Die Regulierung des Gesundheitswesens in Großbritannien
Das britische Gesundheitssystem galt im internationalen Vergleich lange Zeit als Idealtyp eines staatlichen Gesundheitsdienstes (ein sogenanntes "Beveridge-System"). Dieses integrierte System aus staatlicher Finanzplanung und weitgehend staatlicher Leistungserstellung befindet sich allerdings seit einiger Zeit im Übergang auf ein System regulierter Versorgungsmärkte.New Public Management und die veränderte Rolle des Staates

Von herausragender Bedeutung für die veränderte Rolle des Staates sind dabei die von der Regierung aufgestellten grundlegenden gesundheitspolitischen Zielsetzungen, die alle Versorgungseinrichtungen bei ihrer alltäglichen Arbeit zu beachten haben. Die Überwachung der quantitativen und qualitativen Ziele für die Effizienz und Qualität der Krankenversorgung im National Health Service (NHS) einerseits und der originären Gesundheitsziele für die englische Bevölkerung andererseits wird dabei von einer ganzen Reihe von (quasi-)staatlichen Behörden durchgeführt.
Wissenscheck
Idealtypische Zuordnung des britische Gesundheitssystems
Frage 1 / 1
Nationale Gesundheitsziele, klinische Standards und betriebswirtschaftliche Effizienz
Zunächst legen das Finanzministerium und das Gesundheitsministerium in einem gemeinsamen Abkommen ("Public Service Agreement", PSA) quantifizierbare gesundheitspolitische Ziele fest, die in der nächsten Finanzplanungsperiode (drei Jahre) erreicht werden sollen. Die meisten nationalen Ziele beziehen sich auf die Verbesserung der Ergebnisse der Versorgung. Neben der Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Bevölkerung soll eine bessere Unterstützung und Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen, die Verbesserung des Zuganges zu Gesundheitsdiensten (Wartezeitenabbau) und die Förderung einer patientenorientierten Gesundheitsversorgung erreicht werden. Für die Umsetzung dieser Ziele sind die Clinical Commissioning Groups (CCGs) zuständig, die zudem noch eigene lokale gesundheitspolitische Prioritäten verfolgen können. Diese werden in vertraglichen Beziehungen mit den jeweiligen Leistungserbringern zum Bestandteil des Versorgungsauftrages gemacht. Neben den gesundheitspolitischen Zielen sollen auch nationale Standards der Leistungserstellung durch die Leistungserbringer beachtet werden. Sie werden ebenfalls in dem Abkommen zwischen dem Finanzministerium und dem Gesundheitsministerium festgelegt. Hierbei handelt es sich nicht nur um national definierte Qualitätsstandards (Zugang zu Leistungen, Zusammenarbeit mit Patientinnen und Patienten sowie Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit klinischer Leistungen), sondern auch um qualitative Kriterien für die Bewertung gesundheitspolitischer Zielsetzungen, beispielsweise des Abbaus sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit durch die Förderung von spezifischen Präventionsmaßnahmen oder aber der Sicherstellung finanzieller Nachhaltigkeit von NHS-Einrichtungen.Neben den nationalen Gesundheitszielen und Standards existiert noch ein System von klinischen Standards, das die medizinische Versorgung nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen der evidenzbasierten Medizin ausrichten soll. Die maßgebliche Institution ist hier das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE). Seine Aufgabe besteht darin, der interessierten Öffentlichkeit und professionellen Leistungserbringern im Gesundheitswesen verlässliche Informationen über evidenzbasierte Diagnose- und Therapieverfahren bereitzustellen. Die Empfehlungen des NICE sollten von Ärztinnen, Ärzten und anderen im Gesundheitswesen Tätigen in ihrer Arbeit beachtet werden. Neben der Bewertung neuer Technologien unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten ("technology appraisal") erarbeitet das NICE klinische Leitlinien zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit besonderen Erkrankungen und Krankheitszuständen. Schließlich bewertet das NICE noch intervenierende Diagnose- und Behandlungsverfahren hinsichtlich ihrer klinischen Sicherheit und Effektivität.
Die Tätigkeit des NICE wird von Richtlinien des Gesundheitsministeriums ("National Service Frameworks", NSFs) unterstützt. Diese beinhalten Anweisungen und Empfehlungen, wie bestimmte Versorgungsleistungen durchgeführt werden sollten. Die meisten dieser Richtlinien beziehen sich auf weitverbreitete Erkrankungen und besonders vulnerable soziale Gruppen (ältere Menschen und Kinder). Sie legen Standards für die Diagnose und Therapie konkreter Erkrankungen fest und beschreiben Behandlungsabläufe und Best-Practice-Modelle der Leistungserstellung anhand notwendiger medizinischer Leistungen (zum Beispiel zur Diagnose und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes).
Wissenscheck
Bewertung von Nutzen und Wirtschaftlichkeit
Frage 1 / 1


Stiftungskrankenhäuser hingegen ("NHS Foundation Trusts") sind diesem Bewertungssystem entzogen. Sie werden weder vom Gesundheitsministerium noch von den strategischen Gesundheitsbehörden, sondern von der (quasi)staatlichen Regulierungsbehörde Monitor überwacht. Monitor achtet bei der Regulierung von Stiftungskrankenhäusern vor allem auf finanzielle und wirtschaftliche Kriterien. Hierzu stellt Monitor spezifische Zulassungsbedingungen auf, die das Stiftungskrankenhaus akzeptieren und in Zukunft auch weiter erfüllen muss. Sollte Monitor der Meinung sein, dass die Stiftungskrankenhäuser ihre Zulassungsbedingungen nicht erfüllen, stehen der Behörde zahlreiche Interventionsinstrumente zur Verfügung. Sie reichen von der Verwarnung über die Aushandlung von Umschuldungsvereinbarungen mit Gläubigern des Stiftungskrankenhauses bis hin zum Austausch des Managements. Monitor fungiert zudem auch als Zulassungsagentur für finanziell erfolgreiche Einrichtungen des NHS und (seit 2010) für private Leistungsanbieter, die Stiftungskrankenhäuser werden möchten. Es war geplant, dass bis 2010 alle regulären Krankenhäuser (NHS Trusts) und lokalen Primary Care Trusts diesen Stiftungsstatus erhalten sollen (siehe Abbildung "Die regulativen Strukturen des neuen NHS in England").