am meisten eingezahlt und versuchen nun, diese Zahlungen zu reduzieren. Außerdem gibt es Reformen auf der regionalen Ebene: Kommunen und Kreise schließen sich zusammen, um so besser auf Veränderungen reagieren zu können.

Die demografische Entwicklung wird in Deutschland dafür sorgen, dass die Zahl der Menschen abnimmt, die sich in Beschäftigungsverhältnissen befinden. Damit sinkt auch die Zahl der Steuerzahler: Weniger Menschen bezahlen also zukünftig die Bewerkstelligung staatlicher Angelegenheiten. Gleichzeitig müssen enorme Summen für Zinszahlungen und Tilgung der Staatsverschuldung aufgewendet werden. Der Schuldenstand des Bundeshaushalts lag Mitte 2016 bei 1,092 Billionen Euro. Im Jahr 2015 hat der Bund über 21 Milliarden Euro für Zinsausgaben und Ausgaben im Zusammenhang mit der Schuldenaufnahme ausgegeben. Das entspricht etwa sieben Prozent des Bundeshaushalts.

Auch vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit wurde daher 2009 per Verfassungsänderung die so genannte Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen. Sie besagt, dass der Bund ab 2016 und die Länder ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen dürfen. Ausnahmen bestehen zwar, etwa bei Naturkatastrophen oder außerordentlichen Notlagen, aber grundsätzlich gilt: Bund und Länder müssen mit dem Geld auskommen, das sie über Steuern und Abgaben einnehmen.

Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung

Der demografische Wandel stellt auch die öffentliche Verwaltung vor große Probleme. In ihrer weiterentwickelten Demografiestrategie identifiziert die Bundesregierung einen attraktiven und modernen öffentlichen Dienst als wichtiges Handlungsfeld: "Ebenso wie die privaten Arbeitgeber wird der öffentliche Dienst von den Auswirkungen der demografischen Entwicklungen herausgefordert sein. Die Arbeitgeber und Dienstherren aus Bund, Ländern und Kommunen müssen sich darauf einstellen, dass die Zahl der Erwerbstätigen künftig sinkt […]. Diese Herausforderungen verstärken sich aufgrund der besonderen Altersstrukturen mit einem verhältnismäßig hohen Durchschnittsalter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst."

Insbesondere in schrumpfenden Regionen dürfte es zunehmend schwieriger werden, gut qualifiziertes Personal für den öffentlichen Sektor zu finden. Sozialwissenschaftler warnen vor einem drohenden Fachkräftemangel in diesem Bereich und weisen auf die zentrale Rolle der öffentlichen Verwaltung in Demokratien hin. So schreiben etwa Jens Kersten, Claudia Neu und Berthold Vogel: "Einem Gemeinwesen, das nach Prinzipien demokratischer Rechtsstaatlichkeit funktionieren soll, kann es nicht gleichgültig sein, wer den Polizeidienst versieht, welches Erscheinungsbild die öffentliche Verwaltung hat oder mit welchem Engagement Bildungs- und Erziehungsleistungen erbracht werden." Zugleich kritisieren sie, der öffentliche Dienst sei "zu einem Protagonisten einer auf Unsicherheit, Widerruflichkeit und Unabsehbarkeit gegründeten Arbeitswelt geworden" und "durchzogen von prekären Beschäftigungsverhältnissen." Im Zuge des demografischen Wandels drohten der Verlust von Wissen und Innovationsfähigkeit, was auch negative Auswirkungen auf Aufsichts- und Kontrollpflichten des Staates haben könne.

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Margaret Heckel, geb. 1966; Studium der Volkswirtschaft (MA) in Heidelberg und Amherst/USA, Politikchefin der Financial Times Deutschland, Welt und Welt am Sonntag; derzeit: freie Journalistin und Autorin mit dem Schwerpunkt Demografie; Externer Link: www.margaretheckel.de