Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Perspektive der jungen Generation | Demografischer Wandel | bpb.de

Demografischer Wandel Demografischer Wandel: Wachsen, Schrumpfen, Älterwerden Handlungsfelder Regionale Auswirkungen Sozialsysteme Staat und Verwaltung Umwelt Wirtschaft und Arbeit Debatten und Standpunkte Eine Debatte – viele Akteure Demografische Entwicklung als Chance Einwanderungsland Deutschland Familie Perspektive der jungen Generation Neue Alterskultur Arbeit 60+ Zukunft der Städte Städte mit Potenzial West und Ost Demografie weltweit Die wachsende Welt 7,7 Milliarden Menschen ... Europas demografische Zukunft Deutschland im Vergleich Interviews Herbert Brücker/Stefan Luft: Zuwanderung und Arbeitsmarktintegration Christoph Butterwegge: "Man reduziert soziale Probleme auf demografische" Anna Braam/Ursula Lehr: Die Jungen im Land der Alten Hans-Jürgen Urban: "Gegen die Spaltung zwischen den Generationen" Martin Krzywdzinski: "Digitalisierung kann altersgerechte Arbeitsplätze schaffen" Achim Goerres: "Wie wir wählen, hat nur noch sehr wenig mit dem Alter zu tun" Olga Pötzsch: "Die Vorausberechnung ist keine Zukunftsvision" Materialien Redaktion

Perspektive der jungen Generation

Anke Brodmerkel

/ 7 Minuten zu lesen

In den kommenden Jahrzehnten werden weniger Berufstätige die Renten von mehr Menschen erwirtschaften müssen. Dabei sind die finanziellen Belastungen für junge Menschen heute schon hoch. Doch es gibt auch gute Nachrichten für diese Altersgruppe, denn der demografische Wandel birgt für die junge Generation steigende Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Perspektive der jungen Generation (© Martin Brombacher )

Die jungen Menschen von heute werden es schwer haben. So hört und liest man es allerorten. Vom wachsenden Generationenkonflikt ist die Rede und zuweilen auch davon, dass die Alten die Jungen ausbeuten und es sich auf deren Kosten gutgehen lassen. Doch ist dem wirklich so?

Klar ist, dass der demografische Wandel die junge Generation vor so manche Herausforderung stellen wird. Die Gesellschaft von heute wird sich in den kommenden 20, 30, 40 Jahren verändern. Wesentliche Veränderungen spielen sich schon jetzt beim Thema Rente ab. Denn mit der gesetzlichen Rente allein werden die meisten Menschen selbst nach einem 35- bis 40-jährigen Berufsleben ihren gewohnten Lebensstandard im Alter wahrscheinlich nur schwer halten können. Von den heute Erwerbstätigen wird daher längst erwartet, dass sie nicht nur die Renten derjenigen bezahlen, die ihren Lebensabend bereits genießen, sondern parallel dazu für ihr Auskommen im Alter sparen und auch privat in einer Pflegeversicherung vorsorgen.

Auch stetig steigende Miet- und Immobilienpreise in den Städten – also dort, wo es Universitäten, eine gute Infrastruktur und die meisten Arbeitsplätze gibt – tragen ihren Teil dazu bei, dass die finanziellen Belastungen vieler junger Menschen heutzutage sehr hoch sind. Die Auswertung von Gehaltsdaten in mehreren Industrieländern, darunter Deutschland, untermauert die These, dass junge Menschen unter deutlichen finanziellen Nachteilen im Vergleich zu früheren Alterskohorten leiden.

Und doch gibt es auch positive Aussichten und Chancen, die der demografische Wandel für die heute unter 30-Jährigen bereithält. So werden die meisten von ihnen dank des medizinischen Fortschritts bei guter Gesundheit ein Alter erreichen, von dem ihre (Ur-)Großeltern nur träumen konnten. Darüber hinaus werden sie aller Voraussicht nach von einer sinkenden Arbeitslosigkeit in den kommenden Jahrzehnten profitieren sowie von einem familienfreundlichen Arbeitsklima - wie es vor noch nicht allzu langer Zeit kaum denkbar gewesen wäre. Denn der demografische Wandel bringt auch eine größere Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte mit sich. Frauen werden mehr denn je auf dem Arbeitsmarkt benötigt. Die Arbeitgeber müssen sich dieser neuen Situation anpassen.

