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Familienbezogene Infrastruktur

C. Katharina Spieß

/ 11 Minuten zu lesen

Neben Geldleistungen, wie dem Kindergeld, investiert die deutsche Familienpolitik in verschiedene Infrastrukturangebote. Dazu gehört die Tagesbetreuung von Kindern, der eine besondere Rolle zukommt. Die Bildungsökonomin Katharina Spieß schlüsselt die verschiedenen Angebote auf, ebenso die Finanzierung.

Die Tagesbetreuung ihrer Kinder ist für viele Eltern ein zentrales Thema und für die Familienpolitik eine wichtige Infrastrukturleistung. (© dpa)

Infrastrukturangebote sind für Familien von zentraler Bedeutung. Dies belegen unterschiedliche sozialwissenschaftliche Untersuchungen. Die Familienpolitik in Deutschland umfasst eine Vielzahl von Infrastrukturangeboten. Die bedeutendste Leistung ist die Tagesbetreuung für Kinder, welche Angebote für Kinder ab dem ersten Lebensjahr umfasst – dies sind Bildungs- und Betreuungsangebote in Kindertageseinrichtungen, Angebote für Schulkinder im Hortbereich und die öffentlich geförderte Kindertagespflege (§§ 22 bis 26 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII – Kinder- und Jugendhilfegesetz). Andere Infrastrukturangebote umfassen insbesondere die Hilfen zur Erziehung (§§ 27ff SGB VIII), ambulante und stationäre Hilfen (§§ 27 bis 35 SGB VIII) oder auch Maßnahmen zur Eingliederung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung (§ 35a SGB VIII und §§ 53ff SGB XII).

Unter den Hilfen zur Erziehung werden verschiedene individuelle und/oder therapeutische Maßnahmen zusammengefasst. Diese Leistungen gehören alle zur Kinder- und Jugendhilfe. Ein weiteres für Familien zentrales Infrastrukturangebot, was formal nicht der Familien- sondern der Bildungspolitik zugeordnet wird, sind ganztätige Betreuungsangebote an Schulen bzw. Ganztagsschulen.

Öffentliche Ausgaben für familienbezogene Infrastruktur

Die öffentliche Hand – das sind der Bund, die Länder und Kommunen – haben im Jahr 2010 etwa 27 Milliarden Euro für die Kindertagesbetreuung und andere Infrastrukturleistungen ausgegeben. Dies entspricht in etwa 22 Prozent der Ausgaben für familienbezogene Leistungen insgesamt (siehe hierzu auch Interner Link: "Familienpolitische Geldleistungen"). Denn wesentlich mehr öffentliche Mittel werden in Deutschland für monetäre Transfers (wie z.B. das Elterngeld), steuerliche Leistungen (wie z.B. das Kindergeld und der Kinderfreibetrag) und familienbezogene Ausgaben in der Sozialversicherung (wie z.B. die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern in der gesetzlichen Krankenversicherung) ausgegeben (BMFSFJ 2010). Andere europäische Länder, wie z.B. die skandinavischen Länder geben dagegen relativ betrachtet mehr für Infrastrukturleistungen aus. Von daher wird insbesondere im Bereich der Infrastrukturleistungen der deutschen Familienpolitik vielfach ein Nachholbedarf bescheinigt.

Die öffentlichen Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe teilen sich größtenteils die Länder und Gemeinden, gleichwohl sich in bestimmten Bereichen auch der Bund finanziell beteiligt. Ausschließlich für die Kindertagesbetreuung hat die öffentliche Hand im Jahr 2013 etwa 19,5 Milliarden Euro ausgegeben. Hier beträgt der Finanzierungsanteil der Gemeinden im bundesweiten Mittel etwas unter 60 Prozent und der Anteil der Länder etwas über 40 Prozent.

Seit dem Jahr 2007 trägt auch der Bund zur öffentlichen Finanzierung von Kindertageseinrichtungen bei. Außerdem beteiligt sich der Bund an den Betriebskosten für Kindertageseinrichtungen indirekt durch den Verzicht auf einen Teil des Umsatzsteueraufkommens (Statistisches Bundesamt 2012, Spieß 2011). Insgesamt finanziert die öffentliche Hand etwa 80 Prozent der Kosten der Kindertagesbetreuung. Zusätzlich zur öffentlichen Hand beteiligen sich andere Akteure an der Finanzierung der Kindertagesbetreuung. Dies sind die Familien, die Elternbeiträge entrichten, und die freien Träger mit ihren Eigenanteilen. Die Elternbeiträge variieren regional sehr stark. In einigen Bundesländern und Kommunen ist eine Einkommensstaffelung der Elternbeiträge festzumachen – vielfach sind die Gebühren für Familienhaushalte mit sehr niedrigem Einkommen sehr gering oder sie werden von der öffentlichen Hand übernommen.

