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Die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung

Thomas Gerlinger

/ 9 Minuten zu lesen

Wie hat sich die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung im historischen Verlauf entwickelt? Und wie wurde die Verhandlungsposition der gesetzlichen Krankenversicherung gestärkt?

Frau mit Baby am PC. (© Thinkstock)
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Traditionell wurden die Versicherten den Krankenkassen nach bestimmten Kriterien zugeordnet. Nach welchen Kriterien erfolgte diese Zuordnung?

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Die gesetzliche Krankenversicherung ist ein gegliedertes System der Krankenversicherung. Damit ist gemeint, dass die Krankenversicherung von einer Vielzahl von Krankenkassen getragen wird, die ihrerseits zu mehreren Kassenarten zusammengefasst sind. Traditionell waren die Versicherten primär über ihren beruflichen Status, ihre Betriebszugehörigkeit oder einfach nur nach dem Wohnort einer bestimmten Kasse fest zugewiesen. Dabei bildeten die Ortskrankenkassen eine Art Auffangbecken, weil sie im Unterschied zu den übrigen Kassen alle Versicherten aufnehmen mussten, die sonst keine Versicherungsmöglichkeit hatten. Lediglich die Angestellten konnten ihre Kasse frei wählen; den Arbeiterinnen und Arbeitern war dies zumeist nicht gestattet. Das gegliederte System geht zurück auf die besonderen Umstände der Gründung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Zu diesem Zeitpunkt existierte eine große Zahl von informellen (Selbst-)Hilfeeinrichtungen für den Krankheitsfall, und bei der Schaffung der neuen Krankenversicherung wurde die Entscheidung getroffen, auf diesen bereits existierenden Bestand an Organisationen zurückzugreifen.

Die Krankenkassen sind auf Landes- und auf Bundesebene zu Verbänden zusammengefasst, die die einzelnen Kassenarten repräsentieren. Auf Bundesebene bildeten bis 2008 die Bundesverbände der Kassenarten die sogenannten Spitzenverbände der GKV. An ihre Stelle trat 2008 der GKV-Spitzenverband. Die Träger der GKV unterliegen der staatlichen Rechtsaufsicht. Diese Aufsicht wird vom Bundesgesundheitsministerium für die nur auf Bundesebene organisierten (so genannten bundesunmittelbaren) Kassen und die Bundesverbände wahrgenommen. Die zuständigen Landesministerien beaufsichtigen die auf Landesebene organisierten Kassen und die Landesverbände. Dies gilt analog auch für die vertragsärztlichen Körperschaften, also die KVs. Die Krankenkassen und die Verbände bilden mit den Verbänden der Leistungsanbieter die gemeinsame Selbstverwaltung.

Korporatisierung und vorsichtige Stärkung der Krankenkassen

Die Phase der traditionellen Kostendämpfungspolitik ist mit Blick auf die Organisation der GKV und deren Steuerung durch die gemeinsame Selbstverwaltung durch zwei Entwicklungen gekennzeichnet:

  • eine Stärkung der Krankenkassen gegenüber den Leistungsanbietern, insbesondere gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen);

  • eine Korporatisierung der politischen Steuerung der GKV.

Eine wichtige Ursache für die expansive Ausgabenentwicklung bestand nach Überzeugung zahlreicher Expertinnen und Experten darin, dass die Krankenkassen den Leistungsanbietern, insbesondere den KVen, bei der Aushandlung von Versorgungsverträgen strukturell unterlegen waren. Zum einen standen sie in Konkurrenz zueinander, und die KVen verstanden es häufig, diese Situation für sich auszunutzen. Zum anderen schlossen die Orts-, Innungs-, Betriebs- und landwirtschaftlichen Krankenkassen Verträge auf der Ebene der einzelnen Kasse. Auch dies verstärkte die Konkurrenz zwischen den Kassen, und zudem waren die Verantwortlichen bei den Kassen mit dieser Aufgabe bisweilen überfordert. Vor diesem Hintergrund war der Gesetzgeber grundsätzlich bestrebt, die Situation der Krankenkassen durch eine Zentralisierung und Vereinheitlichung ihrer Verhandlungsposition zu stärken. Das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz von 1977 enthielt dafür wichtige Maßnahmen:

