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Demografischer Wandel in West und Ost | Demografischer Wandel | bpb.de

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Demografischer Wandel in West und Ost Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Franka Kühn

/ 8 Minuten zu lesen

Der demografische Wandel ist in Ost- wie Westdeutschland spürbar. Doch es gibt Unterschiede im Verlauf der Entwicklung. Das hat historische Ursachen, aber auch sozioökonomische Gründe. Bis heute sind regionale Besonderheiten des demografischen Wandels zu beobachten, die auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten spürbar sein werden.

Demografischer Wandel in West und Ost (© Martin Brombacher )

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlief die Entwicklung in West- und Ostdeutschland ähnlich. Millionen deutscher Flüchtlinge und Vertriebene waren zu integrieren, die Geburtenrate erholte sich und erreichte Mitte der 1960er Jahre 2,5 Kinder je Frau. Mit dem sogenannten Pillenknick Ende der 1960er Jahre ging in der Bundesrepublik die Zahl der Geburten zunächst deutlich zurück. Der Tiefstand wurde 1980 erreicht mit nur noch durchschnittlich 1,3 Kindern pro Frau. Gründe dafür waren, dass Frauen immer später, immer weniger oder gar keine Kinder zur Welt brachten.

In der DDR verlief die Entwicklung zeitversetzt um etwa drei Jahre ähnlich, auch wenn die Geburtenzahlen im Osten bis 1990 stets höher waren als im Westen. Vor 1989 lag die Geburtenrate noch bei 1,6 Kindern pro Frau. Frauen bekamen im Schnitt mit etwa 23 Jahren ihr erstes Kind, Familien mit zwei Kindern und mehr waren nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel.

Die relativ hohen Geburtenzahlen waren auch eine Folge der familienfreundlichen Politik in der DDR: Junge Familien erhielten bevorzugt Wohnraum, es gab eine flächendeckende Kinderbetreuung, finanzielle Unterstützung sowie eine Absicherung des Arbeitsplatzes junger Mütter.

Mit der Wiedervereinigung und der damit einhergehenden ökonomischen Transformation, hoher Arbeitslosigkeit und sozialer Unsicherheit im Osten Deutschlands setzte dann ein deutlicher Rückgang der Geburten ein. Bis zu 25 Prozent weniger Kinder wurden geboren. 1994 sank die Geburtenrate in den ostdeutschen Bundesländern auf 0,77 Kinder pro Frau, der niedrigste Wert, der jemals gemessen wurde. Nur langsam stellte sich in den Folgejahren eine Erholung ein. 2015 lag die Geburtenrate im Osten Deutschlands mit 1,56 sogar leicht über dem bundesweiten Durchschnitt. In der gleichen Zeit stieg auch im Osten das Alter der Frauen an, die erstmals ein Kind zur Welt brachten (1989: 22,9 Jahre, 2010: 27,4 Jahre), ebenso das Heiratsalter junger Frauen (1990: 23 Jahre, 2000: 28 Jahre), auch hier war eine Angleichung an die Durchschnittswerte im Westen zu beobachten.

Starke Abwanderung nach der friedlichen Revolution 1989

Neben dem Rückgang der Geburten führte vor allem eine massive Abwanderung dazu, dass die Bevölkerung im Osten Deutschlands insgesamt von knapp 17 Millionen auf etwa 14,5 Millionen sank. Insbesondere junge arbeitsfähige Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren verließen die Länder der ehemaligen DDR in Richtung Westen. Fast zwei Drittel der Abwandernden waren jünger als 30 Jahre. Und etwas mehr als die Hälfte von ihnen waren Frauen. In der DDR war die überwiegende Mehrheit der Frauen einer Arbeit nachgegangen, die Frauenerwerbsquote lag bei über 80 Prozent.

Die Folgen des Wegzugs vieler junger Frauen waren ein spürbarer Geburtenrückgang, begründet durch die fehlende Zahl potenzielle Mütter, und in manchen Regionen ein messbarer Überschuss an jungen Männern.

Die Abwanderung bedeutete einen enormen Verlust an qualifizierten Arbeitskräften, der zugleich gravierende Veränderungen innerhalb der Familien, für die Regionen und für die Bevölkerungsstruktur insgesamt bewirkte. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung spricht von einer "radikalen Veränderung der natürlichen und räumlichen Bevölkerungsentwicklung" infolge eines "misslungenen wirtschaftlichen Aufschwung Ost".