Auch die Ausgaben der Jugend- und Jugendverbandsarbeit werden in erster Linie durch die Gemeinden getragen. Ihr Ausgabenanteil entspricht etwa 68 Prozent der Gesamtausgaben. Der Bund stellt in diesem Bereich etwa 13 Prozent und die Länder etwa 18 Prozent der öffentlichen Ausgaben (Statistisches Bundesamt 2012).

Tagesbetreuung für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen

Tagesbetreuungsangebote in Deutschland sind Angebote, welche die frühe Förderung von Kindern unterstützen sollen. Sie sollen auch Eltern dabei unterstützen Familie und Erwerbsarbeit besser miteinander zu vereinbaren. Dabei sind diese Infrastrukturangebote zum einen dem Bereich der (frühen) Bildung zuzuordnen und zum anderen einer Familienpolitik, welche eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Ziel hat. Die Tagesbetreuung für Kinder unterscheidet sich in Deutschland sehr stark nach dem Alter der Kinder, und es sind große regionale Unterschiede festzumachen, insbesondere zwischen West- und Ostdeutschland sowie den Stadtstaaten und westlichen Flächenländern.

Seit dem Jahr 1996 hat in Deutschland jedes Kind ab dem dritten Lebensjahr einen Anspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung – dies können Kindergärten sein oder Einrichtungen, die eine Betreuung in altersgemischten Gruppen ermöglichen. Die öffentlich geförderte Kindertagespflege hat für diese Altersgruppe keine größere Bedeutung. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz hat mit dazu beigetragen, dass inzwischen nahezu alle Kinder, zumindest für ein oder zwei Jahre, eine Kindertageseinrichtung besuchen. In Deutschland besuchten im Jahr 2013 fast 94 Prozent aller Kinder im Alter von drei bis unter sechs Jahren eine Kindertagesbetreuung – in Westdeutschland waren dies 93 und in Ostdeutschland 96 Prozent (Statistisches Bundesamt 2013a).

Die Angebote im Bereich der Tagesbetreuung von Kindern unter drei Jahren haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen, da dem sogenannten "U3-Ausbau" familienpolitisch ein großer Stellenwert zukam (Spieß 2011). Die im internationalen Vergleich niedrigen Versorgungsquoten mit Plätzen für in Westdeutschland lebende Kinder haben im Jahr 2005 zu ersten Reformen im Bereich von Kindertageseinrichtungen geführt. Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) sollte der Ausbau der "U3-Betreuung" um 230.000 neue Plätze stufenweise bis 2010 vorangebracht werden. Mit einem weiteren Gesetz, dem Kinderförderungsgesetz (KiföG) aus dem Jahr 2008, wurde ein noch höheres Ausbauziel gesetzt: Für 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren sollte im Jahr 2013 ein außerhäuslicher Betreuungsplatz zur Verfügung stehen. Im August 2013 trat außerdem der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem zweiten Lebensjahr in Kraft. Für dieses Reformvorhaben stellte der Bund mit der Einführung des KiföG vier Mrd. Euro zur Verfügung. Es folgten weitere Bundesmittel. Dieses Ausbauziel ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Lissabon-Strategie der Europäischen Union aus dem Jahr 2000 vorsah, dass für 33 Prozent der Kinder unter 3 Jahren ein Platz in einer Kindertagesbetreuung zur Verfügung stehen sollte.

Der Ausbau der Kinderbetreuung geht weiter

Im Jahr 2013 konnten aber noch nicht alle Bundesländer die anvisierte Betreuungsquote von 35 Prozent erreichen. In dem Jahr waren in Gesamtdeutschland fast 29 Prozent der Kinder unter drei Jahren in der Tagesbetreuung – dabei wurden etwa 25 Prozent in einer Tageseinrichtung (z.B. einem Kindergarten) und weitere 4 Prozent in der Kindertagespflege (z.B. durch eine Tagesmutter) betreut. Hier sind erhebliche Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland festzumachen: So besuchten in Westdeutschland etwa nur ein Viertel aller Kinder eine Tagesbetreuung – in Ostdeutschland ist es fast jedes zweite Kind (Statistisches Bundesamt 2013a).

