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Europas demografische Zukunft

Fritz Habekuß

/ 10 Minuten zu lesen

Die Bevölkerungsentwicklung in Europa fällt von Land zu Land unterschiedlich aus. Insgesamt wird der Anteil des Kontinents an der Weltbevölkerung jedoch weiter zurückgehen. Das Durchschnittsalter der Menschen in Europa ist das höchste aller Weltregionen, Tendenz steigend.

Demografie in Europa (© Martin Brombacher )

Tatsächlich wird dieses Jahrhundert in Europa durch enorme demografische Umwälzungen geprägt sein. Im internationalen Vergleich ist der Kontinent eine Ausnahme: Während bis zum Jahre 2100 in allen Weltregionen, allen voran in Afrika, die Bevölkerungszahl steigt, wird sie in Europa mehr oder weniger stagnieren. Das bedeutet aber nicht, dass Europas Bevölkerung überall gleich schnell altert und schrumpft. Im Gegenteil: Die Folgen des demografischen Wandels sind ungleich verteilt, eine sinnvolle Unterscheidung lässt sich sogar nur zwischen einzelnen Regionen machen.

Was alle verbindet: die Alterung der Gesellschaften

Der Anteil Europas an der Weltbevölkerung ist zwischen 1960 und 2005 von 13,3 Prozent auf 7,5 Prozent gefallen. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Im Jahr 2050 wird voraussichtlich nur noch jeder 20. Mensch aus Europa kommen, was einem Anteil von fünf Prozent entspricht.

Die Lebenserwartung der Menschen steigt seit Jahrzehnten, was vor allem eine Folge ökonomischer, sozialer und medizinischer Fortschritte ist. In der Europäischen Union hat laut der Statistikbehörde Eurostat ein Mädchen, das im Jahr 2012 geboren wurde, eine durchschnittliche Lebenserwartung von 83,1 Jahren, ein Junge von 77,5 Jahren. Am längsten leben in Europa Frauen aus Spanien mit einer Lebenserwartung von 85,5 Jahren, danach folgen Frauen aus Frankreich mit 85,4 und aus der Schweiz mit 84,9 Jahren. Deutschlands Frauen liegen mit 83,3 Jahren knapp unter dem EU-Durchschnitt, das Schlusslicht bildet Bulgarien mit 77,9 Jahren.

Der Gewinn an Lebenszeit verändert die Zusammensetzung der Bevölkerung: Rund 96 Millionen Menschen waren im Jahr 2015 65 Jahre oder älter, das entspricht 18,9 Prozent der insgesamt 508 Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger. In Deutschland war der Anteil deutlich höher, er lag bei 21 Prozent. In Zukunft wird die Gruppe der Alten deutlich größer werden. Selbst in Irland, wo nur 13 Prozent aller Menschen über 65 Jahre alt sind, steigt der Anteil seit einigen Jahren kontinuierlich.

Experten sprechen vom "Epidemiologischen Übergang": Eng verbunden mit dem demografischen Wandel haben sich Haupttodesursachen verändert. Waren es im 18. und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Epidemien und Seuchen, starben bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts immer weniger Menschen an Infektionskrankheiten. In der zweiten Hälfte waren Unfälle, Krebs, Herz- und Kreislauferkrankungen die häufigsten Todesursachen, ab Ende des 20. Jahrhunderts nahm der Anteil der altersbedingt degenerativen Krankheiten wie Herzversagen oder Demenz stark zu.

Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahrzehnten in allen Ländern Europas fortsetzen. 2015 lag das Durchschnittsalter der gesamten europäischen Bevölkerung bei knapp 42 Jahren und war damit so hoch wie in keiner anderen Region der Erde. Das Economics and Social Affairs Department der Vereinten Nationen (DESA/UN) schätzt, dass es bis zum Jahr 2050 auf 46 Jahre und bis zum Ende des Jahrhunderts bis auf 47 Jahre ansteigen wird.