Unterschiede bei den Familienformen

Sanierte Gebäude neben verfallenden Häusern in der Fischerstraße in Schwerin: Seit der Wiedervereinigung schrumpfen viele Gebiete in Ostdeutschland, Leerstadt in den Innenstädten ist keine Seltenheit. (© picture-alliance/ ZB)

Unterschiede gibt es bis heute zwischen West und Ost auch bei den Mustern, nach denen sich Familien bilden. Während sich Familien im Westen stärker am traditionellen Bild der kleinbürgerlichen Familie orientieren, Paare also zum Beispiel eher aus Anlass einer Geburt heiraten, sind Ostdeutsche nach der Geburt des ersten Kindes häufiger unverheiratet und schließen auch danach seltener Ehen. Dafür sind nichteheliche Lebensgemeinschaften weiter verbreitet als im Westen. Wurden im Jahr 2012 in Westdeutschland 28 Prozent der Kinder nichtehelich geboren, stammen in den neuen Bundesländern 59 Prozent der Kinder von unverheirateten Müttern.

Auch bei der Versorgung von Kindern in Kinderkrippen oder Kindergärten gibt es bis heute aufgrund historisch gewachsener unterschiedlicher Konzepte zur Berufstätigkeit von Müttern große Unterschiede: In Ostdeutschland ist die flächendeckende Versorgung kleiner Kinder mit einer Tagesbetreuung beinahe eine Selbstverständlichkeit. Die Betreuungsquote von Kindern unter 3 Jahre liegt in allen Bundesländern bei über 50 Prozent. Im Westen liegt trotz großer Anstrengungen in den vergangenen Jahren die Betreuungsquote im Durchschnitt nur bei 28 Prozent.

Angleichung bei Sterblichkeit und Lebenserwartung

Während unmittelbar nach der friedlichen Revolution 1989 Frauen und Männer im Osten Deutschlands eine deutlich kürzere Lebenserwartung hatten als ihre Altersgruppe im Westen, ist hier mittlerweile eine Angleichung messbar. In den neuen Bundesländern lag die Lebenserwartung bei Geburt 1991 für Männer drei Jahre, für Frauen zwei Jahre unter der Lebenserwartung Westdeutschlands. Heute gibt es bei der Lebenserwartung von Frauen praktisch keine Ost-West Unterschiede mehr, sondern lediglich geringe Schwankungen zwischen den Bundesländern.

Bei den Männern hingegen existiert noch immer ein Ost-West-Unterschied in der Lebenserwartung, im Osten liegt diese noch ungefähr ein Jahr unterhalb des westdeutschen Niveaus. Unterschiede ergeben sich hauptsächlich aus Sterblichkeitsunterschieden in den mittleren Altersstufen (40-60 Jahre). Diese Unterschiede teilen sich zu je einem Drittel auf folgende Erkrankungen auf: bösartige Tumore, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und alkoholbedingte Todesursachen.

Ursache für die Angleichung der Lebenserwartung ist eine Verbesserung der medizinischen Versorgung im Osten. In Folge dessen konnte beispielsweise die Sterblichkeit durch Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems um mehr als ein Fünftel verringert werden.

Umzüge Richtung Osten

Während die Einwohnerzahl in den zehn westdeutschen Bundesländern nach dem politischen Umbruch in den 1990er Jahren rasant wuchs, schrumpfte die Zahl in den ostdeutschen – eben durch Abwanderung in den Westen.

Der dramatische Bevölkerungsverlust in den östlichen Ländern konnte inzwischen durch einen stetigen Zuzug wieder etwas gebremst werden. So wurde insgesamt ein Bevölkerungsverlust von 1,6 Millionen Menschen bis zum Jahr 2008 gezählt. In den ostdeutschen Ländern setzte dann aber eine deutlich messbare Zuwanderung aus den westlichen Bundesländern ein, was den Bevölkerungsverlust zumindest deutlich verlangsamte. Im Jahr 2014 war der Wanderungssaldo zwischen Ost- und Westdeutschland praktisch ausgeglichen. Zwar sinken die Bevölkerungszahlen der ostdeutschen Flächenländer weiterhin leicht, aber die große Abwanderungswelle ist gestoppt.

Starke Stadt-Land-Unterschiede

Betrachtet man die einzelnen Bundesländer in Ost und West, fällt auf, dass die Städte wachsen, aber die Bevölkerung in fast allen ländlichen Regionen kleiner wird. Auch diese Entwicklung unterstreicht einen länderübergreifenden Trend: das Wachstum städtischer Regionen und die Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung auf dem Land.