Diese Unterschiede gehen auf die unterschiedliche Geschichte der Bildungs- und Betreuungsangebote in den beiden deutschen Staaten zurück. Während Westdeutschland keine Tradition in der flächendeckenden Betreuung von Kindern unter drei Jahren hatte, bestand diese Tradition in Ostdeutschland seit vielen Jahren. So sind zwischen den Bundesländern große Nutzungsunterschiede zu beobachten: In Sachsen-Anhalt nahmen 58 Prozent der Kinder eine Tagesbetreuung in Anspruch, während es in Nordrhein-Westfalen nur knapp 20 Prozent waren (vgl. Tabelle 1). Darüber hinaus sind zwischen den Kreisen eines Bundeslandes erhebliche Unterschiede festzumachen – und dies auch innerhalb der Bundesländer (Statistisches Bundesamt 2013a).

Tabelle 1: Kinder unter 3 Jahren in Tagesbetreuung (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die durchschnittliche vereinbarte Betreuungszeit – zwischen Eltern und Tageseinrichtung bzw. Kindertagespflege – beträgt bei 0- bis 3-Jährigen 7,6 Stunden pro Tag und bei 3- bis 7-Jährigen 7,3 Stunden pro Tag. Insgesamt werden nur sehr wenige Kinder mehr als 7 Stunden am Tag betreut: Bundesweit ist dies nur jedes siebte Kind unter drei Jahren. 80 Prozent der Kinder unter drei Jahren erhalten in den Einrichtungen ein Mittagessen, während es bei den Kindern im Kindergartenalter 63 Prozent sind (Statistisches Bundesamt 2013b). Die Betreuung über Mittag hat insbesondere bei Kindergartenkindern in den vergangenen Jahren sehr zugenommen.

Der Anteil von Schulkindern, welche Tageseinrichtungen besuchen – in diesem Fall Horte, die nicht einer Schule, sondern der Kinder- und Jugendhilfe zuzuordnen sind –, beträgt in etwa 22 Prozent aller Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren. Dabei sind es insbesondere Kinder im Grundschulalter, welche diese Angebote nutzen. Auch hier sind es wieder Kinder in Ostdeutschland, die das Angebot verstärkt nutzen – die Besuchsquote beträgt hier fast 53 Prozent, in Westdeutschland knapp 16 Prozent (Statistisches Bundesamt 2013b).

Träger der Infrastrukturangebote

Die Infrastrukturangebote im Bereich der Tagesbetreuung werden von freien Trägern, öffentlichen Trägern oder auch von Wirtschaftsunternehmen angeboten. Als öffentliche Träger agieren mehrheitlich die Gemeinden. Als freie Träger sind insbesondere der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, das Diakonische Werk oder andere evangelische Träger und der Caritasverband bzw. andere katholische Träger aktiv. Die Träger, welche der Gruppe der Wirtschaftsunternehmen zuzuordnen sind, umfassen betriebliche Angebote oder privat-gewerbliche Angebote.

31 Prozent aller Kinder unter drei Jahren in einer Kindertageseinrichtung werden in einer Einrichtung eines öffentlichen Trägers betreut, 68 Prozent in einer Einrichtung eines freien Trägers und 1 Prozent in einer Einrichtung eines privat-gewerblichen Trägers. Bei den Kindern im Kindergartenalter entspricht der Anteil öffentlicher Träger 35 Prozent und der freien Träger 65 Prozent – hier haben privat-gewerbliche Träger eine noch geringere Bedeutung (Statistisches Bundesamt 2013b). Allerdings sind insbesondere bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren erhebliche regionale Unterschiede festzumachen. Der geringe Anteil privat-gewerblicher Träger lässt sich auch dadurch erklären, dass nur einige Bundesländer, wie z.B. Hamburg, privat-gewerblichen Trägern öffentliche Mittel zukommen lassen (Spieß 2010). Dies ist unabhängig davon, dass alle Einrichtungen eine Betriebserlaubnis benötigen und sich an Mindeststandards halten müssen, sofern diese auf Landes- oder kommunaler Ebene festgelegt sind.

Sozioökonomische Unterschiede bei der Nutzung von Angeboten der Kindertagesbetreuung

Die Angebote der Kindertagesbetreuung werden in Deutschland nicht von allen Gruppen in gleichem Umfang in Anspruch genommen. Insbesondere im Bereich der Betreuung der Kinder unter drei Jahren sind größere sozioökonomische Unterschiede bei der Nutzung festzumachen.

In Westdeutschland sind z.B. Kinder, deren Eltern beide einen Migrationshintergrund haben oder Kinder, deren Familien zu Hause mehrheitlich kein Deutsch sprechen, in Kindertageseinrichtungen unterrepräsentiert. In Ostdeutschland besuchen Kinder einkommensschwacher Eltern und von Eltern, die öffentliche Transfers erhalten, eher nicht eine Kindertageseinrichtung. Dies trifft auch auf Kinder zu, deren Mütter keine berufliche Ausbildung haben. Insofern ist bei dieser Altersgruppe von sozioökonomisch bedingten Nutzungsunterschieden auszugehen. Bei älteren Kindern im Kindergartenalter sind diese Unterschiede nicht festzumachen (Schober und Spieß 2012).

Die Qualität der Infrastrukturleistungen

Für Familien ist neben einem wohnortnahen Infrastrukturangebot insbesondere auch die Qualität der Angebote von großer Bedeutung. Deutschlandweit verfügen 97,5 Prozent des pädagogischen Personals in Kindertageseinrichtungen über einen formalen Ausbildungsabschluss. Das Personal in Tageseinrichtungen umfasst mehrheitlich Erzieherinnen, daneben aber auch Kinderpflegerinnen und Personen mit einem pädagogischen oder sozialpädagogischen Studienabschluss. Insgesamt macht der Anteil des Personals mit einem Hochschulabschluss im Bundesdurchschnitt aber nur knapp fünf Prozent aus – dies mit sehr großen regionalen Differenzen (Bock-Famulla und Lange 2013). Der Anteil der Akademikerinnen wird jedoch in Zukunft vermutlich zunehmen, da in den vergangenen Jahren die fachpolitische Debatte zunehmend die Professionalisierung des pädagogischen Personals in den Vordergrund stellt.

Was die pädagogische Qualität der Einrichtungen angeht, so sind hier ebenfalls große regionale Unterschiede festzuhalten. Dabei variieren z.B. die Gruppengröße, der Personalschlüssel und auch die Ausbildungsstandards nach Alter der betreuten Kinder und insbesondere auch nach Region und Träger. In Deutschland existieren keine einheitlichen Qualitätsmindeststandards. Vielmehr zeichnet sich die familiale Infrastruktur durch starke regional divergierende pädagogische Qualitäten aus.

Eine aktuelle Untersuchung der pädagogischen Qualität der Kindertagesbetreuung zeigt, dass mehr als 80 Prozent der untersuchten Krippengruppen nur ein mittleres Qualitätsniveau aufweisen. Gute pädagogische Prozessqualität kommt dabei in jedem der untersuchten Betreuungssettings in weniger als zehn Prozent der Fälle vor, unzureichende Qualität dagegen in zum Teil deutlich mehr als zehn Prozent der Fälle. Es zeigt sich außerdem, dass Familien mit Migrationshintergrund, die teilweise ohnehin in einem geringeren Umfang ihre Kinder früh in Kindertageseinrichtungen betreuen lassen, tendenziell eher in Einrichtungen mit relativ betrachtet schlechteren Qualitäten sind – dies kann zu einer doppelten Benachteiligung dieser Gruppen führen (Tietze et al. 2012).

Angebote in Ganztagsschulen

Ganztagsschulen sind neben den Hortangeboten der Kinder- und Jugendhilfe insbesondere für Kinder im Grundschulalter ein zentrales Infrastrukturangebot. In den vergangenen Jahren ist der Anteil von Grundschulkindern, die am Ganztagsschulbetrieb teilnehmen, stark gestiegen: Im Jahr 2004 waren dies lediglich knapp 7 Prozent, im Jahr 2011 betrug der Anteil bereits 26 Prozent. Das bedeutet, dass inzwischen mehr als jedes vierte Kind im Grundschulalter eine Ganztagsschule besucht.

Zu dem Ausbau von Ganztagsschulen hat das Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) des Bundes beigetragen: Von 2003 bis 2009 stellte die Bundesregierung den Ländern insgesamt vier Milliarden Euro für den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfügung (Spieß 2011). Finanziert wurden allerdings primär bauliche Maßnahmen – die Länder mussten entsprechend im Bereich der Personalkosten erheblich investieren. Es ist zwischen offenen, teilweise gebundenen und voll gebundenen Ganztagsschulen zu differenzieren – die große Mehrheit der Ganztagsschulen sind offene Ganztagsgrundschulen, zwischen 2002 bis 2011 waren dies um die 90 Prozent (Marcus et al. 2013).

