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Kleine Landeskunde Schwedens | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Kleine Landeskunde Schwedens

Thomas Gerlinger Renate Reiter

/ 6 Minuten zu lesen

In diesem Teil der Lerntour erhalten Sie grundlegende Informationen zur Landeskunde Schwedens. Die einzelnen Themenbereiche sind "Bevölkerung", "Politik", "Wirtschaft" und "Wohlfahrtsstaat".

Blick ins Stockholmer Parlament. (© picture-alliance/dpa)

Bevölkerung

Schweden liegt im nördlichen Teil Europas. Seine lange Ostseeküste bildet eine natürliche Landesgrenze. Nachbarländer sind Norwegen, Finnland und Dänemark. Das Land hat eine Fläche von circa 450.000 Quadratkilometern (Deutschland: circa 358.000 Quadratkilometer) und etwa neun Millionen Einwohner. Mit 20 Einwohnern pro Quadratkilometer ist die Bevölkerungsdichte im europäischen Vergleich niedrig (Deutschland: 231 Einwohner pro Quadratkilometer). Allerdings variiert sie stark zwischen den dichter besiedelten Landesteilen im Süden, insbesondere im Dreieck Malmö-Göteborg-Stockholm, und dem bevölkerungsarmen Norden. 90 Prozent der Bevölkerung wohnen in Orten mit mehr als 2.000 Einwohnern.

Während die "natürliche" Bevölkerungsbewegung (Anzahl der Geburten und Sterbefälle in Schweden) in den letzten Jahren zu einem Bevölkerungsrückgang geführt hätte, kam es aufgrund von Wanderungsbewegungen zu einem Bevölkerungszuwachs. Für das Jahr 2020 wird eine Einwohnerzahl von 9,7 Millionen Menschen prognostiziert. Die Anzahl der Personen über 65 Jahren soll sich um 500.000 und die von Personen im erwerbsfähigen Alter um 200.000 erhöhen.

Schweden war eines der Gründungsländer der europäischen Freihandelszone (EFTA). Mit dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 endete die EFTA-Mitgliedschaft. Schweden ist der Währungsunion allerdings nicht beigetreten. Landeswährung ist die Schwedische Krone.

Politik

Schweden ist eine konstitutionelle Monarchie mit parlamentarischer Regierungsform. Die Regierung ist dem Reichstag gegenüber verantwortlich. Der schwedische König ist das repräsentative Staatsoberhaupt, übt aber keine formelle Macht aus.

Der Reichstag besteht seit 1971 aus einer Kammer mit 349 Mitgliedern. Diese wählen die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten, die beziehungsweise der die Regierung ernennt. Es gilt der Grundsatz der kollektiven Verantwortung. Ist eine Angelegenheit für mehrere Ministerien relevant, ist der interministerielle Kontakt vorgeschrieben.

Die Regierung bildet für ihre Aufgabenbereiche Ausschüsse, in denen die Parteien im Verhältnis zu ihrer Mandatzahl vertreten sind. In besonders wichtigen Angelegenheiten wird eine Enquetekommission oder ein Untersuchungsausschuss einberufen. Diese setzen sich aus Politikerinnen, Politikern und Sachverständigen zusammen. Ihre Arbeit wird von den Medien begleitet. Die Berichte werden den zuständigen Stellen zugeleitet und veröffentlicht. Die für die Umsetzung von Beschlüssen des Reichstages und der Regierung zuständigen Behörden, Organisationen und Einzelpersonen können dem zuständigen Ministerium ihre Standpunkte übermitteln. Die Stellungnahmen können zu Modifikationen an den Empfehlungen der Enquetekommission führen. Die Regierung bringt ihren Vorschlag auf der Grundlage des Berichts und der Stellungnahmen in den Reichstag ein.

Die Wahlen erfolgen alle vier Jahre. Das Verfahren ist so angelegt, dass die Verteilung der Sitze unter den Parteien dem Verhältnis der im Land abgegebenen Stimmen entspricht. Eine Partei muss mindestens vier Prozent der Stimmen erhalten, um in den Reichstag einziehen zu können, oder in einem Wahlkreis zwölf Prozent der Stimmen gewinnen. Der Frauenanteil unter den Reichtagsabgeordneten beträgt 47,3 Prozent.