Pro Rentner zwei Erwerbstätige

Im Jahr 2013 bestand die Bevölkerung noch zu 18 Prozent aus Kindern und jungen Menschen unter 20 Jahren, zu 61 Prozent aus 20- bis unter 65-Jährigen – also aus Menschen im klassischen Erwerbsalter – und nur zu etwas mehr als einem Fünftel aus 65-Jährigen und Älteren. Auf 100 Erwerbstätige kamen so 34 Rentenempfänger. Im Jahr 2060 werden laut Statistischen Bundesamt dann voraussichtlich 100 Menschen im Erwerbsalter je nach Ausmaß der Zuwanderung 61 bis 65 potenziellen Rentenbezieherinnen und Rentenbeziehern gegenüberstehen: fast doppelt so viele wie 2013. Jeder bzw. jede dritte Deutsche würde dann 65 Jahre oder älter sein.

Vereinfacht gesagt, bedeutet das: Während bis vor kurzem noch drei Erwerbstätige die Rente eines anderen Menschen erarbeiten mussten, werden in nicht allzu ferner Zeit nur noch zwei Personen diese Aufgabe stemmen müssen. Im Jahr 2001 beschloss die Bundesregierung unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) deshalb erstmals die Einführung einer staatlich bezuschussten privaten Altersvorsorge, die als sogenannte "Riester-Rente" bekannt geworden ist – benannt nach dem damaligen Arbeitsminister Walter Riester (SPD). Einigen Kritikerinnen und Kritikern galt dieser Schritt damals als Aufkündigung des für Jahrzehnte geltenden Generationenvertrags, nach dem jeweils die Generation, die im Berufsleben steht, für das finanzielle Auskommen der Generation sorgt, die sich im Ruhestand befindet

2007 folgte, in Vorbereitung auf die sich verändernde Bevölkerungsstruktur, die nächste drastische Maßnahme: So wurde beschlossen, das gesetzliche Renteneintrittsalter für die abschlagsfreie Rente ab 2012 schrittweise auf 67 Jahre zu erhöhen. Alle Menschen, die 1964 oder später geboren sind, werden daher erst mit 67 in Rente gehen können. Es sei denn, sie haben 45 Jahre lang gearbeitet und Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt. Dann können sie schon mit 65 ohne finanzielle Einbußen in Rente gehen.

Keine Angst vor Arbeitslosigkeit

Dass die Menschen im erwerbsfähigen Alter hierzulande weniger werden, geht allerdings auch mit steigenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt einher. Qualifizierte Fachkräfte sind heutzutage in den meisten Firmen begehrt. Gesucht werden unter anderem angehende Ingenieurinnen und Ingenieure und andere Vertreterinnen und Vertreter aus den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), Ärztinnen und Ärzte sowie anderes Gesundheits- und Pflegepersonal, außerdem Fachkräfte der Hotel- und Gastronomiebranche. Wer in diesen Bereichen eine gute Ausbildung abschließen kann, muss sich um das Thema Arbeitslosigkeit auf absehbare Zeit vermutlich nur noch wenig Gedanken machen.

Vom demografischen Wandel profitieren werden aller Voraussicht nach auch junge Familien. Längst haben Politikerinnen und Politiker zum Beispiel erkannt, dass die wertvolle Arbeitskraft der meist gut ausgebildeten Frauen nur dann zu gewinnen und zu halten ist, wenn diese Kinder und Karriere unter einen Hut bringen können. Mit der Einführung des Elterngelds im Jahr 2007 und durch das ElterngeldPlus, das für Geburten ab Juli 2015 beantragt werden kann, haben die Väter sehr viel mehr Möglichkeiten, sich an der Pflege und Erziehung ihres Nachwuchses zu beteiligen. Den Frauen hingegen wird es erleichtert, wenn sie es wünschen, möglichst rasch nach der Geburt ihrer Kinder zumindest in Teilzeit wieder zu arbeiten.

Mehr Zeit für die Familie

Mehr Zeit für die Kinder: Flexible Arbeitszeitmodelle sollen Eltern künftig Spielräume für die Kinderbetreuung geben. (© picture alliance/dpa-Zentralbild)

"Die Politik der Bundesregierung zielt darauf ab, die Wahlmöglichkeiten für Eltern, wie sie Familie und Beruf vereinbaren möchten, zu erhöhen, Frauen und Männern in Familie und Beruf gleichwertige Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten und die Entscheidung für Kinder zu unterstützen und zu fördern", heißt es in der Demografiestrategie der Bundesregierung "Jedes Alter zählt" aus dem Jahr 2011.

Die Regierung setzt sich beispielsweise dafür ein, dass das Studieren mit Kind künftig leichter möglich sein soll. Parallel dazu treibt sie den Ausbau von öffentlich finanzierten Kindertageseinrichtungen voran. Seit August 2013 haben Eltern sogar einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für ihre ein- und zweijährigen Kinder.

Im Rahmen der 2010 gestarteten Initiative "Externer Link: Familienbewusste Arbeitszeiten" unterstützt die Bundesregierung zudem gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle in der betrieblichen Praxis. Den Beteiligten schweben unter anderem "vollzeitnahe Teilzeitmodelle" vor, bei denen Frauen und Männer ihre berufliche Karriere und auch die Wahrnehmung von Führungspositionen besser mit der Verantwortung für ihre Familie vereinbaren können.

Auch viele Betriebe haben inzwischen erkannt, dass sie ihre besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur dann halten können, wenn sie ihnen beim Thema Arbeitszeit entgegenkommen. Das IT-Unternehmen SAP bietet zum Beispiel allen Angestellten ein Arbeitszeitkonto an. Die Mitarbeiter können dort Zeit ansparen und zu einem späteren Zeitpunkt eine Auszeit nehmen – um dann vielleicht eine Weile lang voll und ganz für die Familie da sein zu können oder um sich andere persönliche Wünsche zu erfüllen.

Die kulturelle Vielfalt nutzen

Ein familienfreundlicheres Arbeitsklima ist nicht die einzige Chance, die der demografische Wandel für die Jugend bereithält. Denn klar ist schon jetzt: Die hier lebende Bevölkerung wird nicht nur älter und weniger – sie wird auch vielfältiger. Um den drohenden Fachkräftemangel abzuwenden, setzen die Bundesregierung und die Betriebe schon seit einigen Jahren verstärkt auf Zuwanderung aus dem Ausland. Bei SAP beispielsweise arbeiteten im Jahr 2013 Menschen aus mehr als 75 Nationen. Auch bei dem Pkw-Hersteller Ford, der in Deutschland an vier Standorten vertreten ist, steht eine internationale Belegschaft ganz oben auf der Agenda. Das Unternehmen schult seine Führungskräfte nach eigenen Angaben ganz gezielt darin, die kulturellen Unterschiede ihrer Mitarbeiter zu beachten.

Mehr Toleranz gegenüber Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen aus anderen Nationen ist somit eine weitere mögliche positive Folge des demografischen Wandels. Darüber hinaus könnte ein neues Miteinander von Jung und Alt entstehen. Ein zeitgemäßer Generationenvertrag könnte zum Beispiel beinhalten, dass ältere, noch rüstige Menschen entweder nach ihren Wünschen länger arbeiten können oder aber die junge Generation aktiv unterstützen – etwa bei der Kinderbetreuung oder indem sie ihnen auch in Großstädten durch Vermietungen bezahlbaren Wohnraum bieten, durch gegenseitige Hilfe und ein Miteinander im Alltag.

Seniorin sucht Mitbewohner

Schon im Jahr 1992 wurde beispielsweise das Projekt "Externer Link: Wohnen für Hilfe" gegründet. Inzwischen findet man es in 36 deutschen Städten. Die Idee dahinter ist einfach: Die meist jungen Mieter zahlen ihre eigenen Quadratmeter nicht in Euro an die älteren Vermieter, sondern durch ihre Mithilfe im Haushalt, Garten, beim Einkaufen oder in Form gemeinsamer Unternehmungen. Als Faustregel gilt: Für jeden Quadratmeter Wohnraum leisten die Mieter eine Stunde Hilfe im Monat. Eine WG, in der etwa 80- und 20-Jährige zusammenleben – warum eigentlich nicht?

Und wer nicht gleich zusammenwohnen will, könnte stattdessen in eines der 550 Externer Link: Mehrgenerationenhäuser schauen. Auch in diesen vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützten Begegnungsstätten kann das Miteinander der Generationen aktiv gelebt werden. Junge Menschen helfen hier älteren und umgekehrt. Es werden Kurse aller Art angeboten, auch Sprachkurse für Migrantinnen und Migranten. Zugleich gibt es den "Offenen Treff", meist in Form eines Cafés oder Bistros. Hier lassen sich Kontakte knüpfen, die in alle nur denkbaren Formen der Nachbarschaftshilfe münden können.

Vergleichbare Angebote, zumindest in abgespeckter Version, könnte im Prinzip jedes Dorf, jede Kommune ins Leben rufen. Denn erst wenn die gesellschaftliche Vielfalt in Deutschland in vollem Umfang genutzt wird, kann der demografische Wandel tatsächlich zu einer Chance werden – auch und gerade für die junge Generation.

Weitere Inhalte

Anke Brodmerkel, geb. 1970, Studium der Biologie und Chemie, arbeitet seit 2003 als freie Wissenschaftsjournalistin mit den Schwerpunkten Medizin, Psychologie und Demografie, derzeit unter anderem für die Berliner Zeitung sowie viele andere Tageszeitungen, Magazine und Online-Portale.