Auch bei der Nutzung von Ganztagsschulen sind sozioökonomische Unterschiede bei der Nutzung festzumachen: So weisen in Westdeutschland Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien – etwa Kinder von Eltern mit Migrationshintergrund und/oder aus Transferempfängerhaushalten – eine höhere Wahrscheinlichkeit der Nutzung von Ganztagsangeboten auf. In Ostdeutschland sind Kinder aus sozioökonomisch schwächeren Haushalten tendenziell seltener in Ganztagsschulen vertreten (Marcus et al. 2013).

Ganztagsschulische Angebote sind ein wichtiger Beitrag zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf – mit ihnen ist allerdings auch das Ziel verbunden die Bildungschancen, insbesondere von Kindern aus bildungsfernen Gruppen zu verbessern. In diesem Zusammenhang ist es von besonderer Bedeutung, qualitativ gute Angebote an Ganztagsschulen vorzuhalten, welche die Entwicklung von Kindern nachhaltig positiv beeinflussen können.

Literatur

BMFSFJ - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2013): Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland - 14. Kinder- und Jugendbericht, Berlin; Externer Link: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/14-Kinder-und-Jugendbericht,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf

BMFSFJ - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2010): Bestandsaufnahme der familienbezogenen Leistungen und Maßnahmen des Staates im Jahr 2010, Berlin; Externer Link: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/familienbezogene-leistungen-tableau-2010,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf

Bock-Famulla, Kathrin und Jens Lange (2013): Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2013, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh

Marcus, Jan, Janina Nemitz und C. K. Spieß (2013): Ausbau der Ganztagsschule: Kinder aus einkommensschwachen Haushalten im Westen nutzen Angebote verstärkt, in: DIW Wochenbericht (27: 11-23); Externer Link: http://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.457850.de

Schober, Pia s. und C. K. Spieß (2012): Frühe Förderung und Betreuung von Kindern: Bedeutende Unterschiede bei der Inanspruchnahme besonders in den ersten Lebensjahren, in: DIW Wochenbericht (43: 17-31); Externer Link: http://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.457090.de

Spieß, C. K. (2010): Sieben Ansatzpunkte für ein effektiveres und effizienteres System der frühkindlichen Bildung in Deutschland, in: Apolte, T. und U. Vollmer (Hg.): Bildungsökonomik und Soziale Marktwirtschaft, Lucius & Lucius, Stuttgart, S. 3–18

Spieß, C. K. (2011): Vereinbarkeit von Familie und Beruf – wie wirksam sind deutsche "Care Policies"?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Special Issue (12: 4-27)

Statistisches Bundesamt (2013a): Kindertagesbetreuung regional 2013, Wiesbaden; Externer Link: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Soziales/KinderJugendhilfe/
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Statistisches Bundesamt (2013b): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2013, Wiesbaden; Externer Link: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Soziales/KinderJugendhilfe/
TageseinrichtungenKindertagespflege5225402137004.pdf?__blob=publicationFile

Statistisches Bundesamt (Hrsg.) 2012: Bildungsfinanzbericht 2012, Wiesbaden; Externer Link: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/
BildungKulturFinanzen/Bildungsfinanzbericht1023206127004.pdf?__blob=publicationFile

Statistisches Bundesamt (Hrsg.) 2014: Bildungsfinanzbericht 2013, Wiesbaden; Externer Link: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/
BildungKulturFinanzen/Bildungsfinanzbericht1023206137004.pdf?__blob=publicationFile

Tietze, W., F. Becker-Stoll, J. Bensel, A. Eckhardt, G. Haug-Schnabel, B. Kalicki, H. Keller, und B. Leyendecker (2012): NUBBEK. Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit. Fragestellungen und Ergebnisse im Überblick, Berlin

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Die Familien- und Bildungsökonomin Prof. Dr. C. Katharina Spieß leitet am DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) die Abteilung Bildung und Familie und hat an der Freien Universität Berlin eine Professur für Familien- und Bildungsökonomie inne. Spieß ist u.a. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie war Mitglied der Sachverständigenkommissionen für den Siebten Familienbericht sowie den 14. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung.