Bismarcks Erbe: Besonderheiten und prägende Merkmale des deutschen Gesundheitswesens
Einige für das deutsche Gesundheitswesen besonders charakteristische Merkmale lassen sich bis auf die Sozialpolitik im Deutschen Kaiserreich zurückverfolgen. Selbstverwaltung und Korporatismus wurzeln ebenso in lange zurückliegenden Weichenstellungen wie das Monopol der Kassenärztlichen Vereinigungen und die zersplitterten Strukturen in der gesundheitlichen Versorgung.
Gesundheitssysteme sind historisch gewachsen
Die Eigentümlichkeiten des eigenen Landes lassen sich besonders gut erkennen, wenn man betrachtet, wie andere Länder die entsprechenden Aufgaben lösen. Dies gilt für das Gesundheitswesen sogar in besonderem Maße. Die Gesundheitssysteme der europäischen und außereuropäischen Industrieländer unterscheiden sich teilweise stark voneinander, obwohl es letztlich überall um die gleichen Aufgaben der gesundheitlichen Versorgung geht.i
Tipp
Gesundheitssysteme in anderen europäischen Ländern
Einen reichhaltigen Fundus an Informationen darüber, wie das Gesundheitswesen in anderen europäischen Ländern organisiert, finanziert und reformiert wird, bietet die Website des "European Observatory on Health Systems and Policies".
Ursache für die Unterschiede ist die stark historische Prägung des Zusammenwirkens der verschiedenen Berufsgruppen und Einrichtungen, der Aufgabenverteilungen und der Finanzierung des Gesundheitswesens in den einzelnen Ländern. Gesundheitssysteme werden nicht von Fachleuten am Reißbrett entworfen, sondern entwickeln sich in längerfristigen und national unterschiedlich verlaufenden historisch-politischen Prozessen.
Gerade am Beispiel des deutschen Gesundheitswesens lässt sich beobachten, wie dauerhaft solche Prägungen und wie zählebig manche jahrzehntealten Strukturen sind, obwohl sie schon seit Langem nicht mehr als zeitgemäße Lösungen gelten können.
Im Folgenden werden einige hervorstechende Merkmale des deutschen Gesundheitssystems in ihrem historischen Entstehungszusammenhang beschrieben. Sie betreffen vor allem die Steuerung und Entscheidungsfindung sowie grundlegende Organisationsfragen der medizinischen Versorgung. Die Kenntnis dieser Besonderheiten ist unerlässlich für das Verständnis vieler aktueller Probleme und politischer Auseinandersetzungen in der deutschen Gesundheitspolitik.
Bismarcks Sozialversicherung


Ein Kriterium, welches bei internationalen Vergleichen von Gesundheitssystemen gern herangezogen wird, ist der jeweils überwiegende Finanzierungsmodus:
- In staatlich finanzierten Gesundheitssystemen werden die Mittel vor allem über allgemeine Steuern aufgebracht. Beispiele für steuerfinanzierte Gesundheitssysteme sind Großbritannien, Schweden, Dänemark, Irland, Griechenland, Spanien, Italien.
- In Sozialversicherungssystemen – bisweilen werden sie wegen ihres historischen Ursprungs auch international als "bismarckische Systeme" bezeichnet – werden die Gesundheitsleistungen durch Versicherungsbeiträge der Bürgerinnen und Bürger zu staatlich regulierten und beaufsichtigten Versicherungssystemen finanziert. Beispiele neben Deutschland sind Frankreich, Österreich, Niederlande, Belgien, Luxemburg und Japan.
- "In marktwirtschaftlich orientierten Systemen erfolgt die finanzielle Absicherung des Krankheitsrisikos zu einem beträchtlichen Teil über privatwirtschaftliche Versicherungsunternehmen. Wichtigstes Beispiel für diesen Typus sind die USA."
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Die gesetzliche Krankenversicherung spielt im deutschen Gesundheitswesen eine dominierende Rolle: Etwa 90 Prozent der Bevölkerung sind in der GKV krankenversichert und knapp 60 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben werden von der GKV getragen.
Die Funktionsprinzipien der GKV sowie die Beziehungen zwischen GKV und Leistungserbringern – Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäusern, Apotheken usw. – üben daher einen maßgeblichen Einfluss auf das deutsche Gesundheitswesen und seine wichtigsten Akteure aus.