Für die Wahrnehmung und Umsetzung der staatlichen Aufgaben auf der regionalen Ebene ist Schweden in 21 Provinzen (län) eingeteilt. Die Regierungspräsidentinnen oder -präsidenten werden von der Regierung ernannt. Eine Provinz umfasst oft das gleiche Gebiet wie die aus regionalen Wahlen hervorgegangenen Landtage (landsting). Die Wahlen in den Landtagen und den Kommunen finden zeitgleich mit den Wahlen zum Reichstag statt. Die Landtage sind insbesondere für das Gesundheitswesen, den Regionalverkehr und die Verkehrsplanung zuständig. Die Aufgaben der 290 Kommunen umfassen die Raumordnung, weite Bereiche der Ausbildung, soziale Dienstleistungen, Kinderbetreuung, Feuerwehr, kulturelle Einrichtungen und Erholungsstätten. Die Landtage und die Gemeinden sind zur Festlegung und Erhebung von eigenen Einkommenssteuern, Abgaben und Gebühren berechtigt.

In den 1930er-Jahren entwickelte sich die sozialdemokratische Partei Schwedens (Socialdemokraterna, SAP) zur dominierenden politischen Kraft. Sie regierten nahezu ununterbrochen von 1932 bis 1976. Zusammen mit den Sitzen der Linkspartei (Vänsterpartiet) hatte der "linke Block" im Reichstag häufig eine Mehrheit. Dies verschaffte sozialdemokratischen Minderheitsregierungen eine günstige Ausgangsposition für Verhandlungen mit Parteien des "bürgerlichen" Lagers". Diese bildeten in den Jahren 1976 bis 1982 und 1991 bis 1994 Regierungskoalitionen. Seit 2006 regiert erneut eine Koalition aus vier "bürgerlichen" Parteien, angeführt von dem Vorsitzenden der konservativen Partei Moderaterna, Fredrik Reinfeldt. Seit der Reichstagswahl 2010 regiert diese Koalition als Minderheitsregierung (Deutsche Welle 2012). Im September 2014 haben die Schweden das bürgerliche Lager abgewählt, das wohl von einer rot-grünen Minderheitsregierung abgelöst wird. Die Sozialdemokraten, die Grünen und die Linken konnten jedoch kaum mehr Stimmen als 2010 erzielen. Große Zugewinne erreichten einzig die rechtspopulistischen "Schwedendemokraten". (sieheExterner Link: www.val.se)

Wirtschaft

In Schweden wurde im Jahr 2013 ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 41.188 Dollar pro Kopf erwirtschaftet. Im internationalen Vergleich gehört das Land damit zu den reichen Volkswirtschaften. Schweden liegt beim BIP/Kopf vor Deutschland (40.007 Dollar) und dem Vereinigten Königreich (37.307 Dollar), aber hinter der Schweiz (46.430 Dollar) und den Niederlanden (41.711 Dollar) (Internationaler Währungsfonds).

Für die wirtschaftliche Entwicklung Schwedens waren ursprünglich landeseigene Rohstoffe prägend (Wald, Erz, Wasserkraft). Heute sind die Metallindustrie, die Kraftfahrzeug- und Luftfahrtindustrie, die elektrotechnische Industrie, die Arzneimittel- und biotechnische Industrie insbesondere für den Export von großer Bedeutung. Die Bereiche Handel, Verkehr und Verwaltung weisen hohe Beschäftigungsanteile auf, haben aber nur einen kleinen, wenn auch wachsenden Anteil am Export. Schweden verfügt über einen großen öffentlichen Sektor mit ausgebauten Dienstleistungsbereichen.

Der Strukturwandel der schwedischen Wirtschaft wird durch die Veränderungen in den Beschäftigtenzahlen veranschaulicht. In der verarbeitenden Industrie verringerte sich die Anzahl der Beschäftigten von 1.100.000 (1960) auf 691.000 (2005). Im Dienstleistungssektor stieg sie von 2.000.000 (1960) auf 3.300.000 (2005). Im öffentlichen Sektor kam es zu einer Zunahme von 785.000 Beschäftigten (gegenwärtig arbeiten hier 31 Prozent der Beschäftigten), in der Privatwirtschaft zu einer Abnahme um 80.000.