Die Wanderungsbewegungen vom Land in die großen Städte sind in ganz Deutschland wahrnehmbar. So wachsen neben München, Hamburg, Düsseldorf, Köln oder Frankfurt am Main auch Städte im Osten wie Berlin, Leipzig und Dresden. Auch manche mittelgroße Städte feiern unterdessen eine fast unerwartete Renaissance, darunter Potsdam, Eisenach, Erfurt oder auch Freiburg und Oldenburg.

Ländliche Gebiete in den alten Bundesländern schrumpfen aber ebenso wie jene in den neuen Ländern. Die Dynamik dieser Entwicklung ist noch unterschiedlich. So bleibt die Bevölkerung in den Bundesländern konstant, in denen das Schrumpfen ländlicher Räume durch Wachstum in städtischen Zentren ausgeglichen werden kann, zum Beispiel in Bayern oder Hessen. Bundesländer ohne große städtische Zentren wie Rheinland-Pfalz verlieren statistisch gesehen schneller an Bevölkerung, auch wenn im ländlichen Raum die Entwicklungen sehr ähnlich verlaufen.

Auch die zuletzt hohe Zahl von Zuzügen von Asylsuchenden nach Deutschland (2015 ca. 442.000 Personen) wirkt sich auf die Wanderungssalden der ostdeutschen Länder aus. Die Menschen werden nach Quoten auf die Bundesländer verteilt, die sich aus dem sogenannten Königsteiner Schlüssel ergeben: Er setzt sich zu zwei Dritteln aus dem Steueraufkommen und zu einem Drittel aus der Bevölkerungszahl der Länder zusammen. Der größte Anteil der Asylsuchenden wird daher zunächst in den bevölkerungsreichen und wirtschaftsstarken Bundesländern in Süd- und Westdeutschland untergebracht. Auch gelten kleine Dörfer und Gemeinden eher als Durchgangsstationen für Schutzsuchende. Dennoch könnten Asylsuchende zur demografischen Zukunftsfähigkeit auch in ostdeutschen Gemeinden beitragen.

Osten nimmt demografische Entwicklung des Westens vorweg

Auch wenn sich demografische Indikatoren wie Fertilität, Lebenserwartung und Heiratsverhalten in den neuen Bundesländern langsam dem westdeutschen Niveau annähern – die Fertilität ist in Ostdeutschland sogar wieder leicht höher –, haben die vergangenen 25 Jahre tiefe Spuren in der Bevölkerungsstruktur Ostdeutschlands hinterlassen.

Zu verzeichnen ist einerseits ein starker Rückgang der Gesamtbevölkerungszahl seit den 1990er Jahren, andererseits eine Veränderung in der Altersstruktur: Die Bevölkerung Ostdeutschlands war 1989 deutlich jünger als die in Westdeutschland, der Anteil der Personen unter 20 Jahre betrug 25,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Bis 2013 verringerte sich dieser Anteil in den ostdeutschen Flächenländern auf 15 Prozent. (zum Vergleich: in den westlichen Flächenländern lag er bei 19 Prozent und in den Stadtstaaten bei 17 Prozent). Der Anteil der über 65-Jährigen erhöhte sich dagegen um 10 Prozentpunkte.

In den vergangenen Jahren hat sich einerseits der Druck auf den ostdeutschen Arbeitsmarkt deutlich reduziert. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass die regionale Wirtschaft unter den wenigen vorhandenen Auszubildenden und Studierenden nicht mehr ausreichend qualifiziertes Personal rekrutieren kann und die östlichen Bundesländer jenseits der Großstädte als Wirtschaftsstandorte dadurch immer unattraktiver werden.

Im Osten Deutschlands stehen dynamischen urbanen Zentren ländliche Räume gegenüber, deren Bevölkerungszahl immer weiter abnimmt. “Ostdeutschland ist vom demografischen Wandel deutlich stärker und deutlich früher als die westdeutschen Bundesländer betroffen. Die ostdeutschen Länder nehmen eine Entwicklung vorweg, die in ähnlicher Form in Westdeutschland mit einer Verzögerung von 20 Jahren ebenfalls eintreffen wird”, prognostiziert die Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer auf ihrer Webseite.

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Franka Kühn, geb. 1968, Studium der Politischen Wissenschaften in Berlin, derzeit Pressesprecherin beim Verbraucherzentrale Bundesverband mit dem Schwerpunkt Verbraucherpolitik.