Eurostat hat errechnet, wie sich unterschiedliche Regionen in Europa bis 2030 entwickeln werden. Tatsächlich wird kurzfristig in mehr als 65 Prozent der Regionen die Anzahl der Bewohnerinnen und Bewohner steigen. Die Gewinner sind in fast allen Fällen Gegenden, die heute schon heute eine günstige Bevölkerungszusammensetzung haben, eine gute Infrastruktur aufweisen und über vielversprechende wirtschaftliche und klimatische Bedingungen verfügen. Das ist für die kleinen Staaten Zypern, Luxemburg und Malta der Fall, für Belgien, Irland, Großbritannien, die Nicht-EU-Mitgliedstaaten Norwegen und die Schweiz. Profitieren werden auch die am dichtesten besiedelten Gebiete in Österreich, Tschechien, Spanien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Portugal, Schweden und Slowenien.

Einwohnerinnen und Einwohner verlieren werden laut Eurostat hingegen die Staaten des Baltikums Estland, Lettland und Litauen und der Großteil der Regionen in Bulgarien, Rumänien, Deutschland, Ungarn, Polen und der Slowakei. Bei solch einem groben Blick muss man sich bewusst sein, dass auch in den schrumpfenden Staaten die Bevölkerung in urbanen Gebieten mitunter wächst oder zumindest wesentlich langsamer schrumpft und altert als in ländlichen Gebieten. So auch in Deutschland, wo Hamburg oder München Beispiele für eine gegenläufige Entwicklung sind.

Beim Blick auf die Liste wird ein starkes Ost-West-Gefälle deutlich. Die östlichen Staaten, die bis 1990 hinter dem Eisernen Vorhang lagen, dürften in der Zukunft zu den Verlierern des demografischen Wandels zählen. Die wirtschaftlich unsichere Situation nach 1990 hat hier dazu geführt, dass die Geburtenzahlen dramatisch eingebrochen sind. Ein Beispiel ist unser Nachbarland Polen, das eine der niedrigsten Fertilitätsraten der Welt hat. Kaum irgendwo sonst werden so wenige Kinder pro Frau geboren. Im Jahr 2012 lag die Rate bei 1,33 Kindern, also deutlich unter dem Wert von 2,1, der nötig wäre, um die Bevölkerung auf einem stabilen Niveau zu halten. Noch 1989 lag die Fertilitätsrate bei 2,1, dann fiel sie dramatisch ab. Im Jahr 2003 hatte sie einen Tiefpunkt von 1,22 erreicht.

Auch in Ostdeutschland fiel die Geburtenziffer in den 1990er Jahren stark, auf ein Rekordtief von 0,7 Kindern pro Frau. Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Demografie haben herausgefunden, dass die veränderte wirtschaftliche Lage und die Unsicherheit aufgrund eines völlig neuen Wirtschafts- und Rechtssystems dazu führten, dass viele Frauen die Entscheidung für Kinder nach hinten verschoben haben. In den Folgejahren setzte eine langsame Erholung ein: zuletzt lag die Geburtenrate im Osten Deutschlands mit 1,56 sogar leicht über dem bundesweiten und nur wenig unter dem europäischen Durchschnitt.

Für die EU liegt die Fertilitätsrate laut der Europäischen Kommission bei momentan 1,6 Kindern. Zwar schätzt das DESA, dass die Fertilität in Zukunft wieder leicht ansteigen wird. Das wird allerdings nicht ausreichen, um den Bevölkerungsschwund aufzuhalten, da sie immer noch unter dem Reproduktionsniveau bleibt und die reproduktiven Jahrgänge immer kleiner werden. All dies stellt unsere umlagefinanzierten sozialen Sicherungssysteme, Werte und Generationenverträge auf eine Probe.

Welche Regionen schrumpfen am meisten – und warum?

Dorfladen in Truskolasy Lachy im Osten Polens: Vor allem die osteuropäischen Staaten, die bis 1990 hinter dem Eisernen Vorhang lagen, müssen mit einem niedrigen Bevölkerungswachstum rechnen. (© picture-alliance / Lehtikuva)

Laut der Bevölkerungsvorausberechnung der Vereinten Nationen wird Deutschland zu den größten Bevölkerungsverlierern zählen. Von knapp 81 Millionen im Jahre 2013 soll die Einwohnerzahl auf 72,5 Millionen im Jahr 2050 fallen. Noch heftiger trifft es strukturschwache Länder im Osten wie Bulgarien (von 7,15 Millionen im Jahr 2015 auf 5,15 im Jahr 2050), Rumänien (von 19,5 Millionen im Jahr 2015 auf 15,2 im Jahr 2050), aber auch ökonomisch stärkere osteuropäische Staaten wie Polen (von 38,6 Millionen im Jahr 2015 auf 33,1 im Jahr 2050). Die Gründe sind überall ähnlich: Die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre sterben, der Geburtenknick nach 1990 macht sich als fehlende Elterngeneration bemerkbar, die Fertilität ist insgesamt niedrig, junge Menschen ziehen in wirtschaftlich, infrastrukturell und sozialstaatlich günstigere Länder.

Verlierer gibt es allerdings auch in Südeuropa. So wird die Bevölkerung Griechenlands laut Prognosen zurückgehen: von 11 Millionen Menschen im Jahr 2015 auf 9,7 im Jahr 2050). Und auch Italien wird voraussichtlich schrumpfen, von 59,8 Millionen Menschen im Jahr 2015 auf 56,5 Millionen im Jahr 2050, und zwar vor allem aufgrund seiner Altersstruktur und der niedrigen Fertilität.

Einwohner hinzugewinnen werden hingegen Staaten wie Frankreich (von 64,4 Millionen im Jahr 2010 auf 71,1 im Jahr 2050) und Großbritannien (von 64,7 Millionen auf 75,3). Beide profitieren von den recht hohen Fertilitätsraten, die jeweils nah am Reproduktionsniveau liegen und in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen sind. Außerdem sind beide Länder beliebte Einwanderungsziele. Profitieren werden auch kleine Staaten wie Luxemburg (von etwas über einer halben Million auf 0,8 Millionen), das aufgrund seiner Größe eine Sonderrolle einnimmt und mit seiner wirtschaftlichen Stärke Arbeitskräfte anzieht.

Ohne Einwanderung wäre Europa arm dran

Migration kann den demografischen Wandel nicht aufhalten, aber der Zuzug von Fachkräften, die in unsere Gesellschaft integriert sind, lindert die negativen Konsequenzen und kann zu einer Bereicherung werden.

Von 2015 bis 2080 könnten bis zu 72 Millionen Personen in die Europäische Union einwandern, hat Eurostat in einem vorsichtigen Basisszenario errechnet. Da die meisten Migrantinnen und Migranten jung sind – die größte Altersgruppe stellen die Menschen zwischen 25 und 34 – bedeutet ihr Zuzug eine Verjüngung und einen Gewinn an Arbeitskräften. Vorausberechnungen von Eurostat zeigen außerdem, dass Migranten eine teils deutlich höhere Fertilität haben, die sich allerdings rasch dem Niveau des neuen Heimatlandes anpasst.

Eine große Rolle spielt die europäische Binnenwanderung. Dabei bedeutet jedoch der Vorteil des einen den Nachteil des anderen. Beliebte Einwanderungsziele wie Großbritannien oder Irland frischten bislang ihren Arbeitsmarkt mit Migrantinnen und Migranten aus Polen oder dem Baltikum auf. Teilweise mit ungeahnten Folgen: Als 2004 zehn neue Mitgliedsländer in die EU aufgenommen wurden, öffneten nur drei Länder ihre Grenzen sofort für Arbeitssuchende: Irland, Großbritannien und Schweden. Obwohl Schweden aufgrund seiner geografischen Nähe das nächstgelegene Ziel gewesen wäre, zog es viele Migrantinnen und Migranten auf die britischen Inseln, viel mehr als dort erwartet wurden. Das Überangebot an Arbeitskräften führte dazu, dass gut ausgebildete Osteuropäerinnen und Osteuropäer häufig unter ihrer Qualifikation arbeiteten: Dequalifizierung und eine Abwertung von Ausbildung waren die Folge. Zudem wuchs bei vielen Britinnen und Briten die Angst vor einer zu hohen Zuwanderung in ihr Land – beim EU-Referendum im Juni 2016 sprach sich eine Mehrheit von ihnen für das Interner Link: Brexit-Lager und damit gegen die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union aus. Wie sich das Ergebnis langfristig auf die Zuwanderung nach Großbritannien auswirken wird, ist aktuell jedoch noch unklar. Staaten wie Polen, Slowenien oder Tschechien versuchen mittlerweile, für ihren Arbeitsmarkt Einwanderer und Einwanderinnen aus deren östlichen Nachbarländern zu gewinnen. Dort gibt es mittlerweile aber selbst nur noch relativ wenige junge Menschen.

Eurostat hat prognostiziert, dass Migration der einzige Weg für einen Großteil der europäischen Länder ist, um die negativen Folgen des demografischen Wandels abzuschwächen. Das gilt in Europa für kein Land so sehr wie für Deutschland, das von seiner wirtschaftlichen und sozialen Attraktivität profitiert. Gerade das Jahr 2015 war durch eine sehr hohe Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern nach Deutschland geprägt. Insgesamt lag der Wanderungssaldo 2015 bei 1,14 Millionen, was vor allem an einer hohen Zahl an Menschen lag, die in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung suchten. Aber auch die Zahl der Zuwanderer aus EU-Staaten nach Deutschland war so hoch wie nie zuvor: 685.485 Einwanderer kamen aus dem EU-Ausland hierher. Ohne Zuwanderung hätte Deutschlands Bevölkerung wahrscheinlich bereits seit den 1970er Jahren zu schrumpfen angefangen.

Blick in die Zukunft: Weniger Menschen, mehr Kinder pro Frau

"Kinder kriegen die Leute immer", sagte einst Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Bundesrepublik. Damals schien es keinen Grund zu geben, an seinem Satz zu zweifeln. Heute hat sich die Welt verändert. Zahlen der Vereinten Nationen deuten jedoch eine langsame Trendumkehr an. In Europa wird laut ihrer Berechnungen die Fertilität wieder ansteigen. Von heutigen 1,5 Kinder pro Frau auf 1,71 im Jahr 2030 auf 1,8 im Jahr 2050 bis auf 1,9 am Ende des Jahrhunderts.

Die Länder, denen die UN eine weiterhin hohe Fertilität voraussagen, sind die, die schon heute relativ hohe Kinderzahlen aufweisen, wie zum Beispiel Island (2010-2015: 1,96, 2025-2030: 1,83), Norwegen (1,8/1,83) Schweden (1,92/1,93) oder Dänemark (1,73/1,80). Die nördlichen Länder verfügen zum einen über ein gut ausgebautes Unterstützungssystem für Eltern, zum anderen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Selbstverständlichkeit. Zu den Gewinnern wird auch Frankreich (2,0/1,98) gehören, das eine aktive Familienpolitik betreibt.

Im Osten Europas ist die Fertilität im Moment am niedrigsten, bis 2030 wird Südeuropa den letzten Platz im europäischen Ranking der Regionen einnehmen, Bosnien und Herzegowina (1,28/1,29) und Portugal (1,28/1,31) werden dann die Länder mit der niedrigsten Fertilität sein, darauf folgt schon Deutschland (1,39/1,51).

Dass die Bevölkerung trotz dieses leichten Wiederanstiegs der Geburten weiterhin schrumpft, liegt daran, dass die Geburtenrate in den meisten Fällen noch immer unter dem Niveau von 2,1 bleibt. Zudem wird jede neue Elterngeneration durch die dauerhaft niedrige Fertilität immer kleiner als noch die Elterngeneration zuvor.

Politische Maßnahmen, um die Geburtenziffer zu heben, wirken sehr langsam. Zuwanderung kann zwar das Schrumpfen einer Gesellschaft aufhalten – wie das Beispiel Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt hat – die Alterung kann sie aber nicht aufheben und höchstens verzögern. Europa wird in einigen Jahrzehnten also insgesamt älter sein, in den meisten Gegenden auch leerer. Das ist nicht zwangsläufig schlecht. Nur anders als heute.

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Fritz Habekuß, Jahrgang 1990, ist Redakteur im Wissenschaftsressort der ZEIT. Er wurde in Brandenburg geboren und studierte Wissenschaftsjournalismus mit Schwerpunkt Biowissenschaften und Medizin an der TU Dortmund.