Schweden wies in den 1950er- und 1960er-Jahren insbesondere durch den Ausbau des industriellen Sektors hohe Wachstumsraten auf. Sie lagen in den 1950er-Jahren im Durchschnitt bei 3,4 Prozent und in den 1960er-Jahren bei 4,6 Prozent. In den 1970er- und 1980er-Jahren verlangsamte sich das Wirtschaftswachstum auf durchschnittlich 2,0 beziehungsweise 2,5 Prozent und liegt seit 1990 bei durchschnittlich 2,0 Prozent. Insbesondere 1977/78 und 1992/94 kam es zu einschneidenden Wirtschaftskrisen mit einem Rückgang des BIP.

Während die Arbeitslosigkeit im Zuge der Weltwirtschaftskrisen seit den 1970er-Jahren in den meisten europäischen Ländern anstieg, blieb sie in Schweden unter anderem aufgrund des Ausbaus des öffentlichen Sektors ab den 1960er-Jahren im internationalen Vergleich zunächst gering. Nachdem die schwedischen Regierungen bis zu Beginn der 1980er-Jahre eine im Prinzip antizyklische Politik betrieben hatten, kam es 1983 zu einer Veränderung der wirtschaftspolitischen Strategie. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, wurde die Währung abgewertet. Zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte wurden Sparmaßnahmen in die Wege geleitet. Als sich die ökonomische Situation verbesserte, wurde der Ausbau des öffentlichen Sektors fortgesetzt. Zu Beginn der 1990er-Jahre überhitzte die Konjunktur und Schweden stürzte in die schwerste ökonomische Krise seit den 1930er-Jahren. Die industrielle Produktion verringerte sich erheblich. Die Zahlungsbilanz wurde negativ, Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit stiegen sprunghaft an. Die schwedischen Regierungen setzten nach relativ hohen Inflationsraten in den 1980er-Jahren auf Preisstabilität und auf einen Mix aus sozialstaatlichen Einschnitten und Steuererhöhungen. Inzwischen hat sich die ökonomische Lage verbessert, und auch die Arbeitslosigkeit hat sich verringert. Bei einem im internationalen Vergleich hohen Beschäftigungsgrad von 79,8 Prozent (Eurostat 2013) lag die Arbeitslosigkeit 2013 bei acht Prozent (Externer Link: Eurostat 2013, Externer Link: Eurostat 2014).

Wohlfahrtsstaat

Schweden galt lange als Beispiel für eine weitreichende Umsetzung sozialdemokratischer Politik, die sich an den Zielsetzungen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Vollbeschäftigung und Gleichheit orientiert. Besondere Aufmerksamkeit erregten die Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik. Aber auch der Ausbau des Rentenversicherungssystems und des schwedischen Gesundheitssystems stießen international auf Interesse.

Der schwedische Wohlfahrtsstaat ist durch die überwiegend steuerfinanzierte und einheitliche Absicherung sozialer Risiken sowie durch das große öffentliche Dienstleistungsangebot charakterisiert. Seine Entwicklungsphasen sind im Zusammenhang mit der allgemeinen politischen und ökonomischen Entwicklung zu sehen. Frühere, grundsätzliche Reformüberlegungen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu Beginn der 1970er-Jahre schrittweise (weitgehend) umgesetzt. Der Ausbau des Wohlfahrtsstaates und insbesondere auch des öffentlichen Sektors nach den vorangegangenen Weichenstellungen erfolgte in den folgenden zwei Jahrzehnten. Überlagert wurde die Entwicklung insbesondere ab den 1980er-Jahren von Bemühungen um die Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und um die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Fragen der Effektivität und Effizienz des öffentlichen Sektors und damit auch des Gesundheitssystems wurden wichtiger und stehen insbesondere seit den 1990er-Jahren auf der politischen Agenda. Die Ausgaben für soziale Sicherheit entsprachen 2009 32,2 Prozent des BIP (Statistics Sweden 2011). Der Anteil der Ausgaben für Gesundheit und das Gesundheitswesen an den Ausgaben für soziale Sicherheit lag bei 25,4 Prozent (Daten von 2004).

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie.

Dr. Renate Reiter, Institut für Politikwissenschaft der FernUniversität in Hagen