  • die Orts-, Innungs-, Betriebs und landwirtschaftlichen Krankenkassen verhandelten mit den KVen nicht mehr auf Ebene der einzelnen Kasse, sondern als Landesverbände über Vergütungen;

  • es wurde eine für alle Kassenarten verbindliche kassenärztliche Gebührenordnung eingeführt.

Der Gesetzgeber war in der Phase der strukturkonservierenden Kostendämpfungspolitik darum bemüht, seine Ziele primär durch die Einbindung der Verbände der – in ihrer Position gestärkten – Krankenkassen und der Verbände der Leistungserbringer zu erreichen. Das ist mit dem Begriff der Korporatisierung gemeint. Er übertrug den Verbänden eine Reihe von Kompetenzen für kollektivvertragliche Vereinbarungen. Die Verbände ihrerseits sollten diese vertraglichen Vereinbarungen gegenüber ihren Mitgliedern durchsetzen. Dabei vollzog sich diese Korporatisierung unter – vor allem finanziell – restriktiveren Vorgaben des Staates. Der Versuch einer Einbindung der Verbände kam darüber hinaus auch in der erwähnten Einrichtung der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen zum Ausdruck.

In den nachfolgenden Reformen wurde diese Entwicklung fortgesetzt. Insbesondere der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen wurde als Steuerungsgremium weiter aufgewertet. Nach und nach erhielt er zusätzliche Steuerungskompetenzen auf den unterschiedlichsten Feldern der Gesundheitspolitik. Besonders wichtige Schritte sah das Gesundheitsreformgesetz 1988 vor:

  • Die Ersatzkassen wurden in den Geltungsbereich der Entscheidungen des Bundesausschusses aufgenommen.

  • Der Bundesausschuss erhielt den Auftrag, über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens neuer medizinischer Verfahren zu entscheiden. Damit konnte er – in Verbindung mit der Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs – entscheidenden Einfluss auf den Leistungskatalog aller Krankenkassen nehmen.

  • Der bisweilen unklare Rechtsstatus der Richtlinien des Bundesausschusses wurde geklärt, indem das GRG sie zu automatischen Bestandteilen der Bundesmantelverträge erklärte. Damit wurden sie für alle Beteiligten unmittelbar verbindlich.

Wettbewerb: Freie Kassenwahl und Risikostrukturausgleich

Einen tief greifenden Wandel in den Organisationsstrukturen der GKV brachte das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 (GSG). Zunächst wurden damit neue Strukturen in der Selbstverwaltung der Krankenkassen geschaffen. An die Stelle der aus Wahlen hervorgegangenen Vertreterversammlung und des von der Vertreterversammlung gewählten Vorstandes trat nun der gewählte Verwaltungsrat. Dieser wählte für die Dauer von sechs Jahren den hauptamtlichen Vorstand. Die Aufgaben des Verwaltungsrates wurden auf Fragen von grundsätzlicher Bedeutung beschränkt. Dazu zählten vor allem die Schaffung einer Satzung und (bis 2008) die Festlegung des Beitragssatzes der Krankenkasse. Diese Reform sollte zu einer Professionalisierung der Selbstverwaltung führen.

Von noch größerer Bedeutung als die Reform der Selbstverwaltung war die Reform der Organisations- und Steuerungsstruktur, die das GSG auf den Weg brachte. In deren Zentrum stand die Einführung der freien Kassenwahl für die GKV-Versicherten, die zum 1. Januar 1997 in Kraft trat. Die Krankenkassen unterlagen dabei einem Kontrahierungszwang, das heißt, jeder wechselwillige Versicherte musste von den Kassen auch aufgenommen werden. Nur wenige Krankenkassen, unter ihnen die Betriebskrankenkassen, waren zunächst noch von dem Zwang, sich für alle Versicherten zu öffnen, befreit. Damit mussten die Krankenkassen zwangsweise um Mitglieder konkurrieren. Da der Leistungskatalog gesetzlich weitgehend einheitlich geregelt war, stand der Beitragssatz als Wettbewerbsparameter im Mittelpunkt. Die Krankenkassen waren gehalten – und dies war auch bezweckt –, ihre Ausgaben zu begrenzen, um einen möglichst günstigen Beitragssatz anbieten zu können.

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Was versteht man unter dem Kontrahierungszwang der gesetzlichen Krankenkassen?

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Die Einführung der freien Kassenwahl wurde ergänzt durch die Einführung eines Risikostrukturausgleichs (RSA) zwischen den Krankenkassen. Sie erfolgte bereits mit Wirkung zum 1. Januar 1994. Der RSA ist ein finanzielles Umverteilungsverfahren zwischen den Krankenkassen, das die Finanzierungsrisiken, die sich aus der unterschiedlichen Zusammensetzung der jeweiligen Versichertengemeinschaft der Kassen ergibt, ausgleichen soll. Berücksichtigt werden dabei die Indikatoren Alter, Einkommen, Geschlecht, Anzahl der beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen sowie Bezug von Krankengeld und Bezug einer Erwerbsminderungsrente. Die Funktion des RSA ist es, die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Kassen im Wettbewerb anzugleichen, dem Wettbewerb um "gute Risiken" – also um Versicherte mit hohen Einkommen und geringem Erkrankungsrisiko ("Rosinenpickerei") – vorzubeugen und die Kassen zu wirtschaftlichem Handeln anzuregen.

Allerdings erwies sich in den folgenden Jahren, dass das Instrument in der eingeführten Form die gewünschten Wirkungen weitgehend verfehlte. Als wichtigster Konstruktionsfehler erwies sich, dass der RSA nicht das Risiko "Krankheit" berücksichtigte. Daher schuf er für die Krankenkassen einen Anreiz zur Risikoselektion. Sie versuchten, sich primär auf diesem Wege Konkurrenzvorteile zu verschaffen, und nicht etwa – wie anfangs erhofft – durch eine Verbesserung von Versorgungsstrukturen für chronisch Kranke. Denn damit wären sie Gefahr gelaufen, die teuren chronisch Kranken anderer Krankenkassen anzulocken.

Die Erfahrungen mit den bisherigen Regelungen mündeten in das Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs, das Ende 2001 verabschiedet wurde. Es sah einige Veränderungen im Hinblick auf die freie Kassenwahl vor, jedoch bestand die wichtigste in einer Erweiterung des Risikostrukturausgleichs: Seit 2002 erhalten die Krankenkassen für Patientinnen und Patienten mit bestimmten chronischen Erkrankungen, die im Rahmen strukturierter Behandlungsprogramme ("Disease-Management-Programme" – DMP) versorgt werden, zusätzliche Mittel aus dem RSA.

Dabei handelt es sich um folgende Krankheiten:

  • Diabetes mellitus Typ 1

  • Diabetes mellitus Typ 2

  • Brustkrebs

  • koronare Herzkrankheit

  • Asthma bronchiale

  • chronisch obstruktive Lungenerkrankung

Strukturierte Behandlungsprogramme orientieren die Versorgung an medizinischen Leitlinien und sollen eine Verbesserung der Versorgungsqualität mit sich bringen. Mit der Zuweisung von Finanzmitteln für jeden im Rahmen von DMPs versorgte Versicherte beziehungsweise versorgten Versicherten soll für die Krankenkassen ein entsprechender Anreiz entstehen, sich um die Auflegung solcher Programme zu bemühen. Ende 2016 legte der G-BA gemäß dem Versorgungsstrukturgesetz Konzepte für DMPs zu weiteren chronischen Krankheiten vor, darunter Rückenleiden und Depression.

Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) sah mit Wirkung vom 1. Januar 2009 weitere wichtige Veränderungen des RSA vor. Seither werden bei den Finanzmittelzuweisungen, die die Kassen aus dem neuen Gesundheitsfonds erhalten, neben den Kriterien Alter, Geschlecht und Erwerbsminderungsrente auch die Morbidität der Versicherten berücksichtigt ("Morbi-RSA"), nämlich 80 besonders teure Krankheiten beziehungsweise Krankheiten mit besonders schweren Verläufen. Für jede Versicherte und jeden Versicherten mit einer dieser Erkrankungen erhalten die Krankenkassen einen Morbiditätszuschlag, der die erhöhten Kosten widerspiegelt, die den Krankenkassen im Durchschnitt bei der Versorgung entsprechender Versicherter entstehen.

Darüber hinaus wurde mit dem GKV-WSG die zuvor praktizierte direkte Zuweisung für in DMPs eingeschriebene Versicherte hinfällig, da die im Rahmen von DMPs versorgten Erkrankungen auch im Morbi-RSA berücksichtigt sind. Nun erhalten die Krankenkassen für jeden in ein DMP eingeschriebenen Versicherten eine Programmkostenpauschale, die die standardisierten Verwaltungskosten eines Programms ausgleicht.

Weitere Zentralisierung von Regulierungskompetenzen

Auch seit den 1990er-Jahren setzte sich die Tendenz zur Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen auf Bundesebene fort. Sie kam unter anderem darin zum Ausdruck, dass die Gremien der Selbstverwaltung auf Bundesebene weiter gestärkt wurden. Das GKV-Gesundheitsreformgesetz (GKV-GRG) von 1999 erweiterte die mit dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen geschaffene Struktur von der ambulanten Versorgung auf andere Versorgungsbereiche: Der Ausschuss Krankenhaus erhielt vergleichbare Kompetenzen zur Regulierung der stationären Versorgung, und der Koordinierungsausschuss war unter anderem für übergreifende Fragen der Versorgung zuständig. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) wurden diese unterschiedlichen Gremien ab 2004 zu einem einzigen Gremium, dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), zusammengefasst.

Zugleich wurden die Kompetenzen dieser Gremien seit den 1990er-Jahren weiter gestärkt. So erhielt der damalige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen mit dem 2. GKV-NOG 1997 die Kompetenz, den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit aller neuen und aller bisher im Leistungskatalog aufgenommenen Leistungen zu bewerten. Daneben erhielt er nach und nach wichtige Steuerungsaufgaben auf dem Gebiet der Qualitätssicherung, zuletzt mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz 2007, das ihm die Aufgabe übertrug, Richtlinien zur sektorenübergreifenden Qualitätssicherung zu erlassen.

Zugleich wurden aber auch neue Institutionen geschaffen, denen wichtige neue Aufgaben in dem sich ausdifferenzierenden Gesundheitssystem übertragen wurden. So sah das Fallpauschalengesetz 2002 die Schaffung eines Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus vor, das für die Weiterentwicklung der Krankenhausvergütung zuständig ist. Das GKV-Modernisierungsgesetz beauftragte den G-BA, ein "Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen" zu gründen. Es sollte unter anderem den therapeutischen Nutzen von Arzneimitteln bewerten und evidenzbasierte Leitlinien für die Behandlung epidemiologisch bedeutsamer Krankheiten erarbeiten. Außerdem erhielt das Bundesversicherungsamt, das die Aufsicht über die bundesunmittelbaren Krankenkassen führt, seit den 1990er-Jahren wichtige neue Aufgaben. Es ist für die Durchführung des Risikostrukturausgleichs (siehe Interner Link: Kapitel zum Risikostrukturausgleich) und für die Akkreditierung von Disease-Management-Programmen (siehe Abschnitt Interner Link: "Die ambulante Versorgung") zuständig.

Der Wandel von Organisationsstrukturen betraf aber auch die Kassenseite. Bundesweite Rahmenregelungen zur Steuerung der GKV (zum Beispiel Rahmenverträge für die Leistungsvergütung, Mindeststandards für Qualitätsanforderungen oder die Festsetzung von Arzneimittelfestbeträgen) wurden auf der Kassenseite bis 2008 von den damals sieben Spitzenverbänden wahrgenommen. Bereits seit Ende der 1980er-Jahre hatte der Gesetzgeber die Spitzenverbände auf einer Vielzahl von Feldern dazu verpflichtet, "gemeinsam und einheitlich" – wie es in den einschlägigen Gesetzen häufig heißt – zu handeln. Dennoch erwies sich die Koordinierung von sieben Spitzenverbänden aus Sicht des Gesetzgebers häufig als zu schwerfällig. Daher hat er mit dem GKV-WSG die Verbändestruktur der gesetzlichen Krankenkassen einem tief greifenden Wandel unterzogen. Demzufolge wurden die Spitzenverbände der Krankenkassen aufgelöst, und ihre Aufgaben nimmt seit 2008 ein neu geschaffener Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) wahr. In ihm sind die Kassenarten gemäß ihren Versichertenanteilen vertreten. Gleichzeitig wurden die Bundesverbände der Kassenarten (zum Beispiel AOK-Bundesverband) als Körperschaften öffentlichen Rechts aufgelöst und- bis 2012 – in Verbände privaten Rechts (als GbR) überführt. Seitdem haben die verschiedenen Kassenarten auf Bundesebene Bundesverbände als eingetragene Vereine mit freiwilliger Mitgliedschaft gebildet. Der Spitzenverband soll nur für die Regelung wettbewerbsneutraler Felder auf Bundesebene zuständig sein. Zu den gravierendsten Veränderungen gehört schließlich, dass nicht mehr die Kassen die Beiträge festsetzen, sondern dass die Bundesregierung per Rechtsverordnung einen bundeseinheitlichen Beitragssatz festlegt. Siehe auch: Kapitel Interner Link: "Verbände und Körperschaften"

Einführung einer Versicherungspflicht

In den letzten Jahren hat im Zuge der Debatte über die Zukunft des Krankenversicherungssystems in Deutschland auch die Frage nach dem Verhältnis von gesetzlicher und privater Krankenversicherung eine große Aufmerksamkeit erlangt. Seit den 1970er-Jahren weist die GKV Jahr für Jahr einen negativen Wanderungssaldo gegenüber der PKV auf. Die Rückkehrrechte der in die PKV abgewanderten freiwillig Versicherten sind seit dieser Zeit spürbar eingeschränkt worden, um zu verhindern, dass diese Personen die GKV als preisgünstige Versicherung in Zeiten erhöhten Krankheitsrisikos missbrauchen. Darüber hinaus ist im vergangenen Jahrzehnt die Zahl von nicht versicherten Personen zu einem ernsten gesundheitspolitischen Problem geworden. Dabei handelte es sich dem Mikrozensus zufolge im Jahr 2003 um knapp 200.000 Personen. Konzepte zur Einführung einer einheitlichen, die gesamte Bevölkerung einschließenden Bürgerversicherung, die dieses Problem hätten lösen können, ließen sich in der Gesundheitsreform 2007 zwar nicht realisieren. Allerdings sah sie ab dem 1. Januar 2009 eine Versicherungspflicht für jede Bürgerin und jeden Bürger vor. Seither ist die Zahl der Nichtversicherten zurückgegangen, allerdings bleibt ein kleiner Sockel nicht versicherter Personen bestehen. Ausführlicher zur Bürgerversicherung: Siehe Kapitel "Die Bürgerversicherung"

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Ihre Auswertung

Was versteht man unter Morbidität?

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Was ist der Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen den Krankenkassen?

Erläuterung

Was versteht man unter Disease-Management-Programmen (DMP)?

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Welche Bestimmungen zur Krankenversicherungspflicht gelten seit 2009?

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Zu den Aufgaben des GKV-Spitzenverbandes zählt ...

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Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie.